Atypische Parkinson-Syndrome: Leitlinien für Diagnose und Therapie

Die klinische Unterscheidung zwischen dem idiopathischen Parkinson-Syndrom (IPS), auch Morbus Parkinson genannt, und den atypischen Parkinson-Syndromen (aPS) stellt eine Herausforderung dar, insbesondere im Frühstadium der Erkrankung. Daher werden in der Routinediagnostik häufig apparative und bildgebende Zusatzuntersuchungen eingesetzt.

Einleitung

Parkinson-Syndrome sind neurodegenerative Erkrankungen, die das extrapyramidal-motorische System (EPS) und die Basalganglien betreffen. Die Leitsymptome sind Bradykinese, Rigor, Tremor und posturale Instabilität. Neben den motorischen Symptomen können sensible, vegetative, psychische und kognitive Störungen auftreten. Parkinson-Syndrome werden in vier Gruppen unterteilt: das idiopathische Parkinson-Syndrom (IPS) bzw. die Parkinson-Krankheit (PK), genetische Formen des Parkinson-Syndroms, symptomatische Parkinson-Syndrome (SPS) und atypische Parkinson-Syndrome (APS).

Was sind atypische Parkinson-Syndrome?

Atypische Parkinson-Syndrome (APS) sind seltene neurodegenerative Erkrankungen, die sich von der Parkinson-Krankheit (Morbus Parkinson) unterscheiden. Zu den APS gehören die Multisystematrophie (MSA), die progressive supranukleäre Blickparese (PSP), das kortikobasale Syndrom (CBS) und die Demenz mit Lewy-Körperchen (DLK). APS verlaufen in der Regel schwerer und schneller als Morbus Parkinson und sprechen schlechter auf die für Morbus Parkinson üblichen Medikamente an.

Die neurodegenerativen Parkinsonsyndrome werden in Morbus Parkinson (Parkinson-Krankheit, PD) und atypische Parkinsonsyndrome unterteilt. Zu den letzteren gehören die Alpha-Synucleinopathie Multisystematrophie (MSA) sowie die Tauopathien Corticobasale Degeneration (CBD) und Progressive supranukleäre Blickparese (PSP).

Neuropathologie und Pathophysiologie

Atypische Parkinson-Syndrome sind neurodegenerative Erkrankungen mit intrazellulärer Ablagerung amyloidogener Proteine. Während das Protein α-Synuclein die DLK, MSA sowie PK (Synucleinopathien) kennzeichnet, tritt das Tau-Protein bei der PSP und der CBD auf (Tauopathien). Bei der PK und DLK finden sich α-Synuclein-Aggregate in Nervenzellen, bei der MSA vorzugsweise in Oligodendrozyten. Bei PSP und CBD aggregiert Tau in Nervenzellen, aber auch Oligodendrozyten und Astrozyten. Die Morphologie der astrozytären Tau-Ablagerungen unterscheidet die PSP von der CBD. Die verschiedenen Krankheitsentitäten befallen typischerweise charakteristische Hirnregionen. Die Fehlfaltung und Aggregation dieser Proteine kann einerseits zu Degeneration der betroffenen Zellpopulationen führen, andererseits aber auch die Ausbreitung in anatomisch verbundenen Hirnregionen und damit die Krankheitsprogression vermitteln.

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Diagnose von atypischen Parkinson-Syndromen

Die Diagnose von APS kann schwierig sein, insbesondere in den frühen Stadien der Erkrankung. Die Diagnose stützt sich in erster Linie auf die klinisch-neurologische Untersuchung und kann durch bildgebende, nuklearmedizinische sowie weitere Zusatzdiagnostik ergänzt werden.

