Multiple Sklerose (MS) ist eine chronisch-entzündliche Erkrankung des zentralen Nervensystems (ZNS), von der in Deutschland mehr als 280.000 Menschen betroffen sind. Die Erkrankung äußert sich vielfältig, weshalb sie auch als "Krankheit der 1000 Gesichter" bezeichnet wird. Neben Sehstörungen, Missempfindungen und Lähmungen können auch Blasen- und Darmfunktionsstörungen auftreten. Dieser Artikel beleuchtet die Zusammenhänge zwischen MS und Darmproblemen und gibt Betroffenen Informationen und Lösungsansätze an die Hand.
Wie Multiple Sklerose die Darmfunktion beeinflusst
Nerven im zentralen Nervensystem (ZNS) und Muskeln müssen korrekt zusammenarbeiten, um Körperfunktionen zu steuern. Werden bei MS entsprechende Nervenzellen in den Zentren des ZNS angegriffen oder zerstört, können Störungen im Darm entstehen. MS kann die neurologischen Signalwege stören, die für die direkte Steuerung der Darmfunktionen verantwortlich sind. Das wiederum führt zur neurogenen Darmfunktionsstörung (NBD). Schätzungsweise 40-70 % der MS-Erkrankten leiden unter neurogenen Darmfunktionsstörungen. Darmprobleme können schon vor der Diagnose von MS vorhanden gewesen sein.
Neurogene Darmfunktionsstörung (NBD)
Die neurogene Darmfunktionsstörung (NBD) kann bei MS-Patienten in vielerlei Gestalt auftreten. Symptombeschreibung: Obstipation (Verstopfung) und Darminkontinenz (unkontrollierter Abgang des Darminhalts) sind Symptome der neurogenen Darmfunktionsstörung. Oft treten beide Symptome gemeinsam auf, fast immer gehen sie mit einer Blasenfunktionsstörung einher.
Formen von Darmproblemen bei MS
Darmprobleme bei MS können sich unterschiedlich äußern:
- Verstopfung (Obstipation): Bei Verstopfung ist der Darm weniger angeregt, er transportiert den Stuhl langsamer weiter und der Stuhl dickt ein. Auch kann über diesen Vorgang eine MS Blähungen verursachen. Verstopfung ist bei MS-Patienten in der Regel auf eine längere Transitzeit im Darm zurückzuführen. Ursache für die Verstopfung oder sie verstärkend sind neben der Störung des vegetativen Nervensystems Bewegungsmangel sowie einige Medikamente (u.a. Anticholinerika, Opioide).
- Durchfall: Ist durch die Multiple Sklerose der Darm zu stark angeregt, bewegt er sich schneller, der Stuhl wird zügiger weitertransportiert und Durchfall kann entstehen.
- Darminkontinenz: Stuhlinkontinenz kann durch verschiedene Probleme wie ein Überlaufen aufgrund von Verstopfung oder Verlust der Schließmuskelfunktion verursacht werden.
- Blähungen: Auch kann über diesen Vorgang eine MS Blähungen verursachen.
Sowohl chronische Verstopfung wie auch Darminkontinenz können weitere Schäden wie Hämorrhoidenblutung, Diverkulitis, Rektozele und Schmerzen zur Folge haben.
Lesen Sie auch: MS-Medikamente im Detail erklärt
Der Zusammenhang zwischen Darmflora und MS
Die Hinweise mehren sich, dass zwischen MS und Darmbakterien ein Zusammenhang bestehen kann. Die Bakterien-Mischung im Darm heißt Mikrobiom oder Darmflora. Dass Darmflora und Immunsystem generell zusammenhängen, gilt als sehr wahrscheinlich. Allerdings befindet sich die Forschung speziell bei der Frage vom Verhältnis Mikrobiom - Multiple Sklerose noch sehr am Anfang. Zwillingsstudie: Neben vielen anderen Faktoren stehen Mikroorganismen des Darms im Verdacht, MS mit auszulösen. Forschende haben nun Stuhlproben und Mikroorganismen direkt aus dem Dünndarm eineiiger Zwillinge untersucht, bei denen nur ein Zwilling an MS erkrankt ist.
