West-Syndrom: Eine seltene und schwerwiegende Form der Säuglingsepilepsie

Einführung

Das West-Syndrom, auch bekannt als Blitz-Nick-Salaam-Epilepsie (BNS-Epilepsie), ist eine seltene, aber sehr ernstzunehmende Form der Epilepsie, die Säuglinge betrifft. Es handelt sich um eine epileptische Enzephalopathie des Säuglings- und Kleinkindalters. Die Erkrankung manifestiert sich typischerweise im Säuglingsalter und ist durch eine Kombination aus spezifischen Anfallsformen, einem charakteristischen EEG-Muster und psychomotorischen Entwicklungsstörungen gekennzeichnet.

Was ist das West-Syndrom?

Das West-Syndrom ist eine seltene Form der Epilepsie, die im Säuglingsalter auftritt. Die Bezeichnung Blick-Nick-Salaam-Epilepsie (BNS-Epilepsie) wird ebenfalls verwendet und beschreibt die charakteristische Form der epileptischen Anfälle. Betroffen sind meist Säuglinge im Alter von 3 bis 6 Monaten, jedoch fast immer vor dem ersten Lebensjahr. Nur etwa 5 % der Kinder zeigen erst nach dem ersten Geburtstag Symptome.

Ursachen des West-Syndroms

Die Ursachen des West-Syndroms sind vielfältig. In über der Hälfte der Fälle kann die Ursache identifiziert werden (symptomatische BNS-Epilepsie). In den übrigen Fällen bleibt die Ursache unklar (idiopathische Epilepsie) oder es besteht lediglich ein Verdacht auf eine bestimmte Ursache (kryptogene Epilepsie).

Zu den möglichen Ursachen gehören:

  • Fehlbildungen oder Schäden des Gehirns, die bereits vor der Geburt angelegt waren
  • Infektionen während der Schwangerschaft oder nach der Geburt
  • Frühkindliche Hirnschädigung durch Sauerstoffmangel (frühkindlicher hypoxischer Hirnschaden)
  • Stoffwechselerkrankungen
  • Neurokutane Syndrome wie tuberöse Sklerose (eine angeborene Erkrankung mit gutartigen Tumoren in verschiedenen Organen)
  • Genetische Erkrankungen, z. B. Chromosomenstörungen wie Trisomie 21 (Down-Syndrom)

Es werden zunehmend mehr genetische Ursachen für das West-Syndrom identifiziert. In etwa 7 % der Fälle ist beispielsweise eine tuberöse Sklerose die Ursache. Bei manchen Patienten mit West-Syndrom sind Veränderungen in einem der TSC-Gene ursächlich für die Erkrankung. TSC basiert auf Mutationen im TSC1- und/oder TSC2-Gen und entwickelt sich im Verlauf zu einer Multisystemerkrankung.

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Symptome des West-Syndroms

Die charakteristischen Symptome des West-Syndroms sind die sogenannten Blitz-Nick-Salaam-Anfälle (BNS-Anfälle). Diese Anfälle äußern sich wie folgt:

  • Blitz: Plötzliches, blitzartiges Zucken des gesamten Körpers. Die Muskelzuckungen fahren wie ein Blitz durch den Körper.
  • Nick: Beugebewegung des Kopfes und des Rumpfes, die wie ein Nicken aussieht. Wird das Erscheinungsbild des Anfalls von der Kopf- und Rumpfbeugung bestimmt und fehlen die Bewegungen von Armen und Beinen oder sind diese nur ganz gering ausgeprägt, so spricht man vom Nickkrampf.
  • Salaam: Verschränken der Arme vor der Brust, ähnlich dem muslimischen Gruß „Salaam“. Laufen die beschriebenen Bewegungen langsamer ab und kommt es zu einem Zusammenführen der Arme vor dem Körper, so dass der Anfall an den „Salaamgruß“ erinnert, so nennt man ihn Salaamkrampf. Eine Beugebewegung des Kopfes und des Rumpfes, ein Auseinanderbreiten und ein anschließendes Beugen der Arme und ein Anziehen der Beine.

Die Anfälle dauern nur Bruchteile von Sekunden, treten aber oft in Serien auf, wobei 20 bis 30 Anfälle hintereinander keine Seltenheit sind. BNS-Anfälle werden vor allem morgens nach dem Aufwachen beobachtet. Zwischen den Anfällen weinen die Kinder häufig. Da sich die Kinder während der Anfälle zusammenkrümmen und anschließend weinen, werden die BNS-Anfälle oft fälschlicherweise als Bauchkoliken interpretiert.

Neben den BNS-Anfällen können auch andere Anfallsformen vorkommen, wie z. B. kurze tonische Spasmen, bei denen das Kind den Rumpf anhebt oder plötzlich die Arme hochreißt.