Klinische Kriterien

Die Diagnosekriterien stützen sich bisher hauptsächlich auf klinische Befunde, da sich diese jedoch erst im Krankheitsverlauf deutlich entwickeln und die Befunderhebung untersucherabhängig ist, liegt die Genauigkeit der gestellten Diagnosen z.B. bei M. Parkinson nur bei ca. 80 %. Erschwert wird die Diagnosestellung zudem durch jeweils weitere Unterformen der atypischen Parkinsonsyndrome mit sich unterscheidenden Phänotypen.

Eine Kombination des Kernsymptoms Bradykinese mit Rigor, Tremor oder Haltungsinstabilität definiert ein Parkinson-Syndrom. Abgesehen von sekundären Parkinson-Syndromen, bei denen die Ursachen, wie zum Beispiel Medikamentennebenwirkungen, Normaldruckhydrozephalus und vaskuläre Enzephalopathie, erkennbar sind und gegebenenfalls beseitigt werden können, sind die Parkinson-Syndrome Folge neurodegenerativer Erkrankungen. Das häufigste neurodegenerative Parkinson-Syndrom wird bei sporadischem (nichtfamiliären) Auftreten und klinisch führender Bewegungsstörung infolge Hirnstamm-prädominanter α-Synuclein-Ablagerung als Parkinson-Krankheit (PK) oder idiopathisches Parkinson-Syndrom bezeichnet. In Abgrenzung zur PK werden andere sporadische Krankheitsentitäten als atypische Parkinson-Syndrome bezeichnet.

Bildgebende Verfahren

Ein bildgebendes Verfahren, das von der aktuellen S3-Leitlinie zur Differenzierung zwischen PD und aPD empfohlen wird, ist die Positronenemissionstomographie (PET) mit [18F]Fluordesoxyglukose (FDG) als Marker des regionalen zerebralen Glukosestoffwechsels. Mittels der FDG-PET lassen sich krankheitstypische Stoffwechselmuster darstellen, welche sowohl einen degenerationsbedingten regionalen Hypometabolismus als auch ggf. einen kompensatorischen Hypermetabolismus umfassen. Bei der PD zeigt sich so typischer Weise ein relativer Hypermetabolismus v.a. im Striatum, Kleinhirn und Pons sowie ggf. ein relativer Hypometabolismus v.a. der posterioren Hirnregionen, während bei der MSA ein Hypometabolismus in Putamen, Hirnstamm und Kleinhirn, bei der PSP ein Hypometabolismus in Ncl. Caudatus, Thalamus sowie im oberen Teil des Hirnstamms und bei der CBD typischerweise ein asymmetrischer Hypometabolismus frontoparietal und im Striatum nachzuweisen ist. Die Sensitivität und Spezifität für diese Methode liegen für die Differenzierung zwischen PD und aPS entsprechend einer jüngeren Übersichtsarbeit bei 91,4% und 90,6%.

Die Durchführung einer kranialen Bildgebung mittels cCT oder cMRT wird laut aktueller S3 Leitlinie ebenso empfohlen um ein sekundäres Parkinsonsyndrom, z.B. auf Grund einer zerebralen Mikroangiopathie oder eines Normaldruckhydrozepahlus, auszuschließen. Zudem gibt die S3 Leitlinie eine „Kann“ Empfehlung für die Differenzierung zwischen PD und aPS. MR-tomographisch können sowohl verschiedene Atrophiemuster als auch weitere strukturelle Veränderungen dargestellt werden, die mit jeweils einer unterschiedlichen Krankheitsentität assoziiert sind. Die Sensitivität und Spezifität für die Differenzierung zwischen iPD und aPS sowie der aPS untereinander wird über mehrere Studien hinweg sehr unterschiedlich angegeben. Eine kürzlich erschienene Metaanalyse gibt die Sensitivität und Spezifität der cMRT für die Diagnose einer PSP mit jeweils über 95 % an. Die Sensitivität für die Differenzierung zwischen MSA und iPD wird mit 36,4%, die Spezifität mit 71,9% angegeben. Eine rezente Studie gibt die cMRT eine Spezifität von 97% und eine Sensitivität mit 75% für die Differenzierung zwischen iPD und CBD.

