Alternative Behandlungsmethoden für Epilepsie

Epilepsie ist eine der häufigsten neurologischen Erkrankungen. In Deutschland sind schätzungsweise 400.000 bis 800.000 Menschen betroffen. Die Erkrankung kann in jedem Lebensalter auftreten und manifestiert sich durch wiederholte epileptische Anfälle. Die Diagnose Epilepsie wird in der Regel gestellt, wenn mindestens zwei epileptische Anfälle aufgetreten sind oder wenn nach einem ersten unprovozierten Anfall ein deutlich erhöhtes Risiko (über 60 %) für weitere Anfälle besteht. Epilepsie ist ein sehr vielfältiges Krankheitsbild, bei dem einige Patienten starke Anfälle erleiden, die mit Bewusstseinsverlust, Stürzen und generalisierten Krämpfen einhergehen (generalisierte Anfälle), während andere Patienten fokale Anfälle haben, die in bestimmten Hirnregionen auftreten.

Konventionelle Behandlungsmethoden und ihre Grenzen

Die Basis der Epilepsie-Therapie bilden Antikonvulsiva, Medikamente, die gegen Epilepsie wirken und die Nervenzellen im Gehirn stabilisieren, um unkontrollierte Entladungen zu verhindern. Fokale und generalisierte Epilepsien werden unterschiedlich behandelt, da verschiedene Medikamente bei verschiedenen Arten von Epilepsie unterschiedlich gut wirken. Paradoxerweise kann der falsche Einsatz von Antiepileptika Epilepsien auch verschlimmern. Die medikamentöse Epilepsietherapie ist sehr erfolgreich: Zirka 70 Prozent aller Patienten werden durch die heute zur Verfügung stehenden Medikamente ohne größere Nebenwirkungen anfallsfrei.

Trotz der Verfügbarkeit verschiedener Medikamente sprechen einige Patienten nicht auf die Behandlung an oder entwickeln im Laufe der Zeit eine Resistenz gegen die Medikamente. Bereits zu Beginn der Erkrankung sprechen ca. ein Drittel der Patienten auf keine der verfügbaren Medikamentenklassen an. Außerdem versagen mit zunehmender Krankheitsdauer die verfügbaren Medikamente immer häufiger. Für diese Patienten sind alternative Behandlungsmethoden von großer Bedeutung. Bei rund einem Drittel der Epilepsiepatienten kann mit Medikamenten allein keine Anfallsfreiheit erreicht werden - in diesen Fällen sollten alternative oder zusätzliche Behandlungsmethoden geprüft werden.

Alternative Behandlungsmethoden

Gentherapie

Ein vielversprechender neuer Ansatz ist die Gentherapie. Am heutigen Tag der Epilepsie berichtet Prof. Dr. Regine Heilbronn, von EpiBlok Therapeutics GmbH, von einer neuen Gentherapie, bei der ein Adeno-assoziiertes Virus (AAV) das Gen für das Neuropeptid Dynorphin gezielt in Neurone der betroffenen Hirnregion bringt. Ziel ist eine langfristige Unterdrückung von Anfällen, indem die Nervenzellen Dynorphin auf Vorrat produzieren und bei Bedarf ausschütten. EpiBlok entwickelt einen Genvektor, der epileptische Anfälle am Ort der Entstehung verhindern kann. Die schonende Einmaltherapie wird nur zum Zeitpunkt der Anfallsentstehung aktiviert. Es handelt sich um einen AAV-basierten Genvektor, der schützende Neuropeptide fokal produziert und speichert. Diese werden nur bei starker Erregung freigesetzt, wie zu Beginn eines Anfalls.