Krankmachende Bakterien identifiziert
Mit Hilfe genetisch veränderter Mäuse der Krankheit haben die Forschenden erstmals Lachnoclostridium und Eisenbergiella tayi als potenzielle krankheitsauslösende Bakterien in den Darmproben der an MS erkrankten Zwillinge identifiziert.
IgA-B-Zellen und ihre Rolle bei MS
Aus früheren Studien wissen wir, dass die Zusammensetzung der Darmflora eine Rolle bei der MS spielt. Aber wie genau sich Darmbakterien und Immunzellen gegenseitig beeinflussen, war bisher unbekannt», erklärt die Erstautorin der Studie, PD Dr. Im Mittelpunkt der neuen Studie standen sogenannte IgA-produzierende B-Zellen, kurz IgA-B-Zellen. Immunglobulin A (IgA) ist eine bestimmte Klasse von Antikörpern, die insbesondere die Immunabwehr der Schleimhäute sicherstellt. In einem weiteren Schritt analysierten sie die Rolle dieser Immunzellen im Krankheitsverlauf bei insgesamt 56 MS-Patienten. Demnach häuften sich die IgA-B-Zellen bei MS-Betroffenen mit akuten Entzündungsherden in der Hirn-Rückenmarks-Flüssigkeit und im Hirngewebe. «Offenbar wandern diese Immunzellen aus dem Darm zu den Entzündungsherden im zentralen Nervensystem und schütten dort einen entzündungshemmenden Botenstoff aus», fasst Pröbstel die Ergebnisse zusammen. Was genau die IgA-B-Zellen als Helfer gegen MS aktiviert und dazu anregt, vom Darm ins zentrale Nervensystem zu wandern, wird weiter untersucht. Wäre der Auslöser bekannt, könnte dies ein Ansatzpunkt für die Behandlung der MS sein.
Einfluss von MS-Therapien auf die Darmflora
Seit einigen Jahren häufen sich die Hinweise: Was dem Nervensystem bei der Autoimmunerkrankung Multiple Sklerose (MS) widerfährt, hängt mit der Mikrobengemeinschaft im Darm zusammen. Bisher kaum erforscht ist, wie sich MS-Therapien auf die Darmflora auswirken und welche Rolle deren Zusammensetzung bei Wirkung und Nebenwirkungen der Therapien spielt. Ein Forschungsteam der Universität Basel und des Universitätsspitals Basel hat dies nun bei einer Gruppe von 20 MS-Betroffenen untersucht, deren Erkrankung mit Dimethylfumarat behandelt wird. Das Medikament, das unter dem Namen Tecfidera auf dem Markt ist, verringert die Zahl der Krankheitsschübe bei MS, indem es in den Stoffwechsel bestimmter Immunzellen eingreift. Allerdings ist die Therapie mit Nebenwirkungen verbunden, darunter Hitzewallungen und Magen-Darm-Beschwerden, in vielen Fällen auch eine Lymphopenie, ein Mangel an Lymphozyten wie B- und T-Zellen im Blut. Die Forschenden untersuchten Stuhl- und Blutproben der Teilnehmenden vor Beginn und während der ersten zwölf Monate der Therapie. Im Fokus stand die Zusammensetzung der Mikrobengemeinschaft im Darm. Außerdem konnten die Forschenden die Zusammensetzung des Darmmikrobioms mit dem Auftreten von Lymphopenie in Zusammenhang bringen: Das Vorhandensein des Bakterienstamms Akkermansia muciniphila in Kombination mit dem Fehlen des Bakterienstamms Prevotella copri entpuppte sich als Risikofaktor für diese Nebenwirkung.
