Demenz ist ein Begriff, der viele Menschen beunruhigt. Es handelt sich dabei um eine fortschreitende Verschlechterung der geistigen Leistungsfähigkeit, die Betroffene nach einigen Jahren so stark einschränkt, dass sie nicht mehr selbstständig zurechtkommen und schließlich vollständig pflegebedürftig werden. Psychiater Frank Jessen, Leiter der Arbeitsgemeinschaft Klinische Demenzforschung an der Universität Köln, betont jedoch, dass Demenz keine einheitliche Erkrankung ist, sondern ein Sammelbegriff für Vergesslichkeit unterschiedlicher Ursachen. Auch die Symptome variieren stark: Manche Betroffene sind still und in sich gekehrt, andere aggressiv, laut und ständig unterwegs.
Ursachen von Demenz
Bei den Demenzen kommt es zur sogenannten Neurodegeneration, also dem schrittweisen Absterben von Gehirnzellen. Ursächlich ist oft eine Anhäufung von krankhaften Eiweißstoffen im Gehirn. Abhängig vom Ort dieses Prozesses treten dann zu verschiedenen Zeitpunkten der Erkrankung unterschiedliche Symptome auf.
- Alzheimer-Demenz: Charakteristisch ist der fortschreitende Untergang von Nervenzellen, der im Schläfen- und Scheitellappen des Gehirns am stärksten ausgeprägt ist.
- Vaskuläre Demenz: Hier sind die das Gehirn versorgenden Blutgefäße erkrankt, zum Beispiel durch Arteriosklerose. Bei Verstopfung größerer Blutgefäße sind größere Infarkte (Schlaganfälle) die Folge, aber auch die Mangeldurchblutung von kleinsten Blutgefäße kann zu einem schleichenden Nervenzelluntergang führen (Mikroangiopathie). Je nach Ort der Schädigungen im Gehirn ist die Symptomatik unterschiedlich.
- Frontotemporale Demenz: Gruppe von Erkrankungen mit Verlust an Nervenzellen im Stirnlappen oder vorderen Scheitellappen des Gehirns. Es werden drei Unterformen unterschieden, die oft schon ab ca. Schwierigkeiten, Worte richtig auszusprechen.
- Lewy-Körperchen-Demenz: Charakteristisch sind Bewegungsstörungen im Sinne von Parkinson-Symptomen, eine deutlich schwankende geistige Leistungsfähigkeit sowie das frühe Auftreten visueller Halluzinationen. Hinzu kommt eine ausgeprägte Überempfindlichkeit gegenüber Medikamenten, die gegen die Halluzinationen eingesetzt werden. Häufig treten Stürze, kurzzeitige Bewusstlosigkeit und Störungen der vegetativen Funktionen mit niedrigem Blutdruck und Inkontinenz auf.
- Gemischte Demenz: Mischform zwischen Alzheimer-Demenz und vaskulärer Demenz.
Herausforderungen im Umgang mit Demenzpatienten
Eine besondere Herausforderung stellt die sogenannte "Hinlauf-Tendenz" dar, bei der Betroffene unkontrolliert weglaufen. Um diese Tendenz einzudämmen und die Belastung für Angehörige zu reduzieren, werden häufig Neuroleptika verschrieben. Diese Medikamente haben jedoch erhebliche Nebenwirkungen und sind langfristig keine akzeptable Strategie.
Problematische Medikamentenverordnung
Gesundheitswissenschaftler Prof. Gerd Glaeske von der Universität Bremen hat in seinem Demenzreport 2020 auf die übermäßige Verordnung von Neuroleptika und Benzodiazepinen hingewiesen. Ein Drittel aller Patienten mit Alzheimer-Demenz erhält Neuroleptika, im stationären Bereich sogar 54 Prozent. Glaeske kritisiert, dass es dabei oft um die Ruhigstellung der Patienten gehe, nicht um eine gezielte Therapie.
