Ein Schlaganfall ist eine plötzlich auftretende zerebrovaskuläre Minderdurchblutung, die oft zu langandauernden Funktionseinschränkungen führt. Er ist eine zeitkritische Erkrankung des Gehirns, die mit einer plötzlich auftretenden Schädigung von Hirngewebe aufgrund eines Gefäßverschlusses (ischämischer Insult) oder einer Hirnblutung (hämorrhagischer Insult) assoziiert ist. Abhängig von der Lokalisation und dem Ausmaß des unterversorgten Hirnareals kommt es zu kognitiven, sensorischen und motorischen Funktionsstörungen. Die Prognose nach einem Schlaganfall richtet sich nach Ursache, Art und Umfang der Läsion sowie dem Zeitpunkt der therapeutischen Intervention.
Die endovaskuläre Therapie (EVT) ist ein minimalinvasives Verfahren zur Behandlung des akuten ischämischen Schlaganfalls. Bei diesem Verfahren wird ein Katheter über die Leistenarterie bis zu dem verschlossenen Hirngefäß vorgeschoben, um das Blutgerinnsel mechanisch zu entfernen. Die EVT hat sich bei großen Gefäßverschlüssen im Gehirn als wirksame Behandlungsmethode erwiesen und ist inzwischen die Methode der Wahl für alle Schlaganfälle mit großen Gefäßverschlüssen.
Grundlagen des Schlaganfalls
Ein Schlaganfall wird durch eine plötzliche, kritische Minderdurchblutung des Gehirns oder eines Gehirnareals (Ischämie) verursacht. Dies führt zu einem Sauerstoffmangel, der die Funktionen des betroffenen Hirnareals (z.B. Sprache, Bewegung, Sehen etc.) zum Erliegen bringt. Die Ursache ist meist der Verschluss einer größeren Hirnarterie durch ein Blutgerinnsel (Thrombus). Seltener kann auch eine Engstelle einer Hirnarterie (Stenose) die Ursache sein.
Typische Symptome eines Schlaganfalls
Typische Symptome eines Schlaganfalles sind z.B. der Verlust der Sprache, eine plötzlich auftretende, schmerzlose Lähmung einer Körperhälfte oder Sehstörungen. Bei solchen Symptomen ist es wichtig, sofort den Notruf zu wählen, da in der Akutphase die schnellstmögliche Wiederherstellung der Durchblutung des betroffenen Gehirnareals entscheidend ist.
Diagnostik
Die Verdachtsdiagnose Schlaganfall wird mit bildgebenden Verfahren wie Computertomografie (CT), Magnetresonanztomografie (MRT) oder einer Angiographie bestätigt. Wichtigster therapierelevanter Aspekt der zerebralen Bildgebung ist nach wie vor der Ausschluss einer Blutung als Ursache der Symptome. Dies kann effektiv und schnell mittels nativem CT erfolgen.
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Ischämischer vs. Hämorrhagischer Schlaganfall
Grundsätzlich werden zwei Schlaganfall-Formen unterschieden:
- Ischämischer Insult: Infolge eines thromboembolischen Gefäßverschlusses (ca. 87% der Fälle). Umgangssprachlich als „weißer Schlaganfall“ bezeichnet.
- Hämorrhagischer Insult: Aufgrund einer intrazerebralen Blutung (ICB) oder Subarachnoidalblutung (SAB) (ca. 13% der Fälle). Umgangssprachlich als „roter Infarkt“ bezeichnet.
Mechanische Thrombektomie: Ein Überblick
Die mechanische Thrombektomie (auch endovaskuläre Schlaganfalltherapie oder mechanische Rekanalisation genannt) bezeichnet die Wiedereröffnung eines Verschlusses der großen hirnversorgenden Arterien (z.B. der A. cerebri media) mit einem Katheter und anderen über das Gefäßsystem eingebrachten Miniatur-Werkzeugen. Ein dauerhafter Gefäßverschluss kann zu einer Hirnschädigung führen, die als „ischämischer Infarkt“ bezeichnet wird. Das Ausmaß der Schlaganfall-Folgen hängt vom Ort und dem Schweregrad der Hirnschädigung ab. Eine schnelle und komplette Wiedereröffnung des Gefäßes (meist die Entfernung eines Blutgerinnsels: Thrombektomie) verbessert die Chancen auf ein Leben ohne Behinderung.
Indikation für die mechanische Thrombektomie
Eine mechanische Thrombektomie zur Behandlung von akuten Schlaganfallpatient*innen ist empfehlenswert, wenn folgende Bedingungen erfüllt sind:
- Ein klinisch relevantes neurologisches Defizit besteht.
