Die Nerven, gegründet 2010 in Esslingen und heute in Stuttgart und Berlin ansässig, haben sich als eine der wichtigsten und besten Live-Bands Deutschlands etabliert. Ihr Sound, eine kraftvolle Mischung aus Post-Punk und Noise-Rock, gepaart mit gesellschaftskritischen Texten, hat ihnen sowohl in der Underground-Szene als auch im Feuilleton Anerkennung eingebracht.
Frühe Jahre und stilprägende Einflüsse
Die Band, bestehend aus Kevin Kuhn, Julian Knoth und Max Rieger, begann als Lo-Fi-Projekt und entwickelte sich schnell zu einem einflussreichen Trio. Nach einer Flut von digitalen Veröffentlichungen erschien 2012 ihr Debütalbum "Fluidum" auf Fin Du Monde/This Charming Man Records, gefolgt von "Fun" im Jahr 2014, das von Jan Wigger (Spiegel Online) als "eine der wichtigsten und besten deutschsprachigen Platten dieses Jahrzehnts" bezeichnet wurde.
Stets glaubwürdig und dem Underground verbunden, spielten sich Die Nerven durch Clubs und Festivals wie Roskilde, Melt!, Appletree Garden, Sziget und Eurosonic. Sie unternahmen eine Israel-Tour und veröffentlichten als erste deutschsprachige Band auf dem stilprägenden US-amerikanischen Label Amphetamine Reptile Records.
Der Durchbruch und die Weiterentwicklung
2015 veröffentlichten sie ihr drittes Album "Out" (Glitterhouse Records) und tourten ausgiebig über die Grenzen Deutschlands hinaus, was im Juni 2017 zu ihrer ersten Live-Platte "Live in Europa" führte. "Fake", mit Platz 13 ein Chart-Erfolg für die Band, markierte spätestens den Durchbruch.
Die Band hat sich kontinuierlich weiterentwickelt, weg vom rohen Lärm hin zu strukturierten Popsongs mit einem Sound irgendwo zwischen Post-Punk und New Wave. Auf ihrem fünften regulären Studioalbum verfeinern Max Rieger, Bassist und Sänger Julian Knoth und Schlagzeuger Kevin Kuhn ihren schon immer von Feedback und Hall dominierten Sound zu ihrer ganz eigenen Wall Of Sound.
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"Wir waren hier": Ein Album über die Schande der Verschwendung und Vergiftung der Welt
Ihr sechstes Album, "Wir waren hier", das im September 2024 erschien, setzt sich mit der Schande der Verschwendung und der rücksichtslosen Vergiftung der Welt auseinander. „Wir haben uns verewigt in den Rissen der Welt“, heißt es im Titelstück des Albums über einer glühenden Gitarrenwand: „Wir waren hier / Wir waren hier / Keine Pflanze, kein Tier war so wertvoll wie wir / Nach uns kommt die Sintflut / Wir fressen vorher alles auf“. Moralisieren wollen sie dennoch nicht: „Es gibt kein richtiges Leben im falschen“, sagt die Band. Es sei ohnehin für einen Menschen unmöglich, alles richtig zu machen. Was aber möglich ist - das ist, dass man sich von der verzweifelten Gesamtsituation den Blick nicht vernebeln lässt auf das, was in dieser Welt an Schönheit noch bleibt.
Die neuen Songs haben Die Nerven in einer vierwöchigen Session in einem ehemaligen Sterne-Restaurant am Stuttgarter Schlossgarten mit Blick auf die Oper geschrieben. „Wir waren wieder alle gemeinsam in einem Raum, und plötzlich ging alles wieder wie von alleine“, sagt die Band „es haben sich wie von selber Leitmotive gebildet, die alle Songs miteinander verbinden“. Und so nah wie auf „WIR WAREN HIER“ sind DIE NERVEN noch auf keinem Studioalbum der Aura ihrer Live-Auftritte gekommen - der musikalischen Spontanität ihres Zusammenspiels auf der Bühne, dem Stop-and-Go ihrer Improvisationen, der Lust an der gegenseitigen Überraschung, und schließlich: der kollektiven Entäußerung in die Katharsis.
Die Bedeutung von Freundschaft und Katharsis
"WIR WAREN HIER" ist aber jedenfalls nicht nur ein Album über das, was bleibt, wenn die Menschheit verschwunden ist. Es ist auch ein Album mit einer Musik, die Verschwinden als Glück zu begreifen und zu beschreiben vermag: das Glück, das man empfindet, wenn man an Orte zu verschwinden versteht, an denen die Hässlichkeit der Realität wenigstens für einen Moment aufgehoben ist: in Schönheit. Solche Orte sind zum Beispiel die Orte der Freundschaft.
