Der Expertenstandard „Beziehungsgestaltung in der Pflege von Menschen mit Demenz“ unterscheidet sich grundlegend von anderen Expertenstandards, da er sich nicht auf pflegefachliche Inhalte wie Dekubitusprophylaxe oder Sturzprophylaxe konzentriert, sondern auf die zwischenmenschliche Beziehungsgestaltung. Ziel ist es, jedem pflegebedürftigen Menschen mit Demenz Angebote zur Beziehungsgestaltung zu ermöglichen, die das Gefühl des Gehörtwerdens, Verstandenwerdens und Angenommenseins sowie die Verbundenheit mit anderen Personen fördern.
Was sind Expertenstandards?
Expertenstandards sind Instrumente zur Qualitätssicherung und Weiterentwicklung der Pflege. Sie definieren Ziele und Maßnahmen, verbinden aktuelle pflegewissenschaftliche und -praktische Erkenntnisse und geben messbare Kriterien zur Erfolgsbewertung für die ambulante und stationäre pflegerische Versorgung vor. Sie sollen dazu beitragen, den Pflegealltag so zu gestalten, dass eine möglichst vergleichbare Qualität erreicht wird. Die Inhalte basieren auf nationalen und internationalen wissenschaftlichen Erkenntnissen.
Seit 1999 ist das Deutsche Netzwerk zur Qualitätsentwicklung in der Pflege (DNQP) für die Erarbeitung der Expertenstandards zuständig. Diese sind für alle stationären Pflegeheime und ambulanten Pflegedienste in Deutschland unmittelbar verbindlich.
Kern des Expertenstandards: Personenzentrierte Pflege nach Tom Kitwood
Im Zentrum steht der Ansatz der personenzentrierten Pflege nach Tom Kitwood, der die Einzigartigkeit der Person und nicht die Erkrankung in den Mittelpunkt stellt. Die Erkrankung Demenz zeigt sich symptomatisch vor allem im Kontakt durch eine Veränderung der Kommunikation und Beziehungsgestaltung. Menschen mit Demenz leben oft in Unsicherheit und Angst, daher ist die Bindung zu anderen Menschen existenziell. Sie sind darauf angewiesen, dass ihr Umfeld den Erhalt des Personseins stärkt. Nach Kitwood können Menschen mit Demenz aufgrund ihrer Erkrankung nur in der Begegnung mit anderen Menschen ein wenig Klarheit über sich selbst und ihre Person erlangen. Kitwood setzte den Erhalt des Personseins mit Wohlbefinden gleich.
Ziele des Expertenstandards "Beziehungsgestaltung in der Pflege von Menschen mit Demenz"
Der Expertenstandard rückt das Bedürfnis von Menschen mit Demenz nach Erhalt und Förderung ihrer Identität und Stärkung ihres Person-Seins in den Mittelpunkt. Ziel ist, dass jeder pflegebedürftige Mensch mit Demenz Angebote zur Beziehungsgestaltung erhält, die sein Gefühl, gehört, verstanden und angenommen zu werden sowie mit anderen Personen verbunden zu sein, erhalten oder fördern. Der zuletzt veröffentlichte Expertenstandard unterscheidet sich grundlegend von den anderen, bisher erarbeiteten, Expertenstandards. Es geht nicht um pflegefachliche Inhalte (z. B. Dekubitusprophylaxe in der Pflege, Sturzprophylaxe in der Pflege), sondern um die zwischenmenschliche Beziehungsgestaltung in der Pflege von Menschen mit Demenz.
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Die Bedeutung von Beziehungen für Menschen mit Demenz
Beziehungen sind wesentliche Faktoren für die Lebensqualität von Menschen mit Demenz. Die Beziehung zu Anderen fördert das Person-Sein von Menschen mit Demenz und stärkt es durch Normalität, Identität und Selbstbestimmung im Lebensumfeld. Der Mensch mit der Erkrankung Demenz soll trotz seiner kognitiven und körperlichen Einschränkungen als Person wahrgenommen und anerkannt werden. Es sind die Beziehungen, die in der Praxis am meisten unter den vorhandenen Strukturen leiden. Menschen mit Demenz sind hier benachteiligt, weil sie diese Beziehungen krankheitsbedingt durch eine erschwerte Kommunikation nicht selbst gestalten können.