Konjugierte Linolsäure (CLA) und ihre Wirkung auf Darm und Gehirn
Münster (mfm/sk) - „Das zweite Gehirn“ heißt ein populärwissenschaftliches Buch über den Darm. Der Titel deutet es an: Das komplexe innere Organ beeinflusst auch unser zentrales Nervensystem, unser Immunsystem und dessen Gesundheit. Was läge also näher, als zur Behandlung der MS nicht nur Rückenmark und Gehirn, sondern auch das Verdauungsorgan ins Visier zu nehmen? Die Darm-ZNS-Achse steht seit einigen Jahren weit oben auf der Forschungsagenda - auch für die Neurowissenschaftlerinnen und -wissenschaftlern der Universität Münster. Die haben in einer hochkarätig publizierten Studie aufgezeigt: Konjugierte Linolsäure (CLA) kann sowohl Entzündungsprozesse im Darm als auch im Gehirn positiv beeinflussen. CLA findet sich zum Beispiel in Rindfleisch und Milchprodukten. Wird sie Mäusen verabreicht, die an einer Autoimmunerkrankung des zentralen Nervensystems leiden, verbessert sich deren Gesundheitszustand. Aber auch im Verdauungsorgan wirkte CLA entzündungshemmend „Unsere Daten machen deutlich: CLA verändert die Immunantwort des Darms nachhaltig“, erklärt Ann-Katrin Fleck, Doktorandin aus der Arbeitsgruppe von Prof. Luisa Klotz. Sie bearbeitet seit Jahren ein Projekt des DFG-Sonderforschungsbereichs 128 und hat die Experimente für den nun veröffentlichten Artikel umgesetzt. Was bei Mäusen Erfolg hatte, funktionierte auch beim Menschen. In einer kleinen Studie erhielten 15 Patienten, die parallel zu ihrer langfristigen MS-Therapie sechs Monate lang täglich CLA als Nahrungsergänzung erhalten haben. Danach zirkulierten in ihrem Blut sehr viel weniger entzündliche myeloide Immunzellen - ein wichtiges Kennzeichen dafür, dass auch autoreaktive Immunprozesse eingedämmt werden können. In dem Folgeprojekt sollen die potenziellen ergänzenden Effekte einer kombinierten Nahrungsergänzung mit CLA und probiotischen Bakterien untersucht werden. Die konjugierte Linolsäure ist zwar als Nahrungsergänzungsmittel - so für das Bodybuilding - zugelassen, doch haben frühere Studien an Mäusen und Probanden gezeigt, dass bei falscher Dosierung Nebenwirkungen auftreten können. Dazu gehören erhöhte Leberenzym-Werte oder eine Insulinresistenz. Von Selbstversuchen rät das Forschungsteam aus Münster daher ab und weist darauf hin, dass die Nahrungsergänzung kein Ersatz zu den etablierten Erstlinientherapien darstellt.
Lesen Sie auch: Wie man MS vorbeugen kann
Was tun bei Darmproblemen?
Darmfunktionsstörungen bei MS sind häufig und es ist wichtig zu wissen, wie der Darm funktioniert. Eine frühzeitige Behandlung von Darmfunktionsstörungen soll Folgeschäden vermeiden und die Lebensqualität verbessern. Deshalb sprechen Sie Darmfunktionsstörungen unbedingt bei Ihrem behandeln Art an, damit eine gezielte Diagnostik und Therapie der Darmfunktionsstörungen erfolgen kann. Ziel der Therapie: Regelmäßige Stuhlentleerung ohne große Anstrengung/Schmerzen, Darmkontinenz, Vermeidung von Komplikationen, Steigerung der Lebensqualität.
Am Anfang stehen zumeist konservative Methoden und Gespräche rund um Ernährung, Flüssigkeitszufuhr und Mobilität, um zu ermitteln, an welcher Stelle angesetzt werden kann. Wenn konservative Methoden nicht ausreichen, können invasivere Therapien erforderlich sein.
Konservative Maßnahmen
- Ernährung: Wenn Sie unter Verstopfung leiden, hilft es, wenn Sie mindestens 1,5 Liter Flüssigkeit pro Tag zu sich nehmen und sich ballaststoffreich ernähren, beispielsweise mit Vollkornprodukten, Obst und Gemüse. Ernährungsumstellung (keine blähende oder den Darm anregende Nahrung). Nicht-medikamentöse Therapie bei Opstipation: Ausreichende Flüssigkeitszufuhr (1,5-2 Liter/Tag), ballaststoffreiche Mischkost.
- Bewegung: Möglichst viel Bewegung, Physiotherapie, Stehtraining, Beckenbodentraining, Kolon-Massage.
- Tagebuch: Führen Sie ein Tagebuch darüber, wann und wie oft Sie zur Toilette müssen und welche Symptome auftreten.
Medikamentöse Therapie bei Verstopfung
- Osmotisch wirkende Abführmittel (Laxantien) wie Lactulose oder Macrogol. Wirkweise: Osmotisch wirkende Laxantien ziehen Wasser in den Dickdarm. Macrogol hält Wasser im Darm zurück. Beide Substanzen machen den Stuhl weicher und regen so die Darmtätigkeit an.
