Die frontotemporale Demenz (FTD), früher auch als Morbus Pick bekannt, ist eine relativ seltene Form der Demenz, die jedoch schwerwiegende Auswirkungen auf die Betroffenen und ihre Angehörigen hat. Im Gegensatz zur Alzheimer-Krankheit, bei der Gedächtnisverlust im Vordergrund steht, zeichnet sich die FTD vor allem durch Veränderungen der Persönlichkeit, des Verhaltens und der Sprache aus. Dieser Artikel beleuchtet die Häufigkeit der frontotemporalen Demenz, ihre Symptome, Diagnoseverfahren und Behandlungsmöglichkeiten.
Was ist frontotemporale Demenz?
Die frontotemporale Demenz ist eine neurodegenerative Erkrankung des Gehirns, bei der Nervenzellen im Stirn- (Frontal-) und Schläfenlappen (Temporal-) absterben. Diese Hirnbereiche sind für wichtige Funktionen wie Sozialverhalten, Verhaltenskontrolle, Sprachverständnis und Persönlichkeit zuständig. Die FTD gehört zu den frühbeginnenden Demenzen, da sie häufig zwischen dem 45. und 65. Lebensjahr auftritt, obwohl die Altersspanne der Erkrankung zwischen dem 20. und 85. Lebensjahr liegen kann.
Mediziner unterscheiden zwischen primären und sekundären Formen der Demenz. In etwa 90 Prozent der Fälle liegt eine primäre Demenz vor. Diese hat hirnorganische Ursachen und ist in der Regel irreversibel (nicht umkehrbar). Primäre Demenzformen werden weiter unterteilt in neurodegenerative Demenzformen (zu denen auch die Alzheimer-Krankheit zählt), vaskuläre Demenzen sowie Mischformen der Demenz. Etwa zehn Prozent aller Demenzkranken leiden unter einer sekundären Demenz, deren Ursache nicht im Gehirn liegt. Stattdessen können sekundäre Demenzformen u. a. sog. u. v. Diese Tabelle zeigt nur die gängigsten Demenzformen auf.
Häufigkeit der frontotemporalen Demenz
Unter allen Demenzformen ist die frontotemporale Demenz eine der seltensten Varianten. Sie macht schätzungsweise drei bis neun Prozent aller Demenzerkrankungen aus. In Deutschland könnten 40.000 bis 45.000 Personen bei insgesamt rund 1,4 Millionen Demenzkranken betroffen sein. Studien zufolge kommt die Frontotemporale Demenz bei Männern und Frauen gleich häufig vor. Die geschätzte jährliche Inzidenzrate für FTLD in Europa betrug 2,36 pro 100.000 Personenjahre (PJ) (95%-Konfidenzintervall [KI]: 1,59 bis 3,51). Die Anzahl neuer Fälle von FTLD in Europa pro Jahr wurde auf 12.057 geschätzt. Bei Männern lag die Inzidenz mit 2,84 pro 100.000 PJ (95%-KI: 1,88 bis 4,27) höher als bei Frauen mit 1,91 pro 100.000 PJ (95%-KI: 1,26 bis 2,91). Die Wissenschaftler stellten eine steigende Inzidenz der FTLD mit dem Alter bis zu einem Maximum von 13,09 pro 100.000 PJ bei Männern mit 71 Jahren fest (95%-KI: 8,46 bis 18,93). Bei den Frauen im gleichen Alter betrug die FTLD-Inzidenz 7,88 pro 100.000 PJ (95%-KI: 5,39 bis 11,60).
Ursachen und Risikofaktoren
Die genauen Ursachen der frontotemporalen Demenz sind noch nicht vollständig verstanden. Es wird angenommen, dass eine Kombination aus genetischen, umweltbedingten und neurobiologischen Faktoren eine Rolle spielt. Bei einigen Menschen mit FTD können genetische Mutationen oder Veränderungen im Erbgut eine Rolle spielen. Es gibt bestimmte Gene, die mit einem erhöhten Risiko für FTD in Verbindung gebracht wurden, wie beispielsweise das Gen für die progranulin- (GRN-) und C9orf72-Mutationen.
