Die Elektroschocktherapie (EKT), auch bekannt als Elektrokonvulsionstherapie, ist ein modernes und hochwirksames medizinisches Verfahren zur Behandlung schwerer psychischer Erkrankungen. Obwohl der Begriff "Elektroschock" oft mit negativen Assoziationen behaftet ist, hat sich die EKT in der modernen Psychiatrie als eine sichere und wirksame Methode etabliert, insbesondere bei therapieresistenten Depressionen und anderen schweren psychiatrischen Krankheitsbildern.
Einführung in die Elektroschocktherapie
Die Elektrokrampftherapie (EKT), die wohl am meisten umstrittene, gleichzeitig aber eine sehr wirksame Therapie der Depression, vermindert die „Hyperkonnektivität“ in Hirnregionen, die mit der affektiven Störung in Verbindung gebracht wird. Die Elektrokrampftherapie (EKT) wurde in den 1930er Jahren in Ungarn und Italien entwickelt. Sie gehört zu den ältesten und wirksamsten Therapien von Depressionen, geriet in den 70er Jahren aber in das Visier der Antipsychiatriebewegung. Exemplarisch zeigt dies die Rezeption des Filmdramas „Einer flog über das Kuckucksnest“, wo die Elektroschocks jedoch zu einer nicht-medizinischen und in ihrer Wirkung zweifelhaften Indikation (Bestrafen rebellischer Gefangener) eingesetzt wurde. Trotz ihres umstrittenen Rufs ist die EKT eine wertvolle Option für Menschen mit schweren, behandlungsresistenten Depressionen, bei denen andere Therapien versagt haben.
Anwendungsbereiche der EKT
Psychiater greifen auf eine EKT bei sehr schweren oder gravierenden, schwer zu behandelnden psychischen Erkrankungen zurück. Die EKT ist ein hochwirksames Verfahren, auf das 50 bis über 80 Prozent der Behandelten gut ansprechen. Die EKT gehört zu den am besten wirksamen Standardverfahren der Behandlung der Therapie-resistenten Depression (TRD) und anderen schweren psychiatrischen Krankheitsbildern (Katatonie, Bipolare Störungen, Clozapin-resistente Schizophrenie, schizoaffektive Störungen, usw.).
Eine Indikation für eine Elektrokrampftherapie besteht beispielsweise , wenn
- der psychische Zustand eines Patienten so gravierend ist, dass eine schnelle Entlastung notwendig ist
- der Patient schlecht auf eine vorangegangene Behandlung mit Psychopharmaka angesprochen hat (Therapieresistenz)
- der Patient Psychopharmaka schlecht verträgtdie Risiken der EKT geringer sind als andere Behandlungsmöglichkeiten
Bei einigen schweren psychischen Erkrankungen ist eine EKT die Therapie erster Wahl. Das bedeutet, man greift direkt auf sie zurück, ohne zuvor andere Heilverfahren zu versuchen. Dazu gehören:
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- Depressionen mit Wahnvorstellungen
- Depressive Erstarrung (Stupor)
- Psychosen mit Stimmungsschwankungen (schizoaffektive Psychose), darunter schwere depressive Symptome
- schwere Depression (Major Depression) mit hoher Suizidalität oder Nahrungsverweigerung
- akute, lebensbedrohliche (perniziöse) Katatonie
Als Therapie zweiter Wahl - also, wenn vorangegangene Behandlungen nicht ausreichend geholfen haben - setzen Psychiater die EKT in folgenden Situationen ein:
- schwere Depressionen (Major Depression), bei denen die Betroffenen auf mindestens zwei Antidepressiva möglichst unterschiedlicher Wirkstoffklassen in Kombination mit Schlafentzug nicht ausreichend angesprochen haben
- nicht lebensbedrohliche Katatonien und akute Psychosen nach erfolgloser Behandlung mit Neuroleptika
- Manien nach erfolgloser Behandlung mit Neuroleptika, Lithium oder Carbamazepin
Die Wirksamkeit der EKT nimmt mit der Dauer der Erkrankung ab.
EKT bei Kindern und Jugendlichen
Die Elektrokonvulsionstherapie kommt bei Kindern und Jugendlichen mit schweren psychischen Erkrankungen selten zum Einsatz. Im Erwachsenenalter wird die Therapieform häufig zur Behandlung schwerer psychischer Erkrankungen, wie therapieresistenten Depressionen oder Schizophrenien, angewandt. Bei Kindern und Jugendlichen kommt sie dagegen deutlich seltener zum Einsatz. Dies könnte unter anderem daran liegen, dass es im Gegensatz zu Erwachsenen bei Kindern und Jugendlichen keine großen Studien zur Sicherheit und Wirksamkeit dieser Behandlungsmethode gibt. Außerdem fehlt es bei den Behandelnden bisher an Wissen über die Elektrokonvulsionstherapie.
