Okzipitale Epilepsie nach Gastaut: Ein umfassender Überblick

Einleitung

Epilepsie ist eine neurologische Erkrankung, von der mehr als 3 % der Bevölkerung im Laufe ihres Lebens betroffen sind. Etwa ein Viertel der Neuerkrankungen betrifft Kinder. Mit einer optimalen Therapie können etwa 70 % der Patienten eine Remission erreichen. Die Mehrheit der Epilepsiepatienten weist eine normale kognitive Entwicklung auf. Dieser Artikel bietet einen umfassenden Überblick über die okzipitale Epilepsie nach Gastaut, einschliesslich Klassifikation, Symptome, Ursachen, Diagnose und Behandlungsansätze.

Epidemiologie der Epilepsie im Kindesalter

Die Prävalenz von Epilepsie im Kindesalter beträgt etwa 0,5 %. In den Industrieländern erkranken durchschnittlich etwa 50 von 100.000 Kindern jedes Jahr neu an Epilepsie. Kinder machen insgesamt 25 % aller Epilepsie-Neuerkrankungen aus.

Klassifikation von Epilepsie und Anfallsformen

Die Klassifikation der verschiedenen Anfallsformen und Epilepsiesyndrome erfolgt nach den Kriterien der "International League Against Epilepsy" (ILAE). Es wird hauptsächlich zwischen symptomatischen Epilepsien mit erkennbarer Ursache und idiopathischen Epilepsien mit genetischem Hintergrund unterschieden, bei denen der Patient - mit Ausnahme der Epilepsie selbst - keine Symptome aufweist. Die Zuordnung der Epilepsiesyndrome erfolgt nach der vermuteten Ätiologie und der Anfallssymptomatik.

Wegweisende Klassifikationsvorschläge wurden in den Jahren 1981 und 1989 und kürzlich von der internationalen Fachgesellschaft "International League Against Epilepsy" (ILAE, www.ilae-epilepsy.org) veröffentlicht. Als idiopathisch werden Epilepsiesyndrome bezeichnet, die einen genetischen Ursprung haben und bei denen die Betroffenen sonst neurologisch unauffällig sind. Als symptomatisch bezeichnet man Epilepsien mit belegbarer Ursache und als vermutlich symptomatisch (früher kryptogen) solche, bei denen ein Auslöser wahrscheinlich ist, aber nicht bewiesen werden kann. Symptomatische Epilepsien können entweder läsionell (z. B. Trauma, Tumor, Entzündung, Fehlbildung) oder durch genetische Systemerkrankungen verursacht sein.

Ursachen von Epilepsie

Epilepsien und die damit verbundenen Anfälle können auf eine Vielzahl von Ursachen zurückzuführen sein.

Lesen Sie auch: Behandlungsmöglichkeiten bei Lennox-Gastaut

Strukturelle Ursachen

Eine strukturelle Epilepsie steht im Zusammenhang mit umschriebenen pathologischen Veränderungen im Gehirn. Diese können erworben oder genetisch bedingt sein. Epileptogene Läsionen sind beispielsweise Hirntumore und Hirninfarkte, Kontusionsdefekte, vaskuläre Malformationen, Enzephalozelen, fokale kortikale Dysplasien, Polymikrogyrie der kortikalen Neurone, hypothalamische Hamartome oder eine Hippocampussklerose. Auch eine perinatale Hirnschädigung, oft infolge von Sauerstoffmangel während des Geburtsvorgangs, kann eine Epilepsie verursachen.

Genetische Ursachen

In den letzten Jahren wurden Hunderte von Genen und Genveränderungen identifiziert, die vermutlich oder sicher eine Epilepsie (mit)verursachen. Die Mehrzahl der Fälle von idiopathischer generalisierter Epilepsie (IGE) sind polygenetische Erkrankungen. Das Erkrankungsrisiko hängt von verschiedenen genetischen Suszeptibilitätsfaktoren und Umwelteinflüssen ab. Zu den IGE gehören die kindliche und juvenile Absence-Epilepsie (CAE und JAE), die juvenile myoklonische Epilepsie und Epilepsieformen mit ausschliesslich generalisierten tonisch-klonischen Anfällen.

