Epilepsie ist eine neurologische Erkrankung, von der weltweit Millionen Menschen betroffen sind. Bei Frauen im gebärfähigen Alter wirft die Erkrankung besondere Fragen im Zusammenhang mit hormonellen Kontrazeptiva, Schwangerschaft und Menopause auf. Dieser Artikel beleuchtet die komplexen Zusammenhänge zwischen Epilepsie, hormonellen Schwankungen und der Anwendung hormoneller Verhütungsmittel.
Hormonelle Einflüsse auf epileptische Anfälle
Sexualhormone haben einen nachweislichen Einfluss auf die neuronale Erregbarkeit und können somit die Auslösung epileptischer Anfälle beeinflussen. Östrogene scheinen tendenziell anfallsfördernd zu wirken, während Progesterone und deren Abkömmlinge eher anfallsmindernde Eigenschaften besitzen.
Katameniale Epilepsie
Viele Frauen mit Epilepsie erleben zyklusabhängige Veränderungen ihrer Anfallshäufigkeit, ein Phänomen, das als katameniale Epilepsie bezeichnet wird. Definitionsgemäß liegt eine katameniale Epilepsie vor, wenn sich die tägliche Anfallsfrequenz in einer bestimmten Zyklusphase über sechs aufeinanderfolgende Monate verdoppelt.
Typische Zyklusphasen, in denen vermehrt Anfälle auftreten können, sind:
- Die Zyklusmitte (Tag 10 bis 13) aufgrund des Östrogenmaximums.
- Das Zyklusende um die Monatsblutung (ab Tag 25) bedingt durch den Progesteronabfall.
Ein sorgfältig geführter Anfallskalender, der die Dokumentation der Monatsblutung einschließt, kann die Diagnose erleichtern. Die Angaben zur Häufigkeit katamenialer Epilepsie variieren zwischen 10 und 78 %.
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Therapieoptionen bei katamenialer Epilepsie
Die therapeutischen Möglichkeiten bei katamenialer Epilepsie sind begrenzt. Eine Option ist die Langzeiteinnahme eines hormonellen Kontrazeptivums (Pille), um den Menstruationszyklus zu unterdrücken und die Anfallsfrequenz zu senken. Allerdings ist die Anwendung einer östrogenhaltigen Pille nicht in Kombination mit jedem Antiepileptikum möglich. Zyklische Gaben von Clobazam perimenstruell (10 Tage) führten bei zehn von 24 Frauen zu Anfallsfreiheit.
Antiepileptika und der endokrine Stoffwechsel
Antiepileptika können den endokrinen Stoffwechsel beeinflussen. Enzyminduzierende Antiepileptika wie Phenytoin, Phenobarbital und Carbamazepin können einen signifikanten Abfall von luteinisierendem Hormon und Estradiol sowie einen Anstieg von SHBG ("sex-hormone-binding-globuline") und Prolaktin verursachen. Die durch den SHBG-Anstieg vermehrte Proteinbindung senkt die Serumkonzentrationen der freien, wirksamen Sexualsteroide.
Polyzystisches Ovarialsyndrom (PCOS)
Das Polyzystische Ovarialsyndrom (PCOS) mit den Symptomen Oligo- oder Amenorrhoe, Hyperandrogenämie beziehungsweise Hyperandrogenisierungs-Erscheinungen und sonographisch polyzystischen Ovarien scheint bei Epilepsiepatientinnen, auch wenn sie keine Antiepileptika einnehmen, häufiger aufzutreten als in der Normalbevölkerung. Eine Valproat-Therapie wird mit der Entwicklung eines PCOS in Verbindung gebracht. Dabei scheinen endokrine Auswirkungen häufiger bei Frauen aufzutreten, die vor dem 20. Lebensjahr mit einer Valproat-Therapie begonnen haben. Valproat führt bei bis zu 57 Prozent der postpubertalen Mädchen zu einer Erhöhung der Testosteronspiegel.
Gewichtszunahme, eine häufige Nebenwirkung einer Valproat-Therapie, beruht vermutlich auf einer Valproat-induzierten Hyperinsulinämie beziehungsweise Insulinresistenz sowie auf einer Hyperleptinämie mit Leptinresistenz. Die für Valproat typische Gewichtszunahme kann das kardiovaskuläre Risikoprofil verschlechtern. Deshalb empfiehlt es sich bei Frauen mit Epilepsie, Zyklusunregelmäßigkeiten zu erfragen, nach Virilisierungszeichen zu suchen und den Gewichtsverlauf zu dokumentieren, um gegebenenfalls weitere Untersuchungen einzuleiten.
