Elektrophysiologische Untersuchung in der Neurologie: Ablauf und Bedeutung

Die elektrophysiologische Untersuchung ist ein wichtiger Bestandteil der neurologischen Diagnostik. Sie dient dazu, Funktionsstörungen des Nervensystems zu untersuchen und einzugrenzen. Dabei wird zwischen Nervenzellen, die Reize empfangen und weiterleiten (sensible Nervenzellen), und solchen, die eine Aktion wie Muskelanspannung ermöglichen (motorische Nervenzellen), unterschieden. So kann geprüft werden, ob die Verarbeitung von eingehenden Reizen (z.B. Berührung) oder ausgehenden Reizen (z.B. Muskelkontraktion) gestört ist.Diese Untersuchungsmethoden helfen, den Ort und das Ausmaß von Nervenschädigungen zu beurteilen und liefern Informationen über die Art, das Ausmaß und die Prognose einer Erkrankung.

Grundlagen der Elektrophysiologie

Stark vereinfacht kann man sich Nerven im menschlichen Körper als eine Art "Verkabelung" vorstellen. Die einzelnen Nervenbündel verlaufen von Gehirn und Rückenmark durch den Körper und fächern sich auf, bis sie Muskeln oder Sinneszellen erreichen. Das Gehirn sendet über die Nerven elektrische Impulse zu Muskeln und Organen und erhält von dort Signale zurück, die es interpretiert.

Für verschiedene Sinnesreize gibt es unterschiedliche Wahrnehmungszellen für Wärme, Kälte, Schmerz, Tastempfinden und Gelenkstellung (Tiefensensibilität). Diese leiten Informationen über Nerven ans Gehirn. Nerven, die zu Muskeln führen, werden als motorische Nerven bezeichnet. Sie teilen sich auf und enden im jeweiligen Muskel, wo sie als Impulsgeber für die Muskeltätigkeit wirken.

Verfahren der elektrophysiologischen Untersuchung

Zu den wichtigsten elektrophysiologischen Untersuchungsmethoden gehören:

  • Elektroneurographie (ENG): Diese Methode dient der Messung der Nervenleitgeschwindigkeit (NLG).
  • Elektromyographie (EMG): Hierbei wird die elektrische Aktivität der Muskeln untersucht.
  • Evozierte Potentiale (EP): Diese Methode misst die Hirnstromaktivität, die durch Sinnesreize ausgelöst wird.
  • Elektroenzephalographie (EEG): Hierbei wird die elektrische Aktivität des Gehirns gemessen.
  • Magnetstimulation: Hierbei wird das Gehirn oder Rückenmark durch Magnetfelder stimuliert.
  • Ultraschalldiagnostik von Nerven (Nervensonographie): Hierbei werden Nerven mithilfe von Ultraschall dargestellt.
  • Doppler-Sonographie und Duplex-Sonographie: Hierbei werden die Blutgefäße, die das Gehirn versorgen, untersucht.

Elektroneurographie (ENG)

Die Elektroneurographie (ENG) und Elektromyographie (EMG) geben Hinweise auf Erkrankungen des peripheren Nervensystems und der Muskulatur. Ein Nerv ähnelt in seinem Aufbau einem Elektrokabel: Das Axon ist vergleichbar mit dem stromleitenden Kupferdraht, die Myelinscheide mit der Isolierschicht. Ist die Myelinscheide beschädigt, leitet der Nerv die elektrische Erregung langsamer an den Muskel weiter. Ist das Axon geschädigt, wird die Erregung zwar mit normaler Geschwindigkeit, aber nicht mehr vollständig transportiert.

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Die ENG dient dazu, die Funktionsfähigkeit der Nerven zu bestimmen. Bei der Nervenmessung (Neurographie) wird die motorische oder sensible Nervenleitgeschwindigkeit (NLG) an Arm, Bein oder Körper gemessen. Dazu wird an den Stellen, an denen ein Nerv nahe der Hautoberfläche liegt, eine Kontaktelektrode aufgelegt. Alternativ kann eine sehr feine Akupunkturnadel verwendet werden. An einer anderen Stelle wird der Nerv mit einem elektrischen Impuls stimuliert. Anhand der Zeit, die der Reiz benötigt, um vom Reizort zur Kontaktelektrode zu gelangen, kann die Nervenleitgeschwindigkeit (NLG) bestimmt werden. Die Maßeinheit ist Meter pro Sekunde (m/s). Anhand von Normwerten kann das Ausmaß der Veränderungen gemessen werden. Die ausgelöste Aktivität wird als Reizkurve aufgezeichnet.