Sehr viel seltener ist nur ein Gen betroffen (z. B. Ionenkanal-Gene oder Neurotransmitter assoziierte Gene). Die Mutation kann vererbt werden oder de novo auftreten. Monogenetische Epilepsien weisen eine beachtliche phänotypische und genotypische Heterogenität auf. Beispielhaft sind das im ersten Lebensjahr beginnende Dravet-Syndrom, bei dem mehr als 80 Prozent der Patienten Mutationen im SCN1A-Gen aufweisen, und das sich in den ersten Lebenstagen manifestierende Ohtahara-Syndrom mit möglichen Mutationen im Gen STXBP1, seltener auch ARX.

Ferner können nicht läsionelle fokale Epilepsien (NAFE) in Teilen genetisch determiniert sein (speziell DEPDC5-Mutationen). So gibt es eine Reihe familiärer fokaler Epilepsiesyndrome, die klassischen Mendel’schen Erbgängen folgen - etwa die autosomal-dominante nächtliche Frontallappenepilepsie (ADNFLE) oder die autosomal-dominante laterale Temporallappenepilepsie (ADLTE).

Infektiöse Ursachen

Infektionen sind die weltweit häufigste Ursache von Epilepsie. Eine infektiöse Ätiologie bezieht sich auf Patienten mit Epilepsie und nicht auf Patienten, die Anfälle im Verlauf einer akuten Infektion erleiden. Infektiöse Ursachen können regional variieren; typische Beispiele sind Neurozystizerkose, Tuberkulose, HIV, zerebrale Malaria, subakute sklerosierende Panenzephalitis, zerebrale Toxoplasmose und kongenitale Infektionen - etwa durch das Zika- oder Zytomegalie-Virus. Zudem sind post-infektiöse Entwicklungen einer Epilepsie möglich, beispielsweise nach einer viralen Enzephalitis.

Lesen Sie auch: Okzipitalnerv: Funktion und Bedeutung

Metabolische Ursachen

Eine metabolisch verursachte Epilepsie ist direkte Folge einer Stoffwechselstörung, die epileptische Anfälle als Kernsymptomatik aufweist. Es wird angenommen, dass die meisten metabolisch bedingten Epilepsien einen genetischen Hintergrund haben und nur selten erworben sind.

Immunologische Ursachen

Eine immunologische Epilepsie ist auf eine autoimmun vermittelte Entzündung des ZNS zurückzuführen. Hierzu gehören vor allem die Kalium-Kanal-Antikörper (LGI1)-bedingte limbische Enzephalitis und die NMDA-Rezeptor-Antikörper assoziierte Enzephalitis (NMDA = N-Methyl-D-Aspartat).

Gastaut-Typ okzipitale Epilepsie

Die selbstlimitierenden fokalen Epilepsien im Kindesalter sind eine heterogene Gruppe von Epilepsiesyndromen. Sie sind durch fokale epileptische Anfälle und charakteristische EEG-Veränderungen definiert, wobei eine strukturelle Ursache, soweit möglich, mit den gängigen bildgebenden Verfahren ausgeschlossen werden kann. Ihnen gemeinsam ist zudem ein meist erfreulicher Verlauf mit wenigen epileptischen Anfällen, normaler neurologischer Untersuchung und uneingeschränkter allgemeiner kognitiver Leistungsfähigkeit, wobei neurokognitive Schwächen v. a. Die Häufigkeit selbstlimitierender fokaler Epilepsien im Kindesalter ist nicht genau zu beziffern und wird als variabel in Abhängigkeit der ethnischen Herkunft angenommen. Die ILAE schließt in die Gruppe der selbstlimitierenden fokalen Epilepsien des Kindesalters die selbstlimitierende Epilepsie mit zentrotemporalen Spikes ("benign childhood epilepsy with centro-temporal spikes" [BCECTS]) und die selbstlimitierende okzipitale Epilepsie des Kindesalters mit der Frühform (Typ Panayiotopoulos) und der Spätform (Typ Gastaut) ein. Mit dem zuvor erwähnten Gastaut-Syndrom (benigne Epilepsie mit okzipitalen Sharp Waves) hat es trotz der ähnlichen Namensgebung weder bzgl. der Ätiologie noch der Prognose etwas zu tun.

