Die steigende Lebenserwartung führt zu einem signifikanten Anstieg der Demenzerkrankungen. Gleichzeitig nehmen soziale Bindungen ab, was die Situation für Betroffene zusätzlich erschwert. Demenz entwickelt sich somit zu einer der größten sozialen, politischen, ökonomischen und humanitären Herausforderungen unserer Zeit.
Die demografische Entwicklung und ihre Folgen
Die Menschen werden immer älter, was zu einem Anstieg altersbedingter Erkrankungen wie Demenz führt. Aktuell leben in Deutschland schätzungsweise 1,8 Millionen Menschen mit Demenz. Etwa zwei Drittel von ihnen sind über 80 Jahre alt, und zwei von drei Erkrankten sind Frauen. Da die Anzahl hochaltriger Menschen aufgrund der hohen Lebenserwartung in den nächsten Jahren deutlich zunehmen wird, werden auch immer mehr Menschen von Demenz betroffen sein. Verschiedene Veröffentlichungen gehen davon aus, dass im Jahr 2050 in Deutschland bis zu 2,8 Millionen Menschen über 65 Jahre an Demenz erkrankt sein könnten. Einige aktuelle Studien deuten aber auch darauf hin, dass die Erkrankungsraten in westlichen Ländern künftig eher rückläufig sein könnten. Als Ursachen werden bessere Bildung, gesündere Ernährung und steigende soziale und körperliche Aktivität angesehen.
Die soziale Dimension der Demenz
Die Entwicklungen in unserer Gesellschaft sind eher durch Vereinzelung und das Zerbröckeln sozialer Milieus gekennzeichnet. Soziale Milieus, in denen Menschen mit Demenz gewissermaßen „natürlich“ aufgehoben wären, schmelzen weg. Es genügt nicht, dass Kommunen ein paar „Maßnahmen“ ergreifen, um die Versorgung von Menschen mit Demenz zu verbessern. Die Demenz fragt uns dringlich nach einem Neuanfang in den sozialen Beziehungen der modernen Bürgerinnen und Bürger untereinander.
Stigmatisierung und gesellschaftliche Teilhabe
Im Mittelpunkt steht dabei die Aufhebung der Stigmatisierung des Themas Demenz. Es sollen Bürger gewonnen werden, die auf das Wohlbefinden von Menschen mit Demenz und ihrer Angehörigen hinwirken wollen und für mehr gesellschaftliche Teilhabe der Betroffenen sorgen möchten. Ein weiterer Schwerpunkt der Aktivitäten dreht sich um den Themenkomplex Kunst, Kultur und Demenz. Gerade künstlerische und kulturelle Zugänge sind in besonderer Weise dazu geeignet, Menschen für das Thema Demenz zu sensibilisieren und einen anderen, nicht nur von Schrecken und Defiziten geprägten Blick auf die Demenz zu fördern.
Medizinische Aspekte der Demenz
Demenz ist der Oberbegriff für bestimmte Krankheiten und Symptome. Bei einer Demenz kommt es zu krankhaften Veränderungen im Gehirn. Dieser Prozess ist fortschreitend und kann über mehrere Jahre dauern. Betroffen sind das Gedächtnis, die Aufmerksamkeit, die Wahrnehmung, die zeitliche und örtliche Orientierung und das Denken. Eine akute und vorübergehende Verwirrtheit oder Bewusstseinstrübung ist keine Demenz. Auch gelegentliche Konzentrations- und Gedächtnisprobleme deuten nicht unbedingt auf eine Demenz hin, denn die geistige Leistungsfähigkeit schwankt ständig. Mit dem Älterwerden können sich das Kurzzeitgedächtnis und die Wahrnehmung verschlechtern.
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Demenzformen und Ursachen
Es gibt verschiedene Demenzformen. Bei primären Demenzen gehen Gehirnzellen und die Verbindungen zwischen den Gehirnzellen langsam verloren. Zu den primären Demenzen gehört die Alzheimer-Krankheit, die bei etwa 60 bis 70 Prozent aller Demenzerkrankungen vorliegt. Ursache sind Eiweißablagerungen außerhalb der Nervenzellen im Gehirn, sogenannte Plaques. Zudem zersetzen sich Eiweißstrukturen innerhalb der Nervenzellen. Die zweithäufigste Form ist die vaskuläre Demenz, die aufgrund von Durchblutungsstörungen im Gehirn entsteht. Primäre Demenzen sind nicht heilbar. Sekundäre Demenzen sind Folgeerscheinungen von Krankheiten, die nicht direkt den Abbau von Hirngewebe verursachen. Sie kommen eher selten vor und werden beispielsweise durch Stoffwechselerkrankungen, Vitaminmangel oder Medikamente ausgelöst. Auch eine Depression kann eine Ursache sein.
