Die zunehmende Häufigkeit von Demenzerkrankungen in unserer Gesellschaft führt dazu, dass Streitigkeiten um das Erbe oft nicht erst mit dem Tod des Betroffenen beginnen, sondern bereits zu Lebzeiten entstehen. Dies liegt daran, dass ein Kind möglicherweise eine umfassende Vorsorgevollmacht erhält oder versucht, eine solche zu erhalten, um sich vor dem Erbfall finanzielle Vorteile zu verschaffen oder eine günstige Ausgangsposition für einen späteren Erbstreit zu sichern.
Vorsorgevollmacht und Generalvollmacht: Was ist der Unterschied?
In der Vorsorgevollmacht kann der Inhalt frei gestaltet werden. Eine Generalvollmacht gilt uneingeschränkt für alle Lebensbereiche, während eine Spezialvollmacht konkrete Angaben enthält. Die Verwaltung von Vermögen und Grundbesitz, einschließlich der Bestimmung des Aufenthaltsortes, kann in der Vollmacht geregelt werden. Es ist wichtig zu beachten, dass eine Vorsorgevollmacht nicht mit einer Patientenverfügung gleichzusetzen ist, da sie unterschiedliche Ziele verfolgen. Umfassender Schutz lässt sich durch die Kombination von Vorsorgevollmacht und Patientenverfügung erreichen.
Form und Gültigkeit einer Vorsorgevollmacht
Grundsätzlich ist eine Vorsorgevollmacht auch mündlich gültig, jedoch ist es aus Beweisgründen ratsam, sie schriftlich zu verfassen. Unpräzise Formulierungen wie "Wenn ich schwer erkranke, möchte ich…" können die Vollmacht ungültig machen. Es ist ratsam, sorgfältig zu überlegen, wem man im Falle einer Handlungsunfähigkeit die eigenen Angelegenheiten anvertrauen möchte, da diese Person dann Entscheidungen trifft, wenn man selbst dazu nicht mehr in der Lage ist. Das Gesetz schreibt vor, dass der Bevollmächtigte zumindest beschränkt geschäftsfähig sein muss (§ 106 BGB: ab dem siebten Lebensjahr). Um die Last zu verteilen, können auch mehrere Bevollmächtigte ernannt werden, jedoch ist eine Rangfolge nicht bestimmbar. Es ist ratsam, vorab mit den Vertrauten zu besprechen, ob sie bereit wären, schwierige Entscheidungen zu treffen.
Aufbewahrung und Änderung der Vorsorgevollmacht
Das Original der Vorsorgevollmacht kann an einem sicheren Ort zu Hause aufbewahrt werden, um Änderungen bei Bedarf vornehmen zu können. Vorsorgevollmachten können im Zentralen Vorsorgeregister angemeldet und hinterlegt werden, sodass sich Krankenhäuser oder Behörden im Notfall über die Existenz des Dokuments informieren können. Die Vorsorgevollmacht kann jederzeit geändert oder widerrufen werden, es sei denn, die Person ist beispielsweise aufgrund einer psychischen Erkrankung geschäftsunfähig geworden. Wichtig ist, dass die alte Version ausdrücklich außer Kraft gesetzt oder vernichtet wird.
Anfechtung einer Generalvollmacht bei Demenz
Wann kann eine Generalvollmacht angefochten werden?
Eine Generalvollmacht kann angefochten werden, wenn Zweifel an der Geschäftsfähigkeit des Vollmachtgebers zum Zeitpunkt der Erteilung bestehen. Dies ist insbesondere relevant bei Demenzerkrankungen, da die Geschäftsfähigkeit im Krankheitsverlauf beeinträchtigt werden kann.
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Das Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) vom 9. Oktober 2024 (Az. XII ZB 289/24)
Der BGH hat sich in einer aktuellen Entscheidung mit der Frage auseinandergesetzt, was passiert, wenn Zweifel an der Wirksamkeit einer Vorsorgevollmacht aufkommen. Das Gericht muss den Sachverhalt von Amts wegen aufklären und prüfen, ob der Vollmachtgeber im Moment der Unterschrift geschäftsfähig war. Bestehen Anhaltspunkte für eine Geschäftsunfähigkeit, muss das Gericht diesen Zweifeln nachgehen und darf nicht einfach von der Gültigkeit der Vollmacht ausgehen.
Geschäftsfähigkeit: Ein entscheidender Faktor
Geschäftsfähigkeit ist die Fähigkeit, rechtlich bindende Erklärungen abzugeben. Bei Erwachsenen kann die Geschäftsfähigkeit fehlen, wenn eine krankhafte Störung der Geistestätigkeit vorliegt, die nicht nur vorübergehend ist und die freie Willensbestimmung ausschließt (§ 104 Nr. 2 BGB). Nicht jede geistige Einschränkung führt automatisch zur Geschäftsunfähigkeit. Entscheidend ist, ob die Person die Bedeutung und die Tragweite ihrer Entscheidung noch verstehen und danach handeln konnte.
Die Rolle des Betreuungsgerichts
Das Betreuungsgericht prüft, ob für eine Person eine Betreuung eingerichtet werden muss, und berücksichtigt dabei eine vorgelegte Vorsorgevollmacht. Das Gericht muss die Wirksamkeit der Vollmacht prüfen und bei Zweifeln an der Geschäftsfähigkeit des Vollmachtgebers ein Sachverständigengutachten einholen.