Forschungsgruppen der Charité - Universitätsmedizin Berlin und der Medizinischen Universität Innsbruck haben einen grundlegend neuen Ansatz zur Behandlung von Temporallappen-Epilepsie entwickelt: Eine Gentherapie soll ermöglichen, dass beginnende Krampfanfälle gezielt am Ort ihrer Entstehung und nur bei Bedarf unterdrückt werden. Die neue Methode basiert auf einer gezielten Gentherapie, mit der ein spezielles Gen selektiv in die Nervenzellen jener Gehirnregion eingeschleust wird, von der die epileptischen Anfälle ausgehen. Das Gen liefert die Produktionsanweisung für Dynorphin, eine körpereigene Substanz, die vor übermäßiger neuronaler Erregung schützen kann. Sobald die Neuronen das Gen aufgenommen und gespeichert haben, produzieren sie dauerhaft den Wirkstoff auf Vorrat. „Bei hochfrequenter Stimulation der Nervenzellen, wie zu Beginn eines Anfalls, wird Dynorphin ausgeschüttet. Es bewirkt eine Dämpfung der Reizweiterleitung und der epileptische Anfall bleibt aus“, beschreibt der Neurobiologe und Epilepsie-Experte Prof. Schwarzer die Methode. „Da der Wirkstoff nur bei Bedarf von den Zellen abgegeben wird, sprechen wir von einer ‘drug on demand‘-Gentherapie.“ Das Forschungsteam konnte jetzt im Tiermodell zeigen, dass die Gentherapie epileptische Anfälle über mehrere Monate unterdrückt. Mit den Anfällen blieben auch deren negative Effekte auf Lernen und Gedächtnis aus. Nebenwirkungen haben die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler bisher nicht beobachtet, was sich durch die regional und zeitlich beschränkte Wirkung der Dynorphin-Ausschüttung erklären lässt. Durch die bedarfsgesteuerte Freisetzung wurden auch keine Gewöhnungseffekte festgestellt. Zusätzlich testete die Forschungsgruppe das Behandlungsprinzip auch an Gewebeproben von Epilepsiepatienten - mit Erfolg: Dynorphin konnte die Stärke und Häufigkeit synchroner Neuronen-Aktivität im Gewebeverbund deutlich reduzieren.

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Die nächsten Schritte in der Entwicklung von EpiBlok sind die Validierung des Genvektors, um ihn als minimalinvasive Einmaltherapie klinisch zu prüfen und zulassungsfähig zu machen. Die Vision ist es, die heute üblichen Therapien von fokalen Epilepsien mit antiepileptischen Medikamenten mit starken Nebenwirkungen oder mittels invasiver Operationen in Zukunft durch eine lokale, minimal-invasive, und ‚on demand‘ erfolgende Therapie abzulösen.

Epilepsiechirurgie

Wenn Medikamente nicht ausreichend wirken, kann eine Operation eine Option sein. Hierbei untersucht man, ob die epileptischen Anfälle von einer bestimmten Stelle des Gehirns ausgehen und ob es möglich ist, diese operativ zu entfernen, ohne dass der Patienten Störungen im Bereich von Gedächtnis, Kraft oder Sprache erleidet. Nach der Operation und dem anschließenden stationären Aufenthalt wird in der Regel ein weiterer stationärer Aufenthalt in einer Rehabilitationsklinik mit Epilepsie-Schwerpunkt (Medizinische Rehabilitation) empfohlen. Innerhalb der ersten Jahre nach der Operation finden in unterschiedlichen Abständen Nachsorgeuntersuchungen statt, in die alle an der prächirurgischen Diagnostik und operativen Epilepsietherapie beteiligten Berufsgruppen (Ärzte, Neuropsychologie, Psychologie, Sozialdienst) mit eingebunden sind. Ebenso müssen die Medikamente zur Epilepsiebehandlung nach der Operation noch mehrere Jahre eingenommen werden. Sind dann keine weiteren Anfälle aufgetreten, kann nach Absprache mit dem behandelnden Arzt versucht werden, die Medikamente abzusetzen.

