Epileptischer Anfall: Was tun? Ein umfassender Leitfaden

Epileptische Anfälle können beängstigend sein, sowohl für die Betroffenen als auch für die Zeugen. Dieser Artikel soll Ihnen helfen, epileptische Anfälle zu verstehen und zu wissen, wie Sie in verschiedenen Situationen am besten reagieren.

Was ist ein epileptischer Anfall?

Ein epileptischer Anfall entsteht durch eine übermäßige Entladung von Neuronen im Gehirn. Die Symptome können je nach Ort und Ausmaß der Entladung stark variieren. Epilepsie ist eine häufige Erkrankung, von der fast 1 % der Bevölkerung betroffen ist. Ein einzelner Krampfanfall bedeutet jedoch noch keine Epilepsie.

Definition von Epilepsie

Laut der Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN) liegt eine Epilepsie vor, wenn mindestens zwei epileptische Anfälle ohne erkennbare Auslöser im Abstand von mehr als 24 Stunden aufgetreten sind oder ein Anfall vorliegt, bei dem es Hinweise auf eine Neigung zu weiteren Anfällen gibt.

Ursachen und Risikofaktoren

Die Ursachen der Epilepsie sind noch nicht vollständig geklärt. In vielen Fällen spielt eine genetische Veranlagung eine Rolle. Andere Ursachen können sein:

  • Unfälle (posttraumatisch)
  • Veränderungen in der Gehirnstruktur
  • Fieberkrämpfe im Kindesalter
  • Schlaganfall
  • Hirntumore oder -infektionen

Auslöser (Trigger) von epileptischen Anfällen

Epileptische Anfälle können ohne erkennbaren Grund auftreten, aber es gibt auch bekannte Auslöser, die einen Anfall provozieren können:

Lesen Sie auch: Was Sie über epileptische Anfälle nach Hirnblutungen wissen sollten

  • Schlafmangel
  • Unregelmäßiger Schlaf-Wach-Rhythmus
  • Starke körperliche oder seelische Belastung (Stress)
  • Hohes Fieber
  • Alkohol und Alkoholentzug
  • Drogen oder Schlafmittelentzug
  • Flackerndes Licht (Computerspiele, Stroboskopbeleuchtung)

Anfallsformen

Es gibt verschiedene Arten von epileptischen Anfällen, die sich grob in fokale und generalisierte Anfälle unterteilen lassen.

Fokale Anfälle

Fokale Anfälle entstehen in einem bestimmten Bereich des Gehirns. Die Symptome hängen davon ab, welcher Hirnbereich betroffen ist.

  • Motorische Symptome: Zuckungen, Verkrampfungen oder Versteifungen bestimmter Körperteile.
  • Sensorische Symptome: Kribbeln, plötzliche Wärme oder Kälte, Halluzinationen (Gerüche, Geschmäcker, Töne oder Bilder, die nicht vorhanden sind).
  • Beeinträchtigung des Bewusstseins: Benommenheit, Verwirrtheit oder Abwesenheit (komplex-fokaler Anfall).
  • Automatismen: Unwillkürliche Handlungen wie Kauen, Schmatzen, Nesteln an der Kleidung.

Ein fokaler Anfall kann sich zu einem generalisierten Anfall ausweiten, wenn sich die Nervenzellen im gesamten Gehirn überreagieren.

Generalisierte Anfälle

Generalisierte Anfälle erfassen beide Gehirnhälften.

  • Tonisch-klonische Anfälle (Grand-Mal-Anfälle): Zunächst Sturz zu Boden, Bewusstlosigkeit, Versteifung der Gliedmaßen (tonische Phase), Atemstillstand (blaue Verfärbung), anschließend Zuckungen am ganzen Körper (klonische Phase), Zungen- oder Wangenbiss, Urin- oder Stuhlabgang. Nach dem Anfall Schlaf- und Orientierungsphase, später oft Amnesie.
  • Klonische Anfälle: Rhythmische Muskelzuckungen.
  • Tonische Anfälle: Muskelverkrampfungen (Streckung der Extremitäten).
  • Atonische Anfälle: Sturz durch Tonusverlust der Muskulatur.
  • Absencen: Kurze Bewusstseinspausen, meist ein kurzes Innehalten, wirken abwesend, blicken ins Leere.

