Die Nerven: Eine kritische Auseinandersetzung mit dem neuen Album

Die Nerven, ein Trio, das sich seit 2010 in der deutschen Musikszene etabliert hat, veröffentlichten kürzlich ihr neues, selbstbetiteltes Album, auch bekannt als das "schwarze Album". Nach vier Jahren seit ihrer letzten Veröffentlichung, "Fake", war die Erwartungshaltung hoch. "Fake" markierte damals einen Wendepunkt in ihrer Karriere, indem es ihre musikalische Komfortzone verließ und ihre Popularität über die üblichen Szenegrenzen hinaus steigerte. Gitarrist und Sänger Max Rieger war in der Zwischenzeit als Produzent für verschiedene Künstler tätig, darunter Ilgen-Nur, Drangsal und Casper, was eine deutliche Abweichung vom Sound seiner eigenen Band darstellt.

Musikalische Entwicklung und Sound

Die Nerven setzen mit dem "schwarzen Album" ihren eingeschlagenen Weg konsequent fort. Sie entfernen sich weiter vom rohen Lärm ihrer Anfangstage und nähern sich strukturierten Popsongs an, die einen Sound zwischen Post-Punk und New Wave aufweisen. Obwohl sie nie eine Band für Punk-Puristen waren, hat ihre Musik im Jahr 2022 kaum noch Berührungspunkte mit diesem Genre. Trotz der Entwicklung ist der Sound weiterhin vertraut und unverkennbar Die Nerven. Auf ihrem fünften Studioalbum verfeinern Max Rieger, Bassist und Sänger Julian Knoth und Schlagzeuger Kevin Kuhn ihren Sound, der schon immer von Feedback und Hall dominiert war, zu einer eigenen Wall Of Sound. Rieger übernahm erstmals auch die Produktion und das Mixing, was zu einem noch saubereren und gleichzeitig flächigeren Klang geführt hat.

Banddynamik und Gesang

Entgegen der Befürchtung, dass Riegers zusätzlicher Einfluss als Produzent ein Ungleichgewicht in der Band verursachen könnte, klingt das "schwarze Album" mehr denn je nach einer vereinten Band mit zwei sich ergänzenden Sängern. Erstmals singen Julian Knoth und Max Rieger gemeinsam auf mehreren Songs, was ihren Klangkosmos bereichert und einigen Songs zusätzliche Dynamik verleiht.

Thematische Auseinandersetzung und Texte

Die Nerven erzählen zwar keine zusammenhängenden Geschichten, schaffen es aber, mit Slogans und Schlaglichtern in kürzester Zeit eine Stimmung zu erzeugen. Auf dem "schwarzen Album" ist diese Stimmung besonders düster. Sie zeichnen keine dramatischen Bilder, sondern fangen das Leben der vergangenen Jahre mit allen Verunsicherungen, wegbrechenden Zukunftsperspektiven und Beklemmungen nüchtern ein. Eine Zeile wie "Und ich dachte irgendwie / in Europa stirbt man nie" bringt die Zweifel an der Idee von dauerhaftem Frieden und Wohlstand in Europa auf den Punkt. Ähnlich eindrücklich ist es, wenn Rieger in "Keine Bewegung" gegen eine Gitarrenwand ansingt: "Ich könnte überall hingehen, aber kann mich nicht bewegen." Über dem Album schwebt ein Gefühl von Machtlosigkeit gegenüber politischen Entscheidungen, Algorithmen oder der Marktlogik.

Humor und Empathie

Auch wenn das "schwarze Album" tatsächlich ziemlich dunkel ist, gibt es auch Momente, die ein wenig Humor zulassen. "Ein Influencer weint sich in den Schlaf" ist allein durch seinen Titel schon schräg und könnte mit seiner Mischung aus Situationskomik und tragischem Inhalt auch ein guter Soundtrack für ein Sibylle-Berg-Stück sein. Die Band verheddert sich nicht in Sarkasmus oder Social-Media-Kritik, sondern begegnet dem Wahnsinn der digitalen Verwertungsmaschinerie im Angesicht einer auseinanderfallenden Welt mit Empathie. Wenn Rieger mantraartig "Es muss weitergehen" singt, klingt das weder ermutigend noch hämisch, sondern einfach ziemlich traurig.

