Methoden zur Löschung von Erinnerungen im Gehirn

Gequält von schrecklichen Erinnerungen leiden viele Menschen unter posttraumatischen Belastungsstörungen. Die Forschung arbeitet intensiv an Methoden, um diesen Patienten zu helfen, möglicherweise sogar mit einer "Pille des Vergessens".

Gezieltes Löschen von Erinnerungen in Tierversuchen

In Tierversuchen, insbesondere an Ratten und Mäusen, werden Wirkstoffe getestet, die gezielt einzelne Erinnerungen löschen sollen. Die Forschung konzentriert sich auf Wirkstoffe, die im Hippocampus oder der Amygdala wirken, also in den Hirnregionen, die für die Entstehung und Speicherung von Erinnerungen wichtig sind. Diese Wirkstoffe sollen während der Phase der Erinnerungskonsolidierung, also der Verfestigung der Erinnerung, eingreifen.

Ein Beispiel hierfür ist ein Experiment, bei dem Ratten beigebracht wurde, einen bestimmten Käfig mit unangenehmen Elektroschocks zu assoziieren. In der Folge erstarrten die Tiere vor Schreck, sobald sie in diesen Käfig kamen. Durch die Injektion des Medikaments Zebularin in den Hippocampus konnte diese Schockreaktion am nächsten Tag jedoch verhindert werden. Zebularin reaktiviert ein Gen, dessen Produkt, die Phosphatase I, Erinnerungen löschen kann. Im normalen Lernprozess wird dieses Gen durch Methylgruppen blockiert. Zebularin entfernt diese Methylgruppen und ermöglicht so die Reaktivierung des Gens und die Löschung der Erinnerung an die Elektroschocks.

In einem anderen Ansatz wurde Ratten beigebracht, dass auf einen bestimmten Ton ein Elektroschock folgt. In der Folge zeigten die Tiere eine Schockstarre allein beim Hören des Tons. Durch die gleichzeitige Injektion des Wirkstoffs U0126 in die Amygdala während des Abspielens des Tons konnte diese Reaktion jedoch verhindert werden. Interessanterweise blieb die Reaktion auf einen anderen, antrainierten Ton erhalten.

Diese Experimente zeigen, dass es möglich ist, gezielt negative Erinnerungen zu löschen, indem man in den molekularen Speicherprozess eingreift, während das Gehirn die gelernte Verknüpfung verstärken oder aufrechterhalten müsste.

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Weitere Wirkstoffkandidaten und Mechanismen

Neben Zebularin und U0126 gibt es eine Reihe weiterer Wirkstoffkandidaten, die zur Gedächtnislöschung eingesetzt werden könnten. Diese greifen in unterschiedliche Prozesse der Gedächtnisbildung ein. Einige Beispiele sind:

  • Enzym Alpha-CAMK-II lahmlegen: Dieses Enzym ist an der Gedächtnisbildung beteiligt.
  • Proteinkinase M zeta stoppen: Dieses Enzym ist für das Langzeitgedächtnis notwendig.
  • AMPAR verändern: AMPAR ist ein Rezeptor in der Zellmembran von Nervenzellen der Amygdala, mit dessen Hilfe furchteinflößende Erinnerungen relativiert werden können.

Letztendlich sind es die spezifischen Verschaltungen von Nervenzellen, die Erinnerungen speichern. Dies wurde in einem Experiment gezeigt, bei dem bestimmte Nervenzellen in der Amygdala von Mäusen ausgeschaltet wurden, was zu einer dauerhaften Löschung einer vorher gelernten negativen Langzeiterfahrung führte.

Ethische Bedenken und gesellschaftliche Auswirkungen

Auch wenn die Forschung vielversprechend ist, wirft die mögliche Anwendung von Gedächtnislöschungstechnologien beim Menschen eine Reihe ethischer Fragen auf.

  • Bedeutung negativer Erinnerungen: Negative Erinnerungen können für das Individuum und die Gesellschaft bedeutsam sein. Sie können uns vor zukünftigen Gefahren warnen und uns helfen, aus unseren Fehlern zu lernen.
  • Auswirkungen auf die Persönlichkeit: Das Löschen von Erinnerungen könnte die Persönlichkeit eines Menschen verändern und seine Identität beeinträchtigen.
  • Missbrauchspotenzial: Die Möglichkeit, Erinnerungen zu löschen, könnte missbraucht werden, beispielsweise um Zeugen zum Schweigen zu bringen oder um die Vergangenheit zu manipulieren.
  • Folgen für die Gesellschaft: Wie würde sich eine Gesellschaft entwickeln, in der traumatische Erinnerungen einfach per Spritze oder Pille gelöscht werden könnten? Könnte dies zu einer Verharmlosung von Gewalt und Unrecht führen?
  • Kollektives Gedächtnis: Alle Erinnerungen, auch die schmerzvollen, erfüllen einen wichtigen Zweck. Selbst wenn im Fall einer posttraumatischen Belastungsstörung eine Erinnerung für den einzelnen Patienten qualvoll sein mag, so erfüllt sein Gedächtnis für die Gesellschaft doch eine wichtige Aufgabe.

