Die Ernährung spielt eine entscheidende Rolle bei der Versorgung von Menschen mit Demenz. Internationale Leitlinien, herausgegeben von der Europäischen Fachgesellschaft für klinische Ernährung und Stoffwechsel (ESPEN) unter der Leitung von Dorothee Volkert von der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg, betonen die Bedeutung der Optimierung der Ernährung als integralen Bestandteil der medizinischen Versorgung von Demenzkranken.
Bedeutung der Ernährung bei Demenz
Eine angemessene Ernährung zielt darauf ab, eine ausreichende Zufuhr von Energie, Nährstoffen und Flüssigkeit sicherzustellen, um Gewichtsabnahme, Austrocknung und Mangelernährung zu verhindern. Ebenso wichtig ist die Freude am Essen, da die Mahlzeiten auch zur Lebensqualität beitragen.
Regelmäßiges Screening auf Mangelernährung
Ein regelmäßiges Screening auf Mangelernährung und eine frühe Intervention bei Problemen mit der Ernährung sind essenziell. Potentielle Ursachen von Mangelernährung sollten identifiziert und beseitigt werden. Ansprechende Mahlzeiten in einer angenehmen Umgebung können als Basismaßnahmen angeboten werden.
Supplementierung einzelner Nährstoffe
Einzelne Nährstoffe sollten nur zum Ausgleich eines erwiesenen Mangels supplementiert werden. Bilanzierte Trinknahrung kann ergänzend eingesetzt werden, um den Ernährungszustand zu verbessern.
Künstliche Ernährung in bestimmten Situationen
Eine künstliche Ernährung wird nur bei leichter und mittelschwerer Demenz als vorübergehende Maßnahme zur Überwindung einer Krisensituation empfohlen. Bei schwerer Demenz sollte aus medizinischer Sicht keine PEG-Sonde eingesetzt werden. Wenn eine Magensonde für einen Menschen mit Demenz in Frage kommt, der selbst nicht mehr entscheiden kann, muss sorgfältig abgewogen werden, ob die künstliche Ernährung und damit ggf. eine Lebensverlängerung seinem mutmaßlichen Willen entspricht.
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Allgemeine Ernährungsempfehlungen
Die Auswahl der Lebensmittel sollte den allgemeinen Empfehlungen für die Ernährung von älteren Menschen ohne Demenz entsprechen. Es gibt keine speziellen Empfehlungen bezüglich bestimmter Nahrungsmittel, die die kognitive Leistungsfähigkeit erhalten oder verbessern. Auch ist in zahlreichen Studien zu diesem Thema nicht belegt, dass Supplemente oder bestimmte Nahrungsergänzungsmittel beim Erhalt der Kognition helfen würden. Insgesamt ist eine generell gesund erhaltende Ernährung auch für die Gesunderhaltung des Geists sinnvoll.
Die Rolle der Mittelmeerküche
Viele wissenschaftliche Studien zeigen, dass eine ausgewogene und bewusste Ernährung das Risiko für Demenzerkrankungen wie Alzheimer senken kann. Ein bewährtes Vorbild ist die traditionelle Mittelmeerküche mit viel Obst, Gemüse, Hülsenfrüchten, fettem Seefisch und Olivenöl. Studien zeigen, dass sie das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Diabetes senken kann - und zugleich die Hirngesundheit verbessert.
Bedeutung von Polyphenolen und Omega-3-Fettsäuren
Polyphenole (natürliche Stoffe, die Pflanzen ihre Farbe geben) sind in Obst, Gemüse und kaltgepresstem Olivenöl enthalten. Omega-3-Fettsäuren aus fettem Seefisch wie Thunfisch, Dorade oder Sardelle unterstützen die Zellgesundheit. Sie sind auch in Walnüssen, Chiasamen, Leinsamen und Avocados enthalten. Nüsse sind auch deshalb wertvoll, weil sie wichtige pflanzliche Proteine, viele Mineralstoffe und Vitamine liefern.
MIND-Diät
Die so genannte MIND-Diät (Mediterranean-DASH Intervention for Neurodegenerative Delay) kombiniert Elemente der Mittelmeerkost und der DASH-Diät (Dietary Approaches to Stop Hypertension) und zielt darauf ab, die Gehirnfunktion zu fördern.
