Die Parkinson-Krankheit ist eine chronisch fortschreitende neurodegenerative Erkrankung, die durch Symptome wie Muskelsteifheit (Rigor), verlangsamte Bewegungen (Bradykinese) und unkontrollierbares Zittern (Tremor) gekennzeichnet ist. Die Deutsche Gesellschaft für Neurologie (DGN) hat im November 2023 eine neue, vollständig überarbeitete S2k-Leitlinie zur Diagnostik und Therapie der Parkinson-Krankheit herausgegeben. Diese Leitlinie, an der 19 Fachgesellschaften, Berufsverbände und Organisationen mitgewirkt haben, bietet eine umfassende Aktualisierung der bisherigen Empfehlungen und berücksichtigt die neuesten Erkenntnisse aus der Parkinson-Forschung.
Hintergrund und Notwendigkeit der Aktualisierung
Die vorherige Leitlinie stammte aus dem Jahr 2015. Seitdem gab es erhebliche Fortschritte in der Parkinson-Forschung, die eine Überarbeitung und Aktualisierung der Empfehlungen erforderlich machten. Die neue Leitlinie soll eine flächendeckende Versorgung der Parkinson-Patienten nach dem aktuellen Wissensstand gewährleisten und eine optimale, individuelle Therapie ermöglichen.
Prof. Dr. Günter Höglinger, Direktor der Neurologischen Klinik des LMU Klinikums München, koordinierte federführend die Überarbeitung. Er betont, dass die Leitlinie sich an alle Fachbereiche richtet, die bei der Behandlung von Parkinson eine Rolle spielen, mit dem Hauptziel, die Versorgung der Betroffenen zu optimieren.
Terminologie: Parkinson-Krankheit statt Idiopathisches Parkinson-Syndrom
Ein wichtiger Punkt der neuen Leitlinie ist die Empfehlung, den Begriff „Parkinson-Krankheit“ (PK) anstelle von „Idiopathisches Parkinson-Syndrom“ (IPS) oder anderen Begriffen zu verwenden. In der Vergangenheit wurden PK und IPS oft synonym verwendet. Es wird jedoch zunehmend deutlich, dass eine beträchtliche Anzahl von Fällen nicht idiopathisch ist, sondern auf genetischen Varianten bzw. Mutationen beruht und somit eine konkrete Ursache hat.
Diagnostische Neuerungen
Die neue Leitlinie bringt mehrere wichtige Neuerungen in der Diagnostik der Parkinson-Krankheit mit sich:
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- MDS-Kriterien: Zur Diagnose sollen die MDS-Kriterien von 2015 anstelle der „Parkinson's UK Brain Bank“-Kriterien herangezogen werden, da sie eine bessere Sensitivität und Spezifizität aufweisen.
- Re-Evaluation der Diagnose: Die Diagnose sollte regelmäßig, insbesondere über den Langzeitverlauf (≥ 5 Jahre), re-evaluiert werden, vor allem im Hinblick auf motorische Fluktuationen und Dyskinesien. Die Diagnosesicherheit erhöht sich dadurch nach fünf Jahren signifikant.
- Prodromalphase: Bei Verdacht auf eine Prodromalphase (erste Symptome, die auf den Beginn einer Parkinson-Krankheit hinweisen, aber für eine sichere Diagnose nicht ausreichen) sollte die Anwendung definierter Prodromalkriterien erwogen werden.
- Geruchstestung: Eine Geruchstestung kann die Diagnosesicherheit einer PK erhöhen und wird aufgrund ihrer geringen Invasivität zur ergänzenden Diagnostik empfohlen. Eine Normosmie schließt eine PK jedoch nicht aus.
- Polysomnographie: Eine polysomnographische Untersuchung im Schlaflabor auf eine PK-spezifische REM-Schlafverhaltensstörung kann im positiven Fall bei der frühen Diagnose hilfreich sein.
- Nicht-motorische Symptome: Bereits bei Diagnosestellung sollen auch nicht-motorische Symptome berücksichtigt werden, um eine umfassendere Prognoseabschätzung zu ermöglichen.
- Kraniale MRT: Eine kraniale MRT (nicht CT) soll bei klinischem PK-Verdacht frühzeitig erfolgen, um andere Erkrankungen auszuschließen.
- Zusätzliche Untersuchungen: Zur Differenzialdiagnostik können je nach Fragestellung und erwartbaren klinischen Konsequenzen eine transkranielle Hirnparenchymsonographie, eine FDG-PET und eine Dopamin-Transporter-SPECT (DAT-SPECT) erfolgen.
- Genetische Untersuchung: Eine genetische Untersuchung sollte - im Rahmen des Gendiagnostikgesetzes und nur auf Wunsch der Betroffenen - erfolgen, wenn entweder zwei Verwandte ersten Grades oder ein Verwandter ersten und ein Verwandter zweiten Grades an einem Parkinson-Syndrom erkrankt sind, sowie bei einer frühen Krankheitsmanifestation (< 50 Jahre).