- Glycerin-Zäpfchen: Glycerin erweicht den Stuhl, erhöht seine Gleitfähigkeit und fördert die Darmaktivität.
- Klistiere.
- Bei sehr schmerzhaftem, spastischem Schließmuskel kann ein individueller Therapieversuch mit der Injektion von Botulinumtoxin in den äußeren Schließmuskel unternommen werden.
- Domperidon fördert die Transportbewegungen in Magen und Darm.
- Medizinische Kohle bindet in Flüssigkeiten gebundene Stoffe. Wichtig: Medizinische Kohle kann die Wirkung anderer Medikamente - auch der Anti-Baby-Pille - verringern.
Medikamentöse Therapie bei Darminkontinenz
- Anticholinerika
Weitere Hilfsmittel und Therapien
- Analtampons: Bei Inkontinenz des Darms können MS-Erkrankte Analtampons nutzen. Zu den Grundlagen zählen Analtampons oder Einsätze, die dafür sorgen, dass der Stuhl nicht abgeht.
- Transanale Irrigation (TAI): Regelmäßiges, gezieltes Abführen (z. B. Klistier oder sogenannte „transanale Irrigation (TAI)“. Dabei wird Wasser in den Darm eingebracht, um nach einer bestimmten Einwirkzeit eine vollständige Darmentleerung auszulösen. Der dazu verwendete Rektalkatheter hat einen Ballon, der das Wasser sicher im Darm hält. TAI kann nach Einweisung selbst angewandt werden. Die transanale Irrigation ist eine minimalinvasive Therapie; dabei wird entweder über einen Konus oder einen blockbaren Rektalkatheter Wasser in den Darm instilliert, um Stuhl aus dem unteren Teil des Darms zu abzuführen.
- Beckenbodentraining
- Hilfsmittel
Wichtiger Hinweis zu Nahrungsergänzungsmitteln und Diäten
Und bevor Sie Nahrungsergänzungsmittel einnehmen oder eine Diät machen, sprechen Sie bitte unbedingt mit Ihren Behandler:innen. Niemand kann zurzeit zuverlässig einschätzen, ob bestimmte Substanzen oder Diäten das Verhältnis Darmflora - MS in eine günstige oder eher ungünstige Richtung verändern.
Umgang mit Schamgefühlen
Störungen der Funktion von Blase und Darm bei MS sind für viele Betroffene nicht nur ein hygienisches Problem, sondern auch mit starken Schamgefühlen verbunden. Über Inkontinenz redet man nicht gerne. Weder mit dem Partner noch mit einem Freund, einer Freundin oder Ärzten. Lieber geht man in die Isolation und versucht selbst, das Problem zu lösen. Besonders die Inkontinenz beeinträchtigt die Lebensqualität erheblich. Schamgefühl, Isolation und Depression sind oft die Folge. Wer Probleme mit der Blasenentleerung oder der Darmfunktion bei sich entdeckt, sollte sich daher vertrauensvoll an einen Arzt oder seine MS-Schwester wenden. Mit der MS-Schwester können Patienten nicht nur über ihre Gedanken und Sorgen im Umgang mit diesen schambesetzten Themen sprechen. Eine qualifizierte Beratung und Behandlung durch Experten auf diesem Gebiet unterstützen dabei, die Lebensqualität und Selbstständigkeit zu erhalten. Hier ist es notwendig, dass möglichst unterschiedliche Fachrichtungen miteinander arbeiten.
Fazit
Darmprobleme sind ein häufiges und oft belastendes Symptom bei Multipler Sklerose. Es ist wichtig, offen mit dem Arzt darüber zu sprechen und gemeinsam eine individuelle Behandlungsstrategie zu entwickeln. Neben konservativen Maßnahmen können auch Medikamente und spezielle Therapien helfen, die Darmfunktion zu verbessern und die Lebensqualität zu steigern. Die Forschung zum Zusammenhang zwischen Darmflora und MS steckt noch in den Anfängen, bietet aber vielversprechende Ansätze für zukünftige Therapieoptionen.
Lesen Sie auch: MS und Rückenschmerzen: Ein Überblick
tags: #multiple #sklerose #und #darmprobleme