Forschende vom Zentralinstitut für Seelische Gesundheit (ZI) in Mannheim, der Universitätsmedizin Göttingen und der Universitätsmedizin Rostock berichten in der Fachzeitschrift Journal of ECT über insgesamt 32 Kinder und Jugendliche, die an den drei Kliniken mit Elektrokonvulsionstherapie behandelt wurden. Alle Kinder wiesen schwere psychische Erkrankungen auf. Trotz dieser schwierigen Ausgangslage sprachen 40,6 Prozent der Kinder und Jugendlichen auf die Behandlung an und 21,9 Prozent waren nach der Behandlung sogar symptomfrei oder fast symptomfrei. Es traten keine schweren Nebenwirkungen auf und 65,6 Prozent der Kinder und Jugendlichen hatten gar keine Nebenwirkungen.
Die Daten unterstreichen, dass die Elektrokonvulsionstherapie auch bei Kindern und Jugendlichen sehr sicher und wirksam ist. Das Ansprechen auf die Elektrokonvulsionstherapie hing damit zusammen, wie viele andere Behandlungen die Betroffenen im Vorfeld erhalten hatten. Schwer psychisch erkrankte Kinder und Jugendliche könnten davon profitieren, früher im Behandlungsverlauf eine EKT angeboten zu bekommen.
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Durchführung der Elektroschocktherapie
Die Behandlung erfolgt unter kurzer Narkose. Der Patient wird unter Vollnarkose behandelt. Er erhält muskelentspannende Medikamente und bekommt vom gesamten Prozess nichts mit. Für die Behandlung werden zwei Elektroden am Kopf angebracht. Über sie wird ein kurzer elektrischer Impuls abgegeben. Dieser löst einen kontrollierten epileptischen Anfall aus. Ist der Patient oder die Patientin unter Narkose, wird mit diesem Gerät ein Stromimpuls an das Gehirn gesendet. Ein so ausgelöster Anfall dauert zwischen 20 und 60 Sekunden. Die Dauer des Krampfanfalls wird dabei kontinuierlich durch eine EEG-Aufzeichnung (Elektroenzephalogramm) überwacht; diese beträgt üblicherweise ca. 20-30 Sekunden.
Vor der Durchführung einer EKT wird jeder Patient ausführlich aufgeklärt. Es erfolgt zudem eine umfassende internistische, neurologische und anästhesiologische Voruntersuchung. Ein Facharzt für Anästhesie (Narkosearzt) klärt gesondert über die im Rahmen einer Behandlungsserie mehrfach durchzuführende Kurznarkose auf. Bei jeder Behandlung ist ein speziell geschultes Team anwesend (Arzt für Psychiatrie und Psychotherapie sowie Arzt für Anästhesiologie). Die Behandlungen finden in einem speziell dafür ausgestatten Behandlungsraum in der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie statt.
Nach Einleitung der Narkose schläft der Patient für ca. 10 Minuten. In dieser Zeit erfolgt eine kurzzeitige medikamentöse Muskelentspannung. Die Atmung wird dabei durch den Arzt für Anästhesiologie überwacht und durch Maskenbeatmung unterstützt. Anschließend wird vom Arzt für Psychiatrie und Psychotherapie durch elektrische Stimulation im Bereich des Kopfes über wenige Sekunden ein therapeutischer Krampfanfall ausgelöst. Kurze Zeit danach erwachen die Patienten wieder. Es folgt eine kurze Überwachungsphase im Behandlungsraum sowie eine weitere Überwachung auf der Krankenstation. Da die Behandlungen morgens durchgeführt werden, können die Patienten zum Mittag aufstehen und an den folgenden Mahlzeiten und ihrem üblichen Therapieprogramm teilnehmen.
An unserer Forschungsklinik führen unsere ÄrztInnen in aller Regel zwei Sitzungen pro Woche für 12 EKT-Sitzungen durch. Diese initiale EKT-Serie dauert durchschnittlich 6 bis 7 Wochen und kann ausschließlich im Rahmen eines stationären Klinikaufenthalts erfolgen. Anschließend wird der Abstand zwischen den einzelnen EKT-Sitzungen nach und nach verlängert (zuerst von zwei Mal auf einmal wöchentlich, dann eine EKT alle zwei Wochen etc.). Diese Phase wird als Erhaltungs-EKT bezeichnet. Ab einem Intervall von ≥ 1 Woche zwischen den EKT-Sitzungen kann die Behandlung auch teilstationär durchgeführt bzw. fortgesetzt werden. Dann findet die Aufnahme, EKT-Behandlung und Entlassung am gleichen Tag statt. Sobald der/die PatientIn eine dauerhafte Verbesserung und Stabilisierung spürt, wird die EKT ausgeschlichen.