- Der Verschluss einer großen hirnversorgenden Arterie (im sog. vorderen Hirnkreislauf) in der Computertomographie (CT-Angiographie) oder MRT (MR-Angiographie) nachgewiesen ist.
- Die Behandlung spätestens bis zu 6 Stunden nach Auftreten der Symptome begonnen werden kann (Zeitpunkt der Gefäßpunktion). Neuere Studien konnten zeigen, dass die mechanische Thrombektomie bei ausgewählten Schlaganfallpatient*innen auch später als 6 Stunden nach Symptombeginn sicher und hochwirksam ist (basierend auf erweiterter Bildgebung: CT-Perfusionsmessungen etc.).
Ablauf des Eingriffs
Die Behandlung wird, von einem Narkosearzt betreut, unter Sedierung oder Narkose durchgeführt. Zuerst wird über die Leistenarterie (A. femoralis) ein langer, spezieller Katheter, die sog. Schleuse, über die Hauptschlagader (Aorta) in die Halsschlagader (A. carotis interna) geführt. Anschließend wird ein kleinerer Katheter mit Hilfe eines Mikrodrahtes an den Verschlussort platziert.
Die anschließende Thrombektomie folgt zwei Grundprinzipien: Thrombusaspiration (Blutgerinnsel absaugen) und Thrombusextraktion (Blutgerinnsel herausziehen) oder eine Kombination beider Prinzipien.
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- Thrombusaspiration: Ein Aspirationskatheter wird an das Blutgerinnsel geführt. Anschließend wird eine Pumpe angeschlossen, die einen Unterdruck erzeugt. Das Blutgerinnsel wird in den Aspirationskatheter gesaugt und unter Aspiration wird der Katheter mit Blutgerinnsel entfernt.
- Thrombusextraktion: Ein Stent-Retriever (ein Stent, der zurückgeholt werden kann) wird zeitweise im Blutgerinnsel entfaltet. Nach kurzer Einwirkzeit wird der Stent-Retriever mit dem Blutgerinnsel unter Aspiration entfernt.
Beide Techniken können mehrmals wiederholt und miteinander kombiniert werden. Ziel ist eine vollständige Wiederherstellung der Durchblutung des betroffenen Hirnareals (Reperfusion).
Fazit zur mechanischen Thrombektomie
Die mechanische Thrombektomie ist bei Schlaganfallpatient*innen mit nachgewiesenem Gefäßverschluss der vorderen Hirnzirkulation die Therapie der Wahl, mit oder ohne einer vorher begonnenen medikamentösen Lyse-Therapie. Die Bildgebung mit CT und CT-Angiographie ist Voraussetzung für die Therapieentscheidung. Rasches Handeln und optimale Abläufe sind erforderlich, um die Therapie schnellstmöglich durchzuführen, denn es gilt immer noch: TIME IS BRAIN!
Die Rolle der Stroke Unit
Die Versorgung des akuten Schlaganfalls ist zu einer zentralen Aufgabe der neurologischen Kliniken geworden und erfordert enges, gut koordiniertes Teamwork zwischen den beteiligten Disziplinen, in erster Linie zwischen Neurologie und Neuroradiologie, aber auch von Gefäßmedizin, Kardiologie und Neurochirurgie.
Als Teil der Ambulanz ist die Stroke Unit eine Spezialstation der neurologischen Klinik, die auf Patientinnen und Patienten mit akuten Schlaganfällen spezialisiert ist. Per Definition ist eine Stroke Unit eine spezialisierte Abteilung in einem Krankenhaus oder Klinikum. Kliniken oder Krankenhäuser mit einer Stroke Unit innerhalb des Fachbereichs Neurologie haben die Möglichkeit, Patientinnen und Patienten mit einem akuten Schlaganfall intensiv zu betreuen. Die ersten Stunden nach einem Schlaganfall entscheiden über das Ausmaß der Schäden am Gehirn. Je mehr Zeit bis zur Behandlung des Schlaganfalls verloren geht, desto mehr Lebensqualität kann für die betroffenen Patientinnen und Patienten auf dem Spiel stehen.
