Fieberkrämpfe sind ein häufiges Phänomen im Kindesalter, mit dem tätige Kinderärzte oft konfrontiert werden. Schätzungsweise 2-5 % der Kinder zwischen dem 6. Lebensmonat und dem vollendeten 5. Lebensjahr erleiden Fieberkrämpfe. Unter Fieberkrämpfen sind epileptische Anfälle zu verstehen, die in der Kindheit zwischen dem 3. Lebensmonat und dem 5. Lebensjahr meist zu Beginn akuter fieberhafter Erkrankungen mit einem Temperaturanstieg auf mindestens 38,5 °C auftreten.
Definition und Abgrenzung
Obwohl Fieberkrämpfe häufig vorkommen, gibt es bis heute keine allgemein akzeptierte Definition. Entsprechend dem Definitionsvorschlag der Internationalen Liga gegen Epilepsie (ILAE) ist ein Fieberkrampf (FK) ein epileptischer Anfall jenseits des 1. Lebensmonats, der in Verbindung mit Fieber (Körpertemperatur > 38 °C rektal) auftritt, das nicht durch eine Infektion des zentralen Nervensystems (ZNS) verursacht ist.
Es ist wichtig, Fieberkrämpfe von anderen Anfallsarten abzugrenzen:
- Provozierte Anfälle: Epileptische Anfälle, die an eine plausible anfallsauslösende Bedingung (endogene oder exogene Noxen, akute zerebrale Erkrankungen) geknüpft sind. Sie treten nur bei bestimmten Gelegenheiten auf und sind nicht mit einer Epilepsie gleichzusetzen.
- Akute symptomatische Anfälle: Treten infolge einer ZNS-Schädigung innerhalb von 7 Tagen nach der akuten Schädigung auf. Anfälle, die später auftreten, gelten als unprovozierte Anfälle.
Epidemiologie und Risikofaktoren
In Mitteleuropa erleiden schätzungsweise 2-5 % aller Kinder bis zum 5. Lebensjahr mindestens einen Fieberkrampf. In Entwicklungsländern ist die Inzidenz mit 15 % deutlich höher, was auf die höhere Infektrate und die damit verbundene höhere Inzidenz fieberhafter Erkrankungen hindeutet. Jungen sind häufiger betroffen als Mädchen. Das Risiko, nach einem ersten Fieberkrampf ein oder mehrere Rezidive zu erleiden, beträgt ca. 30 %.
Risikofaktoren für Fieberkrämpfe sind:
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- Fieber > 38 °C als Provokationsfaktor
- Alter der Kinder (Manifestationsalter: 6. Monat bis 5. Lebensjahr)
- Familiäre FK-Belastung (liegt bei 25-40 % der betroffenen Kinder vor)
- Genetische Faktoren (autosomal-dominanter Erbgang mit reduzierter Penetranz wird vermutet)
- Peri-/postnatale Risiken (z. B. Blutungen im I/II. Trimenon, niedriges Gestationsalter/Prämaturität, niedriges Geburtsgewicht)
- Extrazerebrale fieberhafte virale/bakterielle Infektionen
Klassifikation von Fieberkrämpfen
Fieberkrämpfe werden in drei Subkategorien unterteilt:
- Einfache Fieberkrämpfe (70-90 %):
- Generalisiert tonisch-klonisch bilaterale symmetrische Anfälle (seltener kurze atonische, rein tonische oder klonische Anfälle)
- Dauer < 15 min
- Einmaliges Auftreten innerhalb von 24 h
- Auftreten bei bis dahin unauffälligen Kindern
- Komplizierte Fieberkrämpfe (10-35 %):
- Dauer > 15 min
- FK bei Kindern < 6 Monaten
- Fokale/sekundär generalisierte Anfälle
- FK, die eine pharmakologische Anfallsunterbrechung bei Anfallsdauer < 15 min erhalten
- Postiktale neurologische Defizite (z. B. Todd-Parese)
- Rezidive einfacher FK innerhalb von 24 h
- Febrile Seizures Plus (FS+):
- Rezidivierend auftretende einfache FK
- Oder als Subkategorie komplizierter FK
Genetische Grundlagen
Genetische Faktoren spielen eine wichtige Rolle bei der Entstehung von Fieberkrämpfen. Eine familiäre FK-Belastung liegt bei 25-40 % der betroffenen Kinder vor. Das Erkrankungsrisiko für Geschwister beträgt 20 % und erhöht sich auf 33 % bei zusätzlich betroffenem Elternteil bzw. um das Doppelte, wenn beide Eltern betroffen sind.
Rezent wurde eine Reihe von Genen mit FEB assoziiert: FEB 1 (8q13-21), FEB 2 (19p13.3), FEB 3 (2q23-q24), FEB 4 (5q14-q15), FEB 5 (6q22-q24) und FEB 6 (18p11). Für den weitaus größeren Anteil sporadischer FK wurden monogenetische Ursachen bislang jedoch nicht nachgewiesen. Es wird daher in diesen Fällen ein polygenes Vererbungsmodell angenommen, bei dem das Zusammenspiel mehrerer genetischer Varianten das Auftreten von FK begünstigt.