Wirkungsweise der EKT auf das Gehirn
Die Elektroschocktherapie (EKT) soll dem Gehirn helfen, sich selbst zu heilen. Bei der Elektrokonvulsionstherapie werden unter anderem Serotonin-Rezeptoren aktiviert. Der Serotoninlevel im Gehirn steigt. Das wiederum führt zu einem Umorganisieren des Gehirns. Über welche Mechanismen genau ein solcher „Heilkrampf“ eine positive Wirkung entfaltet, ist noch nicht vollständig geklärt. Man hat jedoch beobachtet, dass die Anfälle zahlreiche neurochemische Veränderungen im Gehirn anstoßen. Entscheidend scheint hierfür zu sein, dass ein Teil der Nervenzellen während der Behandlung im gleichen Takt aktiviert wird. Beispielsweise verändert sich die Konzentration verschiedener Hormone und Botenstoffe im Gehirn ebenso die Zahl der Andockstellen (Rezeptoren) für diese Neurotransmitter. Die Masse der sogenannten grauen Substanz, die sich aus den Zellkörpern der Nervenzellen zusammensetzt, nimmt zu. Vor allem vernetzen sich die Neuronen verstärkt untereinander.
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Der gezielt und kontrolliert ausgelöste Krampfanfall wird als entscheidend für die Wirkung angesehen („Heilkrampf“). Bekannt ist, dass ein im Rahmen einer EKT ausgelöster Anfall zahlreiche funktionelle Veränderungen im Gehirn hervorruft, die denen einer dauerhaften Antidepressiva-Medikation ähneln. So werden z.B. die Konzentrationen von Hormonen und Botenstoffen im Gehirn günstig beeinflusst und regenerative Prozesse im Zentralnervensystem angeregt. Bei der EKT kommt es zu keinem Nervenzelluntergang, im Gegenteil kommt es zu einem Wachstum von grauer Substanz und zu neuen neuronalen Verknüpfungen. Die Wirkungsweise ist durch zahlreiche Studien gut belegt.
Nach Ergebnissen des Forscherteams scheint die elektrische Stimulation bei depressiven Patienten offenbar neues Nervenwachstum im Gehirn anzuregen. Auch andere Autorengruppen hatten bereits Hinweise darauf gefunden. Bei chronisch depressiven Patienten ist die graue Substanz rund um den Hippocampus im Gehirn nachweislich verringert. Durch die EKT-Behandlung normalisiert sich das Volumen wieder.
Verminderung der Hyperkonnektivität
Die Elektrokrampftherapie, die wohl am meisten umstrittene, gleichzeitig aber eine sehr wirksame Therapie der Depression, vermindert die „Hyperkonnektivität“ in Hirnregionen, die mit der affektiven Störung in Verbindung gebracht wird.
Nach einer relativ neuen „Hyperkonnektivitäts-Hypothese“ bestehen bei Patienten mit schweren Depressionen innerhalb der Cortex und auch zwischen Cortex und limbischen System verstärkte Verbindungen, die wichtigen Aspekten depressiver Erkrankungen erklären könnten. Der Forscher Ian Reid hat jetzt untersucht, ob die EKT einen Einfluss auf die Konnektivität hat.
Sein Team führte bei Patienten mit schwerer Depression vor und nach einer EKT funktionelle Kernspintomographien (fMRI) durch. Die fMRI misst anhand der unterschiedlichen magnetischen Eigenschaften von oxygeniertem und desoxygeniertem Blut die Änderung der Hirnaktivität, während die Probanden eine leichte Denkaufgabe lösen.
Der Vergleich der fMRI-Ergebnisse vor und nach der EKT zeigt nun, dass die „funktionelle Konnektivität“ sich durch die Behandlung vermindert hat. Die Effekte wurden im der dorsolateralen präfrontalen Region (Brodmann-Areale 44, 45 und 46) beobachtet. Der Rückgang der Konnektivität in diesen Regionen war mit einer deutlichen Besserung der depressiven Symptome assoziiert, die bei den neun Patienten erwartungsgemäß beobachtet wurde.
Laut Reid stützen die Ergebnisse die „Hyperkonnektivitäts-Hypothese“.