Risikofaktoren und Prävention
Verschiedene Faktoren können die Entstehung von Demenz beeinflussen, zum Beispiel das Alter oder die Gene. Das Risiko, an Demenz zu erkranken, ist für Frauen höher als für Männer. Beeinflussbare Risikofaktoren für Demenz sind unter anderem Diabetes, Bluthochdruck und Übergewicht.
Diagnostik und Therapie
Frühe Diagnosen bieten die Chance, die Symptome einer Demenz zu lindern und das Fortschreiten zu verzögern. Allerdings werden Demenzen Schätzungen zufolge etwa bei der Hälfte der Betroffenen nicht erkannt. Nur eine ärztliche Untersuchung kann klären, ob eine Demenz vorliegt. Zudem können nur so andere Krankheiten wie Depression oder Delir sicher ausgeschlossen werden. Im ersten Schritt sollte eine Untersuchung durch die Hausärztin oder den Hausarzt erfolgen. Erst wenn sich dabei die Vermutung auf eine Demenz verstärkt, schließen sich fachärztliche Untersuchungen an, möglichst in einer Gedächtnissprechstunde.
Auswirkungen der Demenz auf den Alltag
Eine Demenz wirkt sich auf verschiedene Lebensbereiche aus, zum Beispiel auf den Alltag, das Verhalten und Gefühle, die Kommunikation, auf Familie und Partnerschaft sowie auf die soziale Teilhabe. Wie sich eine Demenz auswirkt, ist individuell verschieden. Dabei spielen mehrere Faktoren eine Rolle: beispielsweise die Form der Demenz, der Zeitpunkt der Diagnose sowie Möglichkeiten der Behandlung. Und nicht zuletzt kommt es auch auf die Lebenssituation und die praktische Unterstützung durch das Umfeld an.
Veränderungen im Alltag
Für Menschen mit Demenz wird es mit fortschreitender Erkrankung schwieriger, den Alltag selbstständig zu bewältigen. Zum Beispiel nimmt die Fähigkeit ab, gewohnte Tätigkeiten durchzuführen, sich zeitlich und örtlich zu orientieren sowie Situationen einzuschätzen. Auch wird die Funktion von Gegenständen teilweise nicht mehr erkannt. Körperliche Beeinträchtigungen können den Alltag zusätzlich erschweren. Je stärker die Erkrankung ausgeprägt ist, umso weniger Selbstfürsorge ist in der Regel möglich, zum Beispiel im Haushalt, bei der Körperpflege, Ernährung, Medikation oder Freizeitgestaltung. Menschen mit fortgeschrittener Demenz können etwa die Finanzen und behördliche Angelegenheiten nicht mehr regeln.
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Verhaltensänderungen
Mit fortschreitender Demenz kann sich das Verhalten deutlich ändern. Das kann sich zum Beispiel in häufigen Stimmungswechseln, Antriebslosigkeit oder unruhigem Umhergehen (Wandering-Syndrom) zeigen. Auch kann der Tag-Nacht-Rhythmus gestört sein. Dann ist die Person vermehrt am Abend oder nachts aktiv (Sundowning-Syndrom). Zudem können Wahrnehmungsstörungen bis hin zu Wahnvorstellungen auftreten. Das Verhalten von Menschen mit Demenz kann für das Umfeld unverständlich, anstrengend und auch mit Scham besetzt sein. Sogenanntes herausforderndes Verhalten kann dazu führen, dass Menschen mit Demenz - vermeintlich zu ihrem eigenen Schutz - in ihrer Bewegungsfreiheit eingeschränkt werden. So kommt es vor, dass bei starker Unruhe Gurte, Bettgitter und Beruhigungsmittel eingesetzt werden. Allerdings: Diese sogenannten freiheitsentziehenden Maßnahmen (FEM) schaden mehr, als dass sie nutzen.
Kommunikationsschwierigkeiten
Die Demenz wirkt sich erheblich auf die Kommunikationsfähigkeit aus. Zum Beispiel werden Worte nicht mehr richtig verwendet oder verstanden. Schließlich verlieren sie immer mehr an Bedeutung. Mimik, Gestik und Berührungen werden dann besser verstanden als Worte.