Die Behandlung auf der Stroke Unit umfasst eine intensive Diagnostik, Therapie und Versorgung, darunter:
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- intensive Überwachung der Patientinnen und Patienten
- weitergehende diagnostische Maßnahmen
- therapeutische Verfahren (z. B. die kathetergestützte, mechanische Thrombektomie oder die systemische intravenöse Thrombolyse)
- die unmittelbare Erkennung und Behandlung von auftretenden Komplikationen
- eine enge interdisziplinäre Zusammenarbeit verschiedener medizinischer Fachbereiche
- frühzeitiger Beginn einer Rehabilitation
Aktuelle Studien zur endovaskulären Therapie
Im Jahr 2015 wurden fünf randomisierte Studien zur interventionellen Behandlung des Schlaganfalls, der mechanischen Thrombektomie (MT) publiziert. Diese Studien beziehen sich auf die Therapie von ischämischen Schlaganfällen, die aufgrund des Verschlusses einer großen hirnversorgenden Arterie wie der distalen Arteria carotis interna oder der proximalen Arteria cerebri media entstanden sind (Territorialinfarkte).
In den fünf Studien wurden insgesamt 85 % der Patienten zunächst mit IVT behandelt. Daher sei schon an dieser Stelle darauf hingewiesen, dass die MT die IVT nicht ersetzt, sondern ergänzt. Die MT kommt voraussichtlich für 4-10 % aller Schlaganfallpatienten infrage.
Überblick über die Studien
- MR CLEAN-Studie: Die Wahrscheinlichkeit für ein gutes klinisch-funktionelles Ergebnis (modified Rankin Scale [mRS]: 0-2 nach 90 Tagen) war 33 % mit und 19 % ohne MT. Die Rekanalisationsrate betrug 59 % nach einer strikten Definition.
- EXTEND-IA: Die absolute Risikoreduktion (aRR) für Behinderung und Tod war 31 %.
- ESCAPE-Studie: Die aRR für Behinderung und Tod lag bei 24 %.
- SWIFT-PRIME: Die klinisch-funktionellen Ergebnisse (aRR: 25 %) und die Rekanalisationsraten (88 %) auf ähnlichem Niveau wie in EXTEND-IA reproduziert.
- REVASCAT: Die Behandlungsergebnisse der Gruppe mit zusätzlicher endovaskulärer Therapie waren überlegen (mRS: 0-2 bei 44 % der Patienten gegenüber 28 % mit alleiniger Standardtherapie; aRR: 16 %).
Allen Studien ist gemeinsam, dass die Häufigkeit von symptomatischen intrakraniellen Blutungen durch die MT nicht erhöht wurde. Es existieren also keine Sicherheitsbedenken in der Anwendung der MT in Kombination mit der IV-tPA Gabe.
Selektionskriterien für die EVT
Aus dem technischen Ansatz der MT ergibt sich, dass nur Patienten, bei denen größere hirnversorgende Arterien verschlossen sind, davon profitieren können. Dazu gehören die distale Arteria carotis inklusive des sogenannten Carotis-T und die proximale Arteria cerebri media (M1-Segment), die bei 4-10 % aller Schlaganfallpatienten verschlossen sind. Ist dies nachgewiesen, sollte der Betroffene in ein entsprechend qualifiziertes Zentrum mit überregionaler Stroke Unit verlegt werden.
Endovaskuläre Therapie bei mittleren Gefäßverschlüssen: Aktuelle Forschung
Wissenschaftler der Kliniken für Neuroradiologie und Neurologie an der Uniklinik RWTH Aachen haben untersucht, ob die endovaskuläre Therapie auch bei Verschlüssen kleinerer bis mittlerer Hirngefäße helfen kann. In den beiden Studien „Endovascular Treatment of Stroke Due to Medium-Vessel Occlusion“ und „Endovascular Treatment for Stroke Due to Occlusion of Medium or Distal Vessels“ zeigte sich im Durchschnitt kein wesentlicher Vorteil durch die Katheterbehandlung. Die Studien deuten darauf hin, dass bei Patienten, bei denen ein Schlaganfall durch kleinere oder mittlere Gefäßverschlüsse verursacht wurde, in vielen Fällen eine medikamentöse Behandlung ausreichend zu sein scheint.
Univ.-Prof. Dr. Martin Wiesmann, Direktor der Klinik für Diagnostische und Interventionelle Neuroradiologie an der Uniklinik RWTH Aachen, erklärt: „Ein Verschluss mittlerer und kleiner Gefäße führt aufgrund der oft nur begrenzten Versorgungsbereiche seltener zu einem großflächigen Absterben des Gewebes im Vergleich zu großen Gefäßen. Die beiden Studien zeigen, dass der Nutzen eines mechanischen Eingriffs bei kleineren und mittelgroßen Gefäßverschlüssen begrenzt ist, da meist eine medikamentöse Behandlung ausreicht.“
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