Demenz und Gesellschaft: Herausforderungen und Lösungen

Demenz ist eine der größten Herausforderungen unserer alternden Gesellschaft. Die Zahl der Menschen mit Demenz nimmt stetig zu, was sowohl medizinische, pflegerische als auch ethische und sozialmedizinische Fragen aufwirft. Dieser Artikel beleuchtet die Herausforderungen, mit denen Menschen mit Demenz und die Gesellschaft konfrontiert sind, und diskutiert mögliche Lösungsansätze.

Die Herausforderung Demenz

In einer Bevölkerung mit immer älteren Patienten steigt die Zahl der Menschen mit Demenz deutlich. Nach Angaben der Deutschen Alzheimer Gesellschaft sind gegenwärtig etwa 1,4 Millionen Menschen in Deutschland an einer Demenz erkrankt, und es ist davon auszugehen, dass es bis zum Jahr 2050 rund 3 Millionen Menschen sein werden, sofern kein Durchbruch in der Therapie gelingt. Allein in Frankfurt leben ca. 10.000 direkt Betroffene. Die Zahl derer, die durch ein an Demenz erkranktes Familienmitglied mit dieser Krankheit in Pflege und Fürsorge zu tun haben, ist dementsprechend größer.

Die Belastung der Gesellschaft durch neurodegenerative Erkrankungen wie der Alzheimer Demenz nimmt immer mehr zu. Trotz beachtlicher Fortschritte in unserem grundlegenden Verständnis der Neurodegeneration, können wir neurodegenerative Erkrankungen bisher nur symptomatisch behandeln. Daher müssen wir die Umsetzung der Ergebnisse aus der Grundlagenforschung in neue Behandlungsansätze unbedingt beschleunigen. Zudem müssen in der Pflege und Versorgung von Menschen mit Demenz in den kommenden Jahren neue tragfähige Strukturen geschaffen werden.

Demenz als gesamtgesellschaftliche Aufgabe

Die Auseinandersetzung mit Demenz ist als verbreitetes gesellschaftliches Phänomen ein wichtiges Feld. Als Ärzte sind Sie in besonderer Weise Ansprechpartner für Betroffene und ihre Angehörigen. Sie haben mit einer Erkrankung zu tun, die wie ein Schicksalsschlag auf eine Familie fallen kann. Unser menschliches Dasein, das uns in der Unbewusstheit des Alltags in der Regel als frei, gegenwartsbestimmt und voller Potential begegnet, wird plötzlich als Schicksalsmasse erlebt. Die Demenzerkrankung berührt das Selbst so grundlegend, dass der Mensch zunehmend seine Kohärenz und seine Dynamik einbüßt. Ein Mensch verliert sich buchstäblich selbst - eine erschütternde Erkenntnis. Auch für die Angehörigen ist das schwer: Aus persönlichen Gesprächen weiß ich, wie belastend der Prozess einer Demenzerkrankung ist - auch für das eigene Gewissen; wenn man meint, man könne von den Charakteristika der Krankheit nicht mehr abstrahieren, könne den geliebten Menschen nicht mehr sehen.

Umgang mit Demenz im Alltag

Das Leben mit einer Demenz-Erkrankung bringt viele Veränderungen und neue Herausforderungen mit sich. Sie werden immer wieder neue Lösungen finden müssen, wenn die Krankheit fortschreitet. Doch die folgenden Strategien können dabei helfen, den Alltag zu erleichtern.

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Anpassung des Wohnraums

Für Menschen mit Demenz ist es wichtig, eine sichere und übersichtliche Umgebung zu schaffen. Eine große Sorge bei der Betreuung von Menschen mit Demenz ist, dass jederzeit ein Unglück passieren kann, weil etwa der Herd zu lange eingeschaltet wird oder Badewasser überläuft. Für solche Fälle gibt es inzwischen zahlreiche technische Lösungen wie Herdsicherungen, Rauch- und Wassermelder.