Die Musik der Nerven ist immer noch zornig, laut, dramatisch, vielleicht könnte man auch sagen: nihilistisch. Aber es handelt sich um einen reiferen Nihilismus, als man ihn von den Nerven bislang kannte. In ihrer Musik fliegt man immer noch über Halden voll Schrott, über dürre Heiden, wüste Länder und öde Städte. Aber es schillern nun auch schöne Klangtupfer über der Szene wie von den letzten Sonnenstrahlen vor einer ewigen Nacht oder von einem bunt schillernden Ölfilm auf einer verdreckten See.
Einflüsse und Nebenprojekte
Die Nerven sind nicht nur als Band aktiv, sondern auch in verschiedenen Nebenprojekten. Kevin Kuhn, einer der melodischsten und eigenständigsten Schlagzeuger der Gegenwart, trommelt auch bei Gordon Raphael und Wolf Mountains. Julian Knoth legt mit dem Peter Muffin Trio und Yum Yum Club beindruckende, wuchtige und der Avantgarde nahe Platten vor. Max Rieger (u.a. All diese Gewalt) produziert sich mit Casper, Drangsal, Die Selektion, Friends Of Gas, Ilgen-Nur, Jungstötter, Stella Sommer etc. an die Spitze der deutschen Musikindustrie jenseits vorhersehbarer Plastikwerke.
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Das selbstbetitelte "schwarze Album"
Das selbstbetitelte fünfte Album, auch als "schwarzes Album" bekannt, erschien 2022 bei Glitterhouse Records und stieg auf Platz 17 der Top 100 Albumcharts ein. Die erste Singleauskopplung "Europa" wurde live im TV im ZDF Magazin Royale präsentiert. Auf die Frage, ob Die Nerven eine Punkband seien, antwortete Frontmann Max Rieger mal: "Das hat nichts mit einem Musikstil zu tun. Und auch nicht mit Dosenbier“.
Die zehn Songs des Schwarzen Albums von Die Nerven sind Play-it-out-loud-Stücke, die einem vorkommen, als seien sie brandaktuelle Statements zu der Welt des Oktobers 2022, in der die Corona-Krise gerade den nächsten Anlauf zu nehmen scheint, in der einen wieder täglich Nachrichten von gesunkenen Flüchtlingsbooten erreichen und in der Putins Angriffskrieg auf die Ukraine alle Sicherheiten erschüttert hat.
Live-Erlebnisse und das Album "Live im Elfenbeinturm"
Wer Die Nerven sagt, muss auch „eine der besten Livebands Deutschlands“ sagen. Er erscheint jedenfalls kaum ein Text über die Band, die vor 15 Jahren in Esslingen gegründet wurde, in dem nicht darauf hingewiesen wird, welche grandiose Wucht Julian Knoth, Max Rieger und Kevin Kuhn auf der Bühne entwickeln, welche Energie ihre Auftritte haben.
Die Nerven kündigen das Album „Live im Elfenbeinturm“ an - versprechen ein intensives Doppel-Album, das die Magie ihrer „Auf der Flucht vor der Wirklichkeit“-Tour einfangen soll - „roh, direkt und emotional aufgeladen“, heißt es in der Ankündigung. Die Aufnahmen stammen aus neun Städten. 16 Songs aus den letzten drei Studioalben (plus zwei Rückgriffe auf „Fun“) bilden „eine krachende Retrospektive - nicht als bloße Dokumentation, sondern als künstlerische Neuinterpretation“, heißt es in dem Pressetext: „Zwischen eruptivem Noise und fragiler Stille entfaltet sich ein dynamisches Live-Set, das Vergangenheit und Gegenwart miteinander verwebt. Ein Live-Album, das kein Abbild, sondern eine Einladung ist: zum Nachspüren, Erinnern und Erleben - irgendwo zwischen Jetzt und Eben.“
Fazit
Die Nerven sind eine Band, die sich nicht auf ihren Lorbeeren ausruht, sondern sich kontinuierlich weiterentwickelt und dabei ihren Wurzeln treu bleibt. Ihre Musik ist ein Spiegelbild der Gesellschaft, kritisch, düster, aber auch voller Hoffnung und Schönheit. Mit ihrem neuen Album "Wir waren hier" setzen sie ein weiteres Ausrufezeichen in der deutschen Musiklandschaft und beweisen, dass sie zu den wichtigsten und relevantesten Bands des Landes gehören.
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