Symptome der okzipitalen Epilepsie nach Gastaut

Die Anfälle können visuelle Halluzinationen (Okzipitallappenanfälle) hervorrufen.

Diagnose der okzipitalen Epilepsie nach Gastaut

Die Diagnose des PS wird anhand der Anamnese, der Klinik und des EEGs gestellt. Per definitionem ist die zerebrale MRT unauffällig.

Lesen Sie auch: Symptome des Okzipitalnerv-Schwindels erkennen

EEG-Befunde bei okzipitaler Epilepsie nach Gastaut

Das interiktale EEG zeigt große Variabilität bezüglich funktioneller fokaler Spikes. In 90 % der Fälle zeigt das EEG bei Patienten mit PS multifokale Sharp-slow-wave-Komplexe. Die Spikes können überall auftreten. Okzipitale Spikes dominieren, kommen aber bei einem Drittel der Patienten gar nicht vor. Stereotype, repetitiv, multifokale Spike-wave-Komplexe sind charakteristisch, wenn sie auftreten. Wo auch immer die Spikes auftreten, sie sind durch Schlaf akzentuiert. Übergänge in eine Dauerentladung im Sinne eines ("continuous spike waves during sleep") respektive ESES (elektrischer Status epilepticus im Schlaf) sind möglich und sind als CSWS-Syndrom zu benennen, wenn damit eine kognitive Regression assoziiert ist. Die Spikes sind zudem aktiviert bei Unterdrückung der visuellen Fixation. Die Spikes können lange nach Remission der klinischen Anfälle persistieren, können aber auch nur in einer von vielen EEG-Ableitungen zu sehen sein. Die Spikes verschwinden meist in der Pubertät. Die iktale EEG-Ableitung kann die epileptische Ursache des PS zweifelsfrei beweisen, und die epileptischen Veränderungen im EEG beginnen teilweise deutlich vor der klinischen Manifestation der Anfälle. Die Entladungen im EEG während des Anfalls sind meist rhythmische Theta- oder Delta-Wellen, welche zusammen mit eingelagerten Spikes auftreten.

Therapie der Epilepsie

Die medikamentöse Therapie wird in der Regel nach zwei unprovozierten epileptischen Anfällen eingeleitet.

Medikamentöse Therapie

Welches Medikament gewählt wird, ist von verschiedenen Faktoren abhängig:

  • Anfallsform
  • Epilepsie-Syndrom
  • Alter des Patienten
  • Geschlecht des Patienten
  • Begleiterkrankungen
  • Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten
  • Wunsch des Patienten

Bei den idiopathisch generalisierten Epilepsien sind Ethosuximid für die Absencen und Valproat bei Auftreten von Grand mal-Anfällen nach wie vor Mittel der ersten Wahl. Lamotrigin und Levetiracetam stellen eine wichtige Alternative zum Valproat dar, insbesondere bei Kindern mit einer Einnässproblematik oder erheblichen Appetitsteigerung mit Gewichtszunahme und Erkrankungen der Leber und des Gerinnungssystems sowie Mitochondriopathien. Die vom Valproat bekannte Hepatopathie (Lebererkrankung) ist heute bei guter Vordiagnostik, Berücksichtigung der Kontraindikationen für Valproat, guter Überwachung des Patienten und Aufklärung der Eltern über mögliche Frühsymptome erfreulicherweise sehr selten geworden.

Mittel der ersten Wahl für die Absence-Epilepsie ist nach wie vor Ethosuximid. Die seltene Nebenwirkung von Schlafstörungen unter Ethosuximid zwingt immer zum Absetzen. Das Risiko von Grand mal-Anfällen ist auch unter einer Monotherapie mit Ethosuximid nicht erhöht. Bei Versagen der Monotherapie führt eine Komedikation mit Valproat zur Anfallsfreiheit. Regelmäßige EEG-Verlaufskontrollen sind anfangs wichtig, um eine EEG-Sanierung zu erzielen und zu dokumentieren. Die frühkindliche Absence-Epilepsie kann therapeutisch durchaus schwierig sein, Ethosuximid in Monotherapie ist oft nicht ausreichend, so dass dann überlegt werden muss, die Behandlung mit Valproat zu beginnen.

