Demenz: Erinnerungen an früher aktivieren – Ein umfassender Leitfaden

In der Betreuung von Menschen mit Demenz spielt die Aktivierung von Erinnerungen eine zentrale Rolle. Sie ermöglicht es, verloren geglaubte Verbindungen zur Vergangenheit wiederherzustellen, positive Emotionen zu wecken und ein Gefühl von Geborgenheit und Identität zu fördern. Dieser Artikel beleuchtet verschiedene Aspekte der Erinnerungsarbeit bei Demenz, von der Bedeutung des Vorlesens und Erzählens bis hin zu spezifischen Spielen und Aktivitäten, die das Langzeitgedächtnis ansprechen und die Lebensqualität der Betroffenen verbessern können.

Die Bedeutung von Erinnerungsarbeit bei Demenz

Die Zahl der Menschen mit Demenz steigt aufgrund des demografischen Wandels stetig an. In Deutschland leben aktuell rund 1,8 Millionen Menschen mit einer Demenzerkrankung. Die Erkrankung führt zu einem fortschreitenden Verlust von Gedächtnisinhalten, beginnend mit dem Kurzzeitgedächtnis. Alte Erinnerungen bleiben jedoch oft lange erhalten und können als Ankerpunkte in der verwirrenden Gegenwart dienen.

Die Erinnerungsarbeit zielt darauf ab, diese vorhandenen Ressourcen zu nutzen und die Betroffenen in einen aktiven Austausch mit ihrer Vergangenheit zu bringen. Dies kann auf vielfältige Weise geschehen, beispielsweise durch:

  • Vorlesen von Geschichten: Geschichten, die an vergangene Zeiten erinnern, können positive Emotionen wecken und Gespräche anregen.
  • Betrachten von Bildern: Alte Fotos und Illustrationen können Erinnerungen an bestimmte Ereignisse, Personen oder Orte hervorrufen.
  • Spielen von Spielen: Spiele, die das Langzeitgedächtnis trainieren, wie z.B. Erinnerungsspiele oder Spiele mit Reimen und Liedern, können die kognitiven Fähigkeiten stärken und die soziale Interaktion fördern.
  • Gemeinsames Singen: Das Singen bekannter Lieder aus der Kindheit oder Jugend kann ein Gefühl von Vertrautheit und Geborgenheit vermitteln.
  • Sensorische Stimulation: Das Ansprechen der Sinne durch Gerüche, Geschmäcker oder taktile Reize kann Erinnerungen an bestimmte Situationen oder Erlebnisse hervorrufen.

Vorlesen als Schlüssel zur Erinnerung

Das Vorlesen spielt eine besondere Rolle in der Erinnerungsarbeit bei Demenz. Es ermöglicht den Betroffenen, in eine andere Welt einzutauchen, sich mit den Protagonisten zu identifizieren und eigene Erfahrungen und Erinnerungen zu aktivieren.

Das Buch "Momente des Erinnerns- Band 4- Auswahl, Zeitzeugen erzählen von früher" aus der Reihe "Vorlesebücher für die Altenpflege" ist ein hervorragendes Beispiel für geeignete Vorlesematerialien. Die Geschichten sind in die Bereiche "Immer mit der Mode", "Unsere Haustiere", "Aus der Nachkriegszeit" und "Reiseträume" unterteilt und bieten vielfältige Anknüpfungspunkte an die eigene Vergangenheit der Zuhörer.

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Das Besondere an diesen Geschichten ist, dass sie Senioren und Menschen mit Demenz dazu anregen, selbst aktiv zu werden und von ihren eigenen Erlebnissen zu erzählen. Sie verwandeln "passive Zuhörer" in "aktive Erzähler".

Tipps für das erfolgreiche Vorlesen bei Demenz

  • Wählen Sie altersgerechte und thematisch passende Geschichten aus. Die Geschichten sollten nicht zu lang und komplex sein und sich an den Interessen und Erfahrungen der Zuhörer orientieren.
  • Lesen Sie langsam und deutlich vor. Achten Sie auf eine angenehme Lautstärke und betonen Sie wichtige Wörter und Sätze.
  • Halten Sie Blickkontakt zu den Zuhörern. Zeigen Sie Interesse an ihren Reaktionen und gehen Sie auf ihre Bedürfnisse ein.
  • Stellen Sie Fragen zu den Geschichten. Regen Sie die Zuhörer dazu an, von ihren eigenen Erfahrungen und Erinnerungen zu erzählen.
  • Nutzen Sie visuelle Hilfsmittel. Zeigen Sie Bilder, Fotos oder Gegenstände, die zu den Geschichten passen.
  • Schaffen Sie eine angenehme Atmosphäre. Sorgen Sie für eine ruhige und entspannte Umgebung, in der sich die Zuhörer wohlfühlen.

