Die Suche nach Möglichkeiten zur Prävention von Demenz ist ein wichtiges Anliegen der modernen Medizin. Jüngste Forschungsergebnisse deuten darauf hin, dass die Impfung gegen Gürtelrose (Herpes Zoster) möglicherweise einen schützenden Effekt gegen Demenz haben könnte. Dieser Artikel beleuchtet die aktuellen Erkenntnisse zu diesem Thema, die auf verschiedenen Studien und Forschungsprojekten basieren.
Hintergrund: Gürtelrose und das Varizella-Zoster-Virus
Gürtelrose, auch bekannt als Herpes Zoster (HZ), ist eine Viruserkrankung, die durch die Reaktivierung des Varizella-Zoster-Virus (VZV) verursacht wird. Dieses Virus verursacht zunächst Windpocken, meist im Kindesalter. Nach Abklingen der Windpocken verbleibt das Virus inaktiv in den Nervenzellen des Körpers. Bei einer Schwächung des Immunsystems, beispielsweise durch Alterung, Stress oder Immunsuppression, kann das Virus reaktiviert werden und eine Gürtelrose auslösen.
Die Gürtelrose äußert sich durch schmerzhafte, mit Flüssigkeit gefüllte Bläschen entlang der Nervenbahnen auf der Haut. Neben den akuten Symptomen kann es auch zu Spätkomplikationen kommen, wie der Postherpetischen Neuralgie, die durch langanhaltende und starke Schmerzen gekennzeichnet ist. Darüber hinaus wurde festgestellt, dass Gürtelrose mit einem erhöhten Risiko für schwerwiegende kardiovaskuläre Ereignisse wie Schlaganfall und Herzinfarkt verbunden ist.
Epidemiologische Studien deuten auf einen Zusammenhang hin
Mehrere epidemiologische Studien haben in den letzten Jahren einen möglichen Zusammenhang zwischen der Gürtelroseimpfung und einem reduzierten Demenzrisiko untersucht. Diese Studien basieren auf der Beobachtung, dass Menschen, die gegen Gürtelrose geimpft sind, seltener an Demenz erkranken.
Studie in Wales
Eine vielbeachtete Studie, die im Fachjournal „Nature“ veröffentlicht wurde, untersuchte Gesundheitsdaten von über 280.000 älteren Erwachsenen in Wales. In Wales wurde am 1. September 2013 ein Impfprogramm gegen Gürtelrose eingeführt, das jedoch eine strenge Altersregelung vorsah: Nur Personen, die am Stichtag jünger als 80 Jahre alt waren, durften sich impfen lassen. Diese Regelung ermöglichte es den Forschern, das Demenzrisiko von geimpften und ungeimpften Personen in ähnlichen Altersgruppen zu vergleichen.
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Die Ergebnisse der Studie zeigten, dass innerhalb von sieben Jahren nach der Gürtelroseimpfung das Risiko, an Demenz zu erkranken, um 20 Prozent geringer war als bei Ungeimpften. Dieser Schutzeffekt war bei Frauen stärker ausgeprägt als bei Männern: Bei Frauen wurde eine relative Reduktion des Demenzrisikos von etwa 25,1 Prozent festgestellt, während bei Männern der Schutzeffekt nur bei etwa 16 Prozent lag.
Studie in Australien
Eine weitere Studie aus Australien bestätigte die Ergebnisse aus Wales. In Australien wurde die Gürtelroseimpfung im Jahr 2016 eingeführt, wobei ebenfalls nur Personen berechtigt waren, die nach einem bestimmten Stichtag geboren wurden. Der Vergleich von geimpften und ungeimpften Personen zeigte auch hier ein geringeres Demenzrisiko bei den Geimpften. Im Gegensatz zur walisischen Studie wurde in Australien jedoch bei beiden Geschlechtern ein signifikanter Schutzeffekt beobachtet.
Studie in den USA
Auch in den USA wurde der Zusammenhang zwischen der Gürtelroseimpfung und dem Demenzrisiko untersucht. In den USA wurde die Gürtelroseimpfung im Jahr 2017 von einem Lebendimpfstoff auf einen rekombinanten Totimpfstoff umgestellt. Eine Studie verglich das Demenzrisiko nach Lebend- und Totimpfung über einen Zeitraum von sechs Jahren. Die Ergebnisse zeigten, dass der rekombinante Totimpfstoff das Demenzrisiko im Vergleich zur Lebendimpfung signifikant um 17 Prozent senkte. Auch in dieser Studie war der protektive Effekt bei Frauen stärker ausgeprägt als bei Männern.
Mögliche Mechanismen des Schutzeffekts
Obwohl die epidemiologischen Studien einen Zusammenhang zwischen der Gürtelroseimpfung und einem reduzierten Demenzrisiko nahelegen, sind die zugrunde liegenden Mechanismen noch nicht vollständig geklärt. Es gibt verschiedene Theorien, die diesen Schutzeffekt erklären könnten:
- Direkte Wirkung auf das Varizella-Zoster-Virus: Eine Theorie besagt, dass das Varizella-Zoster-Virus (VZV) selbst eine Rolle bei der Entstehung von Demenz spielen könnte. Das Virus kann in den Nervenzellen des Gehirns persistieren und dort Entzündungen und Schäden verursachen, die zur Entwicklung von Demenz beitragen könnten. Die Gürtelroseimpfung könnte das Risiko einer Reaktivierung des Virus reduzieren und somit auch das Risiko von Hirnschäden und Demenz senken.