Umsetzung und Erfahrungen mit dem Expertenstandard
Der Expertenstandard wurde vor einigen Jahren veröffentlicht und von zahlreichen stationären und teilstationären Einrichtungen, ambulanten Diensten und Krankenhäusern umgesetzt. Erfahrungen in der Praxis und Verbesserungspotenziale werden regelmäßig auf Fachveranstaltungen diskutiert. Eine Demenz beeinträchtigt nicht nur das Gedächtnis, sondern auch die Interaktion und Kommunikation. Um Pflegekräfte im Umgang mit Menschen mit Demenz zu unterstützen, ist der Expertenstandard mit Empfehlungen und Anleitungen erschienen.
Entwicklung und Aktualisierung von Expertenstandards
Die Erstellung eines Expertenstandards ist ein mehrjähriger Prozess. Zunächst wird Literatur zusammengetragen, geprüft und relevante Erkenntnisse gesammelt. In Expertengruppen werden diese wissenschaftlichen Informationen dann kombiniert und ein Expertenstandard entwickelt. Dieser wird anschließend in der Praxis modellhaft implementiert, sodass die fertige Pflegeleitlinie nicht bloß ein Produkt der Theorie ist, sondern sich auch in der Praxis bewährt hat.
Die Expertenstandards werden regelmäßig überprüft und aktualisiert, um neuen pflegewissenschaftlichen Erkenntnissen Rechnung zu tragen. Die Expertengruppen werden jährlich befragt, ob ein Aktualisierungsbedarf besteht.
Die Rolle des DNQP
Das Deutsche Netzwerk für Qualitätssicherung in der Pflege, kurz DNQP, entwickelt gemeinsam mit dem Deutschen Pflegerat die Expertenstandards. Das Bundesministerium für Gesundheit fördert die Entwicklung, indem es sich finanziell beteiligt. Das DNQP ist ein Zusammenschluss von Pflegeexperten, das bundesweit agiert und an die Hochschule Osnabrück angeschlossen ist. Das Netzwerk hat nach Beauftragung durch den Qualitätsausschuss es sich zur Aufgabe gemacht, die bestehende Praxis der Erstellung von Standards in der Pflege bereichsübergreifend zu bündeln und zu vereinheitlichen. Dabei basieren die jeweiligen Inhalte auf wissenschaftlichen Grundlagen und besitzen bis über die deutschen Grenzen hinweg ein hohes Ansehen als Pflegeleitlinien.
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Expertenstandards im Überblick
Derzeit gibt es eine Reihe von Expertenstandards, die verschiedene Bereiche der Pflege abdecken. Zu den wichtigsten gehören:
- Dekubitusprophylaxe: Ziel ist die Verhinderung von Druckgeschwüren.
- Entlassmanagement: Ein strukturierter Entlassungsprozess soll eine optimale Betreuung der Patienten auch nach dem Krankenhausaufenthalt sicherstellen.
- Schmerzmanagement: Patienten sollen ein gutes Schmerzmanagement erhalten, um einer Chronifizierung von Schmerzen vorzubeugen und eine Schmerzlinderung zu fokussieren.
- Sturzprophylaxe: Stürze und damit Verletzungen sollen vorgebeugt werden.
- Harnkontinenz: Ziel ist es, die Blase und die beteiligten Körperstrukturen funktionstüchtig zu halten.
- Ernährung: Pflegemaßnahmen während der Ernährung stehen im Mittelpunkt, um einer Mangelernährung vorzubeugen.
- Chronische Wunden: Das Selbstmanagement der eigenen Gesundheit und die Lebensqualität der Patienten sollen gefördert werden.
- Demenz: Menschen mit Demenz sollen in der Pflege das Gefühl von Akzeptanz und Verständnis erfahren.
