Neue Therapieansätze bei Epilepsie: Ein Überblick

Epilepsien gehören zu den häufigsten neurologischen Erkrankungen. In Deutschland sind ca. 400.000 bis 800.000 Menschen davon betroffen. Knapp ein Prozent der Bevölkerung hat Epilepsie. Sie können in jedem Lebensalter beginnen. Die Anfälle können ein gesundheitliches Risiko darstellen und erheblichen Einfluss auf das Leben haben. Jahrhundertelang versuchte man, Epilepsiekranken mit Exorzismus ihre angeblichen «Dämonen» auszutreiben. Heute gibt es mehr als 30 wirksame Medikamente, präzisere Diagnostik und neue Operationsverfahren. Doch immer noch bekommt ein Teil der Patienten trotzdem Anfälle.

Was ist Epilepsie?

Ein epileptischer Anfall ist eine Störung der elektrochemischen Hirnaktivität. Die Betroffenen verlieren dabei vorübergehend die Kontrolle über ihren Körper und/oder ihr Bewusstsein. Die Diagnose Epilepsie wird gestellt, wenn mindestens zwei epileptische Anfälle aufgetreten sind oder nach einem ersten unprovozierten Anfall ein deutlich erhöhtes Risiko von mehr als 60% für weitere Anfälle besteht. Epilepsie ist ein sehr vielfältiges Krankheitsbild. Hierbei erleiden einige Patientinnen und Patienten starke Anfälle, bei denen sie das Bewusstsein verlieren, zu Boden stürzen und sich der gesamte Körper zusammenkrampft und zuckt. Hierbei spricht man von sogenannten Generalisierten Anfällen, die beide Hirnhälften betreffen. Bei sogenannten fokalen Anfällen treten die epileptischen Anfälle in bestimmten Hirnregionen auf. Bei fokalen Epilepsien entstehen epileptische Anfälle immer wieder an ein und derselben Stelle im Gehirn. Bei der klinisch häufigsten Form, der sogenannten Schläfenlappenepilepsie, liegt der Fokus sehr oft im Hippocampus, wo Lernen, Gedächtnis und Emotionskontrolle gesteuert werden.

Aktuelle Behandlungsmethoden

Die Behandlung beginnt mit der Beratung zu Anfallsrisiken und -auslösern. Sie erfolgt dann meist medikamentös mit anfallsunterdrückenden Medikamenten. Inzwischen stehen uns mehr als 30 Präparate mit unterschiedlichen Wirkmechanismen und Dosierungen zur Verfügung, sodass wir die Therapie besser individualisieren können.1 Mit genaueren Diagnosemethoden können wir viel präziser als früher den Epilepsieherd lokalisieren und damit besser vorhersagen, ob der Patient operiert werden kann. Chirurgisch haben wir mit tiefer Hirnstimulation, Laser und Ultraschall neue Optionen.

Individualisierung der Therapie

Damals wie heute ist die Betreuung von Menschen mit Epilepsie sehr befriedigend. Wir können die meisten Patienten mit Medikamenten oder mit einer Operation anfallsfrei machen. Wie man die Behandlung individualisiert und in therapieresistenten Fällen vorgeht und was uns in der Zukunft erwarten könnte, erklärt Prof. L. Imbach. Die Empfehlungen in dieser Patienten-Leitlinie sollen Betroffene helfen, sich aktiv an den Entscheidungen zu ihren medizinischen Belangen zu beteiligen. Patienten-Leitlinien gibt es daher schon zu verschiedenen neurologischen Krankheiten über Epilepsie hinaus.

Medikamentöse Therapie

Bei den meisten Patient*innen kann durch anfalls-unterdrückende Medikamente in Mono- oder Kombinations-Therapie völlige oder weitgehende Anfallsfreiheit erreicht werden.

