Depression: Was passiert im Gehirn? Ursachen und neue Therapieansätze

Depressionen gehören zu den häufigsten psychischen Erkrankungen weltweit. Allein in Deutschland leiden aktuell etwa vier Millionen Menschen darunter. Die Erkrankung kann in jedem Alter auftreten, wobei die erste Episode meist zwischen dem 20. und 30. Lebensjahr beginnt. Betroffene fühlen sich niedergeschlagen, antriebslos und interesselos. Oftmals leiden sie unter Schlafstörungen, schneller Ermüdung und der Unfähigkeit, Gefühle zu empfinden. Die Behandlung erfolgt in der Regel psychotherapeutisch, bei schweren Depressionen auch medikamentös. Todesgedanken sind ein häufiges Symptom, weshalb rasche professionelle Hilfe notwendig ist.

Als Auslöser der Erkrankung wird eine Kombination aus erblichen, lebensgeschichtlichen und aktuellen Belastungsfaktoren wie Stress diskutiert. Neue Forschungsergebnisse liefern nun weitere Einblicke in die komplexen Vorgänge im Gehirn von Depressiven und eröffnen Perspektiven für eine objektivere Diagnostik und gezieltere Therapien.

Die Rolle der synaptischen Plastizität

Ein Forschungsteam um Prof. Dr. Christoph Nissen von der Universitätsklinik Freiburg untersuchte die synaptische Plastizität bei depressiven Patienten. Die synaptische Plastizität beschreibt die Fähigkeit des Gehirns, die Übertragung zwischen Nervenzellen an neue Reize anzupassen. Dieser Prozess ist die Grundlage für Lernen, Gedächtnisbildung und die Anpassungsfähigkeit an eine sich verändernde Umwelt.

In ihrer Studie reizten die Forscher ein motorisches Areal im Gehirn der Probanden mithilfe einer Magnetspule und maßen die Aktivierung eines Daumenmuskels. Im zweiten Schritt wurde die Reizung mit einer wiederholten Stimulation eines Nervs am Arm kombiniert. Bei gesunden Probanden führte diese Kopplung zu einem Lernvorgang in Form einer stärkeren Verknüpfung von Nervenzellen in der Gehirnrinde, was sich in einer stärkeren Reaktion des Daumenmuskels zeigte.

Die Ergebnisse zeigten, dass depressive Probanden eine verminderte synaptische Plastizität aufwiesen. Interessanterweise normalisierte sich die Hirnaktivität wieder, nachdem die depressive Episode abgeklungen war. „Damit haben wir eine messbare Veränderung im Gehirn gefunden, die zeitlich mit dem klinischen Zustand übereinstimmt“, so Prof. Nissen. Die Forscher vermuten, dass die verminderte synaptische Plastizität eine Ursache der Depression ist und nicht nur eine Folge. Veränderungen in diesem grundlegenden Prozess im Gehirn könnten einen Großteil der Symptome einer Depression erklären.

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Frühere Untersuchungen an Tiermodellen und weitere Indizien beim Menschen deuten ebenfalls auf eine ursächliche Rolle hin. So haben beispielsweise Schlafentzug, eine etablierte Depressionstherapie, sowie alle gängigen antidepressiv wirksamen Verfahren, einschließlich Medikamente, Elektrokrampftherapie und sportliche Betätigung, eine positive Wirkung auf die synaptische Plastizität.

Schrumpfung bestimmter Hirnareale

Eine weitere Studie in „Nature Medicine“ erklärt frühere Befunde, wonach Depressionen zu einer „Schrumpfung“ bestimmter Hirnareale führen. Werden Ratten in ihrem natürlichen Bewegungsdrang gehemmt, entwickeln sie eine schwere Depression. Dies hinterlässt Spuren im Gehirn der Tiere, die auch bei Patienten mit Major-Depression nachweisbar sind. Im präfrontalen Kortex, dem obersten Kontrollzentrum für eine situationsangemessene Handlungssteuerung, kommt es zu einer Rückbildung: Die Hirnzellen sind verkleinert, die Anzahl der Nervenverbindungen wird kleiner. Bildgebende Verfahren zeigen, dass dieser Abschnitt des Gehirns „schrumpft“. Bei Menschen mit einer Major-Depression haben Hirnforscher einen Rückgang des Volumens im dorsolateralen präfrontalen Kortex nachgewiesen.