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Musikalische Experimente und Produktion

Musikalisch fällt der Song "Ein Influencer weint sich in den Schlaf" mit seinem großzügigen Streicherarrangement aus dem Rahmen und ist die erste richtige Ballade im Schaffen der Band. Hier zahlt sich die flächige Produktion voll aus und gibt dem Song etwas Monumentales, ohne in Kitsch oder Pathos zu verfallen. An anderen Stellen bewirken Produktion und Mix allerdings, dass gerade die härteren, schnelleren Songs nicht so richtig roh oder kraftvoll klingen.

Fazit

"Die Nerven" ist weder textlich noch musikalisch leichte Kost, aber eine stringente musikalische Weiterentwicklung und eine kompromisslose Darstellung der aktuellen, westeuropäischen Lebensrealität irgendwo zwischen Überforderung, Reizüberflutung und Lähmung.

"Wir waren hier": Das sechste Album im Fokus

Das sechste Album, "Wir waren hier", setzt thematisch und musikalisch den eingeschlagenen Weg fort. Die Texte kreisen um Angst, Entfremdung und den Abschied von der Jugend. Die Musik erzeugt eine massive Klangwand, die den Hörer unmittelbar in ihren Bann zieht.

Inhaltliche Schwerpunkte

Die Songs auf "Wir waren hier" handeln von der Brüchigkeit des Ichs, dem Weltschmerz und dem Gefühl, nicht mehr funktionieren zu wollen. Sie bieten dem Hörer Bestätigung und Erbauung, ohne in Authentizitätsversprechen zurückzufallen.

Musikalische Einflüsse und Stil

Obwohl sich die Band gegen die Bezeichnung "Postpunk" wehrt, lassen sich Einflüsse dieses Genres nicht leugnen. Die Musik erinnert an Bands wie Fehlfarben, die ebenfalls Gefühle wie Entfremdung und Angst thematisierten.

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Live-Erlebnis

Die Nerven sind bekannt für ihre energiegeladenen Live-Auftritte. Im November 2024 sind Konzerte in Hannover und Berlin geplant.

Das "schwarze Album" (2022) im Detail

Das selbstbetitelte, schwarze Album von Die Nerven wurde am 7. Oktober veröffentlicht und kuratiert Realität, arrangiert Gitarrenmelodien und drapiert Botschaften zwischen den Zeilen.

Gegenwind und politische Botschaften

Die ersten beiden Tracks, "Europa" und "Ich sterbe jeden Tag in Deutschland", sind politisch aufgeladen und thematisieren die Krisen und Zustände in Europa. Die Nerven verzichten jedoch auf eine bedeutungsschwangere Agenda und pflocken stattdessen Nadeln aus Zeitgeist in die genannten Landkartenumrisse.

Keine Bewegung und die kuratierte Realität

"Keine Bewegung" thematisiert den rasenden Stillstand der Gegenwart, persönliche Unsicherheiten und die Schnelllebigkeit der Gesellschaft. Die Lyrics winden sich durch die Unsicherheiten, Unbeständigkeit, unsichtbare Wände und Grenzen. Es geht um Ansprüche und Hürden, Ausgebranntsein und Leistungsgesellschaft, Beschleunigung und Entfremdung.

Drehtür des Lebens und musikalische Vielfalt

"Ganz egal" rappelt am frischen Punkgefühl und lässt Gitarren flirren. "Ein Influencer weint sich in den Schlaf" gleitet auf Streicherschlieren und thematisiert den Zeitgeist. "Der Erde gleich" pinselt einen musikalischen Sonnenuntergang aus warmen Melodien. "15 Sekunden" entlädt sich in Ekstase und Gitarrenüberfluss. "Ein Tag" schillert mit neuen Lichtern und Irritationen am Klanghimmel. "180°" endet mit einem hauchenden Pianosäuseln.

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Die letzte Rockband Europas

Die Nerven sind ein Trio, das die wabernden Postpunkwellen schlägt, die in den letzten Jahren über den deutschsprachigen Raum schwappen. Ihr fünftes Studioalbum ist die frische Schaumkrone auf dem Meer.

Kritische Stimmen und Kontroversen

Die Nerven polarisieren. Während einige Kritiker die Band als die wichtigste, klügste und beste Rockband des Landes bezeichnen, sehen andere in ihren Werken lediglich B-Seiten oder Solobemühungen der Bandmitglieder.