Ein weiteres Kennzeichen des West-Syndroms ist eine psychomotorische Entwicklungsstörung. Betroffene Kinder zeigen häufig einen Entwicklungsrückstand in verschiedenen Bereichen wie Motorik, Sprache und geistige Fähigkeiten. Es kann auch vorkommen, dass Kinder bereits erlernte Fähigkeiten wieder verlieren. Einige Kinder entwickeln Sehstörungen. Ungewöhnliches Verhalten: Manche Kinder mit West Syndrom können auch mit vertrauten Menschen nicht gut in Kontakt treten und lächeln selten. Das kann für Angehörige sehr herausfordernd sein.

Diagnostik des West-Syndroms

Die Diagnose des West-Syndroms basiert auf dem typischen Ablauf der Anfälle, den Ergebnissen der neurologischen Untersuchung und insbesondere dem charakteristischen EEG-Muster.

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Die Diagnose umfasst in der Regel folgende Schritte:

  1. Anamnese: Erhebung der Krankengeschichte durch Befragung der Eltern oder Bezugspersonen. Dabei werden die genauen Abläufe der beobachteten Anfälle, Begleitsymptome, der Verlauf der Schwangerschaft und Geburt sowie bekannte Krankheiten in der Familie erfragt. Es kann hilfreich sein, die Anfälle zu filmen und den Ärzten die Aufnahme zu zeigen.
  2. Körperliche Untersuchung: Sorgfältige Untersuchung des Kindes, wobei besonders auf den körperlichen Entwicklungszustand, neurologische Auffälligkeiten und Hautveränderungen geachtet wird, die auf genetische Erkrankungen hindeuten könnten. Anhand von Kurven (Perzentilen) kann man sehen, ob das Kind altersentsprechend wächst.
  3. Neurologische Untersuchung: Überprüfung der Funktionen des Nervensystems, einschließlich Muskulatur, Bewegungsabläufe, Kraft, Reflexe, Muskelspannung und Gleichgewicht.
  4. Blutuntersuchung: Überprüfung bestimmter Blutwerte, um mögliche Ursachen für die Epilepsie zu finden, wie z. B. Stoffwechselerkrankungen oder Infektionen. Blutuntersuchungen können vor allem abgelaufene oder akute Infektionen und Stoffwechselanomalien aufdecken.
  5. Liquordiagnostik: Untersuchung des Nervenwassers (Liquor), wenn der Verdacht auf eine Infektion als Ursache der Epilepsie besteht.
  6. Magnetresonanztomographie (MRT): Bildgebung des Gehirns, um mögliche Fehlbildungen oder Schäden festzustellen. In einem MRT können u. a. Gehirnfehlbildungen festgestellt werden. Die MRT kann auch seitenbetonte Hirnschädigungen oder nicht altersgemäße Hirnreifung aufdecken.
  7. Elektroenzephalographie (EEG): Messung der Hirnströme, um das für das West-Syndrom typische Muster der Hypsarrhythmie festzustellen. Die Hirnstrommessung wird sowohl im wachen Zustand als auch im Schlaf durchgeführt. Im Elektroenzephalogramm (EEG) sind charakteristische Merkmale ableitbar mit einem generalisierten, chaotischen Muster aus hochamplitudigen langsamen Wellen und in unregelmäßiger Häufigkeit auftretenden eingestreuten Epilepsie-typischen Potenzialen in Form von Spikes und Sharp-Waves. Dieses EEG-Muster wird als Hypsarrhythmie bezeichnet. Das EEG zeigt oft wechselnde fokale und multifokale Ausprägungen.
  8. Gendiagnostik: Untersuchung auf Genveränderungen, die als Ursache für die Krankheit in Frage kommen.

Behandlung des West-Syndroms

Ziel der Behandlung des West-Syndroms ist es, die Anfälle zu stoppen, die Entwicklung des Kindes bestmöglich zu fördern und die typischen Veränderungen im EEG zurückzubilden. Eine frühzeitige Diagnose und schnelle Behandlung sind entscheidend für den Erfolg. Die Behandlung sollte möglichst frühzeitig erfolgen.