- Indirekte Wirkung über das Immunsystem: Eine andere Theorie besagt, dass die Gürtelroseimpfung das Immunsystem stärkt und somit auch vor anderen Krankheiten schützen kann, die mit Demenz in Verbindung stehen. Es ist bekannt, dass ein geschwächtes Immunsystem das Risiko für verschiedene Erkrankungen erhöht, darunter auch Demenz. Die Impfung könnte das Immunsystem so stimulieren, dass es besser in der Lage ist, schädliche Prozesse im Gehirn zu bekämpfen.
- Reduktion kardiovaskulärer Ereignisse: Gürtelrose ist mit einem erhöhten Risiko für kardiovaskuläre Ereignisse wie Schlaganfall und Herzinfarkt verbunden. Diese Ereignisse können das Gehirn schädigen und das Risiko für Demenz erhöhen. Die Gürtelroseimpfung könnte das Risiko für diese Ereignisse reduzieren und somit indirekt auch das Demenzrisiko senken.
Unterschiede zwischen Lebend- und Totimpfstoffen
Es gibt zwei Arten von Impfstoffen gegen Gürtelrose: Lebendimpfstoffe und Totimpfstoffe. Der ältere Impfstoff Zostavax ist ein Lebendimpfstoff, der abgeschwächte Viren enthält. Der neuere Impfstoff Shingrix ist ein rekombinanter Totimpfstoff, der nur bestimmte Proteine des Virus enthält.
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Studien haben gezeigt, dass der Totimpfstoff Shingrix möglicherweise einen besseren Schutz vor Demenz bietet als der Lebendimpfstoff Zostavax. Dies könnte daran liegen, dass der Totimpfstoff eine stärkere Immunantwort hervorruft und somit effektiver vor einer Reaktivierung des Virus schützt.
Geschlechtsspezifische Unterschiede
Einige Studien haben gezeigt, dass der Schutzeffekt der Gürtelroseimpfung gegen Demenz bei Frauen stärker ausgeprägt ist als bei Männern. Dies könnte auf geschlechtsspezifische Unterschiede in der Immunantwort oder in der Art und Weise, wie sich Demenz entwickelt, zurückzuführen sein. Frauen haben im Durchschnitt eine stärkere Antikörperreaktion auf Impfungen als Männer. Darüber hinaus ist bekannt, dass sowohl Gürtelrose als auch Demenz bei Frauen häufiger vorkommen als bei Männern.
Empfehlungen und Ausblick
Die aktuellen Forschungsergebnisse deuten darauf hin, dass die Gürtelroseimpfung möglicherweise einen schützenden Effekt gegen Demenz haben könnte. Obwohl die zugrunde liegenden Mechanismen noch nicht vollständig geklärt sind, gibt es verschiedene Theorien, die diesen Schutzeffekt erklären könnten.
In Deutschland wird die Gürtelroseimpfung mit dem rekombinanten Totimpfstoff Shingrix seit 2018 für alle Personen ab 60 Jahren sowie für Risikopersonen ab 50 Jahren empfohlen. Die neuen Studiendaten sollten Anlass geben, die Anstrengungen zur Erhöhung der Impfquoten zu intensivieren und über eine Ausweitung der Impfempfehlungen für jüngere Altersgruppen nachzudenken.
Es sind jedoch weitere Forschungsarbeiten erforderlich, um den Zusammenhang zwischen der Gürtelroseimpfung und dem Demenzrisiko besser zu verstehen. Insbesondere sind randomisierte, kontrollierte Studien erforderlich, um den kausalen Zusammenhang zwischen der Impfung und dem reduzierten Demenzrisiko zu bestätigen.
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Trotz der noch offenen Fragen legen die aktuellen Erkenntnisse nahe, dass die Gürtelroseimpfung nicht nur vor Gürtelrose schützen kann, sondern möglicherweise auch einen zusätzlichen Nutzen für die Prävention von Demenz bietet. Es kann sich also doppelt lohnen, routinemäßig angebotene Impfungen zu nutzen - zum Schutz vor Infektionskrankheiten sowie vor Demenz.
Weitere Forschung ist notwendig
Die bisherigen Ergebnisse sind vielversprechend, aber es bedarf weiterer Forschung, um die genauen Mechanismen und die langfristigen Auswirkungen der Gürtelroseimpfung auf das Demenzrisiko zu verstehen. Zukünftige Studien sollten sich auf folgende Fragen konzentrieren:
- Welche spezifischen Mechanismen vermitteln den schützenden Effekt der Impfung?
- Wie lange hält der Schutzeffekt an?
- Welchen Einfluss hat der Impfstofftyp (Lebend- vs. Totimpfstoff) auf den Schutzeffekt?
- Gibt es bestimmte Untergruppen von Personen, die besonders von der Impfung profitieren?
- Können andere Impfungen ebenfalls das Demenzrisiko senken?
Die Beantwortung dieser Fragen wird dazu beitragen, evidenzbasierte Empfehlungen für die Prävention von Demenz zu entwickeln und die öffentliche Gesundheit zu verbessern.
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