Spiele und Aktivitäten zur Aktivierung des Langzeitgedächtnisses

Neben dem Vorlesen gibt es eine Vielzahl von Spielen und Aktivitäten, die das Langzeitgedächtnis von Menschen mit Demenz aktivieren und die kognitiven Fähigkeiten stärken können.

Klassische Spiele in altersgerechter Form

Viele klassische Spiele, die bereits aus der Kindheit bekannt sind, eignen sich hervorragend für die Erinnerungsarbeit bei Demenz. Dazu gehören:

  • Brettspiele: Spiele wie "Mensch ärgere dich nicht", "Mühle", "Dame", "Halma", "Malefiz" oder "Scrabble" fördern das taktische Geschick, das logische Denken und die Erhaltung des Wortschatzes.
  • Kartenspiele: Spiele wie Skat, Bridge oder Doppelkopf trainieren die Fingerfertigkeit, das strategische Denken und die Bewältigung kleiner Rechen- und Merkaufgaben.
  • Würfelspiele: Spiele wie "Kniffel" oder "Knobeln" trainieren Grob- und Feinmotorik, aber auch taktisches Geschick.

Für Menschen mit Demenz ist es wichtig, dass das Spielmaterial altersgerecht angepasst ist. Das bedeutet:

  • Größere Spielfiguren und Spielkarten: Erleichtern das Greifen und Erkennen.
  • Deutliche Schrift und Farben: Verbessern die Lesbarkeit.
  • Einfache Spielregeln: Reduzieren die Komplexität und fördern das Verständnis.
  • Haptisch ansprechende Materialien: Holzfiguren mit rauer Oberfläche lassen sich besser greifen als glatte Kunststofffiguren.

Erinnerungsspiele und themenbezogene Aktivitäten

Erinnerungsspiele, die auf persönlichen Erfahrungen und Erlebnissen basieren, sind besonders effektiv bei der Aktivierung des Langzeitgedächtnisses. Hier einige Beispiele:

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  • Gegenstände aus der Vergangenheit: Zeigen Sie Gegenstände, zu denen die Betroffenen einen Bezug haben, und regen Sie sie dazu an, von ihren Erinnerungen zu erzählen.
  • Alte Lieder, Gedichte und Sprüche: Singen Sie alte Lieder oder tragen Sie Redewendungen, Gedichte oder Sprüche vor, die die Betroffenen dann ergänzen müssen.
  • Themenbezogene Gesprächsrunden: Organisieren Sie Gesprächsrunden zu bestimmten Themen, wie z.B. "Kindheit", "Beruf", "Reisen" oder "Feste".
  • Sensorische Aktivitäten: Bieten Sie sensorische Erfahrungen an, die Erinnerungen wecken, z.B. das Riechen von bestimmten Gewürzen, das Schmecken von traditionellen Gerichten oder das Fühlen von verschiedenen Stoffen.

Beispiele für Aktivierungskarten und Materialien

Es gibt eine Vielzahl von Aktivierungskarten und Materialien, die speziell für die Arbeit mit Senioren und Menschen mit Demenz entwickelt wurden. Diese Materialien bieten Anregungen für Gespräche, Spiele und Aktivitäten, die die Erinnerung aktivieren und die Lebensqualität verbessern können.