Neurostimulation

Im Gegensatz zur Epilepsiechirurgie kann mit der Neurostimulation keine Anfallsfreiheit erreicht werden. Allerdings bewirkt sie, je nach Art der Epilepsie und des eingesetzten Verfahrens, eine deutliche Minderung der Anfallsfrequenz bzw. Bei der Neurostimulation werden Strukturen im Gehirn oder solche, die dort hinführen (wie der Vagus-Nerv), mit niedriger Stromstärke stimuliert. Im direkten Vergleich scheint die Tiefe Hirnstimulation - die allerdings nur unter bestimmten Bedingungen in Frage kommt - effektiver als die Vagus-Nerv-Stimulation zu sein. 20-30 Prozent aller Epilepsiepatienten sprechen nicht ausreichend auf eine medikamentöse Behandlung an und / oder können aus verschiedenen Gründen nicht operiert werden.

Vagusnervstimulation (VNS)

Die VNS steht bereits seit Mitte der 90er Jahre als erfolgversprechende Behandlungsalternative zur Verfügung. Hierbei wird der 10. Dafür muss ein Pulsgenerator in eine Hauttasche unter dem linken Schlüsselbein eingesetzt und mittels eines Elektrodenkabels eine Verbindung zum 10. Hirnnerv im linken Halsbereich hergestellt werden. Dies erfolgt im Rahmen einer (minimalinvasiven) 1,5-stündigen OP unter Vollnarkose. In der Regel können die Patienten bereits am Folgetag nach Aktivierung des Systems entlassen werden.

Transkutane Vagusnervstimulation (t-VNS)

Dies ist die Weiterentwicklung der VNS, bei der keine Operation und kein Klinikaufenthalt erforderlich ist. Allerdings liegt die Effektivität deutlich unter der der konventionellen Methode. Spezielle Nervenfasern werden hier über eine Ohrelektrode am Ohr durch sanfte elektrische Impulse aktiviert (Neurostimulation). Die t-VNS kann Anfallssituation und Lebensqualitätvon Patienten mit pharmakoresistenten Epilepsien verbessern - und sollte daher bereits frühzeitig zum Einsatz kommen.

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Transkranielle Magnetstimulation (TMS)

Bei der Transkraniellen Magnetstimulation erfolgt die Stimulation durch die Schädeldecke und erreicht so die übererregten Hirnstrukturen.

Tiefe Hirnstimulation (DBS)

Bei diesem Verfahren werden Elektroden in bestimmte Strukturen meist auf beiden Seiten des Gehirns implantiert. Die Tiefe Hirnstimulation ist bei Menschen mit Bewegungsstörungen etabliert und zur Therapie des M. In einer Studie konnte gezeigt werden, dass die Tiefe Hirnstimulation zu einer Reduzierung der Anfallshäufigkeit führt, wenn eine bestimmte Hirnregion - der anteriore Thalamus - stimuliert wird; besonders profitiert haben Menschen mit komplex-fokalen (bzw. automotorischen) Anfällen und Menschen mit Temporallappenepilepsien.

Ketogene Diät

In bestimmten Fällen kann neben der medikamentösen Therapie auch eine Diät (z.B. die ketogene Diät) in Frage kommen.

Cannabidiol (CBD)

Cannabidiol (CBD) wird eine krampflösende Wirkung nachgesagt. Im Jahr 2018 entwickelte sich in den wissenschaftlichen Zeitschriften, aber auch in den Informationen für medizinische Laien und Patienten geradezu ein Hype zur Frage, ob Cannabis eine geeignete Substanz zur Behandlung von Epilepsien ist. Zu dieser Thematik wurden sorgfältige medizinische Studien durchgeführt. Diese haben klare Ergebnisse ergeben. Als auch unter modernen pharmakologischen Gesichtspunkten für gut befundene Cannabisbestandteile gelten Δ9-Tetrahydrocannabinol (THC) und Cannabidiol (CBD). THC ist für die Rauschmitteleffekte verantwortlich und wird medizinisch bei schwerer Spastik, bei Multipler Sklerose, bei starken Tumorschmerzen, Übelkeit und bei Gewichtsabnahme bei Tumorerkrankungen erfolgreich eingesetzt. Dies ist bei Cannabidiol anders. Cannabidiol (CBD) zeigte in verschiedenen Studien in speziellen Patientengruppen eine gute Wirksamkeit. Knapp die Hälfte der Patienten mit Dravet-Syndrom, eine seltene Epilepsieform im Kindesalter, und mit Lennox-Gastaut-Syndrom,eine Epilepsieform, die durch ihre Sturzanfälle besonders belastend für die Patienten ist, zeigt eine Verminderung der Anfälle um 50 Prozent. Zu berücksichtigen ist, dass in der Kontrollgruppe ohne wirksames Medikament etwa 20 Prozent der Betroffenen diese Verbesserung zeigten.

