Demenz: Ursachenforschung im Schreien nach "Mama"

Die Demenz ist eine komplexe Erkrankung, die nicht nur die kognitiven Fähigkeiten beeinträchtigt, sondern auch tiefgreifende Auswirkungen auf das Verhalten und Erleben der Betroffenen hat. Ein besonders bewegendes und oft rätselhaftes Phänomen ist das wiederholte Rufen nach der Mutter, selbst in fortgeschrittenen Stadien der Erkrankung. Dieser Artikel beleuchtet die möglichen Ursachen für dieses Verhalten und zeigt auf, wie Angehörige und Pflegekräfte damit umgehen können.

Einführung in die Demenz und ihre Begleiterscheinungen

Demenz ist mehr als nur Vergesslichkeit. Sie verändert die Wahrnehmung, das Verhalten und das gesamte Sein eines Menschen. Typische Verhaltensweisen wie das Wiederholen von Fragen, das Horten von Gegenständen oder eben das Rufen nach der Mutter sind Ausdruck der Erkrankung. Diese Verhaltensweisen können für Angehörige sehr belastend sein, insbesondere wenn sie den Eindruck haben, der Betroffene wolle sie absichtlich ärgern. Es ist jedoch wichtig zu verstehen, dass diese Handlungen meist nicht böswillig sind, sondern vielmehr Ausdruck von Angst, Unsicherheit oder dem Versuch, mit der veränderten Realität umzugehen.

Die Rolle der Mutter in der psychologischen Entwicklung

Um das Phänomen des Mutterrufens bei Demenz besser zu verstehen, ist es hilfreich, einen Blick auf die psychologische Entwicklung des Menschen zu werfen. Nach Freud durchläuft jeder Mensch in seiner Kindheit verschiedene Entwicklungsphasen, in denen die Beziehung zur Mutter eine zentrale Rolle spielt. Erich Fromm beschreibt die mütterliche Liebe als bedingungslose Liebe, die dem Kind Geborgenheit und Sicherheit gibt.

Die Bedeutung der frühen Kindheit

In den ersten sieben Lebensjahren findet eine entscheidende emotionale Entwicklung statt. Eine widernatürliche Trennung von der Mutter oder der primären Bezugsperson in dieser Zeit kann tiefgreifende Auswirkungen auf die Psyche haben. Je früher dieser Verlust erlebt wird, desto schwerer wiegen die Folgen für die Persönlichkeit. Traumata, die in der frühen Kindheit erlebt werden, können durch Verdrängungsstrategien kompensiert werden, doch der fehlende "Link" zur bedingungslosen mütterlichen Liebe bleibt bestehen.

Die Mutter als Schlüssel zur Heilung?

Die Erkenntnis, dass die Beziehung zur Mutter eine so prägende Rolle spielt, kann im Umgang mit Demenzerkrankten neue Wege eröffnen. Auch wenn es wissenschaftlich nicht belegbar ist, so kann die Erfahrung mütterlicher Liebe, die dem Erkrankten erneut zuteil wird, zum Seelenheil beitragen. Es geht nicht darum, die Mutter zu ersetzen oder ein Schauspiel aufzuführen, sondern darum, die Bedürfnisse der einzelnen emotionalen Entwicklungsstufen zu bedienen, je nachdem, in welcher Phase sich der demente Mensch gerade befindet.

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Demenzstadien und ihre Entsprechungen in der psychologischen Entwicklung

Interessanterweise lassen sich Parallelen zwischen den Schweregraden der Demenz nach ICD-10 und den Entwicklungsphasen nach Freud oder Dosen beobachten. Im mittleren Schweregrad, der oft von Trotzverhalten geprägt ist, befindet sich der Betroffene in der ersten Ich-Identifikation. Er benimmt sich egozentrisch, möchte seine Bedürfnisse sofort befriedigt sehen und zeigt Verhaltensweisen, die an ein Kind im Alter von drei bis sieben Jahren erinnern. In dieser Phase sind Wortfindungsstörungen und Denkstörungen zu beobachten, aber die Betroffenen verfügen noch über ihre allgemeine Sprache, eben jene eines Kindes. Schon hier zeigt sich ein erhöhter Bedarf an Körperkontakt.

Die letzte Phase: Rückkehr zur ersten Sozialisation

In der letzten, meist längsten Phase der Demenz ist die Erkrankung durch Sprachverlust, Antriebsstörungen und Störungen der Vitalität gekennzeichnet. Der Betroffene befindet sich in der ersten Adaption bzw. ersten Sozialisation und hat daher einen hohen Bedarf an Beständigkeit durch eine Bezugsperson. In dieser Phase ist es besonders wichtig, dem Erkrankten mütterliche, bedingungslose Liebe zu geben.

Typische Verhaltensweisen bei Demenz und ihre Ursachen

Neben dem Rufen nach der Mutter gibt es eine Reihe weiterer typischer Verhaltensweisen bei Demenz, die für Angehörige und Pflegekräfte herausfordernd sein können.

Wiederholtes Fragen und Handeln

Viele Menschen mit Demenz stellen immer wieder dieselbe Frage oder wiederholen die gleichen Sätze oder Handlungen. Dies kann ein Zeichen von Angst, Unsicherheit oder einfach dem Vergessen sein. Es ist wichtig, geduldig zu bleiben und die Fragen immer wieder zu beantworten, ohne den Betroffenen zu beschämen.

Bewegungsdrang und Unruhe

Im mittleren Stadium der Demenz zeigen viele Betroffene einen ausgeprägten Bewegungsdrang, gepaart mit starker Unruhe. Dies kann durch innere Anspannung oder Nervosität verursacht werden. Das Gehen ist für sie oft eine der wenigen Tätigkeiten, die sie noch selbstständig ausführen können und die ihnen ein Gefühl von Selbstwert und Entscheidungsfreiheit geben.