Fertilität
Störungen der Fortpflanzungsfähigkeit sind bei Patienten mit Epilepsie häufiger als in der Normalbevölkerung. Amenorrhoen sieht man bei 15 bis 20 Prozent der Epilepsiepatientinnen, sonstige Zyklusstörungen einschließlich Zwischenblutungen bei fast 50 Prozent. Die genauen Pathomechanismen sind nur unvollständig geklärt. In Frage kommen sowohl Störungen der Hypothalamus-Hypophysen-Achse durch die Epilepsie als auch die oben beschriebenen Einflüsse der Antiepileptika auf den Steroidhormonstoffwechsel. Man findet bei Temporallappenepilepsien gehäuft anovulatorische Zyklen, hypogonadotrope Amenorrhoen und PCO-Syndrome.
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Kontrazeption bei Epilepsiepatientinnen
Die Wahl der Verhütungsmethode bei Frauen mit Epilepsie ist von großer Bedeutung, da es zu Wechselwirkungen zwischen oralen Kontrazeptiva (OK) und Antiepileptika (AE) kommen kann. Einige AE können die Sicherheit von synthetischen kontrazeptiven Steroiden durch eine erhöhte Clearance mindern. Zu diesen AE zählen die starken CYP3a-Induktoren Carbamazepin, Phenytoin und Phenobarbital sowie die milden CYP3a-Induktoren Oxcarbazepin und Topiramat. Lamotrigin hat keinen Effekt auf die Ethinylestradiolspiegel, senkt aber die Levonorgestrelspiegel um bis zu 20 Prozent. Die Auswirkungen auf den Konzeptionsschutz hierdurch sind nicht bekannt.
Man geht davon aus, dass sich der Pearl-Index der gängigen Pillenpräparate (0,1 bis 0,7) unter Einnahme von enzyminduzierenden Antiepileptika (EZA) verdoppelt, wenngleich dazu nur nicht-prospektive Studien mit kleinen Fallzahlen vorliegen. Durch ein monophasisches Pillenpräparat im Langzyklus mit einem hohen Progesterongehalt in mindestens doppelter ovulationshemmender Dosis kann der Konzeptionsschutz verbessert werden. Ausschließlich gestagenhaltige Pillenpräparate sind bei gleichzeitiger Einnahme von enzyminduzierenden AE nicht sicher und somit ungeeignet.
Die beschriebenen Interaktionen gelten ebenso für andere Applikationsformen der Ovulationshemmer (Vaginalring, Pflaster) und für andere rein gestagenhaltige Kontrazeptiva (Depotgestagene und subkutane Gestagenstäbchen). Frauen, die enzyminduzierende AE benötigen, sollten sich nicht auf eine hormonelle Kontrazeption verlassen, sondern eine andere Art der Verhütung (zum Beispiel Spirale) wählen und zusätzlich Kondome benutzen.
Lamotrigin und hormonelle Kontrazeptiva
Manche Antiepileptikaserumspiegel - allen voran der Lamotriginspiegel (bis zu 50 Prozent) - werden durch ethylestradiolhaltige Kontrazeptiva nennenswert gesenkt. Bei klassischer Einnahme von Pillenpräparaten mit siebentägiger Pillenpause kann es zu zyklischen Wirkungsabschwächungen der AE-Therapie oder zu toxischen Medikamentenspiegeln in der Pillenpause kommen. Diese Spiegelschwankungen lassen sich durch die Einnahme von monophasischen Präparaten im Langzyklus vermeiden. Gegebenenfalls muss zu Beginn und bei Beendigung einer hormonellen Kontrazeption die Lamotrigin-Dosis angepasst werden.
Schwangerschaft und Epilepsie
Eine Schwangerschaft sollte bei Frauen mit Epilepsie in besonderer Weise vorbereitet und betreut werden. Die Häufigkeit epileptischer Anfälle ändert sich bei der Hälfte der betroffenen Frauen in der Schwangerschaft nicht. Bei 25 % der Frauen nimmt sie zu, bei 25 % verringert sie sich. Bereits vor Eintritt einer Schwangerschaft sollte mit dem betreuenden Neurologen Rücksprache über ein erhöhtes Fehlbildungsrisiko bedingt durch die antiepileptische Medikation genommen werden. Die verschiedenen Antiepileptika unterscheiden sich in Hinsicht auf Fehlbildungsrisiko für das Ungeborene erheblich. Als günstige Wirkstoffe haben sich Lamotrigin und Levetiracetam erwiesen, während z.B. Valproinsäure und Topiramat eher eine hohe Fehlbildungsrate aufweisen. Generell sollte eine Monotherapie in möglichst niedriger Dosierung angestrebt und Kombinationstherapien vermieden werden. Prophylaktisch wird die Einnahme von 5 mg Folsäure empfohlen. Bei Lamotrigin ist zu beachten, dass eine engmaschige Kontrolle des Serumspiegels im Verlauf der Schwangerschaft erforderlich ist, um das Absinken des Wirkspiegels frühzeitig zu erfassen und entsprechend durch Dosisanpassungen entgegenzuwirken. Dosisanpassungen sind unter Therapie mit Lamotrigin ab dem zweiten Schwangerschaftsdrittel zu erwarten.
