Wilhelm Erb: Ein Pionier der Neurologie

Wilhelm Erb, geboren am 30. November 1840 in Winnweiler (Pfalz), gestorben am 29. Oktober 1921 in Heidelberg, war ein bedeutender deutscher Internist und Neurologe. Sein Wirken trug maßgeblich zur Entwicklung der Neurologie als eigenständige medizinische Disziplin bei.

Frühe Jahre und Ausbildung

Erb stammte aus einer Familie mit Tradition im öffentlichen Dienst. Sein Vater, Friedrich Erb (1797-1868), war Forstmeister. Seine Mutter, Sophie Hoffmeister (1803-95), entstammte einer pfälzischen Pfarrer- und Beamtenfamilie. Bereits in seiner Jugend zeigte Erb großen Fleiß und Wissensdurst. Nach dem Besuch des Gymnasiums in Zweibrücken begann er mit noch nicht ganz 17 Jahren sein Medizinstudium an der Universität Heidelberg. Weitere Studienorte waren Erlangen und München, wo er 1862 sein ärztliches Examen ablegte. Geprägt wurde er während seiner Studienzeit besonders durch seinen Lehrer Nikolaus Friedreich.

Akademische Laufbahn und Wirken in Heidelberg

Nach kurzer Tätigkeit am pathologisch-anatomischen Institut bei Ludwig von Buhl in München kehrte Erb nach Heidelberg zurück und wurde Assistent bei Nikolaus Friedreich, dem Professor für spezielle Pathologie und Direktor der Medizinischen Klinik. 1865 habilitierte er sich an der Universität Heidelberg mit einer Arbeit zur Entwicklungsgeschichte der roten Blutkörperchen. 1869 wurde er zum außerordentlichen Professor ernannt.

Erb blieb Heidelberg zeitlebens treu, abgesehen von einer dreijährigen Professur in Leipzig. 1883 kehrte er als ordentlicher Professor und Direktor der Medizinischen Klinik nach Heidelberg zurück, wo er bis zu seiner Emeritierung im Jahr 1907 wirkte. In den Jahren 1890/1891 und 1900/1901 war er Dekan der medizinischen Fakultät und Mitglied des engeren Senats. 1893/1894 wurde er zum Prorektor der Universität gewählt.

Forschungsschwerpunkte und Entdeckungen

Wilhelm Erb widmete sich vor allem der Erforschung von Nervenkrankheiten. Seine frühen Arbeiten galten der Elektrotherapie, der er durch zahlreiche Experimente eine wissenschaftliche Grundlage zu geben versuchte. Obwohl seine Bemühungen nicht den erhofften Erfolg brachten, legten sie den Grundstein für seine weiteren Forschungen.

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Zu seinen bedeutendsten Entdeckungen zählt der von ihm und Carl Westphal unabhängig voneinander entdeckte Kniesehnenreflex, der als "Erb-Westphal-Syndrom" in die Geschichte der Medizin einging und bis heute in der neurologischen Diagnostik von Bedeutung ist.

Erb erkannte als Erster den Zusammenhang zwischen Tabes dorsalis (Rückenmarkschwindsucht) und Syphilis, eine Vermutung, die sich 14 Jahre später bestätigte. Er forschte intensiv über progressive Muskelatrophie, die Thomsensche Krankheit, akute und chronische Kinderlähmung, intermittierendes Hinken und Hirntumoren.

Wirken als Lehrer und Arzt

Neben seiner Forschungstätigkeit war Erb ein engagierter Lehrer und Arzt. Er legte großen Wert auf eine gründliche Untersuchung der Patienten und die Beobachtung des Wesentlichen. Sein Ziel war es, seine Studenten zu selbstständigem Arbeiten und Originalität anzuleiten. Er forderte Gründlichkeit und Wahrhaftigkeit und lehnte jegliche Schönfärberei der Wahrheit ab.

Als Internist genoss Erb Weltruf. Zu seinen Patienten zählten neben der badischen Großherzogin zahlreiche prominente Persönlichkeiten aus dem In- und Ausland. Seine Diagnosen waren aufgrund seiner außergewöhnlichen Beobachtungsgabe und Gründlichkeit hoch zuverlässig.

Engagement und Ehrungen

Wilhelm Erb engagierte sich auch politisch und gesellschaftlich. Von 1891 bis 1915 war er Stadtverordneter in Heidelberg. Er war nationalliberal eingestellt und ein begeisterter Verehrer Bismarcks.

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Für seine Verdienste wurde Erb vielfach geehrt. Sein Name lebt in der "Erb-Gedenkmünze" fort, die für besondere Leistungen in der Nervenheilkunde verliehen wird. Die Gemeinde Winnweiler ernannte ihn zu seinem 70. Geburtstag zum Ehrenbürger.

Bedeutung für die Neurologie

Wilhelm Erb gilt als einer der Begründer der modernen Neurologie. Er trug maßgeblich zur Etablierung der Neurologie als eigenständiges Fachgebiet bei. Seine Arbeiten haben die Entwicklung der Nervenheilkunde nachhaltig beeinflusst und seinen Namen unsterblich gemacht. Seine über 150 Publikationen, von denen etwa drei Viertel der Neurologie gewidmet sind, zeugen von seinem unermüdlichen Einsatz für die Erforschung und Behandlung von Nervenkrankheiten.

Persönlichkeit

Viktor von Weizsäcker beschrieb Erb 1921 treffend als einen Mann, dessen "Leidenschaft leidenschaftslose Empirie war". Er hatte weder Neigung noch Talent zu spekulativen Theorien, sondern konzentrierte sich auf Tatsächliches und Wesentliches. Seine Nachrufe, Gedenkreden und biographischen Artikel zeugen von seiner Gelehrsamkeit und seinem tiefen Einblick in die Wechselbeziehungen zwischen dem Leben des Einzelnen und den Besonderheiten seiner Zeit und ihrer Wissenschaft.

Familie

Wilhelm Erb war zweimal verheiratet:

  1. 1870 mit Bertha Caroline Herrmann (1848-1873)
  2. 1876 mit Anna Auguste Wilhelmine Gass (1855-1928)

Aus den Ehen gingen vier Kinder hervor: Friedrich Herrmann (1873-1910), Wilhelm Walter (1876-1907), Roland Wolfgang (1879-1954) und Friedrich (1883-1914).

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Werke (Auswahl)

  • Die Pikrinsäure: Ihre physiologischen u. therapeutischen Wirkungen (1865)
  • Zur Entwicklungsgeschichte d. roten Blutkörperchen (1865)
  • Krankheiten d. peripheren-cerebrospinalen Nerven (1874)
  • Handbuch der Elektrotherapie (1882)
  • Ueber die wachsende Nervosität unserer Zeit (1893)

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