Demenz und Darm: Ein komplexer Zusammenhang

Am Anfang schüttelten viele den Kopf, als Christoph Laske, ein renommierter Demenzforscher, die Frage aufwarf, ob der Darm einen direkten Einfluss auf die Entwicklung von Alzheimer haben könnte. Mittlerweile ist jedoch klar, dass das Mikrobiom des Darms eine bedeutende Rolle für die Gesundheit des gesamten Körpers spielt, und Laskes Forschung konzentriert sich darauf, wie die Verbesserung der Darmgesundheit gezielt gegen Alzheimer eingesetzt werden kann. Dieser Artikel beleuchtet den aktuellen Stand der Forschung zum Thema Demenz und Darm, die Rolle des Mikrobioms und mögliche Therapieansätze.

Einführung in die Thematik

Demenz ist ein Sammelbegriff für verschiedene Krankheitsbilder, die mit einer Beeinträchtigung der geistigen Funktionen wie Gedächtnis, Orientierung, Sprache und Lernfähigkeit einhergehen. Die Alzheimer-Krankheit ist die häufigste Form der Demenz, von der in Deutschland derzeit etwa 700.000 Menschen betroffen sind. Die Wahrscheinlichkeit, an Alzheimer zu erkranken, steigt mit dem Alter, aber auch Faktoren wie Übergewicht, Bluthochdruck, Diabetes, Inaktivität, soziale Isolation, Rauchen, Bewegungsmangel, ungünstige Ernährung und Depressionen spielen eine Rolle.

Die Rolle von Amyloid-Beta und dem Darmmikrobiom

Für Alzheimer-Experten steht seit Jahren ein bestimmtes Protein im Mittelpunkt der Forschung: Amyloid-Beta. Vor einigen Jahren stieß Christoph Laske auf eine Studie, die ihn elektrisierte. Darin wurden diese Amyloid-Plaques im Gehirn von Mäusen untersucht, deren Genom so verändert wurde, dass sie die Alzheimer-Pathologie im Gehirn entwickeln. Die Forschenden hatten festgestellt, dass die Tiere, wenn sie unter sterilen Bedingungen aufwuchsen und deshalb kein Mikrobiom im Darm hatten, weniger der Amyloid-Ablagerungen im Gehirn entwickelten.

Laske startete daraufhin die "AlzBiom-Studie", in der die Teilnehmer regelmäßig untersucht und Stuhlproben abgegeben werden. Die ersten Daten deuten darauf hin, dass Alzheimer-Patienten eine andere Zusammensetzung des Mikrobioms im Darm haben als gesunde Probanden. Damit ist der Darm in den Fokus der Gehirnforschung gerückt.

Gemeinsamkeiten und Verbindungen zwischen Gehirn und Darm

Gehirn und Darm haben viele Gemeinsamkeiten. Im Darm befindet sich beispielsweise das enterische Nervensystem, das mehr als viermal so viele Nervenzellen enthält wie das Rückenmark. Prof. Dr. Christoph Laske hat sich von seiner Hirnforschung aus inzwischen auch noch zum Experten für den Darm entwickelt. Abermillionen von Mikroorganismen gibt es allein im Mikrobiom des Darms zu untersuchen, etliche Zellen und Stoffwechselprozesse.

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Wenn sich Erkrankungen wie Alzheimer entwickeln, laufen im Hintergrund entzündlich-immunologische Prozesse ab, die auch zu den Amyloid-Ablagerungen führen. Das Immunsystem hat seine Kommandozentrale im Darm. Das Mikrobiom mit seinen vielen Mikroorganismen sorgt dafür, dass der Körper Krankheitserreger abwehren kann. Rund 70 Prozent der immunologisch aktiven Zellen im menschlichen Organismus befinden sich in der Darmschleimhaut. Stoffwechselprodukte, die von Darmbakterien produziert werden, wie etwa die kurzkettigen Fettsäuren, beeinflussen direkt die Immunzellen des Gehirns. Diese sogenannten Mikrogliazellen können ebenfalls zum Abbau von Amyloid-Ablagerungen beitragen.

Die Alzheimer-Signatur im Darmmikrobiom

Ein Forschungsteam um Prof. Dr. Christoph Laske und Prof. Dr. Matthias Willmann konnte anhand einer Studie einen neuen Weg aufzeigen, bei Betroffenen die Alzheimer-Krankheit zu identifizieren. Im Rahmen der AlzBiom-Studie untersuchten sie das Darm-Mikrobiom von jeweils 100 gesunden älteren Menschen ohne Gedächtnisbeeinträchtigung, 100 Personen mit leichten Gedächtnisbeeinträchtigungen und 100 Personen mit gesicherter leichtgradiger Alzheimer-Demenz.