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Wie bei anderen Formen der Demenz sind bei FTD charakteristische Anomalien in Form von abnormen Proteinablagerungen im Gehirn zu finden. Bei FTD können sich abnormal gefaltete Proteine wie Tau-Proteine oder TDP-43-Proteine in den betroffenen Hirnregionen ansammeln, was zur Schädigung von Nervenzellen führen kann. Entzündungsreaktionen im Gehirn können ebenfalls an der Pathogenese der frontotemporalen Demenz beteiligt sein. Es wird vermutet, dass eine übermäßige oder anhaltende Entzündung zu Nervenzellenschäden und einem fortschreitenden Funktionsverlust führen kann.
Obwohl die genauen Umweltfaktoren, die zur Entwicklung von FTD beitragen können, noch nicht vollständig verstanden sind, gibt es Hinweise darauf, dass bestimmte Umweltbedingungen oder Expositionen das Risiko erhöhen können. Es ist wichtig zu betonen, dass die meisten Fälle von frontotemporaler Demenz sporadisch auftreten, ohne dass eine spezifische genetische Ursache identifiziert wird. Bei einigen Personen mit FTD kann jedoch eine familiäre Häufung der Erkrankung beobachtet werden, was auf eine genetische Veranlagung hinweisen kann. Familiäre Vorbelastung erhöht das Risiko. Bei ungefähr 10 Prozent aller Betroffenen lässt sich eine genetische Ursache nachweisen. Diese folgen einem sogenannten autosomal-dominanten Erbgang. Weitere Risikofaktoren, die für die frontotemporale Demenz spezifisch sind, wurden noch nicht abschließend geklärt.
Symptome der frontotemporalen Demenz
Die Symptome der FTD sind vielfältig und hängen davon ab, welche Hirnregionen betroffen sind. Grundsätzlich lassen sich zwei Hauptvarianten unterscheiden:
- Verhaltensvariante: Diese Variante ist durch Veränderungen im Verhalten und der Persönlichkeit gekennzeichnet. Betroffene zeigen oft unpassendes, impulsives oder zwanghaftes Verhalten, verlieren soziale Kompetenzen und entwickeln eine zunehmende Apathie. Typische Symptome sind Teilnahmslosigkeit, enthemmtes Verhalten oder Sprachprobleme. Die Krankheit ist nicht heilbar. Mit gezielten Therapien, strukturierter Begleitung und Verständnis im Umfeld lässt sich der Alltag aber besser bewältigen.
- Sprachvariante: Bei dieser Variante stehen Sprachstörungen im Vordergrund. Betroffene haben Schwierigkeiten, Wörter zu finden, Sätze zu bilden oder Sprache zu verstehen. Sprachlich treten ausgeprägte Wortfindungsstörungen auf. Das Sprechen strengt die Betroffenen sehr an, die Aussprache leidet, die Grammatik kann aber bei vermindertem Wortschatz noch länger korrekt bleiben. Auch das Gedächtnis und Denkvermögen, die Orientierung und die alltägliche Funktionsfähigkeit bleiben noch lange erhalten. Die Demenz ist “semantisch”, die Patienten wissen nicht mehr, was ein Wort bedeutet. Später erkennen sie auch keine vertrauten Gesichter mehr.
Im Verlauf der Erkrankung können sich die Symptome beider Varianten überschneiden. Zu den weiteren möglichen Symptomen gehören:
- Gedächtnisstörungen (jedoch weniger ausgeprägt als bei Alzheimer)
- Veränderungen im Essverhalten (z.B. Heißhunger auf Süßes)
- Motorische Störungen (z.B. Muskelsteifheit, Gangstörungen)
- Schlafstörungen
- Inkontinenz
Bei der zweiten Hauptform, der Primär Progredienten Aphasie (PPA), können die Sprache und das Sprechen früh gestört sein. Erkrankte haben Wortfindungs- und Verständnisstörungen. Das führt im Verlauf zu einem angestrengt wirkenden Sprachstil. Zu den körperlichen Symptomen können eine frühe Harninkontinenz und eine Veränderung des Spannungszustandes der Muskeln (Muskeltonus) gehören.