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Fehlinterpretationen und Beschuldigungen

Die eingeschränkte Fähigkeit, Situationen und Wahrnehmungen richtig zu deuten, führt häufig zu Erklärungsversuchen, die nicht mit der Realität übereinstimmen. So können Betroffene beispielsweise ihre Angehörigen beschuldigen, Geld gestohlen zu haben, oder Verwandte für verkleidete Fremde halten. Es ist wichtig, sich vor Augen zu führen, dass diese Beschuldigungen kein böswilliger Angriff sind, sondern ein Versuch, Lücken in der Erinnerung zu füllen.

Leben in der Vergangenheit

Mit dem Fortschreiten der Demenz wird die Lebenswelt der Betroffenen weitgehend von den noch vorhandenen Erinnerungen geprägt. Sie leben mit den Vorstellungsbildern einer bestimmten Lebensphase und verhalten sich dementsprechend. Es ist meist sinnvoller, den Betroffenen auf der Gefühlsebene zu begegnen, statt den Wahrheitsgehalt ihrer Äußerungen anzuzweifeln.

Aggressives Verhalten

Menschen mit Demenz verhalten sich manchmal verbal oder körperlich aggressiv. Auslöser für Wutausbrüche sind weniger krankheitsbedingte Veränderungen im Gehirn als vielmehr die erschwerten Lebensbedingungen und die daraus resultierende Angst der Betroffenen. Um solchen Aggressionen vorzubeugen, ist es wichtig, die Anlässe für dieses Verhalten herauszufinden und, wenn möglich, zu beseitigen.

Umgang mit herausforderndem Verhalten

Der Umgang mit Demenz erfordert viel Geduld, Empathie und Verständnis. Es gibt jedoch einige Strategien, die helfen können, herausforderndes Verhalten zu minimieren und den Alltag für alle Beteiligten zu erleichtern.

Validation und Akzeptanz

Es ist wichtig, die betroffene Person so anzunehmen, wie sie ist, und das zu akzeptieren, was sie tatsächlich leisten kann. Validationstechniken, wie sie von Naomi Feil entwickelt wurden, helfen, den kognitiv eingeschränkten Menschen in seiner Wahrnehmungswelt abzuholen und seine Bedürfnisse zu bedienen.

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Schaffung einer sicheren und stabilen Umgebung

Menschen mit Demenz brauchen eine klare Tagesstruktur mit festen Tagesabläufen, Ritualen und einfachen Regeln. Das schafft Orientierung und Sicherheit. Aktivitäten oder Aufgaben sollten jede Woche am selben Tag zur selben Zeit stattfinden.

Kommunikation und Interaktion

Die Kommunikation mit Demenzpatienten erfordert besondere Sensibilität. Es ist ratsam, eine freundliche und ruhige Stimme zu verwenden, Blickkontakt herzustellen und den Namen des Betroffenen zu verwenden, um eine persönliche Verbindung herzustellen. Sprechen Sie langsam, in kurzen Sätzen und in einfachen Worten.

Beschäftigung und Aktivierung

Jeder Mensch - ob mit Demenzerkrankung oder ohne - benötigt im Alltag Aufgaben, die ihm Freude bereiten und ihn sowohl körperlich als auch geistig herausfordern. Alltägliche Aufgaben wie Gedächtnistraining, kreative Aktivitäten oder leichte Bewegungsübungen können eine schöne Beschäftigung für Demenzerkrankte sein.

Entlastung für Angehörige

Mit der Diagnose „Demenz“ kommen nicht nur auf die Betroffenen, sondern auch auf ihre Angehörigen große Belastungen zu. Es ist wichtig, dass Angehörige Entlastung finden und sich regelmäßig Auszeiten nehmen, um ihre eigene Energie wieder aufzuladen. Es gibt zahlreiche Beratungs- und Schulungsangebote sowie Selbsthilfegruppen, die Unterstützung bieten können.

Wenn die Pflege zu Hause nicht mehr möglich ist

In manchen Fällen ist die Pflege zu Hause nicht mehr möglich, entweder weil die Belastung für die Angehörigen zu groß wird oder weil die Sicherheit des Betroffenen nicht mehr gewährleistet werden kann. In solchen Fällen kann der Umzug in eine Einrichtung wie ein Pflegeheim eine gute Lösung sein. Auch, wenn die Entscheidung für einen Umzug in ein Pflegeheim oft schwerfällt, kann sie für beide Seiten doch viele Vorteile mit sich bringen.

Alternativen zum Pflegeheim

Neben dem Pflegeheim gibt es auch andere Wohnformen, die für Menschen mit Demenz geeignet sein können, wie beispielsweise betreutes Wohnen oder Wohngemeinschaften. Eine weitere Möglichkeit ist die 24-Stunden-Betreuung, bei der eine Betreuungskraft mit in den Haushalt einzieht und sich um hauswirtschaftliche, grundpflegerische und alltagsbedingte Aufgaben kümmert.

Rechtliche und finanzielle Aspekte

Bei einer Demenz stellen sich viele rechtliche und finanzielle Fragen, die für die Zukunft geregelt werden müssen. Dazu gehören Anträge auf Feststellung der Pflegebedürftigkeit und Einteilung in einen Pflegegrad, Vorsorgevollmachten, Patientenverfügungen und Bankvollmachten. Es ist ratsam, sich frühzeitig über diese Themen zu informieren und die notwendigen Schritte einzuleiten.

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