Oft sammeln sich im Laufe der Zeit viele Dinge an, die kaum genutzt werden, aber die Schränke unübersichtlicher machen. Überlegen Sie gemeinsam, auf welche Dinge Sie verzichten können. Das können Küchenutensilien sein, Ziergegnstände oder auch Möbel, die zu Stolperfallen werden können. Sehen Sie Ihre Kleiderschränke durch. Was nicht mehr passt oder gefällt sortieren Sie einfach ganz aus. Am besten bleiben im Kleiderschrank nur noch die Kleidungsstücke, die jahreszeitlich passend sind. Andere können vielleicht im Keller aufbewahrt werden. Für Menschen mit Demenz wird der Alltag übersichtlicher, wenn der Inhalt von Schränken und Schubladen duch Beschriftungen oder Bilder von außen zu erkennen ist.

Entfernen Sie potenzielle Gefahrenquellen wie scharfe Gegenstände oder rutschige Böden. Sorgen Sie für eine gute Beleuchtung und installieren Sie bei Bedarf Sicherheitsvorkehrungen wie Handläufe oder rutschfeste Unterlagen. Auch ein Hausnotrufsystem ist eine gute Ergänzung.

Orientierungshilfen

Menschen mit Demenz verlieren manchmal die Orientierung und finden nicht mehr nach Hause. Für Helfende wird es leichter, sie zurückzubringen, wenn sie ein Kärtchen mit ihrer Adresse bzw. einer Kontakt-Telefonnummer in der Tasche oder auch einen Aufkleber/Einnäher in der Kleidung tragen. In manchen Fällen kann auch ein GPS-Ortungssystem hilfreich sein.

Kommunikation und Interaktion

Durch eine Demenz wird auch die Wahrnehmung beeinträchtigt. In der Öffentlichkeit können sich immer wieder Situationen ergeben, die Außenstehende irritieren. Menschen mit Demenz haben vielleicht Schwierigkeiten, sich zu orientieren, die richtigen Worte zu finden oder sich an übliche Regeln zu halten. Die meisten Menschen reagieren darauf mit Verständnis und Hilsbereitschaft, wenn sie die Ursache für ein ungewöhnliches Verhalten kennen. In manchen Situationen sind sogenannte "Verständniskärtchen" hilfreich, die ohne lange Erklärungen über die Krankheit informieren.

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Lernen Sie mehr über Alzheimer & Demenz - in Ihrem Tempo und wann es Ihnen passt. Der Umgang mit Demenz kann für eine Familie und deren Angehörigen eine Vielzahl von Problemen mit sich bringen. Beispielsweise die emotionale Belastung durch die Diagnose Demenz. Aber auch Veränderungen im Familienleben können zu Konflikten und Spannungen innerhalb der Familie führen. Die langjährige gemeinsame Beziehung und die vertrauten Rituale und Tagesabläufe werden plötzlich durcheinandergebracht. Es ist verständlich, dass Sie zunächst Frustration und Enttäuschung verspüren, denn nichts ist mehr, wie es war. Vermeiden Sie es, Ihren Partner zu überfordern. Suchen Sie neue Wege der Kommunikation.

Langsam sprechen: Sprechen Sie langsam, in kurzen Sätzen und in einfachen Worten. Feste Tagesstruktur: Feste Abläufe sind enorm wichtig für Betroffene. Gefühle respektieren: Gehen Sie unbedingt auf die Gefühle und Bedürfnisse der demenzerkrankten Person ein. Vorwürfe vermeiden: Für einen Demenzerkrankten ist es schwierig genug, seine Krankheit zu akzeptieren. Kleine Beschäftigung: Auch Menschen mit Demenz möchten das Gefühl haben, gebraucht zu werden und etwas zu können. Geben Sie lösbare Aufgaben und beschäftigen Sie den Betroffenen.

