Mit dem demografischen Wandel und der alternden Gesellschaft geht eine zunehmende Zahl von Demenzerkrankungen einher. Bisher werden Vorstufen jedoch zu selten erkannt. Aktuell sind in Deutschland weniger als 200.000 Personen mit einer leichten kognitiven Störung dokumentiert. Die Forschung schätzt, dass bundesweit 1,5 bis 3,7 Millionen Patientinnen und Patienten betroffen sind. Zudem wird mit mehr als 3 Millionen Menschen mit diagnostizierter Demenz im Jahr 2050 gerechnet. 80 Prozent davon sind auf die Alzheimer-Krankheit zurückzuführen. Eine frühzeitige Diagnose der Erkrankung und ein aktives Management können zur Verbesserung der Lebensqualität der Patienten führen.
Herausforderungen der Früherkennung
Bislang ist die Früherkennung in der hausärztlichen Versorgung jedoch schwierig; die üblichen Gedächtnistests stellen Veränderungen erst dann zweifelsfrei fest, wenn die Erkrankung schon weiter fortgeschritten ist. Die vereinfachten Methoden, die hier meist verwendet werden, sind jedoch wenig treffsicher beim Erkennen früher Krankheitsstadien.
Ein internationales Forschungsteam konnte jetzt in einer Studie nachweisen, dass sich mit speziellen Testaufgaben auf dem Smartphone „leichte kognitive Beeinträchtigungen“ mit hoher Genauigkeit erkennen lassen.
Schwierigkeiten bei herkömmlichen Tests
Herkömmliche Tests kommen in Gedächtnisambulanzen zum Einsatz, das sind spezialisierte Einrichtungen an großen Kliniken. Diese Verfahren müssen allerdings von einer Fachkraft betreut werden und finden im Rahmen weiterer Untersuchungen statt - das führt zu langen Wartezeiten auf einen Termin. Außerdem: Die Testergebnisse sind Momentaufnahmen und hängen etwa von der Tagesform ab. Und vor allem: Im Sinne besserer Früherkennung wäre es sinnvoll, ließen sich Gedächtnisprobleme bereits beim Hausarzt zuverlässig feststellen.
Die App als innovative Lösung
Vor diesem Hintergrund arbeiten David Berron und sein Team mit einer Doppelstrategie: Sie untersuchen Probanden per hochauflösender Magnetresonanztomografie. Dadurch stellen sie fest, welche Bereiche des Gehirns welche Rolle für das Gedächtnis spielen und wie sie sich im Krankheitsverlauf verändern. Und mit ihren digitalen Verfahren überprüfen sie gleichzeitig, wie sich diese Veränderungen in kognitiven Leistungen widerspiegeln. Die Hoffnung ist, dass solche Tests künftig immer bessere Rückschlüsse auf die Vorgänge im Gehirn ermöglichen.
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„Ideal wäre deshalb ein Verfahren, das so ähnlich funktioniert wie ein 24-Stunden-EKG: Man nimmt die notwendige Technik mit nach Hause und das Ergebnis bildet einen längeren Zeitraum ab", sagt David Berron. Er hat deshalb zusammen mit weiteren profilierten Fachleuten das Start-up „neotiv“ gegründet, das eine entsprechende App entwickelt hat und die Ergebnisse aus der Forschung direkt in die Praxis bringt. Die Idee dahinter: Wenn in der Hausarztpraxis der Verdacht auf Gedächtnisprobleme aufkommt, reicht eine Verschreibung, um die Zugangsdaten zur App zu bekommen - und der Patient oder die Patientin kann über mehrere Wochen hinweg immer wieder Tests absolvieren: auf dem Smartphone oder Tablet. Jeder Durchgang dauert nur ein paar Minuten. Die Ergebnisse helfen schließlich bei der Diagnose. „Die Beurteilung der Befunde liegt beim zuständigen Arzt. Die App erstellt ein Messprotokoll, aber keine Diagnose", betont Berron.