Seit 2002 ist bekannt, dass Neuroleptika bei Alzheimer-Demenz mehr schaden als nutzen. Die langfristige Einnahme erhöht das Sterberisiko um das 1,7-fache und kann Dyskinesien (parkinsonartige Symptome) verursachen. Dennoch werden nur etwa 20 Prozent der Patienten mit speziellen Demenzmedikamenten behandelt.
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Medikamentenablehnung als häufiges Problem
Ein weiteres Problem ist die Medikamentenablehnung durch Demenzpatienten. Viele Pflegekräfte sehen das Mörsern und Untermischen der Medikamente als einzige Lösung, was jedoch eine Zwangsbehandlung darstellt und rechtlich nicht zulässig ist. Zwangsbehandlungen sind nur in gravierenden Fällen und mit richterlicher Genehmigung in einer Klinik erlaubt.
Ursachenforschung bei Medikamentenablehnung
Um die Ursachen für die Medikamentenablehnung zu ergründen, sollten folgende Fragen gestellt werden:
- Lehnt der Patient die Medikamente wirklich ab? Oftmals erkennen Demenzpatienten die Medikamente nicht als solche oder haben Schluckbeschwerden.
- Welche Gründe gibt es für die Ablehnung? Die Gründe können individuell sein und in der Biografie oder der Einstellung des Patienten zu Ärzten und Medikamenten liegen.
Mögliche Ursachen für Medikamentenablehnung
- Fremdkörpergefühl oder Schluckstörungen: Der Patient lehnt die Medikamente nicht ab, sondern spuckt sie reflexartig aus.
- Ablehnung der Medikamenteneinnahme: Der Patient nimmt eine Abwehrhaltung ein, die auf individuellen Gründen basiert.
Lösungsansätze bei Medikamentenablehnung
- Medikamentenreduktion: In Absprache mit dem Arzt sollte geprüft werden, welche Medikamente unbedingt notwendig sind und ob die Einnahme auf einmal täglich reduziert werden kann.
- Herangehensweise der Pflegekräfte: Hektik und eine zu forsche Herangehensweise können die Ablehnung verstärken. Es ist wichtig, dem Patienten Zeit zu geben und ihm das Gefühl zu vermitteln, selbst entscheiden zu können.
- Kommunikation: Dem Patienten sollte in einfachen Worten erklärt werden, welches Medikament für welches Problem verschrieben wurde.
Weitere Maßnahmen
- Information des Betreuungsgerichts: Bei anhaltender Medikamentenablehnung sollte das Betreuungsgericht informiert werden.
- Einbeziehung von Angehörigen: Angehörige sollten über die Problematik aufgeklärt und in die Lösungsfindung einbezogen werden.
Alternative Therapieansätze und Betreuungskonzepte
Da es keine Therapie gibt, die Demenz heilen oder aufhalten kann, sind alternative Ansätze und Betreuungskonzepte von großer Bedeutung.
Früherkennung und Prävention
Die Forschung setzt verstärkt auf Früherkennung und Prävention. Da bereits zerstörtes Gehirngewebe nicht wiederhergestellt werden kann, ist Vorbeugung entscheidend. Bewegung, gesunde Ernährung und ein aktives soziales Umfeld können das Demenzrisiko verringern. Auch frühzeitiges Gedächtnistraining wird empfohlen.
Aktivierende Pflegekonzepte
Pflegeheime wie das St. Anna-Stift Kroge setzen auf aktivierende Pflegekonzepte, die auf der "Silviahemmet®- Pflegephilosophie" basieren. Ziel ist es, die Lebensqualität der Demenzpatienten zu verbessern, indem man auf ihre individuellen Bedürfnisse eingeht und Ursachenforschung betreibt. Christopher Eckhardt berichtet, dass in 80 bis 90 Prozent der Fälle Medikamente reduziert werden können.
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Umgang mit Begleiterscheinungen der Demenz
Neben der Medikamentenablehnung gibt es weitere Verhaltensweisen, die im Zusammenhang mit Demenz auftreten können und den Umgang mit den Betroffenen erschweren.