Die Beweislast
Das Gericht muss positiv feststellen, dass der Vollmachtgeber im konkreten Zeitpunkt der Unterschrift geschäftsunfähig war. Vage Zweifel oder allgemeine Diagnosen reichen nicht aus, um die Vollmacht zu ignorieren.
Praktische Schwierigkeiten bei der Feststellung der Geschäftsfähigkeit
Gerade bei schleichenden Erkrankungen wie Demenz ist die Feststellung der Geschäftsfähigkeit oft eine Gratwanderung. Die geistigen Fähigkeiten lassen nach, aber nicht unbedingt linear. Das Gericht wird in der Regel auf Sachverständigengutachten zurückgreifen, aber auch Gutachter können oft keine hundertprozentig sichere Aussage treffen.
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Weitere Aspekte, die das Gericht berücksichtigen muss
- Zeitpunkt: Entscheidend ist die Geschäftsfähigkeit genau im Moment der Vollmachterteilung.
- Beweislast: Das Gericht muss die Geschäftsunfähigkeit positiv feststellen.
- Zeugen: Gibt es Zeugen, die die Umstände der Vollmachterteilung bezeugen können?
- Umstände: Wurde der Bevollmächtigte unter fragwürdigen Umständen eingesetzt?
Der Betreuerwunsch des Betroffenen
Selbst wenn eine Betreuung erforderlich sein sollte, muss das Gericht bei der Auswahl des Betreuers die Wünsche des Betroffenen berücksichtigen (§ 1816 Abs. 1 BGB).
Empfehlungen für die Erstellung einer Vorsorgevollmacht
- Rechtzeitig handeln: Errichten Sie Ihre Vorsorgevollmacht, solange Sie zweifelsfrei geschäftsfähig sind.
- Klare Formulierungen: Beschreiben Sie genau, welche Befugnisse Sie erteilen wollen.
- Notarielle Beurkundung erwägen: Eine notarielle Beurkundung erhöht die Akzeptanz der Vollmacht im Rechtsverkehr.
- Ärztliches Attest (optional, aber sinnvoll): Holen Sie zeitgleich zur Unterzeichnung der Vollmacht ein ärztliches Attest ein, das Ihre aktuelle Geschäftsfähigkeit bestätigt.
- Regelmäßige Überprüfung: Überprüfen Sie Ihre Vollmacht alle paar Jahre und passen Sie sie gegebenenfalls an veränderte Lebensumstände oder Wünsche an.
- Hinterlegung: Registrieren Sie Ihre Vorsorgevollmacht im Zentralen Vorsorgeregister (ZVR) der Bundesnotarkammer.
Verhalten als Bevollmächtigter
- Voraussetzungen prüfen: Wenn Sie gebeten werden, als Bevollmächtigter zu fungieren, überzeugen Sie sich (soweit möglich) davon, dass der Vollmachtgeber die Bedeutung der Vollmacht versteht.
- Dokumentation aufbewahren: Bewahren Sie die Originalvollmacht sicher auf.
- Bereit zur Auskunft: Seien Sie darauf vorbereitet, dass Gerichte oder Behörden im Zweifel Fragen zur Entstehung der Vollmacht und zur Geschäftsfähigkeit des Vollmachtgebers stellen könnten.
Was tun bei Zweifeln an der Geschäftsfähigkeit?
Wenn Sie Zweifel an der Geschäftsfähigkeit einer Person haben, die eine Vorsorgevollmacht erteilt hat, können Sie beim Betreuungsgericht die Einrichtung einer Betreuung anregen und Ihre Zweifel an der Wirksamkeit der Vollmacht darlegen.
Die Kontrollbetreuung
Der Gesetzgeber hat die Möglichkeit geschaffen, eine sogenannte Kontrollbetreuung (§ 1820 Absatz 3 BGB) einzusetzen. Diese Person überprüft, ob die vom Vollmachtinhaber getroffenen Entscheidungen durch die erteilte Vollmacht gedeckt sind und dem Wohl des Betroffenen dienen.
Weitere Vorsorgemöglichkeiten
Neben der Vorsorgevollmacht gibt es weitere Möglichkeiten, die Interessen eines älteren Menschen zu wahren, wenn sich Demenz oder andere Erkrankungen erst langsam ankündigen:
- Betreuungsverfügung: In einer Betreuungsverfügung legt der Unterzeichner fest, welche Person das Gericht als Betreuer einsetzen soll, wenn es um das Thema Geschäftsunfähigkeit geht.
- Patientenverfügung: Die Patientenverfügung ist ein Vorsorgedokument, das im späteren Stadium einer Demenzerkrankung sehr wichtig werden kann.
Gesetzliche Grundlagen
- § 104 BGB: Geschäftsunfähigkeit
- § 1814 BGB: Voraussetzungen für die Bestellung eines Betreuers
- § 1816 BGB: Auswahl des Betreuers
- § 1820 BGB: Kontrollbetreuung
- § 26 FamFG: Amtsermittlungsgrundsatz
Die Rolle der Angehörigen
Kinder sollten sich schon frühzeitig mit ihren Eltern über eine Vorsorgevollmacht unterhalten. Eine Vorsorgevollmacht kann verfasst werden, so lange noch Geschäftsfähigkeit vorhanden ist.
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