Die Frage, ob ein Leben in den eigenen vier Wänden trotz Epilepsie möglich und sicher ist, beschäftigt viele Betroffene. Die Antwort ist vielschichtig und hängt von verschiedenen Faktoren ab, wie der Art und Häufigkeit der Anfälle, dem Vorhandensein unterstützender Netzwerke und der individuellen Fähigkeit, mit der Erkrankung umzugehen.
Individuelle Faktoren und Anfallsrisiko
Die Entscheidung für oder gegen das Alleinleben sollte immer in Absprache mit Ärzten und gegebenenfalls Therapeuten getroffen werden. Ein wichtiger Aspekt ist die Anfallskontrolle. Menschen mit seltenen und gut kontrollierten Anfällen können in der Regel problemlos alleine leben. Bei häufigeren oder unkontrollierten Anfällen sind zusätzliche Sicherheitsmaßnahmen oder alternative Wohnformen wie betreutes Wohnen in Betracht zu ziehen.
- Schwere und Häufigkeit der Anfälle: Wer mehrmals wöchentlich Anfälle hat, sollte eher betreutes Wohnen oder das Leben bei der Familie in Erwägung ziehen.
- Art der Anfälle: Generalisierte tonisch-klonische Anfälle, insbesondere nächtliche Anfälle, bergen ein erhöhtes Risiko für den plötzlichen Epilepsietod (SUDEP).
- Anfallswahrnehmung: Wer Anfälle frühzeitig bemerkt, kann rechtzeitig Hilfe rufen.
Sicherheitsmaßnahmen und Hilfsmittel
Auch bei guter Anfallskontrolle ist es ratsam, Vorkehrungen für den Notfall zu treffen.
- Notfallknopf/Hausnotruf: Ein Panikknopf oder Hausnotruf kann im Notfall schnell Hilfe herbeirufen.
- Epilepsie-App: Spezielle Apps ermöglichen die Kontaktaufnahme zum Notarzt oder hinterlegen Notfalldaten.
- Notfallausweis/Informationsträger: Ein Notfallausweis oder Armband mit wichtigen Informationen zur Erkrankung sollte immer mitgeführt werden.
- Anfallssensor: Wearables können tonisch-klonische Anfälle erkennen und Alarm schlagen.
- Assistenzhunde: Speziell ausgebildete Assistenzhunde können Anfälle erkennen und warnen.
Wohnungsgestaltung und Tagesstruktur
Auch die Gestaltung der Wohnung und ein strukturierter Tagesablauf können zur Sicherheit beitragen.
- Wohnungsanpassung: Vermeiden Sie scharfe Kanten und unnötige Hindernisse in der Wohnung.
- Gefahrenquellen minimieren: Achten Sie auf die Sicherheit von Herd, Wasser und Rauch.
- Strukturierter Tagesablauf: Ein gut strukturierter Tagesablauf mit Erinnerungsstützen kann helfen, wichtige Aufgaben nicht zu vergessen.
- Regelmäßiger sozialer Kontakt: Telefonate oder Besuche von Freunden und Familie können Sicherheit geben.
Selbstbestimmung und Lebensqualität
Trotz der Herausforderungen ist das Alleinleben für viele Menschen mit Epilepsie ein wichtiger Schritt zu mehr Selbstbestimmung und Lebensqualität.
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- Akzeptanz der Erkrankung: Die Akzeptanz der Epilepsie als Teil des Lebens ist ein wichtiger Schritt zur Selbstständigkeit.
- Offener Umgang: Ein offener Umgang mit der Erkrankung im Freundeskreis und am Arbeitsplatz fördert das Verständnis und die Akzeptanz.
- Selbsthilfegruppen: Der Austausch mit anderen Betroffenen in Selbsthilfegruppen kann wertvolle Unterstützung bieten.
- Individuelle Strategien: Jeder Mensch mit Epilepsie entwickelt eigene Strategien, um mit der Erkrankung umzugehen und ein selbstbestimmtes Leben zu führen.
Betreutes Wohnen als Alternative
Für Menschen mit häufigen oder schwer kontrollierbaren Anfällen kann betreutes Wohnen eine sinnvolle Alternative sein.
- Unterstützung im Alltag: Betreutes Wohnen bietet Unterstützung im Alltag, ohne die Selbstständigkeit einzuschränken.
- Individuelle Betreuung: Die Betreuung wird individuell auf die Bedürfnisse des Einzelnen abgestimmt.
- Soziale Kontakte: Betreutes Wohnen ermöglicht soziale Kontakte zu anderen Menschen mit ähnlichen Erfahrungen.
Plötzlicher Epilepsietod (SUDEP)
Ein wichtiger, aber oft tabuisierter Aspekt ist das Risiko des plötzlichen Epilepsietodes (SUDEP).
- Risikofaktoren: Generalisierte tonisch-klonische Anfälle, insbesondere nächtliche Anfälle und das Alleinleben, erhöhen das SUDEP-Risiko.
- Aufklärung: Eine frühzeitige und umfassende Aufklärung über SUDEP ermöglicht es Betroffenen, das Risiko durch Veränderungen des Lebensstils und technische Hilfsmittel zu senken.
- Präventionsmaßnahmen: Anfallsreduzierende Therapie, Vermeidung von Risikofaktoren und der Einsatz von Anfallssensoren können das SUDEP-Risiko verringern.
- Kardiopulmunale Reanimation: Eltern und Mitbewohner von Epilepsiepatienten sollten unbedingt in der kardiopulmunalen Reanimation geschult sein.
Erfahrungen und Perspektiven
Viele Menschen mit Epilepsie leben erfolgreich alleine und meistern ihren Alltag.
- Tim Kröger: Der 25-Jährige lebt in einem Appartement des Wohnverbundes Junge Erwachsene im Epilepsie-Zentrum Bethel und schätzt die Möglichkeit, alleine zu sein und sich selbstständig um sich zu kümmern.
- Kim: Die 31-Jährige hat vor fünf Jahren die Diagnose Epilepsie erhalten und klärt mit ihrem Podcast „Synapsenzeit“ über Epilepsie auf. Sie zeigt, dass ein selbstbestimmtes Leben mit Epilepsie möglich ist.
- Michael Schäfer: Der Leiter der Epilepsie-Selbsthilfe-Darmstadt e. V. lebt seit fast 35 Jahren mit Epilepsie und ermutigt andere Betroffene, offen mit der Erkrankung umzugehen und ihr Leben selbst in die Hand zu nehmen.
- Anja Zeipelt: Die Epilepsiepatientenbotschafterin hilft täglich Patienten mit Epilepsie und deren Angehörigen und versucht, ihnen Mut zu machen.
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