Die optimale Therapie für die 1,6 Millionen Menschen mit Demenz in Deutschland zu ermöglichen, ist das Ziel der neu erarbeiteten Behandlungsempfehlungen. Die aktualisierte S3-Leitlinie Demenzen, unter Federführung der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN) und der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN), umfasst 115 Empfehlungen zur Diagnostik und Behandlung von Demenzen.
Einführung in die Demenz
Demenz betrifft oft zuerst das Gedächtnis, sowohl das Kurz- als auch das Langzeitgedächtnis. Betroffene haben auch Probleme mit Aufmerksamkeit, Sprache, Denkvermögen und Orientierungssinn. Bis zum Jahr 2050 könnten in Deutschland 2,8 Millionen Menschen an Demenz erkrankt sein. Die Alzheimer-Krankheit ist mit etwa 65 Prozent die häufigste Form der Demenz, gefolgt von vaskulären Demenzen (ca. 15 Prozent), die durch Durchblutungsstörungen im Gehirn entstehen. Seltener sind frontotemporale Demenzen, die meist jüngere Menschen unter 65 Jahren betreffen.
Eine Demenz ist nicht heilbar, aber ihr Fortschreiten kann durch optimale medizinische, pflegerische und therapeutische Versorgung verlangsamt werden. Dies verbessert die Lebensqualität der Betroffenen und ihrer Angehörigen erheblich.
Die neue S3-Leitlinie Demenzen
Die S3-Leitlinie Demenzen fasst die aktuellen Empfehlungen für eine optimale Versorgung zusammen. Mehr als 40 Fachgesellschaften, Verbände und Organisationen haben unter Federführung von DGN und DGPPN alle relevanten Studien gesichtet und die Ergebnisse diskutiert, um gemeinsame Empfehlungen zu formulieren.
Wesentliche Neuerungen der Leitlinie
Frühere Diagnose: Die Leitlinie ermöglicht eine Diagnose bereits in einem früheren Stadium der Erkrankung, insbesondere durch die Diagnose der leichten kognitiven Beeinträchtigung (Mild Cognitive Impairment, MCI) bei Alzheimer-Krankheit.
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Biomarker-Bestimmung: Die Leitlinie empfiehlt, zur Sicherung der Diagnose Biomarker per Liquordiagnostik zu bestimmen, um Alzheimer auch bei noch nicht voll ausgeprägter Symptomatik nachzuweisen.
Digitale Verfügbarkeit: Die Leitlinie ist digital über die Plattform MAGICapp zugänglich, was einen unmittelbaren Zugriff auf Empfehlungen und zugrundeliegende Studien ermöglicht.
Dynamische Aktualisierung: Neue Erkenntnisse können schnell in die Empfehlungen aufgenommen werden, was eine zeitnahe Behandlung mit neuartigen Therapien ermöglicht.
Berücksichtigung von LATE: Die Leitlinien enthalten nun auch die Diagnostikkriterien für die eigenständige Demenzform „limbisch-prädominante, altersassoziierte TDP-43-Enzephalopathie“ (LATE), um die Differenzialdiagnostik zu erleichtern.
Diagnostische Verfahren
Die Leitlinie betont die Bedeutung einer gründlichen Diagnostik, die neben der klinischen Untersuchung auch neuropsychologische Tests und bildgebende Verfahren einschließt.
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Empfohlene diagnostische Maßnahmen
- Strukturelle Bildgebung: MRT oder CT des Gehirns zur Beurteilung struktureller Veränderungen.
- Liquoruntersuchungen: Analyse der Rückenmarksflüssigkeit zur Bestimmung von Amyloid- und Tau-Proteinen.
- Positronenemissionstomographie (PET): Bildgebung zur Darstellung von Amyloid-Plaques und Tau-Fibrillen im Gehirn.
- Volumen des Hippocampus: Ergänzende Bewertung zur Abschätzung des Demenzrisikos bei leichter kognitiver Störung.
- TAU-PET: Diagnostische Nutzung zur Erkennung oder zum Ausschluss einer fortgeschrittenen Alzheimer-typischen Tau-Pathologie bei unklarer Demenzursache.