Auswirkungen auf das soziale Umfeld
Die Diagnose Demenz betrifft auch das persönliche Umfeld. Das betrifft zum einen praktische Veränderungen im Alltag, zum Beispiel die Pflege und Betreuung, die Organisation des Haushalts, die Begleitung zu Arztterminen, die sichere Anpassung der Wohnung. Zum anderen können Angehörige mit vielfältigen Gefühlen konfrontiert sein wie Mitgefühl oder Sorge vor anstehenden Aufgaben. Körperliche und psychische Belastungen können zu gesundheitlichen Problemen bei pflegenden Angehörigen führen. Zudem können sie sich negativ auf die Gesundheit der pflegebedürftigen Person auswirken. Daher ist die Entlastung pflegender Angehöriger wichtig, zum Beispiel durch die Familie, Bekannte oder professionelle Unterstützungsangebote.
Soziale Teilhabe und Inklusion
Der Verlust von gewohnten Fähigkeiten, wie Orientierung und Gedächtnis, kann stark verunsichern. Mit fortschreitender Erkrankung wird es zudem schwieriger, am sozialen Leben teilzunehmen. Zum einen erschweren es kognitive und körperliche Symptome, gezielt aktiv zu sein und sich mit anderen auszutauschen. Zum anderen treffen Menschen mit Demenz im öffentlichen Raum mitunter aufgrund ihres Verhaltens auf Unverständnis oder gar Ablehnung. Viele Menschen wissen nicht, wie sie Menschen mit Demenz helfen können. Darum ist es wichtig, das unmittelbare persönliche Umfeld über die Erkrankung zu informieren. Wissen über die Erkrankung und den richtigen Umgang damit tragen dazu bei, Unsicherheiten abzubauen und Menschen mit Demenz offen zu begegnen. Das ist auch das Ziel der von der Deutschen Alzheimer Gesellschaft ins Leben gerufenen Initiative „Demenz Partner“.
Wirtschaftliche Aspekte der Demenz
Die stetig steigenden Patientenzahlen stellen ebenfalls eine ökonomische Herausforderung dar. Das Statistische Bundesamt bezifferte die Kosten der Demenz im Jahr 2015 auf 15 Mrd. €. Dies entspricht einem Anteil von 9 % an den Gesundheitsausgaben für die Bevölkerung im Alter von 65 Jahren und älter. Die Berechnungen des Statistischen Bundesamtes, welche auf Abrechnungsdaten der Kostenträger, den „Sekundärdaten“, beruhen, sind jedoch unvollständig. Die von den Familien geleisteten unbezahlten Unterstützungs- und Pflegeleistungen finden keine Berücksichtigung.
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Initiativen und Lösungsansätze
Angeregt von diesen Entwicklungen will der von der Robert Bosch Stiftung geförderte Verein "Aktion Demenz - Gemeinsam für ein besseres Leben mit Demenz e.V." die Lebensbedingungen für Menschen mit Demenz in Deutschland vor allem durch zivilgesellschaftlichen Dialog verbessern.
Demenzfreundliche Kommunen
Dies hat zur Forderung der Aktion Demenz nach „Demenzfreundlichen Kommunen“ geführt: Gemeint ist damit ein Gemeinwesen, in dem es sich mit und für Menschen mit Demenz und ihre/n Familien gut leben lässt und in dem Teilhabe gelebte Wirklichkeit ist. Der Begriff Kommune dient in diesem Zusammenhang als Sammelbegriff für Gemeinden, Landkreise, Städte, Dörfer, Nachbarschaften und Gemeinschaften. Die Kommune ist der Ort, an dem Bürgerinnen und Bürger, politische Entscheidungsträger sowie andere vor Ort befindliche gesellschaftliche Akteure ihr Gemeinwesen ein Stück weit neu erfinden müssen.
Nationale Demenzstrategie
Die aktuell größte bundesweite Initiative ist die Nationale Demenzstrategie (NDS), eine Weiterentwicklung der von der Bundesregierung initiierten „Allianz für Menschen mit Demenz“. Ziel der Demenzstrategie ist es, das Leben von Menschen mit Demenz und ihren Angehörigen zu verbessern.
Die Rolle der Gemeinschaft
Akzeptanz, Verständnis und Unterstützung durch das Umfeld sind wichtige Faktoren, damit Menschen mit Demenz und ihre Angehörigen möglichst gut mit der Erkrankung leben können. Jedoch ist die Gesellschaft vielfach nicht darauf eingestellt. Viele wissen zum Beispiel nicht, wie sie mit fremden Menschen mit Demenz umgehen oder ihnen bei einer Begegnung helfen können, zum Beispiel in der Nachbarschaft, im Restaurant oder im Supermarkt. Darum sind gesellschaftliche Aufklärung und Sensibilisierung für die Bedürfnisse von Menschen mit Demenz wichtig.
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