Aktives Vergessen: Wie wir unser Gehirn unterstützen können

So richtig löschen kann der Mensch Erinnerungen also nicht - doch sie lassen sich immerhin in den hinteren Teil der neuronalen Sockenschublade verbannen. Und dabei kann jeder das Gehirn unterstützen. "Eine Möglichkeit besteht etwa darin, immer wieder verwandte Inhalte aus dem Gedächtnis abzurufen, was dazu führen kann, dass die unerwünschten Erinnerungen selbst immer schwerer abrufbar werden", erklärt Bäuml. Doch was, wenn keinerlei positive Erinnerungen existieren, die der negativen gegenübergestellt werden könnten? "Eine zweite Möglichkeit besteht darin, die alte, unerwünschte Information durch verwandte neue Information zu ersetzen. Das heißt: nach vorne schauen und möglichst schnell neue, am besten positive Erfahrungen machen", erklärt Bäuml. So kann der Prozess befördert werden, Erlebnisse, die einem Schlaf und Nerven rauben, in das Synapsennirvana zu schicken. Rein theoretisch müsste der Mensch also, um etwas zu vergessen, dafür sorgen, dass die Synapsen und ihre Verbindungen der jeweiligen Erinnerungen abgeschwächt werden. Inwiefern und in welchem Maße jeder einzelne dazu in der Lage ist, ist allerdings noch wenig erforscht. Um das Gehirn bei diesem Vorgang zumindest zu unterstützen, lautet ein weiterer Tipp des Psychologen Bäuml: an etwas anderes denken.

Ein anderer Weg könnte darin bestehen, die Erinnerung an das negative Ereignis zu sperren: "Versuchen Sie, die unerwünschte Information gar nicht erst ins Bewusstsein kommen zu lassen. Das kann allmählich dazu führen, dass diese Inhalte wirklich weniger oft ins Gedächtnis kommen", erklärt Bäuml.

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Neurofeedback und künstliche Intelligenz

Eine neue Methode des Neurofeedbacks, die "artificial intelligence image recognition" beinhaltet, hat gezeigt, dass es möglich ist, angstbesetzte Erinnerungen zu identifizieren und anschließend wieder zu löschen. Bei diesem Vorgehen werden die Teilnehmer nicht wiederholt dem Auslöser der Angst ausgesetzt, wie es in der Konfrontationstherapie üblich ist. Stattdessen erhalten sie zu einem abgepassten Zeitpunkt eine Belohnung. Schon nach drei Tagen bleibt der angstauslösende Trigger ohne Effekt. Die Forscher nennen das Vorgehen "decoded neurofeedback".

Konventionelles Neurofeedback misst die Hirnaktivität mittels Elektroenzephalografie (EEG) oder funktioneller Magnetresonanztomographie (MRT). "Decoded Neurofeedback hingegen arbeitet mit Algorithmen (sparse logistic regression). Sie dekodieren die Hirnaktivität des Sehkortex und kontrollieren das Feedack damit gezielter", sagt Seymour.

Medikamentöse Beeinflussung der Erinnerung

Substanzen wie Propanolol, das unmittelbar nach einem traumatischen Erlebnis die emotionalen Spätfolgen reduzieren soll, werden seit Jahren getestet.

Der Arzneistoff Propranolol hemmt Noradrenalin. Niederländische Forscher konnten mit ihm Arachnophobiker von ihrer Angst vor Spinnen befreien. Auch ein Jahr später war ihre Angst vor den Krabbeltieren nicht zurückgekommen -sie war quasi gelöscht. Das gleiche Medikament wurde 2007 bei traumatisierten Patienten ausprobiert. Sie hatten das schlimme Erlebnis zwar nicht vergessen, aber sie konnten nach nur einer Woche emotionsloser davon erzählen.

Die Rolle des präfrontalen Kortex

Frühere Studien hatten jedoch herausgefunden, schiebt eine Person aktiv die aufkommenden Bilder aus ihrem Bewusstsein, lassen sich die assoziierten Szenen im Nachgang schlechter abrufen. Sie werden vergessen. Durch das absichtliche Unterdrücken der Erinnerung kann das Gehirn die Bilder schlechter abrufen als zuvor. Dabei hat sich herausgestellt, dass bei denjenigen, die die Erinnerungen besonders gut unterdrücken konnten, auch die Gedächtnisspur im Nachgang entsprechend schwächer auftrat.

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Aus früheren Untersuchungen wussten die WissenschaftlerInnen bereits, was während des Unterdrückens selbst im Gehirn passiert. Der präfrontale Cortex im Stirnbereich hemmt die Aktivität des Hippocampus, also der Struktur in den tieferen Hirnregionen, die dafür sorgt, dass die Erinnerungen reaktiviert werden, die in anderen Bereichen des Cortex gespeichert sind. Die aktuellen Ergebnisse deuten darauf hin, dass diese Hemmung zu einer anhaltenden und langfristigen Abschwächung der Gedächtnisspur führt.

Das Gedächtnis als formbarer Prozess

Bereits seit langem ist bekannt, dass es möglich ist das Gedächtnis zu trainieren. Dies liegt daran, dass das Gehirn nicht starr ist, sondern mit seinen Aufgaben wächst.

Allerdings ist das Langzeitgedächtnis nicht so gefestigt, wie viele glauben. Es verhält sich eher wie ein Eisen, das man schmiedet: Wenn man eine Erinnerung aufruft, wird sie instabil und damit manipulierbar. Dies nennt man Rekonsolidierung bzw. Rückverfestigung. Sie erklärt, warum sich eine Erinnerung und die damit einhergehenden Gefühle manchmal verändern.

Vergessen als aktiver Prozess

Vergessen wird oft als etwas Negatives angesehen, aber es kann natürlich auch unglaublich hilfreich sein, wenn man versucht, eine negative Erinnerung zu vergessen.

Die Menschen glauben meist, dass Vergessen etwas Passives ist. Unsere Forschung zeigt, dass sie stattdessen selber daran mitwirken, woran sie sich aus ihrem Leben erinnern.

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