Das Team um Ronald Duman von der Yale-Universität untersuchte das Gehirn von Verstorbenen, die an einer Major-Depression litten. Mittels In-situ-Hybridisierung konnten die Forscher zeigen, dass die Hirnzellen fünf Gene vermindert abrufen, die Funktion und Struktur von Hirnsynapsen beeinflussen. Alle fünf Gene werden von einem einzelnen Transkriptionsfaktor mit der Bezeichnung GATA-1 kontrolliert. In einem Tierversuch wurde die Aktivität dieses Steuergens künstlich gesteigert. Die Tiere entwickelten eine schwere Depression. GATA-1 könnte demnach eine wichtige Rolle in der Pathogenese der Depression spielen. Zum einen werden die Forscher jetzt untersuchen, ob Varianten von GATA-1 mit der Entwicklung einer Depression assoziiert sind. Zum anderen bietet sich GATA-1 als Ansatzpunkt für Medikamente an: Wirkstoffe, die GATA-1 hemmen, sollten eine Depression lindern können. Die Wirksamkeit solcher noch zu findenden Wirkstoffe würde dann auch die Bedeutung des Steuerenzyms für die Entwicklung der Depression belegen.

Genetische Veranlagung und weitere Risikofaktoren

Die Veranlagung zur Depression kann genetisch bedingt oder auch erworben sein. Patienten mit einer entsprechenden genetischen Veranlagung neigen vermehrt dazu, bei belastenden Situationen oder auch ohne erkennbare Belastungen eine Depression zu entwickeln. Allerdings ist bis heute weitgehend ungeklärt, wie diese genetischen Faktoren genau aussehen. Aber auch bestimmte Persönlichkeitsfaktoren (z.B. geringes Selbstwertgefühl) können bei der Entwicklung einer Depression eine Rolle spielen. Ebenso können körperliche Erkrankungen wie zum Beispiel Schilddrüsenfunktionsstörungen eine Depression mit verursachen. Auch kann diese in Verbindung mit bestimmten Medikamenten, z.B. hochdosierter Cortisonbehandlung, auftreten.

Darüber hinaus kann als sicher gelten, dass Belastungen verschiedenster Art bei der Auslösung von Depressionen eine wichtige Rolle spielen. Bedeutsam sind zum einen akute negative Lebensereignisse. Jeder 10. Mensch, der eine extreme Belastung wie z.B. einen Unfall oder einen Überfall erlebte, entwickelt eine Depression. Auch bei psychosozialen Belastungen, die eine Anpassung an neue Umstände erfordern, wie z.B. der Tod einer Bezugsperson oder eine Trennung, gehen häufig einer Depression voraus. Aber auch chronische Belastungen wie alltäglicher Stress und Sorgen können auf lange Sicht eine Depression auslösen. Dies gilt auch für den Umgang mit chronischen Erkrankungen wie Diabetes, Herz-Kreislauferkrankungen oder Epilepsie. Jedoch sind nicht bei allen Patienten derartige Auslösefaktoren im Spiel. Viele Depressionen treffen den Erkrankten fast ohne Vorwarnung wie aus heiterem Himmel, so als ob jemand "den Lichtschalter umgelegt" hätte.