Mithilfe des Shotgun Metagenomics Sequencing konnten Prof. Laske und sein Team erstmals nachweisen, dass sich das Darm-Mikrobiom von Patientinnen und Patienten mit Alzheimer sowohl auf der Speziesebene (Zusammensetzung der Bakterien) als auch auf funktioneller Ebene (Stoffwechselprozesse) vom Darm-Mikrobiom gesunder Studienteilnehmender deutlich unterscheidet. Die Analyse des Mikrobioms erlaubt eine treffsichere Identifizierung von Alzheimer-Erkrankten, was die diagnostische Bedeutung des Darm-Mikrobioms unterstreicht.

"Wir haben eine Alzheimer-Signatur im Darm-Mikrobiom identifiziert, die zur Unterscheidung von Amyloid-positiven Alzheimer-Patienten von gesunden Kontrollpersonen verwendet werden kann", beschreibt Studienleiter Prof. Laske.

Frühwarnsensor Darmmikrobiom

Das Tückische bei Demenzerkrankungen wie Alzheimer ist, dass sie sich über Jahre und oft Jahrzehnte entwickeln, ohne dass die Patienten auch nur die kleinste Änderung spüren. Und wenn sie dann viel später wegen erster Auffälligkeiten zum Arzt gehen, hat die Krankheit im Gehirn schon irreversible Schäden angerichtet, die so schwerwiegend sind, dass es für eine wirkungsvolle Behandlung oft zu spät ist. Forscher haben inzwischen in Tierexperimenten herausgefunden, dass sich die Zusammensetzung des Darmmikrobioms bereits vor der Ablagerung von Amyloid-Plaques im Gehirn verändert. Wenn man den Darm untersucht, so die Hoffnung, lassen sich dadurch neurodegenerative Erkrankungen wie etwa Alzheimer so frühzeitig entdecken, dass man noch gegensteuern kann.

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Weitere Erkrankungen im Fokus

Noch spannender wird die Entdeckung, wie eng Darm und Hirn verbunden sind, wenn man auch andere Erkrankungen als die Demenz mit einbezieht: Bei Depressionen, Angststörungen, Autismus und Psychosen hat die Forschung schon einen Zusammenhang zum Darmmikrobiom festgestellt. Und beim DZNE laufen mehrere Forschungsprojekte, in denen eine Verbindung des Darms zu weiteren neurodegenerativen Erkrankungen im Mittelpunkt steht. Dass beispielsweise Parkinson ebenfalls mit dem Darm korreliert, darauf gibt es erste Hinweise.

Die Rolle des Darms bei der Alzheimer-Krankheit: Ursache oder Wirkung?

Die Frage, über die sich Laske und sein Team jetzt den Kopf zerbrechen, hängt unmittelbar damit zusammen: Wirken sich die Veränderungen im Gehirn von Menschen mit Alzheimer auf die Zusammensetzung des Darmmikrobioms aus? Oder ist es umgekehrt: Der Darm steht am Anfang des Prozesses, und weil dort etwas nicht stimmt, bilden sich im Gehirn die Amyloid-Ablagerungen mit ihren weitreichenden Folgen?

Diese simple Frage eröffnet die Chance auf eine Behandlungsmöglichkeit für Alzheimer: Wenn man gezielt die Zusammensetzung des Mikrobioms im Darm verändert - lassen sich dann damit nicht die pathologischen Prozesse im Gehirn stoppen?

Therapieansätze und zukünftige Forschung

Die Untersuchungsergebnisse sprechen dafür, dass eine Beeinflussung des Darm-Mikrobioms ein neuer, innovativer Ansatz zur Behandlung der Alzheimer-Erkrankung darstellen könnte. Die Wirksamkeit eines solchen Behandlungsansatzes muss in zukünftigen Studien noch untersucht werden. Aktuell wertet die Forschungsgruppe die Studiendaten der longitudinalen Untersuchung über vier Jahre aus.

Dr. Yang Liu von der Universität des Saarlandes möchte im Rahmen eines Forschungsprojekts den Zusammenhang zwischen Darmbakterien und dem Fortschreiten der Alzheimer-Krankheit nachvollziehen. Die Forschenden wissen bereits, dass die Bakterien des Darms unverdauliche Nahrungsbestandteile in kurzkettige Fettsäuren spalten. Dazu müssen diese aber erst einmal von einem Rezeptor mit der Bezeichnung „GPR109a“ erkannt werden. Vorläufige Ergebnisse zeigen, dass eine verminderte Leistung des Rezeptors sowohl zu weniger Entzündungsreaktionen als auch zu weniger Ablagerungen von Beta-Amyloid im Gehirn führt.