Motorische Unruhe und Weglaufen
Menschen mit Demenz haben oft ein starkes Bedürfnis nach Bewegung. Körperliche und psychische Beschwerden sowie Medikamente können dieses Bedürfnis verstärken und zum Weglaufen führen. Um dies zu verhindern, sollten folgende Maßnahmen ergriffen werden:
- Verfügbare Kleidungsstücke reduzieren: Nur der Jahreszeit entsprechende Kleidung in Reichweite legen.
- GPS-Sender: In Schuhen oder Kleidung integrierte GPS-Sender können helfen, den Betroffenen im Notfall zu finden.
- Ursachenforschung: Ein Arztbesuch kann helfen, die Ursachen für die Unruhe zu klären.
Herausforderndes Verhalten
"Herausforderndes Verhalten" umfasst Verhaltensänderungen wie Unruhe, ständiges Rufen oder Nahrungsverweigerung. Es ist wichtig, dieses Verhalten als Kommunikationsmittel zu verstehen und die Ursachen zu ergründen. Mögliche Ursachen sind körperliche Beschwerden, Langeweile oder unerfüllte Bedürfnisse.
Lösungsansätze
- Verhalten beschreiben: Wie häufig tritt das Verhalten auf, in welchen Situationen?
- Hilfe holen: Ambulante Pflegedienste oder Tagespflegeeinrichtungen können Unterstützung bieten.
- Aus der Situation gehen: Wenn der Geduldsfaden reißt, ist es wichtig, die Situation zu verlassen und sich zu beruhigen.
Nächtliche Unruhe
Nächtliche Unruhe ist ein häufiges Problem bei Demenzpatienten. Sie kann sich in Form von Umherwandern, lautem Rufen oder ständigem Aufstehen äußern.
Ursachen
- Veränderungen im Gehirn: Der Abbau von Nervenzellen stört die innere Uhr.
- Verlust der zeitlichen Orientierung: Menschen mit Demenz verlieren das Gefühl für Tag und Nacht.
- Medikamente: Einige Medikamente können den Schlaf negativ beeinflussen.
- Physische Beschwerden: Schmerzen oder Unwohlsein können die Unruhe verstärken.
Maßnahmen
- Routinen schaffen: Feste Abendroutinen mit regelmäßigen Schlafenszeiten und beruhigenden Aktivitäten.
- Schlafumgebung optimieren: Ruhige und dunkle Umgebung ohne Lärmquellen.
- Körperliche Aktivität: Regelmäßige Bewegung während des Tages kann die Müdigkeit steigern.
- Kognitive Stimulation: Auch geistige Anregung ist wichtig.
Medikamente und Hausmittel
In einigen Fällen können Medikamente oder Hausmittel helfen, die Unruhe zu lindern:
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- Beruhigungsmittel (Sedativa): Benzodiazepine können die Unruhe reduzieren.
- Antipsychotika: Bei schweren Fällen von Unruhe oder aggressivem Verhalten.
- Antidepressiva: Einige Antidepressiva haben eine beruhigende Wirkung.
- Schlafmittel (Hypnotika): Kurzfristiger Einsatz zur Verbesserung des Schlafs.
- Melatonin: Kann bei Schlafstörungen hilfreich sein.
- Kräutertees: Kamillentee oder Baldriantee haben beruhigende Eigenschaften.
- Aromatherapie: Ätherische Öle wie Lavendel oder Melisse können eine beruhigende Umgebung schaffen.
- Warme Milch mit Honig: Ein altes Hausmittel gegen Schlafstörungen.
- Beruhigende Musik: Sanfte Musik oder Naturklänge können entspannen.
- Entspannungsübungen: Progressive Muskelentspannung oder sanftes Dehnen.
- Gewichtdecken: Können ein Gefühl von Sicherheit und Geborgenheit vermitteln.
- Wärmekissen: Können den Körper entspannen.
Pflegeverweigerung
Es kommt vor, dass Demenzpatienten die Pflege verweigern. Um dies zu vermeiden, ist es wichtig, die Angst vor dem Altern zu verstehen und den Patienten in die Entscheidungsfindung einzubeziehen.