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Vergleich von cMRT und FDG-PET

Aktuell finden beide Verfahren ihre Anwendung in der klinischen Routine. Um eine optimale diagnostische Sicherheit zu erhalten, geschieht dies häufig auch kombiniert, obschon letztendlich unklar ist, ob die cMRT der FDG-PET nicht unterlegen ist oder ob die beiden Verfahren ggf. einen synergistischen Nutzen bieten. Ein direkter Vergleich beider Verfahren in demselben Patientenkollektiv ist bisher noch nicht erfolgt. Um ggf. unnötige und belastende Doppeluntersuchungen zu vermeiden und einen optimalen, evidenzbasierten Einsatz der Verfahren zu ermöglichen, strebt die vorliegende prospektive, multizentrische Studie einen Vergleich beider Verfahren an identischen Patienten an, um die diagnostische Wertigkeit beider Verfahren und einen evtl.

In der aktuellen S3-Leitlinie wird hierfür die Positronenemissionstomograpie (PET) mit [18F]Fluordesoxyglukose (FDG) als Marker des regionalen zerebralen Glukosestoffwechsels empfohlen. Der Wert der cMRT in der Differenzialdiagnostik von Parkinsonsyndromen hingegen ist weiterhin umstritten. In der S3-Leitlinie wird hier eine „kann“ Empfehlung ausgesprochen mit dem Verweis, das vergleichende Studien aktuell nicht erfolgt sind. Um optimale diagnostische Sicherheit zu erhalten, werden beide Verfahren in der klinischen Routine auch kombiniert eingesetzt, wobei letztendlich unklar ist, ob die cMRT der FDG-PET gleichwertig ist oder ob die Untersuchungen ggf. einen synergistischen Nutzen bieten. Ein Vergleich zwischen der diagnostischen Wertigkeit beider Verfahren, bzw. der Nachweis einer nicht Unterlegenheit der cMRT gegenüber der FDG-PET an identischen Patienten ist bisher nicht erfolgt. Wir streben daher an, multizentrisch, prospektiv Patienten mit dem V.a. ein atypisches Parkinsonsyndrom zu rekrutieren und bei diesen jeweils eine FDG-PET sowie eine cMRT durchzuführen um so die diagnostische Wertigkeit der beiden Verfahren miteinander zu vergleichen bzw. hinsichtlich einer nicht Unterlegenheit der cMRT gegenüber der FDG-PET zu untersuchen. Teilnehmen können alle Patienten bei denen es ein Hinweis auf ein atypisches Parkinsonsyndrom gibt und die sich ambulant oder stationär in der Uniklinik Freiburg oder der Parkinsonklinik Ortenau vorstellen.

Weitere diagnostische Verfahren

  • Nervenwasseruntersuchung
  • Kernspintomographie
  • Kardiovaskuläre Funktionstests: Die Durchführung einer Kipptischuntersuchung hilft, bei Patienten mit Hinweisen auf eine autonome Dysregulation Art und Ausmaß der orthostatischen Hypotonie festzustellen.
  • Da-TSCAN® (123J-Dat-Scan): Bei dieser nuklearmedizinischen Untersuchung wird die Dichte von Dopamintransportern im Gehirn bestimmt. Diese sind bei allen neurodegenerativen Formen des Parkinson-Syndroms (z.B. Parkinson-Erkrankung, atypische Parkinson-Syndrome) vermindert.
  • 18F FDG PET: Bei dieser Form der Positronenemissionstomographie (PET) wird schwach radioaktiv markierter Traubenzucker (18F FDG) eingesetzt, um den Gehirnstoffwechsel darzustellen. In Bereichen, die von einem neurodegenerativen Prozess betroffen sind, ist oft schon früh der Zuckerstoffwechsel reduziert. Verschiedene Formen neurodegenerativer Erkrankungen können so voneinander abgegrenzt werden.
  • MIBG-Szintigraphie: Bei dieser nuklearmedizinischen Untersuchung werden die Aufnahme und Speicherung von Katecholaminen in postganglionären kardialen Neuronen visualisiert. Diese Untersuchung kann durchgeführt werden, um differentialdiagnostisch insbesondere die MSA vom M. Parkinson abzugrenzen. Während die Szintigraphie bei Patienten mit einer MSA meistens einen normalen Befund zeigt, kann bei Patienten mit M.