Bei der Elektroneurographie werden motorische oder sensible Nerven mit elektrischen Impulsen gereizt. Die elektrische Reaktion der stimulierten Nerven wird mithilfe von auf die Haut aufgelegten Elektroden gemessen. Die Messergebnisse zeigen, ob Axone und Myelinscheiden der untersuchten Nerven intakt oder geschädigt sind. Die Untersuchung dauert je nach Anzahl der gemessenen Nerven zwischen zehn und 30 Minuten.

Eine typische Untersuchung ist die Messung des Nervus medianus am Handgelenk, wo der Nerv oft zwischen Bändern und Knochen eingeklemmt wird. Dies kann zu Schmerzen und Taubheit des Daumens, Zeige- und Mittelfingers führen, insbesondere nachts. Die Kraft und Geschicklichkeit der Hand kann eingeschränkt sein. Diese Beschwerden deuten auf ein Karpaltunnel-Syndrom hin.

Elektromyographie (EMG)

Mit der Elektromyographie (EMG) wird die elektrische Aktivität der Muskeln untersucht. Bei der EMG wird eine feine Elektrodennadel in den Muskel eingestochen (Nadel-EMG), um die elektrische Aktivität zu messen und am Bildschirm darzustellen. Zunächst wird die Aktivität im entspannten und dann im angespannten Zustand untersucht. Die Untersuchung dauert pro Muskel drei bis fünf Minuten.

Eine andere Methode ist die Oberflächen-EMG, bei der Elektroden auf die Haut aufgebracht werden, um die elektrische Aktivität des Muskels abzuleiten. Dabei lassen sich jedoch keine Rückschlüsse auf die Aktivität einzelner Muskelfasern ziehen. Die Methode eignet sich eher für die Bestimmung der Zeitverzögerung zwischen Reiz und Muskelkontraktion. Diese Untersuchung dauert etwa fünf Minuten.

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Die EMG kann auch zur Untersuchung der neuromuskulären Übertragung eingesetzt werden. Dabei wird der Nerv wiederholt elektrisch stimuliert und die Aktivität des Muskels mit Oberflächenelektroden gemessen. Dies ist besonders hilfreich bei der Diagnose von Myasthenia gravis, einer Autoimmunerkrankung, die die Übertragung von Nerv auf Muskel betrifft.

Ablauf der EMG-Untersuchung

  1. Vorbereitung: Die Haut über dem zu untersuchenden Muskel wird gereinigt und gegebenenfalls desinfiziert.
  2. Nadelelektrode: Eine dünne, sterile Einmalnadel wird in den Muskel eingeführt.
  3. Messung der Muskelaktivität: Die elektrische Aktivität des Muskels wird in Ruhe, bei leichter und bei maximaler Anspannung gemessen.
  4. Beurteilung: Die gemessenen Potentiale werden analysiert, um Rückschlüsse auf die Funktion des Muskels und der ihn versorgenden Nerven zu ziehen.

Beurteilung der EMG-Ergebnisse

Durch die Beurteilung der Messergebnisse kann in der Regel erkannt werden, ob eine Muskelerkrankung oder ein neurogener Schaden vorliegt. Dabei werden die Form, Größe und Dauer der Potentiale der motorischen Einheiten und die Dichte des Interferenzmusters beurteilt.

Evozierte Potentiale (EP)

Als evoziertes Potential wird eine Hirnstromaktivität bezeichnet, die durch einen Sinnesreiz ausgelöst wird. Die Messung evozierter Potentiale erlaubt eine objektivierbare und quantifizierbare Darstellung von Störungen und eignet sich auch für Verlaufsuntersuchungen.

Es gibt verschiedene Arten von evozierten Potentialen:

  • Sensibel evozierte Potentiale (SEP): Diese untersuchen die Leitung im sensiblen System, von den Nerven in Beinen, Armen oder Gesicht über die Nervenwurzeln im Wirbelsäulenbereich, die Nervenfasern im Rückenmark bis zur Hirnrinde. Der Sensibilitäts-Reiz wird als elektrischer Impuls („Klopfen“) über einem Nerven am Bein, Arm oder Gesicht gegeben. Durch die Reize werden Nervenpotentiale hervorgerufen, die über Elektroden am Kopf bzw. an der Wirbelsäule oder Schulter abgeleitet und vermessen werden können.
  • Visuell evozierte Potentiale (VEP): Diese werden durch optische Reize ausgelöst, z.B. durch ein wechselndes Schachbrettmuster auf einem Monitor. Die Zeitdauer vom Auftreten des Sehreizes bis zum Auftreten der Hirnstromaktivität über der Sehrinde wird gemessen.
  • Akustisch evozierte Potentiale (AEP): Hierbei werden die Nervenbahn vom Innenohr über den Hörnerven bis zu den für das Hören zuständigen Gehirnzentren untersucht. Über Kopfhörer werden Klickgeräusche gegeben, die das Innenohr erregen. Über Elektroden hinter den Ohren können dann Nervenpotentiale abgeleitet und vermessen werden.

