Jedes Jahr entwickeln in Deutschland etwa 400.000 Menschen eine Demenz. Das Deutsche Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen e. V. (DZNE) warnt vor einem kontinuierlichen Anstieg der Betroffenen von derzeit 1,8 Millionen auf bis zu 2,7 Millionen im Jahr 2050 [1]. Viele Menschen sind sich des Zusammenhangs zwischen Diabetes und Demenz nicht bewusst: Menschen mit Diabetes haben ein erhöhtes Risiko, an Demenz zu erkranken. Die Prävention von Diabetes mellitus ist daher eine Investition in die eigene Hirngesundheit.
Risikofaktoren und Prävention
Bislang sind 14 Risikofaktoren für Demenz bekannt, die grundsätzlich modifizierbar sind und durch medizinische Vorsorge sowie gesunde Lebensgewohnheiten teilweise persönlich beeinflusst werden können [4]. Zu diesen Faktoren gehören unter anderem Bluthochdruck, Übergewicht, Seh- und Hörstörungen, Fettstoffwechselstörungen, soziale Isolation - und eben auch Diabetes mellitus.
Die Beseitigung all dieser Risiken könnte etwa 45 % aller Demenzerkrankungen verhindern oder zumindest deutlich hinauszögern. Der Anteil von Diabetes am Demenzrisiko wird auf etwa 2 % geschätzt [4]. Dies bedeutet, dass allein in Deutschland jährlich etwa 8.000 der 400.000 neuen Demenzfälle auf Diabetes zurückzuführen sind.
Professor Dr. Peter Berlit, Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Neurologie, betont: „Die Prävention von Diabetes mellitus ist somit ein Investment in die eigene Hirngesundheit. Wer seinen Lebensstil durch Ernährungsumstellung und viel Bewegung gesundheitsbewusst gestaltet, um Diabetes zu vermeiden, beugt gleichzeitig anderen Erkrankungen und Faktoren vor, die eine Demenz begünstigen, wie z. B. Übergewicht, hohe Blutfettwerte oder Bluthochdruck.“
Wie Diabetes das Gehirn schädigt
Diabetes kann das Gehirn auf verschiedene Weise schädigen:
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- Veränderungen an den Gehirngefäßen: Diabetes führt zu Gefäßverkalkungen.
- Beeinträchtigung des Zucker- und Insulinstoffwechsels im Gehirn.
- Hypoglykämien (Unterzuckerungen): Diese können als Folge einer Diabetestherapie, beispielsweise mit Insulin, auftreten. Auch ein instabiler Blutzucker-Langzeitwert HbA1c ist mit einem höheren Demenzrisiko verbunden [5].
Manche Stoffwechseleigenschaften des Diabetes schädigen das Gehirn direkt, ohne dass der Blutzuckerwert eine Rolle spielt. Bei Diabetes Typ 2 wurde eine Abnahme der Expression von Glukosetransportern (GLUT-1 und GLUT-3) in verschiedenen Hirnregionen beobachtet. Auch die Zunahme von Sauerstoffradikalen sowie mitochondriale Veränderungen könnten im Zusammenhang mit den pathophysiologischen Veränderungen bei Demenz stehen [6].
Moderne Antidiabetika und Demenzrisiko
Moderne Antidiabetika, sogenannte SGLT2-Inhibitoren, wurden bereits daraufhin getestet, ob sie das Demenzrisiko bei Menschen mit Diabetes senken können. Eine aktuelle koreanische Studie gibt hier Hoffnung, da die medikamentöse Intervention das Risiko um 21 % reduzierte [7].
Ein weiterer demenzfördernder Effekt hängt mit dem Insulinstoffwechsel im Gehirn zusammen, wo es zu einer Art Insulinresistenz der Hirnzellen kommen kann. Dies wirkt sich negativ auf die Abbauvorgänge der Eiweißstoffe aus. Einige Forschergruppen sprechen daher bei der Alzheimer-Demenz von einem „Diabetes Typ 3“ [8].
Der Teufelskreis: Demenz erschwert Diabetesbehandlung
Der Zusammenhang zwischen Diabetes und Demenz hat auch eine umgekehrte Komponente: Eine beginnende Demenz kann sich negativ auf die Diabetesbehandlung auswirken, da die Betroffenen ihre Therapie und ihre Lebensstilfaktoren schlechter handhaben können [9].
