Die Frage nach dem Zusammenhang zwischen Corona-Impfungen und dem Auftreten von Epilepsie ist komplex und erfordert eine differenzierte Betrachtung. In diesem Artikel werden die verfügbaren Daten, mögliche Risiken und Empfehlungen für Menschen mit Epilepsie im Zusammenhang mit der COVID-19-Impfung beleuchtet.
Einführung
Seit Beginn der COVID-19-Pandemie und der Entwicklung von Impfstoffen gegen das SARS-CoV-2-Virus sind Fragen nach möglichen Nebenwirkungen und Risiken von Impfungen aufgekommen. Insbesondere Menschen mit Vorerkrankungen wie Epilepsie sind oft unsicher, ob eine Impfung für sie sicher ist. Dieser Artikel soll dazu beitragen, diese Unsicherheiten auszuräumen und eine fundierte Entscheidungsgrundlage zu bieten.
Krampfanfälle nach Corona-Impfung: Daten und Fakten
Das Paul-Ehrlich-Institut (PEI), zuständig für die Überwachung der Sicherheit von Impfstoffen in Deutschland, erfasst und bewertet Verdachtsfälle von Impfnebenwirkungen. Krampfanfälle gehören laut PEI zu den Ereignissen von besonderem medizinischem Interesse (Adverse Event of Special Interest), die für die Überwachung der Sicherheit von Vakzinen sehr relevant sind.
Dem PEI wurden nach Impfung mit einem Covid-19-Impfstoff bisher insgesamt 1169 Verdachtsfallmeldungen eines Krampfanfalls berichtet. Von den verbleibenden Ereignissen wurden 741 Fälle nach Impfung mit Comirnaty und 131 Fälle nach Impfung mit Spikevax gemeldet. Dies entspricht einer Melderate von 0,5 Fällen pro 100.000 Comirnaty-Impfungen und 0,4 Fällen pro 100.000 Spikevax-Impfungen. 113 Meldungen erfolgten nach Impfung mit Vaxzevria und 38 Meldungen nach Impfung mit Jcovden. Dies entspricht einer Melderate von 0,9 Fällen pro 100.000 Vaxzevria-Impfungen und 1 Fall pro 100.000 Jcovden-Impfungen.
Es ist wichtig zu betonen, dass es sich bei diesen Zahlen um Verdachtsfälle handelt. Das bedeutet, dass ein zeitlicher Zusammenhang zwischen Impfung und Krampfanfall besteht, aber nicht zwangsläufig ein ursächlicher Zusammenhang. Eine individuelle medizinisch-klinische Begutachtung der Verdachtsfälle findet im Rahmen des Spontanmeldesystems seitens des Paul-Ehrlich-Instituts nicht statt. Das Spontanmeldesystem zu Verdachtsfällen auf Impfnebenwirkungen und Impfkomplikationen ist nur ein Baustein in der Bewertung der Arzneimittelsicherheit (Pharmakovigilanz).
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Mögliche Ursachen für Krampfanfälle im Zusammenhang mit Impfungen
Es gibt verschiedene Mechanismen, die zu Krampfanfällen im zeitlichen Zusammenhang mit Impfungen führen können:
- Fieber: Impfungen können als Impfreaktion Fieber auslösen. Fieber senkt die Krampfschwelle und kann bei Menschen mit Epilepsie oder einer entsprechenden Veranlagung Anfälle auslösen.
- Immunologische Reaktion: In seltenen Fällen kann die Impfung eine überschießende Immunreaktion auslösen, die sich auch auf das Nervensystem auswirken und Krampfanfälle verursachen kann.
- Direkte Viruswirkung: Theoretisch ist es möglich, dass das Virus oder Bestandteile des Impfstoffs direkt auf das Gehirn wirken und Krampfanfälle auslösen. Dies ist jedoch sehr selten und wurde bisher nur in Einzelfällen beobachtet.
- Zufälliges Auftreten: Es ist auch möglich, dass Krampfanfälle nach einer Impfung zufällig auftreten und nicht durch die Impfung selbst verursacht werden. Insbesondere bei Menschen mit einer bestehenden Epilepsieerkrankung können Anfälle unabhängig von der Impfung auftreten.
COVID-19-Erkrankung und neurologische Manifestationen
Bereits kurz nach dem Beginn der COVID-19-Pandemie wurden erste Berichte über das Auftreten von neurologischen Manifestationen im Rahmen von COVID-19 Erkrankungen veröffentlicht. Eine initiale retrospektive Studie von 214 mit bestätigter SARS-CoV-2-Infektion hospitalisierten Patient*innen aus Wuhan, China, beschrieb das Auftreten von neurologischen Symptomen in 36,4 %.
Die berichteten neurologischen Manifestationen umfassen Enzephalopathie, Geruchs- und Geschmacksstörung, Kopfschmerzen, zerebrovaskuläre Erkrankungen wie ischämischer Schlaganfall, intrazerebrale Blutungen und zerebrale Sinusvenenthrombosen, epileptische Anfälle, hypoxische Hirnschädigung sowie para-/postinfektiöse Syndrome wie Guillain-Barré-Syndrom, akute disseminierte Enzephalomyelitis (ADEM) und akute nekrotisierende Enzephalopathie.