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Auswahl des Medikaments

Die Auswahlkriterien für die Erstbehandlung beruhen aufgrund der geschilderten methodischen Probleme seit deren Publikation wesentlich auf den sog. SANAD-Studien („standard and new antiepileptic drugs“; [36‐39]). Entsprechend positionieren sich auch die Leitlinien. Die initiale medikamentöse Epilepsietherapie ist eine Monotherapie. Hauptgrund hierfür ist, dass die Beurteilbarkeit von Wirksamkeit und Verträglichkeit wesentlich einfacher sind. Die Liste der zur Monotherapie fokaler bzw. generalisierter Epilepsien zugelassenen ASM ist limitiert.

Pharmakologisches Profil

Die Therapieplanung setzt die Kenntnis des pharmakologischen Profils jeder Substanz voraus, um nach Möglichkeit, bezogen auf die individuellen Bedürfnisse, das bestmögliche Medikament zu identifizieren und im Verlauf beurteilen zu können, welche Begleitmaßnahmen erforderlich sind, um Wirksamkeit und Verträglichkeit zu optimieren. Dabei ist eine anhaltende Wirkung essentiell.

Therapeutisches Drugmonitoring

Die Bedeutung des therapeutischen Drugmonitorings wird dabei v. a. bei der Beurteilung der initialen Monotherapie überschätzt. Sie dient dann nur der Sicherstellung der Adhärenz und kann bei einem günstigen Verlauf dazu dienen, den individuellen therapeutischen Bereich festzuhalten, unter dem Patientinnen und Patienten anfallsfrei bei einwandfreier klinischer Verträglichkeit sind.

Leitlinienkonforme Therapie

In aller Regel beginnen Therapien zumindest im Erwachsenenalter bei fokalen Epilepsien leitlinienkonform [22, 23] bevorzugt mit Lamotrigin entsprechend der Ergebnisse der SANAD-II-Studie [38].

Chirurgische Optionen

Wenn keine Anfallsfreiheit erreicht wird, ist die Verträglichkeit der anfallssuppressiven Medikamente (ASM) für Patientinnen und Patienten wichtiger als die Anfallsfrequenz [18, 40]. Doch bei einigen versagt diese Methode. Dann besteht die Möglichkeit, den auslösenden Herd im Gehirn neurochirurgisch zu entfernen. Das geht jedoch nur, wenn es nur einen bzw.

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Epilepsiechirurgie im Krankenhaus Mara

So wurde im Krankenhaus Mara zum Beispiel 1991 die Epilepsiechirurgie eingeführt und 1997 die erste Klinik für Epilepsie-Rehabilitation eröffnet.

Neue Therapieansätze

Trotz der erfolgreichen Entwicklung einer breiten Palette von Antiepileptika ist ein Drittel der Epilepsien resistent gegen diese Form der Behandlung. Die derzeit verfügbaren Medikamente lindern die Symptome der Erkrankung, greifen jedoch nicht in die dem Krankheitsprozess zugrundeliegenden Mechanismen ein.

Gentherapie

Am heutigen Tag der Epilepsie berichtet Prof. Dr. Regine Heilbronn, von EpiBlok Therapeutics GmbH, von einer neuen Gentherapie, bei der ein Adeno-assoziiertes Virus (AAV) das Gen für das Neuropeptid Dynorphin gezielt in Neurone der betroffenen Hirnregion bringt. Ziel ist eine langfristige Unterdrückung von Anfällen, indem die Nervenzellen Dynorphin auf Vorrat produzieren und bei Bedarf ausschütten. EpiBlok entwickelt einen Genvektor, der epileptische Anfälle am Ort der Entstehung verhindern kann. Die schonende Einmaltherapie wird nur zum Zeitpunkt der Anfallsentstehung aktiviert. Es handelt sich um einen AAV-basierten Genvektor, der schützende Neuropeptide fokal produziert und speichert. Diese werden nur bei starker Erregung freigesetzt, wie zu Beginn eines Anfalls.