- Mobilität: Pflegebedürftige Personen sollen dabei unterstützt werden, mobil zu werden und zu bleiben.
- Mundgesundheit: Erhaltung und Förderung der Mundgesundheit in der Pflege.
Implementierung von Expertenstandards in der Pflegeeinrichtung
Eine strukturierte Herangehensweise hilft Ihnen dabei, die vielen Informationen zu ordnen und die Pflegequalität anhand der Expertenstandards sinnvoll zu erhöhen.
- Recherchieren und Zusammentragen: Befassen Sie sich damit, welche Veröffentlichungen es bereits zu den Expertenstandards der Pflege gibt. Danach organisieren Sie sich alle notwendigen Unterlagen.
- Die Reihenfolge bestimmen: Entscheiden Sie gemeinsam mit Ihrem Team, welche Expertenstandards als erstes implementiert werden sollten. So gelingt es Ihnen, eine Liste zu erstellen, die eine sinnvolle Reihenfolge berücksichtigt.
- Inhaltliche Auseinandersetzung und Konkretisierung: Nehmen Sie sich Zeit, um die Expertenstandards ausgiebig zu sichten. Dazu gehören auch die Kommentare. Im Anschluss konkretisieren Sie für Ihre Einrichtung die Standardkriterien und entwickeln einen Maßnahmenplan. Der von Ihnen entwickelte Standard muss zwangsläufig das Qualitätsniveau des Expertenstandards erreichen.
- Standard vorstellen: Haben Sie in Anlehnung an den Expertenstandard für sich einen Standard entworfen, der die geforderte Qualität einhält, ist es an der Zeit, diesen den Mitarbeitern vorzustellen. Geben Sie ihnen die Gelegenheit für Einwände und die Beurteilung der Praxistauglichkeit. So erhalten Sie wichtige Anregungen, um Ihren Standard noch weiter anzupassen.
- Fortbildungsbedarf feststellen: Um die Pflege noch qualitativer zu gestalten, benötigen Ihre Mitarbeiter womöglich eine Fortbildung. Erforschen Sie, inwiefern Wissenslücken zum Beispiel mit Blick auf Lagerungstechniken, Dekubitusprophylaxe und Co. bestehen und leiten Sie die erforderlichen Fortbildungen ein. Übrigens: Auch die Durchführung der Standards an sich sollte gemeinsam mit den Mitarbeitern geübt werden.
- Verbindliches Datum festlegen: In diesem Schritt kommunizieren Sie klar, ab welchem Zeitpunkt der Standard verbindlich im Pflegealltag umgesetzt werden soll. Stellen Sie sicher, dass alle Mitarbeiter die Information erhalten haben.
- Kontrollieren und dokumentieren: Dieser ganz entscheidende Schritt trägt dazu bei, dass der Expertenstandard auch tatsächlich im Pflegealltag ankommt.
Die Bedeutung der Expertenstandards für die Pflegequalität
Die Expertenstandards tragen maßgeblich dazu bei, die Qualität in der Pflegelandschaft zu erhöhen und zu vereinheitlichen. Sie sind ein wichtiger Bestandteil der Qualitätssicherung in der Pflege und tragen dazu bei, dass Patienten eine bestmögliche Versorgung erhalten. Durch die Anwendung der Expertenstandards fühlen sich Pflegekräfte sicherer und kompetenter, da sie klare Richtlinien erhalten und sicherstellen können, dass alle Patienten eine gleichbleibend hohe Pflegequalität erhalten.
Kritik und Herausforderungen
Trotz der Vorteile der Expertenstandards gibt es auch Kritik und Herausforderungen bei der Umsetzung. Einige Pflegekräfte empfinden die Standards als zu starr und bürokratisch. Es wird auch bemängelt, dass die Umsetzung der Standards mit einem hohen Zeitaufwand verbunden ist. Generell sind Konzepte gefragt, wie man die Pflege grundsätzlich attraktiver machen kann und da spielen sehr viele Faktoren eine Rolle, wie zum Beispiel die schlechte Bezahlung, der hohe Druck, die Arbeitszeiten bzw.
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