Risiken und Nebenwirkungen
Die Therapie kann durchaus gravierende Nebenwirkungen haben. Dazu gehören vor allem Gedächtnisverlust und Konzentrationsschwierigkeiten. Beispielsweise kann es einem erst einmal schwerfallen, ein Buch zu lesen. Von Gedächtnislücken sind rund 50 Prozent der Behandelten betroffen. In fast allen Fällen sind Erinnerungen rund um die Therapie nicht mehr abrufbar. In seltenen Fällen kann es auch passieren, dass Erinnerungsinseln aus Zeiten vor der Behandlung verloren gehen.
Die EKT ist heutzutage ein sicheres Verfahren. Risiken und Nebenwirkungen wurden im Laufe der Jahrzehnte durch eine verbesserte Vorbereitung, Durchführung und Nachbetreuung der Patienten minimiert. Das Risiko für eine schwere Komplikation wird mit 1:50.000 Behandlungen angegeben und liegt damit nicht höher als das allgemeine Narkoserisiko bei kleineren operativen Eingriffen wie z.B. bei einer Zahnextraktion. Risiken durch die Narkose werden zusätzlich durch eine sorgfältige Voruntersuchung in der Anästhesiologie minimiert.
Unerwünschte Nebenwirkungen können vorübergehende Kopfschmerzen und Übelkeit sein, welche bei Bedarf symptomatisch behandelt werden. Kognitive Nebenwirkungen wie Orientierungs-, Konzentrations- und Gedächtnisstörungen können auftreten. Diese sind nach Ende der Behandlung rückläufig. Während sich anterograde Gedächtnisstörungen (eingeschränkte Merkfähigkeit für neue Gedächtnisinhalte) in der Regel rasch, d.h. nach Stunden bis zu wenigen Tagen zurückbilden, können retrograde Gedächtnisstörungen (Gedächtnisinhalte vor der EKT sind nicht erinnerlich) länger persistieren. Unmittelbar nach der EKT auftretende neuropsychologische Störungen (z.B. Aphasien, Apraxien, Agnosien) sind sehr selten, bilden sich stets zurück und bedürfen keiner Behandlung.
Drei Aspekte sind in diesem Zusammenhang wichtig:
- Im Mittel kommt es durch die EKT zu einer Verbesserung der Denkleistung. Das ist naheliegend, weil Denkstörungen häufig eine Begleiterscheinung der psychischen Erkrankung sind und sich in Folge einer erfolgreichen Behandlung verringern.
- Wenn PatientInnen als Nebenwirkung der Behandlung Denkstörungen entwickeln, klingen diese in der Regel im Verlauf von Tagen bis wenigen Wochen wieder ab.
- Zahlreiche Studien mit unterschiedlichsten Methoden ergaben keine Hinweise für Schäden des Hirngewebes durch EKT. Im Gegenteil zeigen neue wissenschaftliche Erkenntnisse, dass psychische Erkrankungen das Schrumpfen von bestimmtem Hirngewebe verursachen und sich dieser Prozess durch EKT teilweise rückgängig machen lässt. Die EKT führt dabei zur Ausschüttung von Nervenwachstumshormonen und damit zur Neubildung von Nervenzellen, deren Kontaktstellen (Synapsen) und den sie verbindenden Nervenbahnen im Gehirn.
Klinische Wirksamkeit und Bedeutung der Erhaltungstherapie
Die Sicherheit und klinische Wirkung der EKT wurde in diversen Studien belegt. Abhängig von der psychiatrischen Grunderkrankung und evtl. vorliegenden weiteren Erkrankungen sind Therapieerfolgsraten (Definition: Reduktion der Symptome um die Hälfte) der EKT von 50 bis 95 Prozent beschrieben. um die Hälfte verbessern. Die EKT wird daher als Goldstandard der Neurostimulationsverfahren und wirksamste Therapie für die Depression angesehen. Auch bei älteren PatientInnen ist das Behandlungsverfahren sicher, sehr wirksam und führt verglichen mit Medikamentengabe auch zu einer schnelleren Besserung. Zudem gibt es eindeutige Hinweise darauf, dass EKT das Suizidrisiko reduziert.
Um den Behandlungserfolg, der sich in der Regel binnen der ersten EKT-Serie einstellt, zu erhalten und das Rückfallrisiko zu minimieren, ist eine Erhaltungs-EKT von zentraler Bedeutung. Das Zentralinstitut für Seelische Gesundheit in Mannheim, das Universitätsklinikum Heidelberg und die Universität Heidelberg starten eine umfassende Studie zur Erhaltungs-Elektrokonvulsionstherapie (EKT). Ziel ist es, die Wirksamkeit der EKT-Behandlung bei Schizophrenie-PatientInnen zu untersuchen, die auf Antipsychotika nicht ansprechen. Durch diese Therapie sollen Rückfälle verhindert und die Lebensqualität der PatientInnen entscheidend verbessert werden.
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