Dynorphin-basierte Gentherapie

Forschungsgruppen der Charité - Universitätsmedizin Berlin und der Medizinischen Universität Innsbruck haben einen grundlegend neuen Ansatz zur Behandlung von Temporallappen-Epilepsie entwickelt: Eine Gentherapie soll ermöglichen, dass beginnende Krampfanfälle gezielt am Ort ihrer Entstehung und nur bei Bedarf unterdrückt werden. Die neue Methode basiert auf einer gezielten Gentherapie, mit der ein spezielles Gen selektiv in die Nervenzellen jener Gehirnregion eingeschleust wird, von der die epileptischen Anfälle ausgehen. Das Gen liefert die Produktionsanweisung für Dynorphin, eine körpereigene Substanz, die vor übermäßiger neuronaler Erregung schützen kann. Sobald die Neuronen das Gen aufgenommen und gespeichert haben, produzieren sie dauerhaft den Wirkstoff auf Vorrat. „Bei hochfrequenter Stimulation der Nervenzellen, wie zu Beginn eines Anfalls, wird Dynorphin ausgeschüttet. Es bewirkt eine Dämpfung der Reizweiterleitung und der epileptische Anfall bleibt aus“, beschreibt der Neurobiologe und Epilepsie-Experte Prof. Schwarzer die Methode. „Da der Wirkstoff nur bei Bedarf von den Zellen abgegeben wird, sprechen wir von einer ‘drug on demand‘-Gentherapie.“ Das Forschungsteam konnte jetzt im Tiermodell zeigen, dass die Gentherapie epileptische Anfälle über mehrere Monate unterdrückt. Mit den Anfällen blieben auch deren negative Effekte auf Lernen und Gedächtnis aus. Nebenwirkungen haben die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler bisher nicht beobachtet, was sich durch die regional und zeitlich beschränkte Wirkung der Dynorphin-Ausschüttung erklären lässt. Durch die bedarfsgesteuerte Freisetzung wurden auch keine Gewöhnungseffekte festgestellt. Zusätzlich testete die Forschungsgruppe das Behandlungsprinzip auch an Gewebeproben von Epilepsiepatienten - mit Erfolg: Dynorphin konnte die Stärke und Häufigkeit synchroner Neuronen-Aktivität im Gewebeverbund deutlich reduzieren.

Nächste Schritte für EpiBlok

Gefördert durch das GO-Bio-Förderprogramm validieren wir derzeit den Genvektor, um ihn als minimalinvasive Einmaltherapie klinisch zu prüfen und zulassungsfähig zu machen. Unsere Vision ist es, die heute üblichen Therapien von fokalen Epilepsien mit antiepileptischen Medikamenten mit starken Nebenwirkungen oder mittels invasiver Operationen in Zukunft durch unsere lokale, minimal-invasive, und ‚on demand‘ erfolgende Therapie abzulösen.

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EASEE®-Elektrode

Bei dem neuen Behandlungsverfahren wird zunächst eine flache Elektrode unter der Kopfhaut, aber über dem Schädelknochen platziert - über der Stelle in der Gehirnrinde, wo die Anfälle entstehen. Durch individuell programmierte elektrische Impulse hoher Frequenz, die der Patient nicht spürt, sollen Anfälle in ihrer Entstehung und Ausbreitung unterdrückt werden. Die Impulse kann der Patient auch selbst auslösen, wenn er einen Anfall kommen fühlt. Das Verfahren mit dem Produktnamen „EASEE®“ wurde vom Heidelberger Start-Up-Unternehmen Precisis entwickelt und in Studien auf seine Wirksamkeit und Verträglichkeit überprüft, weshalb es seit kurzem in Europa zur Behandlung von Patienten mit therapieschwierigen Epilepsien zugelassen ist.

Immuntherapie bei Autoimmun-Enzephalitis

Bei einer sogenannten „Autoimmun-Enzephalitis“ greift das Immunsystem das Gehirn an. „Es kommt zu einer Entzündung des Gehirns, welche sich durch epileptische Anfälle und Gedächtnisstörungen zeigen kann“, erklärt Oberärztin Dr. Bereits vor rund zehn Jahren wurde entdeckt, dass viele Patienten durch den Einsatz von Immunmedikamenten wie Kortison in kurzer Zeit von akuten Entzündungen und dadurch ausgelösten Anfällen geheilt werden können. In einer aktuell veröffentlichten Studie ist es gelungen, diese Form von Epilepsie als eigenständiges Syndrom zu definieren.

