Erinnerungen wiederherstellen: Methoden und Strategien für das Gehirn

Manche Erlebnisse möchte man am liebsten vergessen. Ist das möglich und was kann man dafür tun? Dieser Artikel beleuchtet die komplexen Mechanismen des Erinnerns und Vergessens, zeigt Wege auf, wie man das Gedächtnis unterstützen und unerwünschte Erinnerungen in den Hintergrund drängen kann.

Die Funktionsweise des Gedächtnisses

Das Gedächtnis ist ein komplexes System, das Informationen speichert, abruft und auch wieder vergisst. Die Gedächtnisforschung untersucht diese Prozesse und berücksichtigt dabei sowohl biologische als auch psychologische Aspekte. Sie hilft uns zu verstehen, wie das Kurzzeit- und Langzeitgedächtnis funktionieren und welche Faktoren die Gedächtnisleistung beeinflussen.

Kurzzeit- vs. Langzeitgedächtnis

Im Wesentlichen unterscheidet man zwischen dem Kurzzeit- (oder Arbeits-) und dem Langzeitgedächtnis. Das Kurzzeitgedächtnis speichert Informationen für bis zu 30 Sekunden. Alles, was darüber hinausgeht, wird im Langzeitgedächtnis abgelegt. Karl-Heinz Bäuml, Professor für Entwicklungs- und Kognitionspsychologie an der Universität Regensburg, vergleicht das Langzeitgedächtnis mit einem Speicher mit Millionen von Einträgen. Was daraus abgerufen wird, hängt von externen Faktoren (z.B. der Umgebung) und internen Faktoren (z.B. der emotionalen Verfassung) ab.

Die Rolle von Emotionen

Ob wir uns etwas gut oder schlecht merken, hängt davon ab, ob die Informationen für uns relevant erscheinen und ob sie uns emotional berühren. Wer sich beispielsweise für Physik interessiert, wird sich neue Informationen aus diesem Bereich leichter merken können als jemand, der von Physik keine Ahnung hat. Ereignisse, die mit starken Emotionen verbunden sind, prägen sich besonders tief ins Gedächtnis ein. Dies liegt daran, dass zwischen der Amygdala (zuständig für die emotionale Bewertung von Reizen) und dem Hippocampus (zentral für die Gedächtnisbildung) enge Verbindungen bestehen.

Der Hippocampus als Schaltzentrale

Die Schaltzentrale für unser Gedächtnis ist der Hippocampus. Dort werden alle Sinnesreize und Erlebnisse gefiltert und an die verschiedenen Hirnregionen geschickt. Informationen, die unser Gedächtnis möglichst lange behalten möchte, werden im Langzeitgedächtnis abgelegt. Sind vor allem Emotionen beteiligt, dann besteht die Chance, dass wir diese Sinneseindrücke besonders lange im Gedächtnis behalten: Emotionale Momente werden über das limbische System gefiltert, das aus Hippocampus und Amygdala besteht. Deshalb können wir uns so gut an die erste große Liebe erinnern. Unser Gehirn wählt gezielt aus, was es wirklich behalten möchte.

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Vergessen: Ein aktiver Prozess?

Das deutsche Wort "vergessen" deutet auf einen aktiven Prozess hin, bei dem etwas vom Sprecher wegbewegt wird. Im Kontext psychologischer und neurologischer Forschung bedeutet Vergessen jedoch meist, dass der Zugang zu einer Information erschwert ist, nicht aber, dass die Information selbst verloren ist. Forscher haben gezeigt, dass beim Vergessen lediglich der Zugang zu verschiedenen Erinnerungen erschwert wird, die Verbindung zwischen den Nervenzellen, die eine Erinnerung speichern, aber bestehen bleibt.

Erinnerungen sind nicht immer zuverlässig

Es ist wichtig zu wissen, dass auf Erinnerungen kein Verlass ist. Täglich nehmen wir jede Menge an Infos über unsere Sinne auf, die die Nervenzellen im Gehirn dann verarbeiten, aussortieren oder speichern. Dabei passieren jedoch Fehler. Prof. Dr. betont, dass das Gedächtnis nicht dafür da ist, sich an Ereignisse in allen Details von vorne bis hinten zu erinnern.

Methoden zur Unterstützung des Gehirns beim Vergessen

So richtig löschen kann der Mensch Erinnerungen also nicht - doch sie lassen sich immerhin in den hinteren Teil der neuronalen Sockenschublade verbannen. Und dabei kann jede*r das Gehirn unterstützen. Es gibt verschiedene Strategien, um das Gehirn beim Vergessen zu unterstützen:

  • Verwandte Inhalte abrufen: Immer wieder verwandte Inhalte aus dem Gedächtnis abrufen, was dazu führen kann, dass die unerwünschten Erinnerungen selbst immer schwerer abrufbar werden.
  • Neue Erfahrungen machen: Die alte, unerwünschte Information durch verwandte neue Information ersetzen. Das heißt: nach vorne schauen und möglichst schnell neue, am besten positive Erfahrungen machen.
  • An etwas anderes denken: Das belastende Ereignis aus dem Fokus rücken. Schöne und als positiv empfundene Erinnerungen an Urlaubserlebnisse, den letzten Sonntagsausflug mit den Freund*innen oder die letzte Party ändern den sogenannten inneren Kontext nachhaltig und setzen positive Akzente im Denken.
  • Erinnerung sperren: Versuchen Sie, die unerwünschte Information gar nicht erst ins Bewusstsein kommen zu lassen. Das kann allmählich dazu führen, dass diese Inhalte wirklich weniger oft ins Gedächtnis kommen.