Funktionsweise der App
Die App arbeitet mit Bildern; wer das Programm öffnet, durchläuft drei verschiedene Test-Situationen: In der ersten geht es um die Präzision des Gedächtnisses. Aufnahmen von einem Telefon und Schlüssel lassen sich beispielsweise gut auseinanderhalten. Aber wie sieht es aus, wenn zwei verschiedene Telefonmodelle zur Auswahl stehen - gelingt es auch da noch, sich an das vorher präsentierte, richtige Bild zu erinnern? In der zweiten Situation geht es um das sogenannte assoziative Gedächtnis. Es wird etwa ein Zimmer mit drei Gegenständen gezeigt. Nach einer halben Stunde muss man sich nicht nur an diese Objekte erinnern, sondern auch an ihre Anordnung innerhalb des Zimmers. Und schließlich Test Nummer drei: 80 Bilder werden der Reihe nach vorgeführt. Nach einer Stunde werden sie wiederholt, zusammen mit 40 neuen Motiven. Welche der Aufnahmen hat man schon einmal gesehen, welche sind neu?
neotivCare: Eine konkrete App im Fokus
Die gemeinsam entwickelte App neotivCare ist ein digitales CE-gekennzeichnetes Medizinprodukt zur klinischen Einschätzung kognitiver Funktionen. Sie ermöglicht eigenständige Gedächtnistests ohne professionelle Betreuung. Die Software läuft auf Smartphones und Tablets und ist wissenschaftlich validiert. Angewendet wird sie in der Alzheimer-Forschung und Arztpraxen nutzen sie im Rahmen der diagnostischen Demenzfrüherkennung.
neotivCare ist aktuell nicht im DiGA-Verzeichnis vertreten. Die App kann im Google- oder Apple-App-Store kostenfrei heruntergeladen werden. Im Google-Playstore waren in der 14. Kalenderwoche 2024 1.000 Downloads verzeichnet. Ganz ohne ärztliche Mithilfe kann die für Menschen ab 60 Jahren gedachte App jedoch noch nicht genutzt werden. Es ist ein Vorgespräch erforderlich, nach dem die behandelnden (Haus-)Ärzte einen Freischaltcode zur Verfügung stellen können. Übernimmt die Krankenkasse die Kosten - derzeit nach Angaben des Unternehmens neotiv GmbH im Rahmen von Selektivverträgen und lokalen Erprobungsprojekten - wird über 12 Wochen im häuslichen Umfeld einmal wöchentlich eine Testaufgabe absolviert. Eine Abschlussbesprechung des Befundbriefes ist obligatorisch - die Testergebnisse unterstützen diagnostische und therapeutische Entscheidungen. Auch Demo-Versionen für Arztpraxen sind erhältlich.
Studienergebnisse und Validierung
Die App wird schon in klinischen Studien eingesetzt - und mit einigen Krankenkassen gibt es Pilotprojekte, sodass Praxen sie als diagnostisches Hilfsmittel verschreiben können. Denn dass die Technik funktioniert, ist inzwischen belegt.
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In die jetzt veröffentliche Studie waren 199 Patientinnen und Patienten eingeschlossen. Deshalb laufen fortführende Untersuchungen und klinische Studien mit größeren Gruppen.
Eine deutsch-amerikanische Studie bestätigt, dass mithilfe einer Smartphone-App Anzeichen einer möglichen Alzheimer-Erkrankung auch ohne ärztliche Hilfe mit hoher Genauigkeit erkannt werden können. Forschende des Deutschen Zentrums für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE) haben gemeinsam mit dem Magdeburger Unternehmen neotiv eine App entwickelt, mit der man unkompliziert leichte kognitive Beeinträchtigungen (Mild Cognitive Impairment/MCI), die auf eine Alzheimer-Erkrankung hindeuten können, erkennen kann.
Vorteile der App-basierten Tests
- Früherkennung: Die Apps ermöglichen es, Veränderungen im Gedächtnis frühzeitig zu erkennen, was für den Therapieerfolg entscheidend sein kann.
- Regelmäßige Tests: Durch die Möglichkeit, die Tests über einen längeren Zeitraum und in regelmäßigen Abständen durchzuführen, entsteht ein umfassenderes Bild der kognitiven Leistungsfähigkeit.
- Benutzerfreundlichkeit: Die meisten Teilnehmer können die digitalen Aufgaben eigenständig erledigen und sind mit der digitalen Plattform zufrieden.
- Objektivität: Die Apps erkennen nicht nur, ob eine Aufgabe korrekt gelöst wird oder nicht, sondern auch den Weg dorthin. Wie lange hat es bis zur Lösung gedauert? War der Patient oder die Patientin unsicher, hat mehrere Anläufe genommen? Und: Wie entwickelt sich die Leistung über den Zeitverlauf hinweg, hatte die Person vielleicht einfach nur einen schlechten Tag?