Stark verarbeitete Lebensmittel und ihre Auswirkungen
Aktuelle Studien der Deutschen Gesellschaft für Neurologie zeigen: Wer viele stark verarbeitete Lebensmittel isst, hat ein deutlich höheres Risiko, an einer Demenz zu erkranken. Dazu zählen unter anderem Fast Food, Fertigpizza, Dosenravioli, Instantsuppen oder Mikrowellengerichte.
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Mögliche Mechanismen
Forschende gehen davon aus, dass stark verarbeitetes Essen auf verschiedene Arten ungesund fürs Gehirn sein kann:
- Übergewicht: Häufig stark verarbeitete Lebensmittel zu essen, führt zu Übergewicht, was Erkrankungen wie Bluthochdruck oder Diabetes begünstigen kann.
- Gestörte Darmflora: Essen mit vielen gesättigten Fetten, Salz und wenig Ballaststoffen kann die mikrobielle Vielfalt im Darm verändern. Dies kann via Darm-Hirn-Achse krankmachende Veränderungen im Gehirn nach sich ziehen.
- Geschädigte Nervenzellen: Manche Stoffe wie künstliche Aromen oder andere Zusatzstoffe können Nervenzellen schädigen. Ob sie wirklich Demenz begünstigen, wird noch erforscht.
Empfehlungen zur Reduzierung von stark verarbeiteten Lebensmitteln
Fachleute empfehlen deshalb: So oft wie möglich frisch kochen und industriell hergestellte Produkte meiden. Obst und Gemüse liefern Vitamine und sekundäre Pflanzenstoffe, die Entzündungen entgegenwirken. Besonders Beeren, Äpfel und Birnen gelten als förderlich für die Gedächtnisleistung.
Praktische Tipps für die Ernährung von Menschen mit Demenz
Menschen mit Demenz haben oft einen höheren Kalorien- und Flüssigkeitsbedarf, können aber meist nicht mehr selbst für ihre Ernährung sorgen. Es ist wichtig, die Mahlzeiten angenehm zu gestalten.
Umgang mit veränderten Bedürfnissen und Fähigkeiten
Mit fortschreitender Demenz treten oft Probleme wie verändertes Geschmacksempfinden, Schwierigkeiten beim Umgang mit Besteck und Schluckprobleme auf. Es ist wichtig, auf diese Veränderungen einzugehen und die Ernährung entsprechend anzupassen.
Gestaltung der Mahlzeiten
- Atmosphäre: Eine angenehme Atmosphäre und ansprechend dargereichte, angenehm riechende Speisen und Getränke sind wichtig.
- Einbeziehung: Es kann hilfreich sein, Menschen mit Demenz in die Speisenzubereitung mit einzubeziehen. Durch verschiedene Gerüche werden positive Erinnerungen geweckt. Durch Aktivitäten wie Kochen können motorische Fähigkeiten erhalten bleiben.
- Farben: Farbige Becher werden besser wahrgenommen und animieren zum Trinken. Empfehlenswert ist es farbiges Geschirr zu verwenden, da sich das Essen von der Farbe des Tellers und der Teller sich vom Tisch abheben sollte. So kann beispielsweise bei Sehstörungen das Essen leichter gefunden werden.
- Konsistenz: Bei Schluckstörungen kann das Andicken von Flüssigkeiten das Trinken erleichtern. Essen sollte breiartig, aber optisch ansprechend sein.
Umgang mit spezifischen Problemen
- Verändertes Geschmacksempfinden: Oft werden süße Speisen bevorzugt. Bittere oder salzige Speisen werden teilweise als unangenehm empfunden und deshalb abgelehnt.
- Schwierigkeiten mit Besteck: Hier kann es hilfreich sein, dass sie gemeinsam mit Angehörigen bzw. Pflegepersonal Mahlzeiten (sog. family style meals) einnehmen. Dabei können sie das Essverhalten von anderen abschauen und es nachahmen. Bei einer nachlassenden Beweglichkeit der Hände und Arme kann spezielles Geschirr die Nahrungsaufnahme erleichtern. Es gibt Besteck mit dicken, rutschfesten Griffen, vertieften Löffelschalen oder speziell gebogenes Besteck. Um Betroffenen das Essen zu erleichtern, kann auf fingerfreundliche Mahlzeiten umgestellt werden.
- Unruhe: Einige Menschen mit Demenz müssen auch während des Essens aufstehen und umhergehen. Die Pflegeperson kann den Weg dann mit dem Essen begleiten (sog.