Therapieempfehlungen
Die Leitlinie enthält umfassende Therapieempfehlungen für motorische, kognitive, affektive, psychotische und dysautonome Symptome sowie Schlafstörungen, Schmerz, Dysarthrie und Dysphagie bei der Parkinson-Krankheit. Nahezu alle Therapieempfehlungen wurden teilweise modifiziert, durch neue Evidenz gesichert und/oder durch neue Inhalte ergänzt.
Wichtig ist, die Therapie rechtzeitig, altersgerecht, effizient und entsprechend den individuellen Therapiezielen zu beginnen. Bei der individuellen Medikamentenwahl zur initialen Monotherapie sollen neben der Schwere der motorischen Symptome das Patientenalter, die unterschiedlichen Effektstärken/Wirkung der Substanzen, Nebenwirkungen, Komorbiditäten und psychosoziale Aspekte berücksichtigt werden. Bevorzugt werden sollten, besonders bei jüngeren Betroffenen, Dopaminagonisten oder MAO-B-Hemmern (gegenüber Levodopa). Wenn Levodopa schon initial notwendig ist, soll es auch gegeben werden.
Im Krankheitsverlauf werden in der Regel verschiedene Substanzen kombiniert. Die Leitlinien geben detaillierte Empfehlungen für spezielle Situationen und auch zu Substanzen, die nicht mehr eingesetzt werden sollen.
Bei noch weiter fortschreitender Erkrankung verschlechtert sich oft die Medikamentenwirkung, es treten Phasen mit guter und schlechter Beweglichkeit auf (motorische Fluktuationen /„On-off-Phänome“) oder unkontrollierte Bewegungen (Dyskinesien). In dieser Situation kann eine Besserung durch Änderung oder Erweiterung des Therapiemanagements erzielt werden. Konkrete Hinweise dazu sind enthalten (Fraktionierung der Levodopa-Gaben und ggf. Dosisänderung, zusätzliche Gaben von Levodopa-Präparaten mit modifizierter Galenik (lösliches, inhalatives oder retardiertes Levodopa), zusätzliche Gaben von Dopaminagonisten, zusätzliche Gabe von MAO-B-Hemmern oder zusätzliche Gabe von COMT-Hemmern).
Neue Empfehlungen
- Akinetische Krise: Neu sind Empfehlungen zur Diagnose und Therapie einer akinetischen Krise (eine akute, potenziell lebensbedrohliche und transient doparesistente Symptomverschlechterung mit einer Letalität von 4−23 %). Die frühzeitige Diagnose bzw. Abgrenzung von einer schweren Off-Fluktuation und die adäquate Therapie (ggf. auf der Intensivstation) haben hier einen hohen Stellenwert.
- Dopaminagonisten-Entzugssyndrom (DAWS): Auch der aktuelle Wissensstand bzw. die Studienlage zum 2010 erstmals beschriebenen Dopaminagonisten-Entzugssyndrom (DAWS) wird dargestellt und Empfehlungen zu optimalen diagnostischen Kriterien und Therapie gegeben. Das Absetzen von Dopaminagonisten sollte langsam erfolgen. Bei schwerem, protrahiertem DAWS sollte eine Wiederaufnahme der Behandlung mit Dopaminagonisten erwogen werden.
- Tiefe Hirnstimulation (THS): Neu hinzugefügt bzw. aktualisiert wurden auch Daten und Empfehlungen zu Differenzialindikationen nicht oraler medikamentöser (invasiver) Therapien wie Pumpentherapien und der Tiefen Hirnstimulation (THS). Es gibt inzwischen Langzeitstudien zu den THS-Formen (d. h. unterschiedliche Elektrodenlokalisationen). Man weiß inzwischen, dass die THS (z. B. des Nucleus subthalamicus/STN-THS) im Langzeitverlauf bis zu elf Jahre gegen motorische Symptome wirksam ist, die Verzögerung einer Demenz-Entwicklung war dabei nicht zu erkennen.
Ablative Verfahren
Operative, ablative Verfahren wie die Pallidotomie werden in ihrer aktuellen Bedeutung bei fortgeschrittener PK eingeordnet. Thalamo- und Subthalamotomie mittels Radiofrequenzablation sollen bei der PK nicht mehr durchgeführt werden und auch radiochirurgische Verfahren (Gamma-Knife, Cyber-Knife) sind mangels Studien und aufgrund des potenziell hohen Komplikationsrisikos nicht zu empfehlen.
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Das relativ neue, ablative Verfahren MRgFUS (MRT-gesteuerter, fokussierter Ultraschall), das von außen durch die geschlossenen Schädeldecke zur Anwendung kommt, ist v. a. sehr effektiv gegen den Tremor. Allerdings sollen diese Interventionen aktuell nur im Rahmen von Studien oder Registern durchgeführt werden. Alle ablativen Verfahren werden bisher nur unilateral eingesetzt. Zum erweiterten Einsatz des MRgFUS werden aktuell die notwendigen Studien durchgeführt. Bis hier weitere Ergebnisse vorliegen, wird bei Fehlen von Kontraindikationen gegenwärtig primär die THS empfohlen.