Prof. Yaffe konnte in ihrer Arbeit eine Wechselwirkung aufzeigen: Auf der einen Seite scheint ein niedriger Blutzuckerspiegel, der durch Diabetes hervorgerufen wird, das Demenzrisiko zu vergrößern. Auf der anderen Seite können eine leichte kognitive Beeinträchtigung oder eine Demenz das Risiko eines niedrigen Blutzuckerspiegels erhöhen.
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„Ältere Diabetes-Patienten können in einen Teufelskreis geraten, in dem eine mangelnde Kontrolle des Blutzuckerspiegels möglicherweise zu kognitiven Beeinträchtigungen führt, welche in eine noch schlechtere Blutzucker-Kontrolle münden“, sagt Prof. Yaffe.
Ihre Ergebnisse stützen sich auf Daten von Probanden, die im Rahmen der „Health, Aging and Body Composition study“ (Health ABC) in Memphis und Pittsburgh erhoben wurden. Die über 3.000 Teilnehmer waren bei Studienbeginn 1997 im Alter zwischen 70 und 79 Jahren. Die Probanden wurden in den Folgejahren regelmäßig hinsichtlich sämtlicher Parameter untersucht - darunter auch der Blutzuckerspiegel und die geistige Leistungsfähigkeit.
Prof. Yaffe filterte mit ihren Kollegen die Probanden heraus, die entweder bereits zu Beginn der Studie oder in deren Verlauf an Diabetes erkrankt waren. Die Ergebnisse dieser Studienteilnehmer zeigten, dass sie bei Gedächtnistests schlechter abgeschnitten hatten als Probanden ohne Diabetes. Zusätzlich hatten Diabetes-Patienten, die ihren Blutzuckerspiegel nur unregelmäßig kontrollierten, in den Gedächtnistests schlechtere Ergebnisse als Diabetes-Patienten mit einer guten Kontrolle ihrer Werte.
„Demenz-Patienten oder auch solche mit einer leichten kognitiven Beeinträchtigung sind oftmals nicht mehr in der Lage, ihre Diabetes-Erkrankung zu kontrollieren bzw. die Symptome eines zu niedrigen Blutzuckerspiegels überhaupt zu erkennen und darauf angemessen zu reagieren“, erklärt Prof. Yaffe. Der behandelnde Arzt müsse bei einer Diabetes-Therapie auch die geistige Leistungsfähigkeit des Patienten im Blick haben, erläutert Prof. Yaffe. Darüber hinaus seien auch Medikamente, die einen niedrigen Blutzuckerspiegel als Nebenwirkung haben können, möglicherweise bei älteren Menschen ungeeignet.
Prävention als wichtigste Säule
Dennoch bleibt die Prävention die wichtigste Säule im Kampf gegen Demenzerkrankungen. „Diabetes-Prävention ist weitgehend auch Demenz-Prävention“, so Prof. Dr. Frank Erbguth, Präsident der Deutschen Hirnstiftung. Die Deutsche Diabetes Stiftung hat elf Präventionsmaßnahmen [10] zusammengetragen, die von der Deutschen Hirnstiftung unterstützt werden. Diese Maßnahmen decken sich weitgehend mit den Empfehlungen zum Erhalt der Gehirngesundheit bis ins hohe Alter.
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Zusätzlich zur Diabetes-Prävention empfiehlt die Deutsche Hirnstiftung soziale Interaktionen und Aktivitäten, die das Gehirn fördern und fordern, wie z. B. das Erlernen einer Fremdsprache, eines Musikinstruments oder komplexer Schrittfolgen beim Tanzen.
Antidiabetika und Demenzrisiko: Weitere Forschungsergebnisse
Eine Untersuchung des DZNE, basierend auf Datensätzen der Krankenkasse AOK aus den Jahren 2004 bis 2010, bestätigte, dass Menschen mit Diabetes grundsätzlich ein erhöhtes Demenzrisiko aufweisen. Die Analyse zeigte auch, dass die Behandlung mit Pioglitazon, einem Antidiabetikum, das die Wirkung des körpereigenen Insulins unterstützt, einen positiven Nebeneffekt hatte: Sie konnte das Risiko einer Demenz wesentlich verringern. Am deutlichsten sank das Risiko, wenn Pioglitazon mindestens zwei Jahre verabreicht wurde. Statistisch gesehen erkrankten die so behandelten Diabetiker sogar weniger häufig an Demenz als Menschen ohne Diabetes. Das Erkrankungsrisiko war um 47 Prozent geringer als bei Nicht-Diabetikern, also etwa nur halb so groß.