- Mangelnde Flüssigkeitszufuhr: Getränke sollten den Tag über regelmäßig angeboten und an mehreren Stellen in der Wohnung positioniert werden.
Zusätzliche Maßnahmen bei Mangelernährung
Bei Mangelernährung sollten mehrmals täglich kleine nährstoffreiche Zwischenmahlzeiten angeboten werden. Energiereiche Getränke können eine zu geringe Kalorienaufnahme ausgleichen.
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Essen in der Gruppe
Bei einer Demenzerkrankung essen Betroffene mehr und besser, wenn sie mit anderen gemeinsam am Tisch essen. Das könnte mit der Vorbildwirkung zu tun haben.
Prävention von Demenz durch Ernährung und Lebensstil
Risikofaktoren wie Bluthochdruck, Diabetes, Adipositas, Fettstoffwechselstörungen und Rauchen, die bereits im mittleren Alter (ab 40 Jahre) vorliegen, könnten die Wahrscheinlichkeit erhöhen, an Demenz zu erkranken.
Empfehlungen zur Vorbeugung
Die Leitlinie „Demenzen“ empfiehlt neben dem Abbau der Risikofaktoren einen aktiven Lebensstil mit körperlicher Bewegung und sportlicher, sozialer sowie geistiger Aktivität. Ob eine ausgewogene Ernährung vor Demenz schützt, dafür gibt es bisher nur Hinweise und keine Belege.
Weitere präventive Maßnahmen
- Körperliche Aktivität: Ein körperlich aktiver Lebensstil ist verbunden mit der Gesundheit des Gehirns.
- Geistige Aktivität: Kognitives Training für ältere Erwachsene könnte helfen.
- Soziale Aktivität: Aktiv gelebte Beziehungen und kulturelles Engagement tragen dazu bei, Demenzerkrankungen zu verzögern bzw.
- Ernährung: Ernährungsvielfalt mit Fisch, wie beispielsweise in der mediterranen Kost enthalten, wird generell zur Minderung des Erkrankungsrisikos empfohlen.
Was nicht empfohlen wird
- Regelmäßiger Alkoholkonsum: Wird nicht zur Prävention einer Demenz befürwortet, insbesondere aufgrund der toxischen Eigenschaften des Alkohols und der Gefahr von Abhängigkeit.
- Ginkgo biloba: Kann zwar bei der Therapie einer leichten bis mittelschwerer Alzheimer-Demenz sowie vaskulärer Demenzen eingesetzt werden. Belege für eine Primärprävention gibt es derzeit nicht.
- Spezielle Demenzmedikamente: Belege für eine Primärprävention mit Hilfe spezieller Demenzmedikamente gibt es derzeit noch nicht bzw. seien auch in naher Zukunft nicht zu erwarten.
Bedeutung psychosozialer Maßnahmen
Erstmals werden in einem Therapiekonzept validierte psychosoziale Maßnahmen als gleichrangig zum Einsatz von erprobten Medikamenten eingestuft. Das gilt in erster Linie für die alltagsnahe kognitive Stimulation und für eine individuell angepasste Ergotherapie, aber auch für Musik- und Aromatherapie und für multisensorische Verfahren wie Snoezelen.
Die Rolle von Fachkräften und Angehörigen
Die aktualisierte Leitlinie richtet sich nicht nur an Mediziner, sondern sie bietet Orientierung auch für andere Berufsgruppen, die Demenz-Patienten unterstützen, also Psychologen, Ergotherapeuten, Physiotherapeuten, Musik-, Kunst- und Tanztherapeuten, Logopäden, Pflegekräfte und Sozialarbeiter. Angehörige spielen ebenfalls eine wichtige Rolle bei der Umsetzung der Empfehlungen und der Anpassung der Ernährung an die individuellen Bedürfnisse des Betroffenen.
Forschung und aktuelle Entwicklungen
Im Zusammenhang mit der Alzheimer-Prävention durch Ernährung werden immer wieder Omega-3-Fettsäuren diskutiert. Die LiPiDiDiet Studie hat untersucht, inwiefern der tägliche Verzehr einer medizinischen Trinknahrung die Alzheimer-Erkrankung im frühen, prodromalen Stadium beeinflussen kann. Durch die Studienergebnisse konnte die Hypothese gestützt werden, dass bei möglichst früher Gabe von Fortasyn Connect im prodromalen Stadium der Alzheimer-Krankheit, ein konkreter Nutzen leichter erzielt werden kann als bei später beginnender Therapie.
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