Die Unterschiede zwischen den Geschlechtern sind ein faszinierendes und komplexes Thema, das seit langem das Interesse von Wissenschaftlern und der Öffentlichkeit weckt. Während einige Experten die Unterschiede im Denken und Verhalten von Männern und Frauen auf kulturelle Einflüsse zurückführen, glauben andere, dass sie in der Anatomie des Gehirns begründet sind. Dieser Artikel beleuchtet die anatomischen Unterschiede zwischen dem weiblichen und dem männlichen Gehirn und untersucht, wie diese Unterschiede das Verhalten und die Kognition beeinflussen könnten.
Der rätselhafte weibliche Homunkulus
Das Gehirn bildet sensorische Reize wie Berührungen auf einer Art Landkarte des Körpers ab, dem sogenannten Homunkulus. Dieser Homunkulus repräsentiert die Größenverhältnisse der Körperteile in Bezug auf die Hirngebiete, die die Empfindungen in den entsprechenden Körperteilen verarbeiten. Interessanterweise konzentrierte sich die Forschung bisher hauptsächlich auf den männlichen Homunkulus, während das neuronale Abbild des weiblichen Körpers weitgehend vernachlässigt wurde.
Der Homunkulus wurde in den 1950er Jahren von Wilder Penfield entdeckt, der Patienten während Operationen am Gehirn stimulierte und sie ihre Empfindungen beschreiben ließ. Penfields Experimente zeigten, dass benachbarte Bereiche des Körpers größtenteils auch in benachbarten Bereichen des Gehirns repräsentiert sind, ein Prinzip, das als Somatotopie bekannt ist. Empfindlichere Körperteile wie die Zunge sind in der Hirnrinde vergrößert abgebildet, was zu den seltsamen Proportionen des Homunkulus führt.
Obwohl Penfield mindestens 107 Frauen untersuchte, fehlt in seiner Originalillustration jede Spur der weiblichen Anatomie. Die Gründe dafür sind unklar, aber es spiegelt die Tendenz wider, Geschlechterunterschiede in der Wissenschaft zu vernachlässigen.
Die Suche nach dem weiblichen Homunkulus
Die Neurowissenschaftlerin Susana Lima vom Champalimaud Centre for the Unknown in Lissabon geht davon aus, dass es Unterschiede in den Hirnkarten männlicher und weiblicher Körper geben muss, allein schon wegen der offensichtlichen Diskrepanzen in der Anatomie der Geschlechtsorgane. Sie betont, dass auch der Fortpflanzungszyklus und die hormonellen Einflüsse auf neuronale Schaltkreise eine Rolle spielen. Schwangerschaft und Mutterschaft verändern bekanntermaßen auch das weibliche Gehirn, was sich auf das neuronale Abbild des Körpers auswirken muss.
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Obwohl der weibliche Homunkulus nie systematisch erstellt wurde, sind einzelne Teile der Karte des weiblichen Gehirns bereits bekannt. Vergleiche zwischen Männern und Frauen haben jedoch bisher eher Gemeinsamkeiten als Unterschiede zu Tage gefördert.
Kontroversen um die Verortung der Genitalien
Wo genau die Genitalien im Gehirn abgebildet sind, ist ein umstrittenes Thema. Penfield verortete die männlichen Genitalien auf der Homunkulus-Karte unterhalb der Repräsentation der Zehen, während andere sie neben der Hüfte darstellen. Ähnliche Kontroversen gibt es auch rund um die Verortung der weiblichen Genitalien.
Um die Kontroverse zu beenden, untersuchte Christine Heim von der Berliner Charité kürzlich mit Kollegen 20 Probandinnen. Durch die Stimulation der Klitorisregion mit einem Luftstoß konnte Heims Team zeigen, dass die Genitalien tatsächlich in somatotopischer Abfolge neben der Hüfte verortet sind, analog zur Anatomie des Körpers. Diese Beobachtung steht in Einklang mit einer früheren Studie an Männern.
Ähnlichkeiten zwischen den Geschlechtern
Es gibt aber auch Ähnlichkeiten zwischen den Geschlechtern. Eine Studie von Jop Beugels vom Klinikum der Universität Maastricht ergab keine statistisch bedeutsamen Unterschiede zwischen Männern und Frauen bei der Repräsentation der Brust im Gehirn.