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Vererbungsrisiken
Epilepsien sind ätiologisch heterogen und resultieren aus vielen genetischen und nicht-genetischen Faktoren. Das genetische Risiko für eine Epilepsie ist nur bei sehr seltenen, monogenen Erkrankungen chromosomal definiert und genau bekannt. Die generalisierten Epilepsiesyndrome haben grundsätzlich ein etwas höheres hereditäres Risiko als die fokalen Epilepsien. Für alle Syndrome zusammen liegt das Vererbungsrisiko bei 4 bis 5 Prozent für Kinder erkrankter Mütter und bei circa 2 Prozent für Kinder erkrankter Väter. Bei mehr als 90 Prozent aller Epilepsiepatienten ist die Familienanamnese leer.
Epileptische Anfälle während der Schwangerschaft
Die Anfallsfrequenz bleibt bei 67 Prozent der Frauen in der Schwangerschaft unverändert, bei 17 Prozent kommt es zu einer Zunahme, bei 16 Prozent zu einer Abnahme der Anfallshäufigkeit. Aus Sorge, dem ungeborenen Kind zu schaden, werden AE oft reduziert oder abgesetzt, was eine Anfallszunahme verursachen kann. Auch pharmakokinetische Veränderungen während der Schwangerschaft, wie Änderung von Magenmotilität, Plasmavolumen, Verteilungsvolumen, Leber- und Nierenfunktion und Proteinbindung, tragen dazu bei. Dies führt zu Schwankungen der Medikamentenclearance. Für Oxcarbazepin und Lamotrigin sind deutliche Serumspiegelabfälle während der Schwangerschaft mit Anfallszunahme und Wiederanstieg der Serumspiegel nach Entbindung gut belegt.
Dosisanpassungen sind in der Schwangerschaft sinnvoll und erfordern Vergleichsspiegel vor Beginn der Schwangerschaft vom selben Labor. Bei Anfallsrezidiven ist eine Erhöhung der Medikamentendosis notwendig. Nach der Entbindung kann der Wiederanstieg der Serumspiegel zu Nebenwirkungen führen.
Teratogenität von Antiepileptika
Das Risiko für Nachkommen mit kongenitalen Fehlbildungen und für Aborte oder Fehlgeburten verdoppelt sich nach den bisher - überwiegend retrospektiven - vorliegenden Studien von 1 bis 2 Prozent in der Normalbevölkerung auf 3 bis 9 Prozent bei Frauen mit Epilepsie, die Antiepileptika einnehmen. Monotherapien haben deutlich niedrigere Risiken für Fehlbildungen als Kombinationstherapien. Die höchste Fehlbildungsrate besteht unter Valproat bei Tagesdosen über 1000 mg.
Hinweise für substanzspezifische Fehlbildungen gibt es für Valproat (Neuralrohrdefekte, Lippen-Kiefer-Gaumenspalten), Carbamazepin und Phenytoin (Gaumenspalten) sowie Phenobarbital (kardiale Malformationen). Nach den derzeitigen Empfehlungen der Amerikanischen Epilepsie-Gesellschaft sowie der Deutschen Gesellschaft für Epileptologie sollte Valproat während des ersten Trimenons vermieden werden.
Folsäuresubstitution
Folsäuremangel führt in der Normalbevölkerung gehäuft zu Neuralrohrdefekten. Neuralrohrdefekte sind für Valproat und Carbamazepin bekannt. Eine Folsäuresubstitution bei Antiepileptika(AE)-Einnahme und Kinderwunsch wird empfohlen. Die Dosisangaben schwanken zwischen 0,4 bis 5 mg pro Tag für das erste Trimenon. Allen Frauen mit Kinderwunsch wird schon präkonzeptionell und im ersten Trimenon täglich 0,4 mg Folsäure empfohlen. Bei AE-Therapie, insbesondere bei Valproat- und Carbamazepin-Einnahme, werden 5 mg Folsäure pro Tag empfohlen.