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Neurotransmitter-Ungleichgewicht

Unser Denken, Fühlen oder Handeln beruht auf der Aktivität unserer Nervenzellen im Gehirn. Wenn eine Nervenzelle aktiv ist, wird der Impuls entlang der Nervenfaser bis zu den Nervenendigungen, der Kontaktstelle mit anderen Nervenzellen (Synapsen) transportiert. Um den Impuls zur nächsten Nervenzelle weiterzuleiten, werden im Gehirn Botenstoffe - sogenannte Neurotransmitter wie zum Beispiel Serotonin oder Noradrenalin - ausgeschüttet, die den elektrischen Impuls bei der nächsten Nervenzelle wieder auslösen und damit den Impuls weitergeben. Bei Depressiven sind wahrscheinlich die Botenstoffe, wie das Serotonin und/oder Noradrenalin aus der Balance geraten. Sie sind entweder in zu geringer Konzentration vorhanden oder aber die Übertragung funktioniert nicht richtig. Viele antidepressive Medikamente setzen an dieser Stelle an und versuchen, den gestörten Hirn-Stoffwechsel wieder ins Gleichgewicht zu bringen.

Die älteste und gleichzeitig bekannteste Theorie zu den biologischen Vorgängen im Gehirn während einer Depression ist die Monoaminmangel-Hypothese. Der Name Monoaminmangel-Hypothese bezieht sich konkret darauf, dass an bestimmten Synapsen nicht genügend Botenstoffe vorhanden sind, um eine reibungslose Weiterleitung von Informationen zu gewährleisten. Besonders bekannt sind Serotonin und Noradrenalin. Die Symptome der Betroffenen unterscheiden sich abhängig davon, welche Signalkette gestört ist. Darauf aufbauend werden Depressionen mit verschiedenen Antidepressiva behandelt. Die Medikamente zielen meistens darauf ab, die Konzentration der Botenstoffe im synaptischen Spalt zu erhöhen und dadurch die Kommunikation zwischen den Nerven wieder auf die Bahn zu bringen.

Vergrößerung des Hypothalamus

Obwohl Depressionen zu den häufigsten psychiatrischen Leiden in Deutschland gehören, ist noch immer unklar, wodurch sie verursacht werden. Eine aktuelle Studie des Max-Planck-Instituts für Kognitions- und Neurowissenschaften in Leipzig und der Abteilung Psychiatrie und Psychotherapie des Universitätsklinikums Leipzig hat nun herausgefunden, dass bei Betroffenen der Hypothalamus vergrößert ist.

Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für Kognitions- und Neurowissenschaften in Leipzig und des Universitätsklinikums Leipzig haben nun in einer Studie mit insgesamt 84 Probanden herausgefunden, dass bei Personen mit einer sogenannten affektiven Störung der linke Hypothalamus um durchschnittlich fünf Prozent größer ist als bei Gesunden. „Wir haben beobachtet, dass diese Hirnregion sowohl bei Menschen mit einer Depression als auch mit einer bipolaren Störung, als zwei Formen der affektiven Störung vergrößert ist“, erklärt Stephanie Schindler, Doktorandin an beiden beteiligten Forschungseinrichtungen und Erstautorin der zugrundeliegenden Studie, die gerade im Fachmagazin Acta Psychiatrica Scandinavica erschienen ist. Dabei habe sich in einer der depressiven Patientengruppen auch gezeigt, dass diese etwa ein Cent große Hirnregion umso größer war, je schwerer die Krankheit war. Untersucht haben die Leipziger Wissenschaftler diese Zusammenhänge mithilfe der hochaufgelösten 7-Tesla-Magnetresonanztomographie.

Diagnose und Behandlung

Die Merkmale einer Depression kommen Ihnen wahrscheinlich bekannt vor: Denn wer hat nicht schon einmal Phasen der Traurigkeit, Niedergeschlagenheit, Energielosigkeit und Antriebslosigkeit erlebt, in denen man an sich selbst gezweifelt hat, sich wertlos fühlte, keine Freude mehr empfand und das Leben wie durch eine graue oder schwarz getönte Brille erlebte. Als vorübergehende Stimmung sind Zeiten der Niedergeschlagenheit eine eigentlich gesunde Reaktion auf Belastungen oder Verluste im Leben. Bei einer depressiven Erkrankung dauern diese Phasen jedoch länger und verkehren sich von ihrem ursprünglichen Sinn ins Gegenteil.