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Diagnose der frontotemporalen Demenz
Die Diagnose der FTD kann aufgrund der vielfältigen Symptome und der Ähnlichkeit zu anderen Erkrankungen schwierig sein. Die Diagnostik beruht vor allem auf:
- Anamnese: Erhebung der Krankengeschichte und der Symptome durch den Arzt, idealerweise auch unter Einbeziehung von Angehörigen.
- Körperliche und neurologische Untersuchung: Überprüfung der körperlichen Funktionen und des Nervensystems.
- Neuropsychologische Tests: Untersuchung der kognitiven Fähigkeiten, des Verhaltens und der Sprache.
- Bildgebende Verfahren: Magnetresonanztomographie (MRT) und Computertomographie (CT) des Gehirns, um strukturelle Veränderungen festzustellen. Mit einer Positronen-Emissions-Tomografie (PET) kann beispielsweise eine veränderte Stoffwechselaktivität im Stirn- und Schläfenbereich nachgewiesen werden.
- Liquoruntersuchung: Analyse der Hirn-Rückenmarksflüssigkeit, um andere Ursachen für die Symptome auszuschließen.
- Gentest: Bei Verdacht auf eine genetische Ursache der FTD.
Behandlung der frontotemporalen Demenz
Bislang ist keine Heilung der frontotemporalen Demenz möglich. Die Behandlung konzentriert sich auf die Linderung der Symptome und die Verbesserung der Lebensqualität der Betroffenen und ihrer Angehörigen. Es gibt zurzeit keine speziellen Medikamente, um die Kognition oder Sprache bei frontotemporaler Demenz zu verbessern.
- Medikamentöse Therapie: Medikamente wie Antidepressiva, Neuroleptika oder Stimmungsstabilisatoren können eingesetzt werden, um Verhaltensauffälligkeiten, Depressionen oder andere psychische Symptome zu behandeln.
- Nicht-medikamentöse Therapie: Ergotherapie, Logopädie, Physiotherapie, Musiktherapie und andere nicht-medikamentöse Ansätze können helfen, die kognitiven, sprachlichen und motorischen Fähigkeiten zu erhalten oder zu verbessern. Hilfestellungen zur Realitätsorientierung mit dem Ziel der Verbesserung von Orientierung (z.B. Insbesondere Betroffene mit einer primären Sprachstörung sollten Logopädie erhalten. Für kognitive und sprachliche Trainings gibt es auch erste digitale Anwendungen.
- Unterstützung für Angehörige: Die Betreuung von Menschen mit FTD ist oft sehr belastend für die Angehörigen. Es ist wichtig, dass sie sich Unterstützung suchen, z.B. durch Beratungsstellen, Selbsthilfegruppen oder professionelle Pflegekräfte. Man sollte daher frühzeitig die Pflegebedürftigkeit des erkrankten Menschen prüfen und klären, wie sich pflegende Angehörige oder Ehrenamtliche unterstützen lassen können. Pflegende sollten sich frühzeitig Hilfe suchen, wenn sie seelisch mit der Situation nicht zurechtkommen oder leichte Niedergestimmtheit (Depression) bei sich feststellen. Um den Umgang im Alltag zu erleichtern und mehr über die seltene Erkrankung frontotemporale Demenz zu erfahren, gibt es Informations- und Beratungsangebote sowie Selbsthilfegruppen.
Verlauf und Prognose
Die frontotemporale Demenz ist eine fortschreitende Erkrankung, deren Verlauf individuell sehr unterschiedlich sein kann. Die mittlere Überlebensdauer wird mit acht Jahren geschätzt, ist aber deshalb schwer zu bestimmen, weil die ersten Symptome spärlich sind und von den Betroffenen und ihren Angehörigen erst spät überhaupt als bedenklich erkannt werden. Im fortgeschrittenen Stadium sind die Betroffenen meist pflegebedürftig und auf umfassende Unterstützung angewiesen.
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