Bluttests zur Diagnostik
Obwohl mehrere Bluttests auf Alzheimer kurz vor der Zulassung stehen, sprechen sich die Fachgesellschaften hinter den Demenz-Leitlinien aktuell dagegen aus, die Diagnostik von zerebraler Amyloidpathologie oder anderen neuropathologischen Aspekten neurodegenerativer Erkrankungen allein auf blutbasierte Biomarker zu gründen. Die Leitlinie empfiehlt den Einsatz der Blutmarker derzeit nur in Verbindung mit bereits etablierten Verfahren und nur durch Expertinnen und Experten für Biomarker-Diagnostik.
Therapieansätze bei Demenz
Die Behandlung von Demenz zielt darauf ab, den Krankheitsverlauf zu verlangsamen, Symptome zu lindern und die Lebensqualität der Betroffenen und ihrer Angehörigen zu verbessern.
Medikamentöse Therapie
- Antidementiva: Acetylcholinesterase-Hemmer (Donepezil, Rivastigmin, Galantamin) und Glutamat-Antagonisten (Memantin) können den geistigen Abbau verlangsamen und die Selbstständigkeit länger erhalten.
- Antikörper-Medikamente: Leqembi (Lecanemab) und Kisunla (Donanemab) sind Antikörper-Medikamente, die sich gegen Amyloid-Plaques richten und ausschließlich an Menschen im frühen Alzheimer-Stadium verabreicht werden.
- Weitere Medikamente: Neuroleptika zur Behandlung von Verhaltenssymptomen wie Wutausbrüchen, Halluzinationen und Wahnvorstellungen; Antidepressiva (Mirtazapin, Sertralin) zur Behandlung von Depressionen.
Nicht-medikamentöse Therapie
- Kognitive Verhaltenstherapie: Empfohlen bei Depressionssymptomen bei leichter kognitiver Störung.
- Musiktherapie: Aktive und rezeptive Musiktherapie zur Verbesserung der Kognition und zur Behandlung von Depressionssymptomen sowie Agitation und Aggression.
- Weitere Therapien: Tanztherapie, Berührungstherapie, Bewegungstherapie.
Palliative Versorgung
Die Palliativversorgung ist ein neuer Bestandteil der Demenz-Leitlinien und zielt darauf ab, die Lebensqualität von Menschen mit fortgeschrittener Demenz zu verbessern. Sie umfasst nichtmedikamentöse und medikamentöse Maßnahmen zur Linderung belastender Symptome wie Schmerzen, Atemnot und Schluckstörungen.
Expertenstandards in der Pflege
- Beziehungsgestaltung: Der Expertenstandard fördert Akzeptanz, Vertrauen und Respekt in der Beziehungsgestaltung mit Menschen mit Demenz.
- Mobilität: Der Expertenstandard „Erhaltung und Förderung der Mobilität in der Pflege“ zielt darauf ab, die Mobilität von pflegebedürftigen Menschen zu erhalten und zu fördern, um deren Selbstständigkeit, Lebensqualität und gesellschaftliche Teilhabe zu verbessern.
- Vermeidung von FEM: Die Leitlinie zur Vermeidung von freiheitseinschränkenden Maßnahmen (FEM) in der beruflichen Altenpflege fokussiert sich auf verschiedene Interventionen und deren Wirksamkeit.
- Einwilligung: Die Leitlinie zur „Einwilligung von Menschen mit Demenz in medizinische Maßnahmen“ zielt darauf ab, die Handlungsfähigkeit und Selbstbestimmung von Demenzkranken in medizinischen Entscheidungssituationen zu sichern.
Technische Unterstützungssysteme
Der Einsatz technischer Unterstützungssysteme kann die Lebensqualität von Menschen mit Demenz verbessern und die Versorgung erleichtern.
Woche der Demenz
Die Woche der Demenz findet jährlich vom 19. bis zum 28. September statt und soll das Verständnis und die Unterstützung für Betroffene und pflegende Angehörige fördern. Das Motto im Jahr 2025 lautet: „Demenz - Mensch sein und bleiben“.
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Forschung und zukünftige Entwicklungen
Die medikamentöse Behandlung von Demenzerkrankungen wie Alzheimer entwickelt sich stetig weiter. Neben den bereits erhältlichen Antikörpern werden weitere Wirkstoffe erforscht, die neue Therapieansätze ermöglichen könnten.
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