Therapie von atypischen Parkinson-Syndromen

Die Behandlung von APS ist derzeit rein symptomatisch, da es keine krankheitsmodifizierenden Therapien gibt. Ziel der Behandlung ist es, die Symptome zu lindern und die Lebensqualität der Patienten zu verbessern.

Symptomatische Therapie

Die symptomatische Therapie umfasst in der Regel:

  • Medikamente: Levodopa kann bei einigen Patienten mit MSA-P die hypokinetisch-rigide Symptomatik verbessern. Andere Medikamente können zur Behandlung von Tremor, Rigor, Bradykinese und posturaler Instabilität eingesetzt werden.
  • Physiotherapie: Physiotherapie kann helfen, die Beweglichkeit, Kraft und Koordination zu verbessern.
  • Ergotherapie: Ergotherapie kann helfen, die Selbstständigkeit im Alltag zu erhalten.
  • Logopädie: Logopädie kann helfen, Sprach- und Schluckstörungen zu verbessern.
  • Unterstützende Maßnahmen: Unterstützende Maßnahmen wie psychologische Beratung, Selbsthilfegruppen und soziale Unterstützung können den Patienten und ihren Familien helfen, mit den Herausforderungen der Erkrankung umzugehen.

Spezifische Therapieansätze für einzelne APS

Demenz mit Lewy-Körperchen (DLK)

Die Behandlung der DLK muss kognitive Störungen, neuropsychiatrische Symptome und motorische Defizite gleichermaßen berücksichtigen. Eine besondere Schwierigkeit ist, dass die Levodopa-Medikation die Parkinson-Symptomatik bessern, aber die neuropsychiatrischen Symptome verschlechtern kann. Dopaminagonisten verbieten sich wegen dieser Nebenwirkungen. Die Patienten sind besonders empfindlich gegenüber den Nebenwirkungen von Neuroleptika.

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Multisystematrophie (MSA)

Bei etwa einem Drittel der Patienten kann eine Levodopa-Therapie die hypokinetisch rigide Symptomatik bei MSA-P verbessern. Bisher gibt es keine gut wirksame Behandlung für die Ataxie. Eine symptomatische Therapie der vegetativen Symptome ist empfehlenswert, da diese die Lebensqualität deutlich reduzieren. Zusätzlich sind logo-, ergo- und physiotherapeutische Maßnahmen zum Erhalt der Selbstständigkeit indiziert.

Progressive supranukleäre Blickparese (PSP)

Die Behandlung der PSP ist derzeit rein Symptom-orientiert. Therapeutische Zielsymptome sind die akinetisch-rigide Symptomatik, die okulomotorischen Störungen, neuropsychologische Defizite und eine mitunter auftretende Dystonie sowie Schlafstörungen.

Die einzelnen Atypischen Parkinson-Syndrome im Detail

Demenz mit Lewy-Körperchen (DLK)

Die Demenz mit Lewy-Körperchen (DLK) ist nach der Demenz bei der Alzheimer-Krankheit die zweithäufigste Form der neurodegenerativen Hirnleistungsstörung im Alter. Die Prävalenz in der Bevölkerung über 65 Jahre beträgt etwa 0,4 %. Die Krankheit beginnt zwischen dem 50. und 80. Lebensjahr. Männer sind geringgradig häufiger betroffen als Frauen.