Menopause und Epilepsie
Die Menopause markiert die letzte Menstruation, auf die keine weitere Regelblutung mehr folgt. Als Perimenopause wird die Lebensphase ein bis zwei Jahre vor und nach der Menopause bezeichnet. In diesem Lebensabschnitt endet die Fruchtbarkeit der Frau aufgrund der nachlassenden Funktion der Eierstöcke. Das durchschnittliche Lebensalter bei Erreichen der Menopause beträgt 51 Jahre. Bei Frauen mit Epilepsie ist dieser Zeitpunkt häufig deutlich vorverlegt, im Mittel sind die Frauen 40 Jahre alt. In der Perimenopause gerät das zyklische Gleichgewicht des anfallssteigernden Östrogens und des anfallsmindernden Progesterons durcheinander. Zwar reifen in dieser Phase weiterhin östrogenproduzierende Follikel heran, durch ein gehäuftes Ausbleiben des Eisprungs wird jedoch weniger Progesteron freigesetzt. Somit kommt es zu einem „Östrogenüberschuss“, welcher in dieser Lebensphase eine Zunahme der Anfallsaktivität bedingen kann. Bei etwa 15 % der Epilepsie-Patientinnen manifestiert sich die Epilepsie in der Perimenopause.
Hypogonadismus bei Männern mit Epilepsie
Hormonstörungen sind relativ häufig bei Frauen und Männern mit Epilepsie. Diese manifestieren sich bei Frauen als Zyklusstörungen, Hirsutismus und Infertilität und als Libidoverlust, Impotenz und Infertilität bei Männern. Untersuchungen des bioverfügbaren Testosterons (BAT) zeigen, dass ein Hypogonadismus in etwa bei einem Drittel der Männern mit Temporallappenepilepsie auftreten kann. BAT vermindert sich altersabhängig bei Männer mit Epilepsie rascher als bei Kontrollen. Einige Studien haben eine signifikante Beziehung zwischen vermindertem Serum-BAT und sexueller Dysfunktion gezeigt. Männer mit Epilepsie zeigen bei niedrig - normalen BAT-Spiegeln ein Vorhandensein einer sexuellen Dysfunktion, welche bei Männern der Allgemeinbevölkerung sich nicht klinisch manifestiert.
Ätiologisch können sowohl für einen Hypogonadismus als auch für reproduktive und sexuelle Dysfunktionen bei Männern mit Epilepsie eine Vielzahl von Ursachen in Betracht gezogen werden. AEDs können die Sexualfunktion beim Mann teilweise erheblich beeinflussen. Bereits in den 1850er-Jahren, als Brom zur Behandlung von Epilepsien eingeführt wurde, sah man, dass diese Salze zu Impotenz führen können. Später zeigte eine randomisierte Medikamentenstudie nach einem Therapiebeginn von Carbamazepin (CBZ), Phenytoin (PHT), Phenobarbital oder Primidon in Monotherapie bei 11-22 % der Männer die Entwicklung von Impotenz oder verminderter Libido. Erste Studien, die von endokrinen Störungen bei Männern mit Antikonvulsivatherapie berichten, wurden in den 1970er- und 1980er-Jahren veröffentlicht. Es wurde ein Anstieg von einem SHBG-Serumspiegel und Abfall des freien (bioaktiven) Testosterons beschrieben. Begleitend dazu wurden verminderte Sexualfunktionen gefunden.
Psychosozialer Stress kann bei Hypogonadismus in Verbindung mit einer Epilepsie eine wichtige Rolle spielen. Cortisolspiegel sind bei Menschen mit Epilepsie höher als bei Kontrollen und ähnlich wie bei Menschen mit einer Depression. Anders als bei einer Depression sind bei Epilepsien die täglichen Schwankungen jedoch oft nicht vorhanden. Enzym induzierende AEDs können die gonadale Testosteronsynthese direkt unterdrücken, die Testosteronbindung durch Induktion der Sexhormonbindungsglobulin (SHBG)-Synthese erhöhen und Serumöstradiolspiegel in absoluter oder relativer Hinsicht erhöhen.
In einem Vergleich der sexuell/reproduktiven Funktion und reproduktiven Hormonspiegel bei 85 Männern mit Epilepsie, die unterschiedliche AEDs einnahmen (25 Carbamazepin [CBZ], 25 Phenytoin [PHT], 25 Lamotrigin [LTG] und 10 unbehandelt in den mindestens letzten 6 Monaten [keine AED]) und 25 Kontrollen fanden Herzog et al. dass sexuelle Funktionscores („S-scores“), Hormonspiegel (bioaktives Testosteron, Östradiol), Hormonverhältnisse (bioaktives Testosteron/bioaktives Östradiol) und gonadale Effizienz (bioaktives Testosteron/luteinisierendes Hormon) signifikant höher als bei den Kontrollen und in der LTG-behandelten Gruppe als in der CBZ- und PHT-behandelten Gruppe waren. Das Sexhormonbindungsglobulin war signifikant höher in der CBZ- und PHT-Gruppe als in allen anderen Gruppen.
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