Status epilepticus

Ein Status epilepticus liegt vor, wenn ein epileptischer Anfall länger als 5 Minuten dauert oder eine Serie von Anfällen ohne zwischenzeitliche Erholung auftritt. Dies ist ein lebensbedrohlicher Notfall, der sofort behandelt werden muss.

Lesen Sie auch: Epileptische Anfälle durch Licht: Ein Überblick

Postiktale Phase

Nach einem epileptischen Anfall befinden sich die Patienten häufig in einer Reorientierungsphase, der postiktalen Phase. Diese Phase kann einige Minuten bis mehrere Stunden andauern und Symptome wie Sprachstörungen, Vigilanzminderungen, Lähmungen und Gedächtnisstörungen umfassen.

Was tun bei einem epileptischen Anfall? Erste Hilfe

Es ist wichtig, ruhig zu bleiben und die betroffene Person vor Verletzungen zu schützen. Die meisten Anfälle hören von selbst wieder auf und sind nicht lebensgefährlich.

Allgemeine Maßnahmen

  • Ruhe bewahren: Ein epileptischer Anfall kann beunruhigend aussehen, ist aber meist harmlos.
  • Auf die Uhr schauen: Notieren Sie den Beginn und das Ende des Anfalls.
  • Verletzungen verhindern: Sorgen Sie für eine sichere Umgebung und entfernen Sie gefährliche Gegenstände.
  • Kopf schützen: Legen Sie etwas Weiches unter den Kopf.
  • Person nicht festhalten: Dies kann zu Verletzungen führen.
  • Nichts in den Mund schieben: Es besteht Verletzungsgefahr für Zähne, Lippen und Gaumen.
  • Bei der Person bleiben: Lassen Sie die Person nicht allein, bis sie wieder vollständig orientiert ist.
  • Beobachten und dokumentieren: Machen Sie sich Notizen oder ein Handyvideo vom Anfall, um später dem Arzt genaue Angaben machen zu können.

Spezifische Maßnahmen je nach Anfallsform

  • Fokale Anfälle mit Automatismen: Entfernen Sie gefährliche Gegenstände aus der Hand der betroffenen Person und halten Sie sie aus Gefahrenzonen fern.
  • Generalisierte Anfälle: Lockern Sie enge Kleidung am Hals, um die Atmung zu erleichtern. Drehen Sie den Kopf zur Seite, falls starke Speichelabsonderung auftritt, um ein Verschlucken zu verhindern.
  • Bewusstlosigkeit nach dem Anfall: Überprüfen Sie die Atemwege auf Erbrochenes und Speichel und bringen Sie die Person in die stabile Seitenlage.

Wann den Notarzt rufen?

  • Wenn der Anfall länger als 5 Minuten dauert (Status epilepticus).
  • Wenn es sich um den ersten epileptischen Anfall der betroffenen Person handelt.
  • Wenn auf den ersten Anfall direkt ein zweiter Anfall folgt, ohne dass die Person zwischendurch wieder zu Bewusstsein gelangt.
  • Wenn es durch den Anfall zu Verletzungen gekommen ist.
  • Wenn Sie unsicher sind, wie Sie weiter vorgehen sollen.

Medikamentöse Notfallbehandlung

Ein epileptischer Anfall, der maximal 2 Minuten dauert, kann in der Regel nicht medikamentös unterbrochen werden. Bei einem Status epilepticus ist jedoch eine sofortige medikamentöse Behandlung erforderlich.

  • Benzodiazepine: Midazolam, Lorazepam oder Diazepam werden häufig zur Krampfunterbrechung eingesetzt. Sie können intravenös, intramuskulär, intranasal, rektal oder bukkal verabreicht werden.

Die Verabreichung von Notfallmedikamenten sollte idealerweise durch geschultes Personal (Notarzt, Rettungsdienst) erfolgen. In Rücksprache mit dem Arzt können aber auch Angehörige oder Partner von Epilepsie-Patienten entsprechende Medikamente zur Verabreichung im Notfall erhalten.