Klinik

Die Erstsymptome bestehen in einer Minderung kognitiver Leistungen mit auffälligen Schwankungen von Episoden schlechter und besserer kognitiver Leistungsfähigkeit. Defizite betreffen das Benennen von Objekten, die Wortflüssigkeit, optisch-räumliche Störungen (zum Beispiel im Uhren-Zeichen-Test) und Exekutivfunktionen. Letzteres ist erkennbar, wenn in einer Situation Aufgaben geplant und gewechselt werden müssen. Im Gegensatz zur Alzheimer-Demenz treten Gedächtnisstörungen bei der DLK zu Krankheitsbeginn meist nicht in Erscheinung.

Häufig sind weiterhin lebhafte, wiederkehrende oder anhaltende optische Halluzinationen, wahnhafte Überzeugungen, Antriebslosigkeit, Depression und Angst. Eine akinetisch-rigide Bewegungsstörung ist oft schon bei der Diagnosestellung vorhanden, entwickelt sich aber fast immer im Verlauf.

Diagnose

Die klinischen Kennzeichen sind fortschreitende Demenz, Schwanken der kognitiven Leistungsfähigkeit, lebhafte optische Sinnestäuschungen und ein Parkinson-Syndrom.

In der Magnetresonanztomographie (MRT) kann eine Atrophie in Caudatum, Putamen und Thalamus gefunden werden. In Abgrenzung zur Alzheimer-Demenz ist der Kortex wenig und insbesondere der mediale Temporallappen nicht atrophiert.

Um die diagnostische Sicherheit der DLK zu verbessern, können in spezialisierten Zentren der Dopamin-Transporter mit der 123I-FP-CIT-Einzelphotonen-Emissionscomputertomographie (SPECT) dargestellt, der zerebrale Glukosestoffwechsel mit der 18F-FDG-Positronen-Emissionstomographie (PET) und die β-Amyloid-Ablagerung mit der entsprechenden PET-Bildgebung gemessen werden. Neben dem dopaminergen Defizit zeigt sich ein charakteristischer Hypometabolismus, vor allem in den okzipitalen Regionen der primären Sehrinde und im visuellen Assoziationskortex. Der mediale Temporallappen und das posteriore Zingulum sind jedoch nicht betroffen. Ablagerung von β-Amyloid ist vorhanden, aber weniger ausgeprägt als bei der Alzheimer-Demenz.

Differenzialdiagnose

Zwei wichtige Differenzialdiagnosen liegen vor: die Alzheimer-Demenz und die PK mit Demenz. Von der Alzheimer-Demenz unterscheidet sich die DLK markant durch geringere und später auftretende Gedächtnisstörungen (Mini-Mental-Status-Examination), stärkere optisch-räumliche Defizite (Uhren-Zeichen-Test), das typische Fluktuieren der kognitiven Leistungen, das vorhandene Parkinson-Syndrom, die oft vorhandene „rapid eye movement“ (REM)-Schlaf-Verhaltensstörung und eine geringe Atrophie des medialen Temporallappens/Hippocampus. Die DLK und die PK mit Demenz bilden ein Spektrum ohne klare klinische oder neuropathologische Grenzen. Zur Unterscheidung wird in der Regel die Reihenfolge der Symptome herangezogen. Sind die kognitiven Einschränkungen mindestens ein Jahr vor den motorischen Symptomen vorhanden, liegt eine DLK vor. Treten Bewegungsstörungen vor oder gleichzeitig mit kognitiven Störungen auf, wird das Krankheitsbild üblicherweise als Parkinson-Krankheit mit Demenz eingeordnet.

Multisystematrophie (MSA)

Die Multisystematrophie (MSA) hat eine Prävalenz von circa 5/100 000. Das mittlere Erkrankungsalter liegt in der sechsten Lebensdekade und die Geschlechterverteilung ist ausgeglichen. Nach durchschnittlich sechs bis zehn Jahren versterben die Patienten meist an Aspiration oder nächtlichem kardio-respiratorischem Arrest.