Generalisierte Epilepsie mit Fieberkrämpfen Plus (GEFS+)
Die generalisierte Epilepsie mit Fieberkrämpfen Plus (GEFS+) ist ein Spektrum von Anfallserkrankungen mit jeweils unterschiedlichem Schweregrad. Das Leitsymptom sind multiple Fieberkrämpfe in der Kindheit, durchaus auch nach dem 6. Lebensjahr. Einige Patienten entwickeln zusätzlich afebrile Anfälle. Dies können generalisierte (tonisch-klonische, myoklonische, atonische Anfälle oder Absencen), aber auch partielle Anfälle sein. Bei einzelnen Patienten kommt es erst im Erwachsenenalter zu einer klassischen Temporallappen-Epilepsie.
Genetik von GEFS+
Die zugrunde liegende Genetik ist sehr heterogen, in aller Regel wird ein autosomal-dominanter Erbgang gefunden. Am häufigsten finden sich Mutationen im Gen SCN1A (2q24.3, Sodium channel protein type 1 subunit alpha, 10 %). Durch SCN1A-Mutationen verursachte Epilepsien folgen einem autosomal dominantem Erbgang mit unvollständiger Penetranz. Veränderungen im Gen SCN2A können auch ein BFNIS-Syndrom (benign familial neonatal infantile seizures) verursachen. Absenceepilepsien der Kindheit (CAE) wurden darüber hinaus mit Mutationen im Gen GABRG2 assoziiert.
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Klinische Merkmale von GEFS+
- Variables Manifestationsalter, häufig vor dem 6. Lebensmonat
- Initial rezidivierende FK, oft kompliziert bis hin zum FSE, die über das 6. Lebensjahr hinaus bestehen können
- Im Verlauf zusätzlich unterschiedliche afebrile Anfälle (generalisierte tonisch-klonische, myoklonische und fokale Anfälle, Absenzen)
- Krankheitsverlauf und Ansprechen auf Medikation sehr verschieden: von afebrilen Anfällen oder spontanem Sistieren bis hin zu schwerem, pharmakoresistentem Anfallsleiden mit konsekutiver Enzephalopathie
Man spricht heute daher auch von einem GEFS+-Spektrum, das unterschiedliche Syndrome - darunter die myoklonisch astatische Epilepsie (MAE) und das Dravet-Syndrom (DS) - umfasst.
Differentialdiagnose bei GEFS+
Es ist wichtig, GEFS+ von anderen Erkrankungen mit ähnlichen Symptomen abzugrenzen:
- Fieberinduzierte refraktäre epileptische Enzephalopathie von Schulkindern (FIRES)
- Hemikonvulsions-Hemiplegie-Epilepsie(HHE)-Syndrom
- Dravet-Syndrom
- Myoklonisch-astatische Epilepsie (MAE)
Diagnostik
Die Diagnostik von GEFS+ umfasst:
- Detaillierte Anamnese (bezüglich Anfallstyp, Anfallsdauer, Impfstatus, verabreichter Antibiotika)
- Klinische Untersuchung des Kindes
- EEG (Elektroenzephalogramm)
- MRT (Magnetresonanztomographie) des Gehirns
- Genetische Untersuchung (Panel-Diagnostik)
Therapie
Die Therapie von GEFS+ richtet sich nach der Anfallsfrequenz und -schwere. Sie umfasst:
- Fiebersenkende Maßnahmen
- Anfallsunterbrechung mit Benzodiazepinen (Lorazepam i.v. oder Diazepam i.v.)
- Antiepileptische Medikamente (z. B. Valproat, Levetiracetam, Topiramat)
- In schweren Fällen: Ketogene Diät, Vagusnervstimulation oder chirurgische Maßnahmen
Prognose
Die Langzeitprognose von GEFS+ ist variabel und hängt vom Schweregrad der Erkrankung ab. Bei einigen Patienten sistieren die Anfälle spontan oder sprechen gut auf Medikamente an, während andere eine schwer behandelbare Epilepsie mit kognitiven Beeinträchtigungen entwickeln.
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Genetische Beratung
Da GEFS+ in der Regel autosomal-dominant vererbt wird, ist eine genetische Beratung für betroffene Familien wichtig.