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Das Forschungsprojekt soll dazu beitragen, die Mechanismen der Alzheimer-Krankheit besser zu verstehen. Der Einfluss von Darmbakterien ist bislang wenig untersucht worden und könnte neue Ansatzpunkte für die Entwicklung einer Therapie der Alzheimer-Erkrankung aufzeigen. Die Ergebnisse von Dr. Yang Liu bestätigen seine Hypothese. Eine Hemmung des Rezeptors "GPR109a" könnte das Fortschreiten der Alzheimer-Krankheit tatsächlich verlangsamen.

Das Darmmikrobiom als Schlüssel zur Früherkennung

Bereits in den initialen Phasen der Alzheimer-Krankheit, lange bevor sich kognitive Beeinträchtigungen bemerkbar machen, weisen Studienergebnisse auf merkliche Veränderungen in der Bakterienflora des Darms hin. Die Resultate deuten darauf hin, dass die Untersuchung von Darmbakterien eine Schlüsselrolle bei der Früherkennung von Alzheimer spielen könnte.

"Wenn bei Individuen kognitive Symptome auftauchen, stellen wir oft erhebliche, in der Regel irreversible Veränderungen fest. Ausgerechnet die Simplizität und Zugänglichkeit des Darmmikrobioms machen es zu einem geeigneten Screening-Instrument", ergänzt Ances. "Wir können uns vorstellen, dass Menschen eines Tages in der Lage sein könnten, eine Stuhlprobe abzugeben, um ihr Risiko für Alzheimer zu bestimmen."

Zusammenhang zwischen Verstopfung und kognitivem Abbau

Unregelmäßiger Stuhlgang und kognitive Einbußen gehen offenbar Hand in Hand, wie eine neue Studie zeigt. Schuld ist wahrscheinlich das Mikrobiom. Menschen, die nur alle drei Tage oder seltener Stuhlgang hatten, schnitten kognitiv schlechter ab als Vergleichspersonen. Und zwar so, als wäre ihr Gehirn drei Jahre länger gealtert. Das Risiko für einen beschleunigten kognitiven Abbau war demnach bei Verstopfung um 73 Prozent erhöht.

Es zeigte sich, dass diejenigen, die sowohl unter Verstopfung als auch unter kognitiven Einbußen litten, weniger Darmbakterien aufwiesen, die Ballaststoffe verdauen und gesunde kurzkettige Fettsäuren (Butyrate) produzieren.

Weitere Faktoren, die das Darmmikrobiom beeinflussen

Die Zusammensetzung des Darmmikrobioms kann durch menschliche und Umweltfaktoren beeinflusst werden. Während es im Erwachsenenalter weitgehend stabil bleibt, beginnt es im Alter von 65 Jahren - dem Alter, in dem Alzheimer am wahrscheinlichsten auftritt - in einen weniger vielfältigen und widerstandsfähigen Zustand überzugehen. Das macht das Mikrobiom anfälliger für Umweltfaktoren, schränkt dessen vor einer Krankheit schützende Funktion ein und begünstigt damit die Entstehung von Krankheiten (z. B. Alzheimer).

Als ein Risikofaktor für die Dysbiose, welche zur Entstehung der AK beiträgt, wird eine mangelhafte Ernährung insbesondere in Hinsicht auf die „Western diet“ (westliche Ernährungsweise) mit einem hohen Gehalt an Fetten und Cholesterin diskutiert. Eine fettreiche Ernährung („high-fat diet“) führt bei Mäusen zu einer ungünstigen Zusammensetzung der Mikrobiota, einhergehend mit erhöhter Darmpermeabilität und systemischer Entzündung.

Aktuelle Forschungsergebnisse und Ausblick

Die Ergebnisse von Dr. Yang Liu bestätigen seine Hypothese. Eine Hemmung des Rezeptors "GPR109a" könnte das Fortschreiten der Alzheimer-Krankheit tatsächlich verlangsamen. Die Studie von Dr. Yang Liu und seinem Team konnte bestätigen, dass eine verminderte Leistung des Rezeptors ein Gleichgewicht der Aktivität der Mikroglia fördert wodurch weniger Entzündungen entstehen. Außerdem konnte der verstärkte Abbau von Beta-Amyloid durch Mikroglia beobachtet werden, wodurch die Ablagerungen im Gehirn von Mäusen reduziert wurden. Bei an Alzheimer erkrankten Mäusen konnten dadurch die kognitiven Fähigkeiten wieder verbessert werden. Diese wichtigen Erkenntnisse können langfristig zur Entwicklung neuer Therapien der Alzheimer-Erkrankung beitragen.

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