Bei der Multisystematrophie (MSA) werden je nach Ausprägung der klinischen Symptomatik zwei Typen voneinander unterschieden: der Parkinson-Typ (MSA-P) und der cerebelläre Typ (MSA-C) mit Zeichen einer Kleinhirnfunktionsstörung. Gemeinsames Merkmal beider Typen und zugleich wichtiges Unterscheidungskriterium zum M. Parkinson und zu anderen atypischen Parkinson-Syndromen sind ausgeprägte Störungen des autonomen Nervensystems, welche zum Teil Jahre vor Beginn der Parkinson- bzw. Kleinhirnsymptome auftreten können. Dazu gehören Störungen der Harnblasenfunktion einschließlich Harninkontinenz, erektile Dysfunktion und Zeichen der Kreislaufdysregulation wie die orthostatische Hypotonie. Männer und Frauen sind von der MSA gleichermaßen betroffen. Im Durchschnitt liegt der Erkrankungsbeginn zwischen dem 50. und 60.

Klinik

Die MSA zeigt zwei unterschiedliche Prädominanztypen - entweder herrscht ein Parkinson-Syndrom (MSA-P, in Europa circa 60 % der Fälle) oder eine zerebelläre Symptomatik (MSA-C, circa 40 %) vor. Neben der Bewegungsstörung sind vegetative Symptome, insbesondere Harninkontinenz, erektile Dysfunktion oder orthostatische Hypotension, bei der MSA obligat vorhanden. Eine isolierte autonome Fehlfunktion („pure autonomic failure“, PAF) kann den motorischen Störungen einer MSA vorausgehen.

Das bei der MSA-P im Vordergrund stehende hypokinetisch-rigide Parkinson-Syndrom ist in der Regel weniger asymmetrisch seitenbetont sowie weniger Levodopa-responsiv als bei der PK. Der klassische langsame Pillendreher-Ruhetremor der PK ist bei der MSA selten. Stattdessen findet sich meist ein irregulärer, höherfrequenter Haltetremor.

Bei der MSA-C ist das häufigste Symptom eine Gangataxie mit breitbasigem Gangbild. Daneben zeigen sich oft eine Ataxie der Extremitäten, zerebelläre Okulomotorikstörungen, skandierende Dysarthrie und Intentionstremor.

Weitere MSA-typische, aber nicht bei allen Patienten vorhandene Symptome können bei beiden Prädominanztypen auftreten. Beispielsweise leiden Patienten in fortgeschrittenen Krankheitsstadien häufig an Dysarthrie, inspiratorischem Stridor und Dysphagie. Pyramidenbahnzeichen zeigen sich bei 30-50 % der Patienten mit MSA, aber nicht bei PK-Patienten. Darüber hinaus sind fokale Dystonien und Fehlhaltungen (Antecollis, Pisa-Syndrom, Kontrakturen der Hände/Füße) nicht selten. Viele MSA-Patienten haben nebenbefundlich eine REM-Schlaf-Verhaltensstörung.

Diagnose

Die diagnostischen Kriterien der MSA wurden zuletzt 2008 überarbeitet. Die Diagnose erfordert mindestens ein Symptom der vegetativen Dysfunktion (orthostatische Hypotension, Urininkontinenz, erektile Dysfunktion) mit Ausschluss symptomatischer Ursachen. Weiterhin wird eine sporadische, progrediente Parkinson-Symptomatik (MSA-P) oder Ataxie (MSA-C) sowie mindestens ein weiteres MSA-typisches Symptom oder ein charakteristischer bildgebender Befund gefordert. Atrophie in Putamen, mittlerem Kleinhirnstiel, Pons und Zerebellum zeigt sich im MRT, Hypometabolismus in Putamen, Hirnstamm oder Zerebellum im FDG-PET. Nicht in den diagnostischen Kriterien erfasst, aber dennoch für eine MSA sprechend, sind Signalanomalien in T2-gewichteten MRT-Bildern mit 1,5 Tesla: Eine kreuzförmige Hypointensität in Pons („hot cross bun“-Zeichen) und ein hypointenses Putamen mit hyperintensem Randsaum (Putamen-Randzeichen).