Elektroenzephalographie (EEG)

Das EEG wird zur Untersuchung von Funktionsstörungen des Gehirns eingesetzt. Die Untersuchung ist schmerzfrei. Dabei wird eine Haube mit Elektroden auf den Kopf aufgesetzt, die die hirneigene elektrische Aktivität aufnehmen. Der Patient sollte während der Untersuchung entspannt sitzen und die Augen geschlossen halten. Während der Untersuchung wird der Patient mehrfach aufgefordert, die Augen zu öffnen und wieder zu schließen. Die Untersuchung dauert insgesamt mit Vorbereitung ca. 30 Minuten. Bei Verdacht auf Epilepsie kann ein Schlaf-EEG nach Schlafentzug sinnvoll sein.

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Magnetstimulation

Bei der Magnetstimulation wird über den Kopf des Patienten eine Magnetspule gehalten, die einen magnetischen Impuls abgibt und die darunter liegenden motorischen Nervenzellen kurzzeitig stimuliert. Eine Muskelzuckung wird ausgelöst und an den Armen oder Beinen über aufgeklebte Elektroden registriert. Die Zeit zwischen der Impulsabgabe und der Muskelzuckung wird gemessen.

Ultraschalldiagnostik von Nerven (Nervensonographie)

Die Nervensonographie kann Nervenverletzungen, Nerventumoren oder Einklemmungen von Nerven sichtbar machen. Die Darstellung vieler Nerven gelingt mit dem Ultraschall besser als mit der Kernspintomographie. Die Ultraschalldiagnostik peripherer Nerven ist bisher keine Kassenleistung und muss daher selbst bezahlt werden.

Doppler-Sonographie und Duplex-Sonographie

Schlaganfälle werden häufig durch Verengungen oder Verschlüsse der Blutgefäße verursacht, die das Gehirn mit Blut versorgen. Diese Verengungen lassen sich mit Hilfe von Ultraschalluntersuchungen besonders gut und risikolos darstellen. Bei der Doppler-Sonographie wird eine Sonde auf die Haut aufgesetzt, die die Blutkörperchen beschallt. Die Bewegung der Blutkörperchen wird von dem Untersuchungsgerät in Zischlaute umgesetzt, die man als Patient bei der Untersuchung mithören kann. Bei der Duplex-Sonographie lässt sich ein Blutgefäß mit seinem Hohlraum direkt darstellen. Verengungen und Ablagerungen (Plaque) werden direkt bildhaft sichtbar. Der Blutfluß innerhalb des Gefäßes lässt sich farbig darstellen.

Weitere diagnostische Verfahren

Neben den elektrophysiologischen Untersuchungen können auch andere Verfahren zur Diagnose neurologischer Erkrankungen eingesetzt werden:

  • Blutuntersuchungen: Im Blut können Entzündungszeichen, Vitamin- oder Mineralstoffmängel, Autoantikörper oder Hinweise auf Stoffwechselerkrankungen festgestellt werden.
  • Liquordiagnostik (Untersuchung des Nervenwassers): Durch eine Lumbalpunktion (Entnahme von Nervenwasser im Bereich der Lendenwirbelsäule) können Erkrankungen erkannt werden, die sich im Blut allein nicht zeigen. Die Untersuchung ist besonders hilfreich bei entzündlichen Erkrankungen des Nervensystems.
  • Psychometrische Testverfahren: Bei Verdacht auf Demenz können einfache psychometrische Testverfahren wie der MMSE (Mini-Mental State Examination), der Uhrentest oder der DemTect eingesetzt werden.

Vorbereitung auf die elektrophysiologische Untersuchung

Um eine optimale Untersuchungsqualität zu gewährleisten, sollten Patienten einige Punkte beachten:

  • Haare: Bitte vermeiden Sie Haarspray, Styling-Schaum oder Gel in den Haaren, da diese Substanzen die Untersuchung beeinträchtigen können.
  • Hygiene: Bitte sorgen sie für saubere Wäsche und Strümpfe und kontrollieren Sie Ihren Körpergeruch.
  • Ansteckende Krankheiten: Teilen Sie uns vorher mit, wenn Sie unter einer ansteckenden Krankheit leiden.
  • Medikation: Teilen Sie uns bitte mit, wenn Sie blutverdünnende Medikamente einnehmen oder einen Herzschrittmacher haben.
  • Entspannung: Versuchen sie sich zu entspannen, atmen sie ruhig, schließen sie die Augen, reden sie nicht und lassen Sie den Mund leicht geöffnet.
  • Körpertemperatur: Insbesondere Hände und Füße sollten eine ausreichende Körpertemperatur von mindestens 24 Grad besitzen. Ggfs. wärmen Sie vorher Ihre Hände durch Reiben oder mit warmem Wasser auf.

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