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Typische Symptome einer Depression sind Traurigkeit und Antriebslosigkeit. Bei Männern kann sich die Erkrankung zu Beginn durch Gereiztheit oder Aggressivität bemerkbar machen. Eine Abklärung der Ursachen und frühzeitige Behandlung sind wichtig. Jedes Jahr erkranken über fünf Millionen Menschen in Deutschland an einer Depression. Im Laufe ihres Lebens sind laut Erhebungen der Deutschen Depressionshilfe 24 Prozent der Deutschen unmittelbar selbst von einer Depression betroffen, 26 Prozent sind mitbetroffen durch erkrankte Angehörige.

Schon beim Verdacht auf eine Depression sollten Betroffene einen Arzt, Psychiater oder Psychotherapeuten aufsuchen. Je früher eine Depression erkannt wird, umso besser sind die Heilungschancen. Körperliche Untersuchungen sind für die Diagnose ebenfalls wichtig. Dazu gehören eine Blutuntersuchung und eventuell eine Computertomografie (CT) des Gehirns. Eine depressive Episode liegt vor, wenn die Symptome mindestens zwei Wochen lang auftreten. Eher selten kommt es im Laufe eines Lebens nur zu einer einzigen depressiven Episode. 75 Prozent der Betroffenen erleiden innerhalb von zehn Jahren einen Rückfall. Bei einer rezidivierenden depressiven Störung erleben Betroffene immer wieder depressive Episoden. Sie ist die häufigste Form der Depression. Das Leben ist stark eingeschränkt. Bei einer chronischen Depression (Dysthymie) leiden Betroffene ununterbrochen an depressiven Symptomen. Diese sind jedoch in der Regel schwächer ausgeprägt. Diese Form wird häufig nicht erkannt. Viele Betroffene halten ihre niedergedrückte Stimmung für normal.

Bestätigt sich der Verdacht auf eine Depression, wird der Betroffene an eine spezialisierte Klinik oder einen ambulanten Psychiater oder Psychotherapeuten weitergeleitet. Die Voraussetzung, um eine Depression gut behandeln und möglicherweise heilen zu können, ist, dass sie als ernsthafte Krankheit auch erkannt wird. Den meisten Betroffenen kann dann mit einer konsequenten Behandlung gut geholfen werden. Eine Therapie durchbricht depressive Episoden oder lässt sie vollkommen abklingen. Unbehandelt ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass eine Depression über Monate oder Jahre bestehen bleibt. Oft werden Medikamente (Antidepressiva) eingesetzt, vor allem Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI). Sie lassen den Serotoninspiegel ansteigen und können die Symptome verbessern. Ein Teil der Erkrankten spricht auf Antidepressiva nicht ausreichend an. Bei einer schweren Depression empfiehlt sich ein stationärer Aufenthalt in einer Klinik. Die Behandlung mit Medikamenten, psychotherapeutische Therapieangebote und eine intensive Betreuung helfen Betroffenen, zu einem strukturierten Tagesablauf zurückzukehren.

Selbsthilfe und Unterstützung

Neben professioneller Hilfe gibt es auch zahlreiche Möglichkeiten der Selbsthilfe und Unterstützung. Dazu gehören:

  • Techniken zur Stressbewältigung erlernen: beispielsweise Yoga, Meditation, Qigong oder Autogenes Training.
  • Sport treiben: Sport wirkt stimmungsaufhellend.
  • Sich an ein Hilfs- bzw. Kinder- und Jugendtelefon, "Nummer gegen Kummer", kostenlose Beratung von Mo. bis Sa.
  • Das deutschlandweite Info-Telefon Depression der Deutschen Depressionshilfe erreichen Sie montags, dienstags und donnerstags von 13 bis 17 Uhr sowie mittwochs und freitags von 8.30 bis 12.30 Uhr unter Telefon (0800) 33 44 533.
  • In jeder deutschen Stadt gibt es Psychologische Beratungsstellen, Beratungsstellen für Ehe-, Familien- und Lebensfragen, Psychosoziale Beratungsstellen, Sozialpsychiatrische Dienste.

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