Was tun bei traumatischen Erlebnissen?

Bei Menschen, die unter einem Trauma leiden, hat sich das auslösende Ereignis sozusagen eingebrannt. In lebensbedrohlichen oder emotionalen Notsituationen schüttet der Körper Stresshormone aus, um maximale Energie bereitzustellen und alle körperlichen Vorgänge, die nicht zum unmittelbaren Überleben notwendig sind, auf ein Minimum zu reduzieren. Auch die Gedächtniszentren unseres Gehirns laufen auf Hochtouren. Alles, was mit der Gegebenheit assoziiert ist, soll möglichst genau und nachhaltig abgespeichert werden. Nur eine Therapie kann hier helfen, das Erlebte in den richtigen biografischen Kontext einzuordnen, mit dem Ziel, sich dann mit weniger Angst daran zu erinnern.

Gedächtnistraining und Techniken zur Verbesserung der Erinnerung

Es gibt zahlreiche Techniken, um das Gedächtnis zu trainieren und die Erinnerungsfähigkeit zu verbessern:

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  • Mnemotechniken: Das Verwenden visueller Bilder, Reime oder anderer Techniken kann die Gedächtnisleistung deutlich steigern.
  • Loci-Methode (Gedächtnispalast): Informationen mit einem bekannten Raum oder Weg verbinden, beispielsweise mit einem Gang durch die eigene Wohnung. Dabei werden bestimmte Wegpunkte wie die Haustür, das Sofa oder der Spiegel mit den Punkten auf der Einkaufsliste verknüpft.
  • Major-System: Mithilfe eines speziellen Codes werden die Zahlen in Buchstaben und Bilder umgewandelt und so besser abgespeichert.
  • Schlüsselwortmethode: Neue Begriffe und Vokabeln mit vorhandenem Wissen, also einem bekannten deutschen Wort und einer bildhaften Assoziation verknüpft.

Weitere Tipps für ein besseres Gedächtnis

  • Regelmäßiges Wiederholen und strukturiertes Lernen: Regelmäßiges Wiederholen und strukturiertes Lernen sind der Schlüssel zur Verbesserung deines Langzeitgedächtnisses.
  • Körperliche Aktivität: Mehrere epidemiologische Studien haben einen deutlichen Zusammenhang zwischen körperlicher Aktivität und Gedächtnisleistung gezeigt. Es wird allgemein angenommen, dass die beim Sport produzierten Hormone wie Noradrenalin eine Rolle im Aufmerksamkeitsprozess spielen.
  • Ausreichend Schlaf: Schlaf hilft, das Gedächtnis zu festigen: Während des Schlafs stellen die Neuronen neue Verbindungen untereinander her und fixieren Erinnerungen.
  • Neue Erfahrungen: Das Gehirn nährt sich von neuen Erfahrungen, um Verbindungen zwischen den Neuronen herzustellen.
  • Achtsamkeit: Ein achtsamer Umgang mit sich selbst hat einen positiven Effekt. Bei Mind Sports passiert im Grunde etwas Ähnliches wie bei Achtsamkeitstechniken, wie etwa bei einer Meditation: Man lernt dabei, die Aufmerksamkeit ein bisschen besser zu lenken und Kontrolle über die eigenen Denkprozesse zu gewinnen.

Die Rolle der Neurobiologie

Die Neurobiologie des Gedächtnisses untersucht, wie Gehirnstrukturen und neuronale Prozesse das Gedächtnis beeinflussen. Verschiedene Gehirnbereiche und neuronale Netzwerke arbeiten zusammen, um Informationen zu verarbeiten und zu speichern. Neurotransmitter wie Acetylcholin, Glutamat und GABA spielen essentielle Rollen bei der Gedächtnisbildung und -abruf. Diese chemischen Botenstoffe übertragen Informationen zwischen den Neuronen und beeinflussen die synaptische Effizienz.

Synaptische Plastizität

Neuronen und die synaptische Plastizität sind Schlüsselkomponenten in der Funktionsweise des Gedächtnisses. Synaptische Plastizität beschreibt die Fähigkeit der neuronalen Verbindungen, sich im Laufe der Zeit zu verändern, was für das Lernen und das Gedächtnis unerlässlich ist.

Gedächtnisstörungen und Demenz

Die Gedächtnisforschung hilft, die Ursachen und Mechanismen von Gedächtnisstörungen zu verstehen, was die Entwicklung gezielter Therapien ermöglicht. Sie identifiziert Biomarker und Risikofaktoren, die frühzeitig diagnostiziert werden können. Zudem fördert sie die Entwicklung pharmakologischer und nicht-pharmakologischer Interventionen zur Verbesserung der Gedächtnisleistung.

Kann man Demenz vorbeugen?

Nach aktuellem Stand der Wissenschaft ist es leider nicht möglich, Demenz durch zielgerichtetes Gehirntraining vorzubeugen. Allerdings kann Gedächtnistraining Demenz-Symptomen vorbeugen. Studien haben gezeigt, dass gut ausgebildete Menschen im Durchschnitt später beziehungsweise in einem höheren Alter eine Demenz-Diagnose bekommen. Dies lässt vermuten, dass trainierte kognitive Fähigkeiten den Ausbruch der Krankheit etwas hinauszögern können.

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