Umgang mit herausforderndem Verhalten

Es kommt es vor, dass die Demenzerkrankung die Persönlichkeit von Betroffenen verändert und ihr Verhalten sich schlagartig ändert. Ängste, Wahnvorstellungen und Depressionen können auftreten. Der Umgang mit solch herausforderndem und schwierigem Verhalten bei Demenz ist für das Umfeld nicht einfach und erfordert ein umfassendes Verständnis dafür, warum Menschen mit Demenz sich so verhalten, wie sie es tun. Herausforderndes Verhalten kostet alle Beteiligten Kraft und bringt die meisten in eine unangenehme Situation. Dabei kann ein Perspektivenwechsel bereits Vieles verändern. Denn das Handeln und Verhalten eines Menschen mit Demenz ist immer auch Ausdruck seines Erlebens und wird bis zu 80 Prozent von der Umgebung beeinflusst. Hinter einem herausfordernden Verhalten kann auch ein unbefriedigtes Bedürfnis stehen. Begegnen Sie dem demenzerkrankten Menschen also an dieser Stelle mit Verständnis und nutzen Sie dies als Schlüssel für Ihre Interaktion und Kommunikation. Auf diese Weise kann sich das Miteinander verändern und sowohl beim betroffenen Menschen als auch beim Begleitenden zu einem erlebbaren Mehr an Wohlbefinden führen.

Nicht persönlich nehmen: Keine Frage, es fühlt sich schrecklich an, wenn der Angehörige mit Vorwürfen um sich wirft. Nicht diskutieren: Es bringt nichts, mit dem Demenzerkrankten darüber zu diskutieren, wo der Geldbeutel sein könnte oder wer Recht hat. Auch Kritik ist fehl am Platz. Ablenkung hilft: Um aus der Situation herauszukommen, sollten Sie den Betroffenen ablenken.

Aktivitäten und Beschäftigung

Jeder Mensch - ob mit Demenzerkrankung oder ohne - benötigt im Alltag Aufgaben, die ihm Freude bereiten und ihn sowohl körperlich als auch geistig herausfordern. Regelmäßige Bewegung ist sehr wichtig. Sie fördert die Verdauung, den Kreislauf, den Appetit und den Schlaf. Durch einen aktiven Alltag bleiben Menschen mit Demenz körperlich und geistig fit, können ihre Gefühle ausdrücken und besser mit ihrer Umwelt kommunizieren. Dies kann sich positiv auf das Wohlbefinden auswirken.

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Aktivitäten sollten einfach sein und sich an den individuellen Fähigkeiten und Interessen des Demenzerkrankten orientieren. Musik kann eine positive Wirkung haben und Erinnerungen wecken. Kreative Aktivitäten wie Malen oder Basteln können die kognitiven Funktionen anregen. Spaziergänge in der Natur oder leichte Bewegungsübungen können die körperliche Aktivität fördern und das Wohlbefinden steigern.

Unterstützung für Angehörige

Eine Demenzerkrankung bringt viele Herausforderungen mit sich - nicht nur für Betroffene, sondern insbesondere auch für Angehörige. Es ist sehr wichtig, dass Sie behutsam mit dem Verdacht auf Demenz umgehen. Die Diagnose stellt für jeden Betroffenen eine existenzielle Nachricht dar und kann extreme Reaktionen hervorrufen. Achten Sie darauf, als Angehöriger Entlastung zu finden und sich regelmäßig Auszeiten zu nehmen, um Ihre eigene Energie wieder aufzuladen. Die Pflege einer demenzerkrankten Person kann über Jahre dauern. Von Tipps zum Umgang bis zur Entlastung für Angehörige.

Scheuen Sie nicht, sich bei den zahlreichen und unterschiedlichen Aufgaben der Pflege von Demenzerkrankten frühzeitig Hilfe zu holen. Sei es, dass jemand anderes die Pflege oder Betreuung komplett übernehmen soll oder aber Ihnen unterstützend zur Seite steht. Neben finanziellen Hilfen für die Pflege eines Angehörigen gibt es auch Beratungs- oder Schulungsangebote sowie psychische Entlastung durch Selbsthilfen.