Grenzen und zukünftige Entwicklungen
Derzeit arbeitet Berrons Team daran, die Tests noch feinfühliger zu machen und in der Regelversorgung zu etablieren: kein Selbstläufer, denn noch fehlen Leitlinien für solch innovative Ansätze in der Demenzversorgung. Als Nächstes soll die Test-App an noch größeren Studiengruppen und über längere Zeiträume erprobt werden.
Der Uhrentest als ergänzendes Instrument
Beim Uhrentest geht es darum die kognitiven Fähigkeiten der Patienten zu ermitteln und Demenz und Orientierungsstörungen zu erkennen. Es handelt sich dabei um ein standardisiertes Verfahren: Die Patienten werden gebeten eine einfache Uhr inklusive Zifferblatt zu zeichnen. Oftmals sollen auch nur die entsprechenden Zahlen in einen bereits vorgefertigten Kreis eingetragen werden. Anschließend soll eine vom Personal genannte Uhrzeit eingezeichnet werden.
Anhand der Zeichnung können einige Rückschlüsse auf die Kognition gezogen werden: So können bei einer Demenz beispielsweise die Zahlen in falscher Anordnung eingetragen werden oder die Uhr gänzlich vom herkömmlichen Bild abweichen. Das Maß der Abweichung dient dann der Ermittlung des Ausmaßes der Hirnfunktionsstörung.
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Digitalisierung des Uhrentests
Die Auswertung lässt jedoch einen gewissen Spielraum zu und kann von verschiedenen Personen unterschiedlich bewertet werden - dadurch weist das Verfahren einige Unsicherheiten auf. Doch damit könnte bald Schluss sein: Die Informatiker der FAU haben ein Verfahren entwickelt, welches die Auswertung digital unterstützen soll. Dadurch könnten Ergebnisse besser verglichen und die Testergebnisse beschleunigt werden.
Insgesamt wurden 2500 Uhrentests in künstliche neuronale Netzwerke eingespeist. Diese sollen die Ergebnisse nun schnell und zuverlässig auswerten können.
Über 1000 Probeläufe hat die KI mittlerweile absolviert und dabei eine hohe Trefferquote erzielt. „In über 96 Prozent der Fälle ordnen die neuronalen Netzwerke richtig zu, ob es sich um einen nicht-pathologischen oder einen pathologischen Befund handelt.“ Das zugeordnete Krankheitsstadium war in über 98 Prozent der Testläufe korrekt.
Das Verfahren könnte schon bald in der Praxis zum Einsatz kommen: Denn als nächstes will das Team medizinisches Personal mit einer App bei der Diagnosestellung unterstützen. „Das Personal muss natürlich auch künftig den Uhrentest kennen und standardisiert anwenden.“ Anschließend könne der Test abfotografiert und mithilfe der App sofort ausgewertet werden. Über die App soll außerdem die Möglichkeit bestehen eine Zweitmeinung einzuholen, um die Zuverlässigkeit der Diagnose, sowie die Graduierung und Abgrenzung zu verbessern.
Demenz Screening Test (DST)
Mithilfe des Demenz Screening Tests (DST) sollen Frühstadien einer Demenz oder eine möglicherweise bestehende Demenz erkannt werden. Die App bietet verschiedene Testsequenzen - darunter einen Uhrentest, in dem beispielsweise geometrische Formen zugeordnet und Zahlen platziert werden sollen. Darüber hinaus gibt es einen mehrstufigen Merktest, einen Wortetest, einen Aufmerksamkeitstest und einen Orientierungstest zur aktuellen Situation der Testperson. Das Ergebnis des Screenings wird anhand von Punktzahlen (individuelle und maximal mögliche) sowie einer farblichen Codierung angegeben. Es wird empfohlen, den Test regelmäßig durchzuführen, um einen zeitlichen Verlauf und eine mögliche Verschlechterung der Punktzahl abzubilden. Niedrige Punktzahlen sollten ärztlich abgeklärt werden.
Fazit
Digitale Demenz-Tests, insbesondere App-basierte Lösungen, stellen eine vielversprechende Ergänzung zu den traditionellen Diagnosemethoden dar. Sie ermöglichen eine frühere und regelmäßige Überprüfung der kognitiven Fähigkeiten, was für die rechtzeitige Einleitung von therapeutischen Maßnahmen von großer Bedeutung sein kann. Die laufenden Forschungen und Entwicklungen in diesem Bereich lassen auf weitere Fortschritte und eine verbesserte Versorgung von Demenzpatienten hoffen. Es ist wichtig zu betonen, dass die Beurteilung der Befunde immer beim zuständigen Arzt liegen sollte. Die Apps erstellen Messprotokolle, aber keine Diagnosen.
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