  • Aktivierungskarten für Senioren: Diese Karten zeigen, wie bewährte Methoden aus der kreativen Arbeit mit Gruppen auch in der Seniorenarbeit eingesetzt werden können. Bilder, Geschichten, Spiele und Lieder regen an, sich über Vorlieben, Interessen und Erlebtes auszutauschen und miteinander ins Gespräch zu kommen.
  • Bewegungsgeschichten zum Vorlesen: Diese Geschichten integrieren Bewegung auf spielerische Weise und fördern die körperliche und geistige Fitness der Senioren.
  • Quiz-Spiele für Senioren: Diese Spiele enthalten Fragen zu fast vergessenen Gegenständen aus vergangenen Zeiten und regen zum Rätseln und Erinnern an.
  • Bildkarten zu verschiedenen Themen: Diese Karten zeigen Bilder von Tieren, Pflanzen, Gegenständen oder Situationen aus der Vergangenheit und dienen als Gesprächsanlass.
  • Materialien zum Basteln und Gestalten: Diese Materialien ermöglichen es den Senioren, ihre Kreativität auszuleben und Erinnerungen an vergangene Zeiten zu verarbeiten.

Die Rolle der Angehörigen und Pflegekräfte

Angehörige und Pflegekräfte spielen eine entscheidende Rolle bei der Erinnerungsarbeit mit Menschen mit Demenz. Sie kennen die Betroffenen am besten und können die Aktivitäten und Materialien an ihre individuellen Bedürfnisse und Interessen anpassen.

Tipps für Angehörige und Pflegekräfte

  • Nehmen Sie sich Zeit für Gespräche und Erinnerungen. Hören Sie aufmerksam zu, wenn die Betroffenen von ihrer Vergangenheit erzählen, und zeigen Sie Interesse an ihren Erlebnissen.
  • Schaffen Sie eine vertrauensvolle Atmosphäre. Sorgen Sie für eine Umgebung, in der sich die Betroffenen wohlfühlen und sich frei äußern können.
  • Seien Sie geduldig und verständnisvoll. Menschen mit Demenz können Schwierigkeiten haben, sich zu erinnern oder sich auszudrücken.
  • Nutzen Sie Hilfsmittel wie Fotos, Gegenstände oder Musik. Diese können die Erinnerung anregen und Gespräche erleichtern.
  • Beziehen Sie die Betroffenen in alltägliche Aktivitäten ein. Auch einfache Aufgaben wie Kochen, Gartenarbeit oder Spaziergänge können Erinnerungen wecken und ein Gefühl von Normalität vermitteln.
  • Suchen Sie Unterstützung bei Fachleuten. Es gibt eine Vielzahl von Beratungsstellen und Selbsthilfegruppen, die Angehörigen und Pflegekräften Unterstützung und Informationen bieten.

Weitere Aspekte der Demenzbetreuung

Neben der Erinnerungsarbeit gibt es weitere wichtige Aspekte der Demenzbetreuung, die dazu beitragen können, die Lebensqualität der Betroffenen zu verbessern.

Gestaltung der Wohnumgebung

Eine demenzgerechte Gestaltung der Wohnumgebung kann dazu beitragen, dass sich Menschen mit Demenz sicher und wohlfühlen. Wichtig ist:

  • Klare Strukturen und Orientierungshilfen: Vermeiden Sie unübersichtliche Räume und sorgen Sie für eine klare Kennzeichnung von Türen und Gegenständen.
  • Sichere Umgebung: Beseitigen Sie Stolperfallen und sorgen Sie für eine gute Beleuchtung.
  • Vertraute Gegenstände: Integrieren Sie vertraute Möbel und Gegenstände in die Wohnumgebung, die Erinnerungen wecken und ein Gefühl von Geborgenheit vermitteln.

Körperliche Aktivität und Ernährung

Regelmäßige körperliche Aktivität und eine ausgewogene Ernährung sind wichtig für die Gesundheit und das Wohlbefinden von Menschen mit Demenz.

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  • Körperliche Aktivität: Fördert die Durchblutung des Gehirns und kann kognitive Fähigkeiten verbessern.
  • Ausgewogene Ernährung: Versorgt das Gehirn mit wichtigen Nährstoffen und kann das Fortschreiten der Demenz verlangsamen.

Soziale Kontakte und Beschäftigung

Soziale Kontakte und eine sinnvolle Beschäftigung sind wichtig für die psychische Gesundheit von Menschen mit Demenz.

  • Soziale Kontakte: Fördern das Gefühl der Zugehörigkeit und können Einsamkeit und Isolation verhindern.
  • Sinnvolle Beschäftigung: Gibt den Betroffenen das Gefühl, gebraucht zu werden und etwas Sinnvolles zu tun.

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