Therapie von Begleitsymptomen
Auch zu Diagnostik und Therapie der häufigen Begleitsymptomatik sind neue Empfehlungen enthalten. Zu nennen sind die Kapitel zu Schmerzen bei PK, zu Blasenfunktionsstörungen, erektiler Dysfunktion, orthostatischer Hypotonie (Blutdruckabfall beim Aufstehen) und nächtliche bzw. Liegend-Hypertonie sowie zur chronischen Obstipation.
Multidisziplinäre Versorgung
Betont wird die große Bedeutung einer multidisziplinären, teambasierten Versorgung für die Verbesserung der Lebensqualität bei PK. Empfehlungen zu komplexen Therapieansätzen sind enthalten. Die sogenannten aktivierenden Verfahren beinhalten Physio- und Ergotherapie, Logopädie oder künstlerische Therapien (Musik-, Tanz-, Kunst- oder Theatertherapie). Physikalische Verfahren verbessern wahrscheinlich motorische Symptome, Mobilität, Gang und Gleichgewicht und verhindern möglicherweise muskuloskelettale Sekundärprobleme. Eine relativ umfangreiche Datenlage gibt es beispielsweise für die Physiotherapie, die bei Beeinträchtigung durch motorische PK-Symptome im Alltag mindestens 3 h/Woche erfolgen sollte, wenn möglich auch als Eigentraining. Ob die Progression der PK durch aktivierende Therapien verlangsamt wird, ist noch unklar, daher sollte dies auch nicht als Therapieziel benannt werden.
Kognitive Beeinträchtigungen
Umfangreiche Kapitel finden sich auch zur Kognition bei PK bzw. zur Problematik der Entwicklung einer PD-MCI (Parkinson-Krankheit mit „Mild Cognitive Impairment“) und PKD (Parkinson-Krankheit mit Demenz). Bei PD-MCI werden kognitives Training und Sport (aerobes Ausdauertraining 2- bis 3-mal 45-60 Minuten pro Woche) empfohlen. Bei PKD soll neben kognitiver Stimulation Rivastigmin eingesetzt werden.
Weitere Aspekte
Es folgen weitere Kapitel zu affektiven Störungen (Depressionen, Anhedonie, Apathie, Angststörungen, Fatigue), Impulskontroll-Störungen, Psychose, Delir, Dysarthrie/Dysphagie und psychosozialer Beratung. Für fast alle Themenbereiche gibt es neue Daten und daher (mindestens modifizierte) Empfehlungen.
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Abschließend werden Unterschiede in aktuellen Versorgungskonzepten ausführlich bewertet (wie Tagesklinik, stationäre multidisziplinäre Komplextherapie, integrierte Parkinson-Versorgungsnetzwerke und Palliative Care). Erstmals werden auch Empfehlungen zur Parkinson-Therapie in Schwangerschaft und Stillzeit gegeben.
Bedeutung der Leitlinie
Die neue S2k-Leitlinie zur Parkinson-Krankheit stellt einen wichtigen Fortschritt für die Versorgung von Menschen mit Parkinson in Deutschland dar. Sie bietet eine umfassende und aktuelle Grundlage für die Diagnostik und Therapie der Erkrankung und berücksichtigt die neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisse. Die Leitlinie soll dazu beitragen, die klinische, ambulante und stationäre Versorgung von Menschen mit Parkinson weiter zu verbessern, von der frühen Diagnostik bis hin zur individuell passenden medikamentösen oder operativen Behandlung.
Prof. Dr. Günter Höglinger betont, dass die Leitlinie dazu beitragen soll, den Betroffenen eine optimale und möglichst individuelle Therapie anzubieten. Obwohl die Forschung mit Hochdruck daran arbeitet, gibt es bisher noch keine spezifischen oder kausalen Parkinson-Therapien und auch keine Medikamente mit krankheitsmodifizierenden Effekten. Die Leitlinie soll jedoch dazu beitragen, die Symptome der Erkrankung bestmöglich zu lindern und die Lebensqualität der Betroffenen zu verbessern.
Zukünftige Entwicklungen
Die Parkinson-Forschung hat in den letzten Jahren entscheidende Fortschritte gemacht. Eine wichtige Erkenntnis ist, dass die Parkinson-Krankheit in vielen Fällen durch genetische Varianten bzw. Mutationen entsteht. Aus den Erkenntnissen zu den genetischen Ursachen der Parkinson-Krankheit ergeben sich neue Ansatzpunkte für die Behandlung, die auf molekulare Ursachen abzielen und so in die Entstehung der Parkinson-Krankheit eingreifen, statt nur die Symptome zu behandeln.
Prof. Dr. Günter Höglinger erklärt: „Wir gehen heute davon aus, dass wir in absehbarer Zeit eine Therapie entwickeln, die das Fortschreiten der Parkinson-Krankheit bremst, ihren Ausbruch verzögert oder ihn sogar verhindert.“ Die neue Leitlinie bereitet bereits auf diese zukünftigen Entwicklungen vor, indem sie die Bedeutung einer frühzeitigen und differenzierten Diagnose betont, welche schon jetzt die Therapieempfehlungen beeinflusst.