In der bislang größten Untersuchung zu neurologischen Manifestationen bei COVID-19 von Frontera et al. fanden sich epileptische Anfälle bei 74 von 4491 Patientinnen (1,6 %) und stellten damit nach Enzephalopathie und Schlaganfällen die dritthäufigste neurologische Manifestation dar. Bei 34 der 74 Patientinnen (46 %) war bislang keine Diagnose einer Epilepsieerkrankung bekannt gewesen.
Epilepsie und Corona-Impfung: Empfehlungen
Grundsätzlich ist eine Impfung gegen das Corona-Virus für Menschen mit Epilepsie sehr sinnvoll. Die Ständige Impfkommission des Robert-Koch-Instituts (STIKO) stuft Epilepsie nicht als generelle Kontraindikation für Impfungen ein. Nach allem verfügbaren Wissen ist für Epilepsiepatienten wie für die Allgemeinbevölkerung das Risiko bei einer Erkrankung an COVID-19 wesentlich höher als ein mögliches Risiko bei Durchführung der Impfung.
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Es gibt jedoch einige Punkte, die Menschen mit Epilepsie vor einer Corona-Impfung beachten sollten:
- Ärztliche Beratung: Sprechen Sie vor der Impfung mit Ihrem behandelnden Arzt oder Neurologen. Besprechen Sie Ihre individuelle Situation, Ihre Epilepsieform und Ihre Medikation.
- Fieberprophylaxe: Wenn bei Ihnen früher im Rahmen von Infekten oder Impfungen epileptische Anfälle ausgelöst wurden, so besprechen Sie mit Ihrem sie betreuenden Arzt, ob Sie für drei Tage prophylaktisch ein fiebersenkendes Medikament bei Durchführung einer Impfung einnehmen sollten (z.B. Paracetamol) oder ob Sie vorübergehend die antikonvulsive Medikation erhöhen sollten.
- Allergien: Ferner enthalten die Coronavirus-Impfstoffe Inhaltsstoffe, gegen die eine Allergie bestehen kann. Wenn bei Ihnen Allergien bekannt sind, so besprechen Sie mit dem die Impfung durchführenden Arzt, ob bei Ihnen bekannte Allergene im Impfstoff enthalten sind und ob ggf. ein Impfstoff gewählt werden kann, der diese nicht enthält.
- Immunsuppression: Ausnahmen von der generellen Impfempfehlung können möglicherweise bei einer bestehenden Immunschwäche oder bei einer Behandlung, die die Immunantwort vermindert, bestehen. Hierzu zählen als Medikamente insbesondere Corticosteroide (z.B. Prednisolon), Azathioprin oder auch monoklonale Antikörper wie Rituximab, die bei frühkindlichen und immunologisch bedingten Epilepsien eingesetzt werden, ferner Everolimus, das zur Behandlung bei einer Epilepsie bedingt durch Tuberöse Sklerose eingesetzt wird. Wenn Sie immunsuppressiv behandelt werden, so besprechen Sie mit Ihrem Arzt vor der Impfung, ob diese dennoch für Sie sinnvoll ist.
Fallbeispiele und persönliche Erfahrungen
Trotz der generellen Impfempfehlung gibt es auch Menschen, die nach einer Corona-Impfung negative Erfahrungen gemacht haben. Ein Beispiel ist Tobias Jentsch, der nach einer Impfung mit Astrazeneca schwere gesundheitliche Probleme entwickelte, darunter eine Hirnvenenthrombose und Epilepsie. Sein Fall wurde als Impfschaden anerkannt, aber er kämpft weiterhin um Entschädigung und Anerkennung seiner Situation.
Solche Fälle zeigen, dass Impfschäden zwar selten sind, aber für die Betroffenen gravierende Folgen haben können. Es ist wichtig, diese Erfahrungen ernst zu nehmen und Betroffenen Unterstützung anzubieten.
Aktuelle Forschung und Studien
Die Forschung zum Thema Corona-Impfung und Epilepsie ist noch nicht abgeschlossen. Es gibt jedoch einige aktuelle Studien, die interessante Ergebnisse liefern.
Eine Studie aus Oxford fand heraus, dass im Anschluss an COVID-19 häufiger zu Krampfanfällen oder einer Epilepsie kommt als nach einer Grippe. Die Forscher ermittelten für COVID-19-Patienten (im Vergleich zu den Grippepatienten) eine Hazard-Ratio von 1,55 für das Auftreten von Krampfanfällen und eine Hazard-Ratio von 1,87 für eine Epilepsie.
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Diese Ergebnisse deuten darauf hin, dass eine COVID-19-Erkrankung selbst ein höheres Risiko für Krampfanfälle und Epilepsie darstellt als eine Impfung gegen das Virus.
Umgang mit Anfallsmedikamenten und COVID-19-Therapien
In Zusammenhang mit COVID-19 wurde auf das mögliche Potenzial von pharmakokinetischen Interaktionen zwischen Anfallsmedikamenten und COVID-19-Therapien hingewiesen. Beispielsweise können hepatische Enzyminduktoren wie Carbamazepin und Phenytoin die Konzentration von Remdesivir, das häufig in der Behandlung von schwer kranken COVID-19-Patient*innen eingesetzt wird, signifikant reduzieren.
Daher ist es wichtig, dass behandelnde Ärzte über die Medikation des Patienten informiert sind, um mögliche Wechselwirkungen zu berücksichtigen.