"Wir Waren Hier" im Detail

"Wir Waren Hier" beginnt kompromisslos und erzeugt ein ungutes Gefühl. Max's Gitarre dient als wogende Wellenwand, während Sänger Knoth und Kuhn den Song tragen. "Das Glas Zerbricht Und Ich Gleich Mit" übernimmt Max Rieger am Mikrofon und thematisiert Zweifel. Knoth begeht danach "Grosse Taten" und erzählt von einem veränderungsunwilligen Laberkopf. "Wie Man Es Nennt" gibt dem Song eine faszinierende Stringenz. "Achtzehn" zeigt die Songwriter-Kapazitäten der Band. "Bis Ans Meer" flieht vor sich selbst ans Meer. "Ich Will Nicht Mehr Funktionieren" stellt Kevin Kuhn in den Vordergrund. "Schritt Für Schritt Zurück" nähert sich dem Pop, ohne den eigenen Charakter einzubüßen. "Disruption" macht den Sack zu und zeigt, wie at ease man nach mehreren Hördurchgängen ist.

Entstehungsprozess und Thematik von "Wir Waren Hier"

Die Band wagte sich für ihre neue Platte für vier Wochen zurück nach Stuttgart. Gegenüber der Oper nahmen sie 2023 im holzgetäfelten Gastraum eines ehemaligen Sterne-Restaurants, der Zirbelstubel, die kreativen Arbeiten für ihr sechstes Album auf. Thematisch dreht sich das Album um das fragile Zusammenspiel von Mensch und Natur, handelt von der Tatsache, dass sich beides grausam und wunderschön präsentieren kann.

Die Entwicklung der Bandmitglieder

Besonders Julian Knoth hat im Verlauf der letzten beiden Platten eine enorme Entwicklung seiner Performance hingelegt, singt jeden seiner Parts, als sei es sein letzter, und transportiert eine einzigartige Aufrichtigkeit, die tief berührt. Auch Kevin Kuhn findet seine Momente und weiß genau, wann er mit den Drums etwas an der Stimmung drehen, sie sublimieren oder eskalieren lassen kann. Max Rieger spielt von Melancholie durchtränkte Gitarrenmelodien, die sofort den Raum verdunkeln und leicht den Hals zudrücken.

Das "schwarze Album" als Wendepunkt

Mit ihrer letzten, titellosen Platte hatten sich DIE NERVEN bewiesen, dass sie konzentriert und akzentuiert komponieren und aufnehmen können. Dieses Mal fokussieren sie sich auf die Schwingungen innerhalb der Band. Alle drei Musiker sind gereift und scheinen blind zu wissen, wie man diese einmaligen DIE-NERVEN-Hits schreibt.

Konsequenz und Kompromisslosigkeit

Das "schwarze Album" der Band ist schlagkräftig, weil es keine Kompromisse kennt. Wenn es Akustikgitarren oder Streicher braucht, dann kriegt es sie. Wenn es einem Tempowandel bedarf, dann kriegt es einen solchen und aus Rock wird kurzerhand Punk. Wenn sich eine Zeile nach großer Melodie sehnt, dann bekommt sie diese - ganz ohne lästigen Ohrkleber. Und wenn der Sound eben nach Rototoms verlangt, dann bekommt er diese Portion Retro.

Die Nerven auf dem Gipfel ihrer Entwicklung

Mit dem "schwarzen Album" erreichen Die Nerven einen vorläufigen Höhepunkt ihrer Entwicklung. Die Umtriebigkeit der drei Bandmitglieder zahlt sich aus. Kuhns Lernkurve vom Arne Zank des Noiserock zum hochmusikalischen Drummer ist ebenso steil wie Riegers Expertise groß, den Sound von Die Nerven perfekt einzufangen, während Knoth inzwischen noch genauer weiß, wann er seinen Bass durchs Effektpedal jagen muss. Das alles kulminiert in einem Album ohne einen schlechten Song.

Europa und die bröckelnde Idee

"Europa" ist einer der Songs des Jahres. Im Text artikuliert sich das Erstaunen darüber, dass es ernsthaft Leute gibt, die an dieser grandiosen Idee zweifeln, als auch die Angst davor, dass es damit bald zu Ende sein könnte.

Ich sterbe jeden Tag in Deutschland und die Abarbeitung an einem Land

"Ich sterbe jeden Tag in Deutschland" reiht sich ein auf der Liste der großen Abarbeitungen an einem Land, das für die dunkelste Stunde der Menschheit verantwortlich ist.