Progressive supranukleäre Blickparese (PSP)

Die progressive supranukleäre Blickparese (PSP) hat eine Prävalenz von circa 5-10/100 000 Personen. Das mittlere Erkrankungsalter liegt bei circa 65 Jahren. Nach durchschnittlich circa acht Jahren versterben die Patienten, häufig an Aspiration bei Dysphagie. Das Geschlechterverhältnis ist weitgehend ausgeglichen.

Bis vor wenigen Jahren wurde unter dem Begriff der progressiven supranukleären Blickparese (PSP) ein ganz bestimmtes Krankheitsbild, gekennzeichnet durch vertikale Blickparese, Parkinson-Symptome, ausgeprägte Sturzneigung, Dysarthrie und Dysphagie verstanden. Inzwischen weiß man jedoch, dass diese Symptomkonstellation, heute nach ihrem Erstbeschreiber auch als Richardson-Syndrom bezeichnet, nur eine von vielen möglichen Erscheinungsformen der PSP ist. In den revidierten Diagnosekriterien der MDS (Movement Disorder Society) wird dieser Vielfalt Rechnung getragen. Symptome aus vier verschiedenen Symptomkategorien - Augenbewegungsstörungen, posturale Instabilität, Akinesie und kognitive Störungen - werden dabei zu sogenannten „Prädominanztypen“ kombiniert. Erkrankungsbeginn und -schwere unterscheiden sich bei den einzelnen Prädominanztypen, wobei die Symptome in einem Alter ab 40 Jahren beginnen.

Klinik

Die klinischen Manifestationen der PSP sind vielfältig. Am häufigsten (circa 40 %) zeigt sich das klassische Richardson-Syndrom mit Levodopa-resistentem akinetisch-rigiden Syndrom der axialen Muskulatur, früh im Krankheitsverlauf auftretender Fallneigung nach hinten und vertikal betonter supranukleärer Blickparese. Während der Patient die Augen nicht willkürlich nach oben oder unten bewegen kann, können die vertikalen Augenbewegungen dennoch über den vestibulo-okulären Reflex (passive Kopfbewegung durch den Untersucher) ausgelöst werden. Typisch ist auch ein Frontalhirnsyndrom mit Antriebsminderung (Apathie) und Störung der Exekutivfunktionen, zum Beispiel positivem Applaus-Zeichen, das die Unfähigkeit, nach dreimaligem Klatschen aufzuhören, beschreibt. Darüber hinaus liegt eine pathologische Luria-Sequenz vor, das heißt, der Patient ist nicht in der Lage, die Abfolge Handkante-Faust-Handfläche mindestens sechs Mal korrekt auszuführen. Auch die Wortflüssigkeit ist mit < 9 S-Wörtern in 60 Sekunden reduziert. Charakteristisch ist weiterhin eine spastische (pseudobulbäre) Sprech- und Schluckstörung.

Nicht selten zeigt sich eine PSP-Pathologie mit zunächst im Vordergrund stehendem, asymmetrischem Levodopa-responsivem Parkinson-Syndrom (PSP-P, circa 20 %), das klinisch nicht von einer PK unterschieden werden kann, bis später eine vertikale supranukleäre Blickparese auftritt. Ein seltenes Syndrom mit plötzlichen und vorübergehenden Gang-Blockaden ohne begleitenden Rigor oder Tremor wird als pure Akinese mit Gang-Freezing (PAGF, < 5 %) bezeichnet und ist sehr typisch für eine zugrundeliegende PSP-Neuropathologie. Mitunter kann zu Beginn der Krankheit ein klinisches Bild entsprechend der verhaltensbetonten (behavioralen) Variante der frontotemporalen Demenz (bvFTD, circa 15 %) oder einer progressiven nichtflüssigen Aphasie (PNFA, circa 5 %) im Vordergrund stehen, die sich klinisch erst von anderen Formen einer frontotemporalen Demenz unterscheiden lassen, wenn okulomotorische Probleme erscheinen. Ebenfalls kann eine PSP-Pathologie klinisch ein kortikobasales Syndrom (CBS, circa 10 %) hervorrufen, das im Kapitel zur CBD beschrieben wird.