Die wichtigsten Behandlungsansätze sind:

  • Medikamentöse Therapie: Verschiedene Medikamente werden eingesetzt, darunter Hormone (ACTH oder Prednisolon) und Vigabatrin. Die Hormontherapie kann Nebenwirkungen wie Bluthochdruck, Wassereinlagerungen, Herzvergrößerung oder Gewichtszunahme verursachen. Vigabatrin kann in seltenen Fällen zu Gesichtsfeldausfällen führen, insbesondere bei längerer Anwendung. Nach 14-tägiger Behandlung wird überprüft, ob die Medikamente wirken. Bessern sich die Anfälle nicht, stehen weitere Medikamente zur Verfügung. Zunächst kann z.B. eine Behandlung mit Sultiam oder Valproat versucht werden. In einigen Fällen (ca.10%) ist auch Vitamin B6 erfolgreich. Deswegen wird oft am Anfang einer Therapie hoch dosiertem Vitamin B6 gemacht.
  • Chirurgischer Eingriff: In seltenen Fällen, insbesondere bei nachgewiesenen Hirnschäden oder Fehlbildungen, kann ein chirurgischer Eingriff am Gehirn in Erwägung gezogen werden.
  • Unterstützende Maßnahmen: Eine ausführliche ärztliche Aufklärung über die Erkrankung sowie unterstützende Angebote zur Förderung der Entwicklung des Kindes sind wichtig. Durch eine Anbindung an ein spezialisiertes Zentrum erhält Ihr Kind eine umfassende Betreuung durch verschiedene TherapeutInnen.

Es ist sehr wichtig für die langfristige Lebensqualität, dass Sie oder Ihr Kind die verschriebenen Medikamente regelmäßig einnehmen. Ihre ÄrztInnen oder der Sozialdienst des Krankenhauses können Ihnen geeignete Adressen geben. In Selbsthilfegruppen können Sie Empfehlungen von anderen Betroffenen und Angehörigen erhalten. Sie können auch direkt bei Praxen anfragen, ob sie Erfahrung mit dem West Syndrom haben. Zögern Sie nicht, sich von den verschiedenen Berufsgruppen unterstützen zu lassen.

Prognose des West-Syndroms

Die Prognose des West-Syndroms ist individuell unterschiedlich und hängt von verschiedenen Faktoren ab, darunter der Zeitpunkt des Behandlungsbeginns, die Ursache der Erkrankung und das Ansprechen auf die Medikamente. Die Prognose ist abhängig von der Ursache der Krankheit. Durch bestimmte schwere Begleiterkrankungen kann die Sterblichkeit erhöht sein.

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Bei etwa einem Drittel der Kinder hören die Anfälle durch die Behandlung auf. Wenn sich das Kind bis zum Anfallsbeginn altersentsprechend entwickelt hat und keine Ursache für die Krankheit bekannt ist, ist die Prognose gut. In kryptogenen Fällen ist die Prognose gut. Bei günstigen Verläufen können die Anfälle um das 5. Lebensjahr sistieren.

Allerdings ist die Prognose oft durch Entwicklungsverzögerungen und den Übergang in andere Epilepsieformen getrübt. Bis zu 90 % der erkrankten Kinder weisen eine Entwicklungsverzögerung auf. Die Entwicklungsverzögerungen können verschiedene Bereiche betreffen und unterschiedlich stark ausgeprägt sein. Oft spricht die BNS-Epilepsie nicht ausreichend auf Medikamente an (pharmakoresistente Epilepsie). Bei etwa 60 % der betroffenen Kinder geht die BNS-Epilepsie mit der Zeit in ein Lennox-Gastaut-Syndrom über, einer anderen seltenen, schweren kindlichen Epilepsieform. Überleben etwa 30 Prozent nicht das 2. Lebensjahr.

Komplikationen des West-Syndroms

Zu den möglichen Komplikationen des West-Syndroms gehören:

  • Status epilepticus: Ein langer epileptischer Anfall, der einen akuten Notfall darstellt und sofort behandelt werden muss.
  • Nebenwirkungen der Medikamente: Die zur Behandlung des West-Syndroms eingesetzten Medikamente können verschiedene Nebenwirkungen verursachen.
  • Entwicklungsverzögerungen: Bis zu 90 % der betroffenen Kinder weisen Entwicklungsverzögerungen auf.
  • Übergang in andere Epilepsieformen: In etwa 60 % der Fälle geht das West-Syndrom in ein Lennox-Gastaut-Syndrom über. Gangstörungen: Manche Kinder können nicht richtig gehen. Sprachstörungen: Einige Kinder können Probleme haben, normal zu sprechen.

Häufigkeit des West-Syndroms

Die BNS-Epilepsie ist selten. Pro Jahr wird bei 2-6 von 10.000 Neugeborenen diese Form der Epilepsie festgestellt. 15-20 von 100.000 Kindern unter 10 Jahren leiden daran. 8 % der Kinder mit einer Epilepsie leiden an einer BNS-Epilepsie. Jungen sind häufiger betroffen als Mädchen (Verhältnis 3:2).

Wichtiger Hinweis

Wenn Ihr Kind solche Anfälle zeigt, sollten Sie es zeitnah in Ihrer Kinderarztpraxis vorstellen. Es kann für die genaue Diagnose sehr hilfreich sein, wenn Sie die Anfälle filmen und zum Arztgespräch mitbringen.

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