Musikalische Vielfalt und Zeitgeistigkeit

Musikalisch fährt "Die Nerven" groß auf: "Der Erde gleich" punktet durch Tempowechsel, bei "Ein Influencer weint sich in den Schlaf" und "180º" kommen Streicher ins Spiel, "Ich sterbe jeden Tag in Deutschland" endet mit einem Feuerwerk, während Kuhn in seinen Fills klingt, als hätte er das aktuelle Kvelertak-Album in Dauerrotation gehört und wäre nicht Drummer einer Post-Punk-Band, die den Noise-Anteil in ihrer Musik deutlich reduziert hat.

Umstürzlerische Kraft und Zeitgeist

Das Bemerkenswerte an "Die Nerven" ist, dass das Album bei aller Zeitgeistigkeit an die umstürzlerische Kraft von Gitarre, Bass und Schlagzeug glaubt.

"Wir waren hier": Eskapismus und Angst

"Auf der Flucht vor der Wirklichkeit ist mir kein Weg zu weit." Das sechste Album von Die Nerven treibt mehr als nur Eskapismus an. Die Angst ist allgegenwärtig und kriecht aus den Instrumenten und dem Gesang.

Lieder vom Ende der Welt

Die Nerven singen Lieder vom Ende der Welt, von der arroganten Selbstabschaffung der Menschheit.

Musikalische Parallelen und Einflüsse

"Das Glas zerbricht und ich gleich mit" beantwortet die Frage, was passiert, wenn Shoegaze Paranoia und Fluchtreflexe entwickeln würde.

Fatalismus und Selbstsabotage

"Wir nehmen die letzten Stunden fette Jahre gerne mit." Sechs Songs lang ist "Wir waren hier" ihre beste Platte.

Resümee und Ausblick

"Ich will nicht mehr funktionieren" funktioniert als eine dieser energischen Hymnen, die sie im Schlaf in hoher Qualität aus dem Ärmel schütteln können. "Ich steige aus der Unterwelt / Lockere den Druck, der mich zu ersticken droht / Frei sein ist so ungewohnt." Voller und voller wird der Sound, bis tatsächlich die beschriebene Lockerung durch verglühendes Feedback eintritt. Die folgende Stille macht es unmissverständlich deutlich: Sie waren hier.

Die Nerven: Postpunk und Noise-Rock über die Risse dieser Welt

Die Nerven sind zurück mit dystopischen Texten und düsterem Sound. Sie sind die derzeit wichtigste, klügste, beste Rockband des Landes.

Die Risse dieser Welt

"Wir haben uns verewigt in den Rissen der Welt."

Verzweiflung und Eindringlichkeit

Wenn die beiden Nerven-Sänger Max Rieger und Julian Knoth in Tracks wie "Bis ans Meer" irgendwann nur noch brüllen, stellen sich unweigerlich die Nackenhaare aufrecht angesichts von so viel eindringlicher Verzweiflung.

Die neue Platte als Erlebnis

"Das Album sollte aus allen Nähten platzen, auch wenn es auf Zimmerlautstärke abgespielt wird." Die neuen Songs hat das Trio in einer vierwöchigen Session in einem ehemaligen Sterne-Restaurant am Stuttgarter Schlossgarten mit Blick auf die Oper geschrieben. "Wir waren wieder alle gemeinsam in einem Raum, und plötzlich ging alles wieder wie von alleine. „Es ist das erste Album, das wir machen, das sich nicht so anfühlt wie unser letztes Album“, teilt die Band mit.

Ein Meisterwerk in Folge

"Wir waren hier" ist ihr drittes Meisterwerk in Folge nach "Fake" (2018) und "Die Nerven" (2022).

Hoffnungslosigkeit als aktivierendes Potenzial

Die Nerven machen Musik, die zwar nicht hoffnungslos ist, dafür aber bockig, zynisch, nihilistisch - hoffnungskritisch, könnte man sagen.

Musikalische Wucht und Balance

Musikalisch ist nach wie vor beeindruckend, wie Die Nerven allein mit Gitarre, Bass und Schlagzeug einen derartigen Wumms erzeugen. Es ist der alte Nerven-Trick: die Balance zwischen dem Gitarrenpathos ihrer Musik und dem latent altklugen Lamento ihrer Texte.

Balladen und ehrliche Gefühle

Prominent in der Mitte des Albums findet sich die Ballade Achtzehn. Ganz unironisch channelt Rieger hier seinen inneren Dirk von Lowtzow und setzt in dick aufgetragenen Metaphern die jetzige Jugend mit der eigenen vergangenen in schmerzvollen Kontrast.

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