Diagnose

Die aktuell gültigen Kriterien der National Institute of Neurological Disorders and Stroke (NINDS) und Society for Progressive Supranuclear Palsy (SPSP) zur Diagnose der PSP beruhen auf dem klinischen Nachweis der Fallneigung sowie der Augenbewegungsstörungen. Sie sind daher sehr sensitiv für das Richardson-Syndrom, aber weniger dafür geeignet, die anderen klinischen PSP-Verlaufsformen zu erkennen. Im MRT kann eine Mittelhirn- und Frontalhirnatrophie nachgewiesen werden. Im Levodopa-Test verbessert sich die Parkinson-Symptomatik in der Regel nur gering. Im Zweifelsfall können nuklearmedizinische Methoden zum Nachweis einer symmetrischen präsynaptischen nigrostriatalen dopaminergen Denervierung (zum Beispiel FP-CIT-SPECT), einer postsynaptischen striatalen Degeneration (beispielsweise IBZM-SPECT), oder eines Hypometabolismus im Frontal- und Mittelhirn (FDG-PET) herangezogen werden, damit die Diagnose geklärt werden kann.

Kortikobasales Syndrom (CBS)

Das Kortikobasale Syndrom (CBS) zeichnet sich durch eine Kombination von kortikalen und basalganglionären Symptomen aus. Zu den kortikalen Symptomen gehören Apraxie, kortikale Sensibilitätsstörungen und das Alien-limb-Phänomen, zu den basalganglionären Symptomen Rigor, Dystonie und Myoklonus. Die Diagnose des CBS wird rein klinisch gestellt, wenn einige diese Symptome gemeinsam vorliegen. Dem klinischen Bild des CBS liegen verschiedene neuropathologische Veränderungen zugrunde. So lassen sich bei einigen Patienten bestimmte Ablagerungen in und Veränderungen von Nervenzellen nachweisen, welche für die sogenannte kortikobasale Degeneration charakteristisch sind. Bei einigen Patienten wiederum zeigen sich Veränderungen, die charakteristisch für die PSP und die Alzheimer-Krankheit sind.

Bedeutung einer frühzeitigen Diagnose

Gerade in der Frühphase der jeweiligen Erkrankungen kann es schwierig sein, die richtige Diagnose zu stellen, sowohl innerhalb der Gruppe der APS als auch in Abgrenzung zum M. Parkinson. Durch Unterstützung in der Diagnosestellung wollen wir dazu beitragen, Betroffene mit APS möglichst frühzeitig zu identifizieren und ihnen dadurch eine zielgerichtete Behandlung zu ermöglichen.

Forschung und Ausblick

Die Forschung hat in den vergangenen Jahrzehnten große Fortschritte gemacht, um die Symptome der Parkinson-Erkrankung zu lindern. In Deutschland und international werden daher neue Therapien erforscht, die an der Ursache der Erkrankung ansetzen. Deutschland gehört zu den international führenden Standorten der Parkinson-Forschung. Es gibt hervorragende regionale und nationale Forschungsnetzwerke. Ihre Organisation und Finanzierung ist den Forschern aber weitgehend selbst überlassen. Daher sind private Initiativen und nichtstaatliche bzw.

Das zunehmend bessere Verständnis der Pathophysiologie bietet neue Ansatzpunkte für eine kausal ausgerichtete Therapie, um das Fortschreiten dieser bisher unheilbaren Krankheiten aufzuhalten.

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