Rolle von TAK1 in Mikrogliazellen

Forscher des Universitätsklinikums Düsseldorf (Neurochirurgie) haben in Zusammenarbeit mit dem Institut für Zelluläre Neurowissenschaften der Universität Bonn sowie dem Institut für Neuropathologie des Universitätsklinikums Freiburg herausgefunden, wie spezielle Immunzellen im Gehirn die Entstehung der chronischen Epilepsie verstärken. Das Team um PD Dr. Sajjad Muhammad konnte zeigen, dass direkt nach einem epileptischen Anfall die Mikrogliazellen im Maus-Gehirn verstärkt das Enzym TAK1 (TGF beta activated kinase 1) produzieren. TAK1 spielt eine wesentliche Rolle bei entzündlichen Prozessen im Gehirn. Wurde TAK1 in den Mikrogliazellen spezifisch ausgeschaltet, reduzierte sich die Schwere der epileptischen Anfälle deutlich.

ASO gegen SCN2A bei SCN2A-DEE

Ein Kind kommt im LMU Klinikum Großhadern zu früh auf die Welt und leidet fast ununterbrochen an epileptischen Anfällen. Das Mädchen hat eine ultraseltene Erkrankung: eine frühe und schwerste Epilepsie mit einer sogenannten Natriumkanalmutation, eine "SCN2A-assoziierte Entwicklungs- und epileptische Enzephalopathie" (SCN2A-DEE). Alle herkömmlichen, anfallsunterbrechenden Therapien bleiben erfolglos. Dann wagt ein Team des Dr. von Haunerschen Kinderspitals zusammen mit der Neonatologie und des pädiatrischen Epilepsiezentrums am LMU Klinikum sowie dem TUM Klinikum einen neuen Behandlungsansatz. schließlich zu einer deutlichen Reduktion der Anfallsfrequenz.

Herausforderungen und Zukunftsperspektiven

Leider erleidet trotz Medikamenten immer noch einer von drei Patienten weiterhin Anfälle. In solchen therapierefraktären Fällen können wir heute neben der resektiven Chirurgie auch mit modernen Stimulationsverfahren versuchen, die Anfallsfrequenz zu reduzieren. Bislang gibt es wenige Ausnahmen hiervon, wenn nämlich tatsächlich durch ein Medikament oder eine andere therapeutische Maßnahme die Erkrankung oder Schädigung ursächlich angegangen werden kann, als deren Folge u. a. epileptische Anfälle als Symptome resultieren, etwa medikamentös durch die Therapie von Patientinnen und Patienten mit tuberöser Sklerose und Epilepsie mit Everolimus [15] und außerhalb der Arzneimittelbehandlung bei Vitamin‑B6-abhängigen Epilepsien durch die Vitaminsubstitution [41] oder bei Gukose-1-Transporterdefekt mittels ketogener Ernährung [13], schließlich auch epilepsiechirurgisch [51].

Bedeutung der Forschung

„Jede neue Erkenntnis trägt zu einer verbesserten Versorgung unserer Patienten bei“, fassen Univ.-Prof. Bien und Dr. Mit Erfolg - die Mutter von drei Kindern arbeitet und forscht in Teilzeit und ist auf dem Weg zur Habilitation. Und die nächsten Forschungsthemen des Mara-Teams sind bereits in Planung.

Wunsch nach einfacheren Therapiemöglichkeiten

Hochwirksame neue ASM wie Brivaracetam, Perampanel oder Cenobamat, die alle in der Wirkung durch Enzyminduktoren eher abgeschwächt werden, nicht in Monotherapie wie seitens der US-amerikanischen Zulassungsbehörde vorexerziert zuzulassen, beraubt Verschreibern einer naheliegenden und einfachen Therapiemöglichkeit mit allen oben bekannten Vorteilen der Monotherapie und setzt Patientinnen und Patienten im Grunde überflüssigen Zusatztherapien aus, die letztlich nur ein höheres Störwirkungsrisiko mit sich führen.

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