Rechtliche und finanzielle Aspekte

Bei einer Demenz stellen sich viele rechtliche und finanzielle Fragen, die für die Zukunft geregelt werden müssen. Das beginnt bei der Ausübung des Berufs, geht über Alltägliches wie das Autofahren, die Vorsorgevollmacht bis hin zur Geschäftsfähigkeit. Ist der Demenzerkrankte irgendwann nicht mehr in der Lage, Entscheidungen für sich selbst zu treffen, müssen Sie als Angehörige dies oft in seinem Namen tun. Wenn keine Vorsorgevollmacht vorliegt, wenden sich Betroffene und Angehörige an das örtliche Betreuungsgericht, um den gesetzlichen Betreuer zu bestimmen.

Technische Unterstützung und Digitalisierung

Aktuell werden von Politik und Pflege die Potentiale digitaler Lösungen für Herausforderungen mit Demenz ausgelotet. Chancen und Risiken sollen dabei ausbalanciert werden. Digitale Techniken entfalten nur in gut ausgestatteten Pflegeensembles ihre Potentiale.

Im Zuge der Digitalisierung des Gesundheitswesens werden aktuell in Politik und Pflege die Potentiale digitaler Lösungen für Menschen mit demenziellen Erkrankungen ausgelotet. Chancen und Risiken sollen dabei ausbalanciert werden. Es ist sinnvoll, ethische, rechtliche und soziale Aspekte bei der Entwicklung digitaler Techniken für Menschen mit Demenz einzubeziehen und auch Pflegende zu ethischen Fragen neuer Techniken fortzubilden. Eine Ausbalancierung von Chancen und Risiken kann beides nicht gewährleisten. Denn Ethiker*innen können in Entwicklungsprojekten zwar ethische Probleme zur Sprache bringen und Impulse geben, aber nicht abschließend garantieren, dass Chancen überwiegen. Zudem kann der Fokus auf Chancen und Risiken konkreter Techniken den Blick auf grundsätzlichere Fragen, wie die nach Alternativen, verstellen.

Wenn Menschen mit demenziellen Erkrankungen wirklich am technischen Fortschritt teilhaben sollen, müssen ihre Interessen, ihre Unterschiedlichkeit und verschiedene Dimensionen ihres Daseins besser berücksichtigt werden. Wenn man ihre Schwächen - und unsere Probleme damit - fokussiert, entstehen Anwendungsszenarien, in denen Menschen mit Demenz eher Gegenstand technischer Überwachung statt aktiver Anwender*innen sind.

Die Rolle der Gesellschaft

Alle Menschen sind aufgerufen, demente Personen als selbstverständlichen Teil unserer Gemeinschaft anzunehmen. Auch Demenz ist Leben. Der Blick des christlich-kirchlichen Glaubens bemüht sich immer schon um einen Blick für das Ganze. Die Ausdifferenzierung und die Unterscheidung der einzelnen Disziplinen in Humanwissenschaften, Naturwissenschaften und Geisteswissenschaften hat ihr Recht, denn aus ihr geht eine Fülle wertvoller Ergebnisse hervor, von deren Austausch alle profitieren. Im Fall von Demenzerkrankungen ist dies z.B. die Erkenntnis, dass für die abnehmende Kohärenz eines dementen Selbst eine Schädigung der Gehirngefäße verantwortlich ist, die nichts mit Altersstarrheit zu tun hat. Dennoch birgt die notwendige Differenzierung der Fachdisziplinen auch eine Gefahr in sich. Der segmentierte Blick vertieft und verfestigt die geistige Zerrissenheit des modernen Menschen. Der Blick von Theologie und Kirche ist hier grundsätzlicher: Gott hat das Leben geschaffen; den Menschen als sein Ebenbild. Daraus gewinnen wir die Erkenntnis, dass jedem Menschen, in jedem Stadium seines Lebens - in Alter und Krankheit ebenso wie dem Ungeborenen - eine unverwechselbare Einmaligkeit und damit Würde zukommt. Auch und gerade Angehörige von an Demenz Erkrankten haben dies oft zum Ausdruck gebracht: Menschliches Leben ist in allen seinen Stadien heilig. Auch der an Demenz Erkrankte hat seinen Namen, auch dann, wenn er sich selbst nicht an diesen Namen erinnern sollte.

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