Das Forschungsteam untersuchte auch, wie andere häufig verschriebene Antidiabetika sich auf das Demenzrisiko auswirkten. Es zeigte sich, dass eine Behandlung mit Metformin das Gefährdungspotenzial ebenfalls herabsetzte.
Der Neurowissenschaftler Michael Heneka vom DZNE sieht in diesen Ergebnissen keine Überraschung, da Laboruntersuchungen schon länger darauf hindeuten, dass Pioglitazon die Hirnzellen schützt. Pioglitazon kann vom Blut ins Gehirn gelangen, wirkt entzündungshemmend und hemmt die Ablagerung schädlicher Eiweiße. Es blockiert das Enzym Beta-Sekretase, das an der Entstehung solcher Eiweiß-Ablagerungen beteiligt ist.
Heneka vermutet, dass Pioglitazon im Rahmen einer Diabetes-Behandlung gezielt zur Demenzprävention eingesetzt werden könnte, insbesondere bei Patienten ohne Demenzsymptome. Offen bleibt jedoch, ob die Schutzfunktion nur für Patienten mit Diabetes gilt oder auch bei Nicht-Diabetikern auftreten würde. Klinische Studien zur Wirkung von Antidiabetika auf Demenzerkrankungen haben sich bisher auf Patienten mit bereits ausgebrochener Demenz konzentriert. Studien zur Prävention sind gerade erst angelaufen.
Diabetes-Management im Alltag mit Demenz
Die Komplexität des Diabetes-Managements kann für Menschen mit Demenz eine große Herausforderung darstellen. Antje Holst, Expertin beim Kompetenzzentrum Demenz Schleswig-Holstein und Angehörige eines Demenzkranken mit Diabetes, berichtet von den Schwierigkeiten, die auftreten, wenn Betroffene nicht mehr in der Lage sind, ihre Erkrankung selbstständig zu kontrollieren.
Jessica Gerling, Alltagsbegleiterin, erzählt von der Unterzuckerung ihrer demenzkranken Mutter an Heiligabend, trotz der Unterstützung durch einen Pflegedienst. Solche Erfahrungen verdeutlichen die Notwendigkeit einer individuellen Anpassung der Therapie und einer engen Zusammenarbeit zwischen Angehörigen, Pflegekräften und Ärzten.
Altersmediziner Andrej Zeyfang betont, dass Insulin zwar ein wichtiges Medikament in der Diabetes-Therapie ist, aber auch das höchste Risiko für Unterzuckerungen birgt. Da Demenzkranke die Symptome einer Unterzuckerung oft nicht deuten und dementsprechend nicht darauf reagieren können, ist eine stabile Einstellung des Diabetes besonders wichtig, um starke Blutzuckerschwankungen und Unterzuckerungen zu vermeiden.
Tipps für den Umgang mit Diabetes und Demenz im Alltag:
- Regelmäßige Blutzuckerkontrollen: Sprechen Sie mit dem Arzt ab, in welchem Abstand Blutzuckertests sinnvoll sind.
- Anpassung der Therapie: Das Essverhalten ändert sich häufig bei Menschen mit einer fortgeschrittenen Demenz. Umso wichtiger ist es, die Therapie auf die Patientin oder den Patienten zuzuschneiden.
- Vermeidung von Unterzuckerungen: Unterzucker kann dem Gehirn schaden. Ziel der Therapie ist es, nicht nur Blutzuckerschwankungen, sondern auch zu niedrige Blutzuckerwerte zu vermeiden.
- Sichere Umgebung: Das Sturzrisiko ist bei Unterzucker erhöht. Um das Risiko eines Knochenbruchs zu senken, kann eine Hüftschutzhose sinnvoll sein.
- Flüssigkeitszufuhr: Flüssigkeitsmangel kann zu Verwirrungszuständen führen. Stellen Sie den Betroffenen immer eine ausreichende Menge an Getränken bereit.
- Therapietreue: Erinnern Sie die Betroffenen regelmäßig an die Einnahme ihrer Medikamente.
- Aufgaben abgeben: Ziehen Sie ambulante Pflegekräfte oder andere Unterstützungsmöglichkeiten in Betracht, um die Kontrolle der Diabetes-Erkrankung an andere abzugeben.
- Austausch mit anderen Betroffenen: Der Besuch einer Angehörigengruppe für Demenz kann helfen, mit den Herausforderungen des Alltags besser umzugehen.
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