Diagnostik

Um die Ursache eines epileptischen Anfalls zu ermitteln und eine Epilepsie zu diagnostizieren, sind verschiedene Untersuchungen erforderlich:

Lesen Sie auch: Provokation von Anfällen im Straßenverkehr

  • Anamnese: Genaue Beschreibung des Anfalls durch den Patienten und/oder Augenzeugen.
  • Neurologische Untersuchung: Überprüfung der Hirnnerven, Körperkraft, Körperempfindungen, Reflexe, Koordination und intellektuellen Leistungen.
  • EEG (Elektroenzephalogramm): Messung der hirnelektrischen Aktivität, um epilepsietypische Potentiale zu erkennen.
  • MRT (Magnetresonanztomographie): Schichtaufnahme des Gehirns, um Veränderungen der Gehirnstruktur (z. B. Vernarbungen, Missbildungen, Tumore) zu erkennen.
  • Laboruntersuchungen: Blut- und Liquoruntersuchungen, um Entzündungszeichen auszuschließen.
  • Neuropsychologische Untersuchung: Testverfahren zur Erkennung von Beeinträchtigungen der Hirnleistungsfähigkeit.

Therapie

Die Therapie der Epilepsie zielt darauf ab, Anfälle zu verhindern und die Lebensqualität der Betroffenen zu verbessern.

Medikamentöse Therapie

Die medikamentöse Therapie mit Antiepileptika ist die häufigste Behandlungsform. Es sollte zunächst versucht werden, mit nur einem Antiepileptikum auszukommen (Monotherapie). Die Therapie muss über mindestens 2 Jahre durchgeführt werden, oft sogar lebenslang. Das Ansetzen, Umstellen oder Absetzen der Antiepileptika erfolgt in der Regel schrittweise („Ein-, Ausschleichen“). Um die richtige Dosis zu finden, wird der Arzneimittelspiegel regelmäßig kontrolliert.

Chirurgische Therapie

Wenn die medikamentöse Therapie nicht ausreichend wirksam ist (pharmakoresistente Epilepsie) und ein klar definierter Anfallsursprung im Gehirn identifiziert werden kann, kann eine Operation in Erwägung gezogen werden.

Weitere Therapieansätze

  • Ketogene Diät: Eine spezielle fettreiche, kohlenhydratarme Diät, die in einigen Fällen bei Kindern mit Epilepsie wirksam sein kann.
  • Vagusnervstimulation: Ein implantiertes Gerät stimuliert den Vagusnerv, um die Anfallshäufigkeit zu reduzieren.

Was müssen Pflegekräfte und MFA wissen?

Pflegekräfte und Medizinische Fachangestellte spielen eine wichtige Rolle in der Betreuung von Menschen mit Epilepsie. Sie sollten über die verschiedenen Anfallsformen, die Erste-Hilfe-Maßnahmen und die Bedeutung der Medikamenteneinnahme informiert sein. Außerdem sollten sie in der Lage sein, Patienten und Angehörige zu beraten und zu unterstützen.

Leben mit Epilepsie

Mit der richtigen Behandlung und einer angepassten Lebensweise können Menschen mit Epilepsie ein weitgehend normales Leben führen.

Prävention

  • Regelmäßiger Tagesablauf
  • Ausreichend Schlaf
  • Vermeidung von Anfallsauslösern (z. B. Alkohol, Stress, Flackerlicht)
  • Führen eines Anfallskalenders, um Auslöser und Medikamentenwirkungen nachvollziehen zu können

Sonstige Empfehlungen

  • Notfallausweis mitführen
  • Kollegen bzw. Lehrer informieren
  • Sich mit Alkohol zurückhalten
  • Keinen Beruf mit erhöhter Selbst- oder Fremdgefährdung wählen
  • Keinen Sport mit erhöhter Selbst- oder Fremdgefährdung treiben
  • Führen eines (Privat-)Fahrzeugs ist nur erlaubt, wenn Anfallsfreiheit und ein unauffälliges EEG vorliegen
  • Frauen mit Epilepsie sollten vor einer Schwangerschaft Rücksprache mit dem Arzt halten

Epilepsie und Lebenserwartung

Eine Epilepsie kann die Lebenserwartung verkürzen, muss es aber nicht. Das hängt stark von der Ursache und der Grunderkrankung ab. Hat die Epilepsie z. B. eine genetische Ursache, haben die Betroffenen eine ähnliche Lebenserwartung wie Menschen ohne Epilepsie. Die Epilepsie selbst kann jedoch zum Tod führen, wenn jemand aufgrund eines Anfalls einen Unfall hat und sich lebensgefährlich verletzt oder es beim Status epilepticus zu Herz- und Lungenversagen kommt. Extrem selten ist es, dass Menschen mit Epilepsie plötzlich und unerwartet sterben (SUDEP).

tags: #epileptischer #Anfall #was #tun