Die amerikanische Zulassungsbehörde (Food and Drug Aministration (FDA)) hat im Juni 2018 einem Medikament der Firma GW (Epidiolex) eine Zulassung für die oben beschrieben Epilepsieformen erteilt. Dieses Präparat kann über die Auslandsapotheke bezogen werden. Die Dosis sollte bei mindestens 10mg/kg Körpergewicht liegen. Im Prinzip kann auch durch einen Apotheker in Deutschland eine entsprechende Cannabidiollösung mit hohem Reinheitsgrad hergestellt werden. Die rechtlichen Hindernisse - denn Cannabisderivate unterliegen dem Betäubungsmittelgesetz - hat der Gesetzgeben für den medizinischen Gebrauch bereits 2017 beseitigt. Zusammenfassend soll festgehalten werden, dass ein spezieller Extrakt aus der Cannabispflanze, das Cannabidiol (CBD), antiepileptische Eigenschaften hat, die am Menschen in Studien untersucht wurden. Psychische Effekte wie das THC hat es nicht. Es stellt eine Ergänzung der bisherigen Medikamente dar und wird als medizinische Lösung vom Apotheker hergestellt oder kann mit hohem finanziellen Aufwand über eine internationale Apotheke aus den USA bezogen werden. Ihre Wirksamkeit ist für bestimmte Epilepsieformen als hochwertig nachgewiesen.

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Anfallsselbstkontrolle

Parallel zur medikamentösen Epilepsietherapie kann auch der verhaltenstherapeutische Ansatz der Anfallsselbstkontrolle in die Behandlung integriert werden.

Wichtige Aspekte der Epilepsiebehandlung

Es ist wichtig zu beachten, dass Epilepsie eine Erkrankung ist, die durchaus einen dynamischen Krankheitsverlauf hat und dass die Behandlung von Epilepsie immer darauf abzielt, die beste Lebensqualität zu erreichen. Zu Beginn der Erkrankung ist ganz klar das Behandlungsziel die Anfallsfreiheit. Die Anfallsfreiheit macht den größten Unterschied in der Lebensqualität - die Reduktion von Anfällen wie z.B. von vier auf zwei Anfällen im Monat ist zwar natürlich eine Verbesserung, aber nicht das, was den großen Sprung in der Lebensqualität macht. Das liegt daran, dass die Anfälle nach wie vor unvermittelt auftreten und unvorhersehbar sind und man nie weiß, wann der Anfall kommt.

Die Therapie bzw. welches Antikonvulsivum gegen Anfälle das richtige ist, hängt von der Art der Epilepsie (fokal oder generalisiert) und der Art der Anfälle ab (fokal, generalisiert, Absencen, Myoklonie etc.). Hinzu kommt, andere wichtige Faktoren abzuklären - beispielsweise wird bei Frauen im gebärfähigen Alter geschaut, ob eine Empfängnisverhütung betrieben wird und ob es da Interaktionen gibt. Gerade Menschen im höheren Lebensalter wird geschaut, ob es mit etwaigen anderen Medikamenten Interaktionen zwischen den Medikamenten gibt. Außerdem wird auf andere Komorbiditäten, also andere Erkrankungen geachtet, die vielleicht durch die Medikamente auch beeinträchtigt werden können. Häufig ist es so, dass der Neurologe bei der Auswahl einer Therapie zwei oder drei verschiedene Optionen und deren Vor- und Nachteile vorstellt und Sie mitentscheiden können, für welches Medikament Sie sich entscheiden.

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