Tipps für den Umgang mit Pflegeverweigerung
- Frühzeitig Gespräche führen: Über mögliche zukünftige Pflegeoptionen sprechen.
- Offene Fragen stellen: Nach den Gründen für die Verweigerung fragen.
- Probleme und Schritte kategorisieren: Eine Liste der Probleme und bereits unternommenen Schritte erstellen.
- Patienten einbeziehen: Den Patienten bei der Auswahl des Betreuers mit einbeziehen.
- Weniger Informationen geben: Demenzpatienten nicht mit zu vielen Informationen überfordern.
- Externe Hilfe in Anspruch nehmen: Sozialarbeiter, Ärzte oder andere Vertrauenspersonen können helfen.
- Allmähliche Eingewöhnung: Den Helfer allmählich in den Alltag einbeziehen.
- Entscheidungen respektieren: Solange Senioren sich nicht selbst oder andere gefährden, sollten sie ihre eigenen Entscheidungen treffen.
Umgang mit Inkontinenz bei Demenz
Inkontinenz ist eine häufige Begleiterscheinung von Demenz. Es gibt verschiedene Ursachen und Lösungsansätze.
Ursachen für Inkontinenz bei Demenz
- Zerstörung von Hirnregionen: Die Demenz zerstört Hirnregionen, die die Blase steuern.
- Medikamente: Einige Medikamente lösen als Nebenwirkung eine Inkontinenz aus.
- Krankheiten: Blasenentzündungen, psychische Probleme, Unfälle oder Operationen können Inkontinenz verursachen.
Tipps zum Umgang mit Inkontinenz bei Demenz
- Toilette finden: Die Badtüre/Toilettentüre offen stehen lassen, Schilder an der Türe anbringen, den Weg zur Toilette gut ausleuchten.
- Zeitliche Probleme: Urinflasche oder Steckbecken bereitstellen, Toilettenstuhl verwenden, Toilettenzeiten antrainieren, regelmäßig an den Toilettengang erinnern.
- Artikulationsprobleme: Mit fortgeschrittener Demenz wird die Verständigung immer schlechter.
- Angst vor der Toilette: Erhöhte Toilette verwenden, farbigen Toilettensitz anbringen, Haltegriffe installieren.
- Falsche Kleidung: Schlupfhosen oder Kleidung mit Klett- oder Reißverschluss verwenden.
- Stolperfallen: Unebenheiten und Stolperfallen beseitigen, Haltegriffe anbringen, Rollator verwenden, Treppenlift installieren.
- Harntreibende Getränke: Harntreibende Getränke vermeiden.
- Medikamente: Wechselwirkungen oder Nebenwirkungen von Medikamenten mit dem Arzt besprechen.
Unterstützung für Angehörige
Die Pflege eines Demenzkranken ist eine große Herausforderung und kann Angehörige überfordern. Es gibt verschiedene Unterstützungsangebote:
- Information und Beratung: Deutsche Alzheimer Gesellschaft, Pflegeberatungsstellen, Pflegestützpunkte, Krankenkassen.
- Pflegekurse: Für pflegende Angehörige.
- Selbsthilfegruppen: Bieten Austausch und Unterstützung.
- Ambulante Pflegedienste: Regelmäßige Besuche zur Unterstützung bei der Pflege.
- Tagespflegeeinrichtungen: Betreuung der Demenzkranken tagsüber.
- 24-Stunden-Betreuung: Kontinuierliche Anwesenheit einer geschulten Betreuungsperson.
Rechtliche Aspekte
Bei Demenz stellen sich viele rechtliche und finanzielle Fragen, die geregelt werden müssen:
- Vorsorgevollmacht: Ermöglicht es Angehörigen, Entscheidungen im Namen des Betroffenen zu treffen.
- Betreuungsgericht: Bestimmt einen gesetzlichen Betreuer, wenn keine Vorsorgevollmacht vorliegt.
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