Differentialdiagnose von Fieberkrämpfen allgemein
Bei der Diagnose von Fieberkrämpfen müssen andere Ursachen für Krampfanfälle ausgeschlossen werden:
- Synkopen:
- Vermutlich die häufigste Fehldiagnose
- Können von kurzen, unterschiedlich ausgeprägten Kloni begleitet werden
- Muskelzuckungen dauern meist nicht länger als 10-20 s und sind damit deutlich kürzer als FK
- Fehlen einer postiktale Beeinträchtigung
- Schüttelfrost und Fieberdelir
- Meningitis/Enzephalitis:
- In etwa 20 % der Fälle Krampfanfälle früh im Verlauf
- Umgekehrt liegt etwa 2-3 % aller fieberhaften Anfälle in der relevanten Altersgruppe eine Infektion des ZNS zugrunde
- Im Säuglings- und jungen Kleinkindalter können die typischen klinischen Zeichen fehlen
- Das Gleiche gilt nach Antibiotikavorbehandlung
- Bei älteren Kindern ist die Differenzialdiagnose in der Regel anhand klinischer Symptome zweifelsfrei zu stellen
- Initial mit FK einhergehende Erkrankungen, die jedoch ein erhöhtes Risiko für nachfolgende Epilepsien bzw. irreversible neurologische Folgeschäden aufweisen:
- Fieberinduzierte refraktäre epileptische Enzephalopathie von Schulkindern (FIRES)
- Hemikonvulsions-Hemiplegie-Epilepsie(HHE)-Syndrom
- Genetische/generalisierte Epilepsie mit Fieberkrämpfen plus (GEFS+)
Diagnostisches Vorgehen bei Fieberkrämpfen
Die Diagnostik erfolgt in der Regel durch den Kinderfacharzt mit dem primären Ziel, die Ursache des Fiebers zu detektieren und zu beseitigen. Basis sind detaillierte Anamnese (bezüglich Anfallstyp, Anfallsdauer, Impfstatus, verabreichter Antibiotika) und klinische Untersuchung des Kindes. Klare Richtlinien für ein strukturiertes diagnostisches Vorgehen bezüglich komplizierter FK fehlen im Gegensatz zu einfachen FK. Komplizierte FK erfordern umfangreichere diagnostische Maßnahmen von oder in Kooperation mit pädiatrischen Neurologen.
Therapie von Fieberkrämpfen
Die Behandlung von Fieberkrämpfen umfasst:
- Akuttherapie:
- Sicherstellung der Vitalfunktionen
- Gabe von Sauerstoff
- Anfallsunterbrechung mit Benzodiazepinen (Lorazepam i.v. oder Diazepam i.v.)
- Fiebersenkende Maßnahmen:
- Paracetamol oder Ibuprofen
- Kühle Umschläge
- Rezidivprophylaxe:
- In der Regel nicht erforderlich bei einfachen Fieberkrämpfen
- Bei komplizierten Fieberkrämpfen oder GEFS+ kann eineInterimsprophylaxe mit Benzodiazepinen (Diazepam rektal oder oral) am Beginn des Infektes und 8 h danach erwogen werden.
- Dauertherapie mit Antiepileptika (z. B. Valproat, Levetiracetam, Topiramat) nur in Ausnahmefällen indiziert.
Prognose von Fieberkrämpfen
Die Langzeitprognose auch wiederholt auftretender einfacher FK ist mit zu erwartender Komplettremission in 95 % der Fälle ausgezeichnet. Das Risiko, nach FK eine Epilepsie zu entwickeln, variiert bezüglich FK-Typ (einfache < komplizierte FK), ist aber generell nicht wesentlich höher als jenes in der Allgemeinbevölkerung. Insgesamt tritt bei etwa 2-7 % aller betroffenen Kinder später eine Epilepsie auf bzw. komplizierte FK bzw. rezidivierende FK.
Fieberkrämpfe und Temporallappenepilepsie
Eine nach wie vor umstrittene Frage betrifft den Zusammenhang zwischen komplizierten FK bzw. rezidivierenden FK und der Entwicklung einer mesialen Temporallappenepilepsie (mTLE) mit Hippocampussklerose (AHS). Basierend auf aktuellen experimentellen und klinischen Daten, wird derzeit davon ausgegangen, dass nicht FK die Ursache von AHS und späterer mTLE sind, sondern sowohl FK als auch AHS und mTLE Folgen einer vorbestehenden Schädigung des Temporallappens.
Impfassoziierte Fieberkrämpfe
FK können auch als „vaccine proximate febrile seizures (VP-FS)“ innerhalb 48 h nach Impfungen mit inaktivierten Impfstoffen (z. B. Diphterie-Pertussis-Tetanus [DPT oder Influenza]) bzw. 4 bis 5 Tage nach Impfungen mit Lebendimpfstoffen (Mumps-Masern-Röteln [MMR] bzw. Masern-Mumps-Röteln-Varizellen [MMRV]) auftreten. Das Rezidivrisiko nach erstem impfassoziiertem FK bei nachfolgenden Impfungen ist gering. Es besteht damit keine Kontraindikation für weitere Impfungen. Ausnahme sind Kinder mit erstem FK < 24 Monaten und nachfolgend rezidivierenden, nicht impfassoziierten FK. In diesen Fällen sollte die Diagnose einer GEFS+ (z. B. SCN1A-Mutation) in Betracht gezogen werden.
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