Veränderungen im weiblichen Gehirn während der Schwangerschaft
Messbare Unterschiede gibt es allerdings bei Frauen im Verlauf der Schwangerschaft. Eine Studie von Flavia Cardini von der Anglia Ruskin University in England zeigte, dass sich in einem späten Stadium der Schwangerschaft die Repräsentation der Distanzzone im Gehirn vergrößert, was darauf hindeutet, dass das Gehirn die Repräsentation des umgebenden Raums an die neuen Umstände anpasst.
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Erfahrungen formen den weiblichen Homunkulus
Umbauten im Hermunkulus kommen aber nicht nur bei körperlichen Veränderungen vor. Die bereits erwähnte Studie zur Repräsentation der weiblichen Genitalien im Gehirn zeigte, dass je mehr Sexualkontakte Frauen im vergangenen Jahr hatten, desto dicker fiel das Genitalfeld in der Hirnrinde aus. Dies passt zu anderen Ergebnissen aus den Neurowissenschaften, die zeigen, dass sich Erfahrungen langfristig auf das Gehirn auswirken können.
Christine Heim stieß in einer früheren Studie auf einen umgekehrten Effekt bei Frauen, die als Kinder sexuell missbraucht wurden. Bei Probandinnen mit solchen Traumata war die Hirnrinde an den Stellen ausgedünnt, die die Klitoris und den umgebenden Genitalbereich im Gehirn repräsentieren. Dies könnte ein Schutzmechanismus sein, der die sensorische Verarbeitung der aversiven Erfahrung vermindert.
Unterschiede in der Vernetzung des Gehirns
Eine Studie von Madhura Ingalhalikar von der University of Pennsylvania in Philadelphia untersuchte die Verbindungen innerhalb des Gehirns von Männern und Frauen mithilfe der Diffusions-Tensor-Bildgebung. Die Untersuchung ergab, dass männliche Gehirne offenbar für eine Kommunikation innerhalb der Hirnhälften optimiert sind, während bei Frauen eine größere Zahl längerer Nervenverbindungen vor allem zwischen den beiden Gehirnhälften gefunden wurde.
Unterschiede in der grauen Hirnsubstanz
Eine Studie von Armin Raznahan vom National Institute of Mental Health in Bethesda untersuchte die Hirnscans von 976 erwachsenen Männern und Frauen und verglich das Volumen verschiedener Areale der grauen Hirnsubstanz im Cortex. Die Ergebnisse zeigten, dass das Volumen der grauen Hirnsubstanz bei Frauen in Teilen des präfrontalen Cortex, im darüberliegenden orbitofrontalen Cortex sowie in Teilen des Scheitel- und Schläfenhirns höher ist. Bei Männern ist die Hirnrinde dagegen im hinteren Teil des Gehirns dicker, darunter auch im primären Sehzentrum.
Die Rolle von Hormonen
Sexualhormone spielen im Gehirn eine große Rolle. An den Gliazellen und den Nervenzellen selbst befinden sich spezielle Rezeptoren, an die die Sexualhormone andocken können. Männliche und weibliche Hormone unterscheiden sich voneinander, und auch die Menge der Hormone verändert sich, was sich offenbar auch auf die Mikrostruktur des Gehirns auswirkt.
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Gibt es ein typisch männliches oder weibliches Gehirn?
Die Neurowissenschaftlerin Lise Eliot argumentiert, dass es keine signifikanten Unterschiede zwischen den Gehirnen von Männern und Frauen gibt. Sie betont, dass das Gehirn plastisch ist und sich an den sich verändernden Körper und die sozialen Erfahrungen anpasst.
Daphna Joel von der Universität Tel Aviv argumentiert, dass Gehirne aus einzigartigen »Mosaiken« von Merkmalen bestehen, wobei manche Merkmale häufiger bei Frauen vorkommen als bei Männern und umgekehrt. Sie betont, dass eine Person sehr »feminin« in der Art, sich zu kleiden, und sehr »maskulin« in der Art, wie sie denkt, sein kann.