Die Dauer der Behandlung richtet sich nach der zugrundeliegenden Variante der Absence-Epilepsie: Die frühkindliche Variante sollte mindestens 3 Jahre behandelt werden, während die pyknoleptische Variante, die typische kindliche Absence-Epilepsie, bei raschem Ansprechen auch schon nach 1-1 ½ Jahren Therapie beendet werden kann. Wir selbst führen nach Absetzen regelmäßige Kontrollen über 2 Jahre durch, bis wir die Kinder als "geheilt" entlassen, initiale Kontrollen nach 3 und 6 Monaten, dann nach weiteren 6 Monaten und eine Abschlussuntersuchung 2 Jahre nach Therapieende. Die Aufwach-Grand mal-Epilepsie spricht nach derzeitiger Studienlage noch am besten auf Valproat an, alternativ bieten sich auch hier Lamotrigin oder Levetiracetam an, gerade unter den oben genannten Nebenwirkungsaspekten. Die sich gegenseitig verstärkende Wirkung von Lamotrigin und Valproat kann in der Kombinationstherapie ausgenutzt werden. Auch bei der juvenilen myoklonischen Epilepsie (JME) ist Valproat Mittel der ersten Wahl, der sogenannte "Goldstandard", an dem sich alle anderen Medikamente messen lassen müssen. Auch hier bei Therapieresistenz in Kombination mit Lamotrigin oder Lamotrigin als Monotherapie. Lamotrigin kann allerdings die schultergürtelbetonten Myoklonien verstärken. Sehr häufig gelingt es, gerade bei der JME mit einer Monotherapie Anfallsfreiheit zu erzielen. Studien belegen einen positiven Erfolg von Levetiracetam. Die genannten Mittel der ersten Wahl zur Behandlung der idiopathisch generalisierten Epilepsien des Kindes- und Jugendalters werden in üblicher Dosis kognitiv gut vertragen.

Carbamazepin, Oxcarbazepin, Phenytoin und Vigabatrin sind bei den idiopathischen generalisierten Epilepsien, besonders bei der Absence-Epilepsie, unwirksam.

Therapie bei Fieberkrämpfen

Wenn ein Fieberkrampf nicht innerhalb von fünf Minuten spontan endet, muss er medikamentös unterbrochen werden. Eltern von Kindern mit Fieberkrämpfen oder Epilepsie sollten mit einem schnell wirksamen, rektal (oder oral) applizierbaren Benzodiazepin-Präparat zur Anfallsunterbrechung ausgestattet sein. Bei richtiger Dosierung braucht keine Atemdepression befürchtet zu werden. Eine Dauertherapie ist in aller Regel nicht indiziert.

Das generelle Wiederholungsrisiko für Fieberkrämpfe beträgt etwa 30 Prozent. Um weitere Fieberkrämpfe zu vermeiden, werden oft antipyretische Maßnahmen bei fieberhaften Infekten empfohlen. Zwar ist dies pragmatisch sinnvoll und bessert den Allgemeinzustand der Kinder, doch ist gut belegt, dass es hierdurch zu keiner nennenswerten Reduktion des Wiederholungsrisikos von Fieberkrämpfen kommt. Eine intermittierende Diazepamprophylaxe bei Fieber ist in einer Dosis von 0,33 mg/kg/d wirksam. Eine solche Therapie sollte aber erst nach wiederholten Fieberkrämpfen erfolgen und nicht länger als maximal 72 Stunden durchgeführt werden. Bei Nebenwirkungen wie erheblicher Sedierung oder Gangunsicherheit muss die Diazepamgabe reduziert oder vorzeitig beendet werden.

Begleiterkrankungen bei Epilepsie

Etwa 70 Prozent aller Kinder mit Epilepsie sind kognitiv normal entwickelt. Andererseits ist eine Intelligenzminderung (IQ < 70) die häufigste Komorbidität bei Kindern mit Epilepsie. In epidemiologischen Studien sind Zerebralparese, Hydrozephalus, Tuberöse Sklerose und Sturge-Weber-Syndrom die häufigsten Begleiterkrankungen.

tags: #Gastaut #Typ #okzipitale #Epilepsie