Eine Fazialisparese, oft als Gesichtslähmung bezeichnet, kann das Leben der Betroffenen plötzlich und einschneidend verändern. Sie beeinträchtigt nicht nur die Mimik, sondern kann auch alltägliche Funktionen wie Essen, Trinken und Sprechen erschweren. Glücklicherweise gibt es Möglichkeiten, die Gesichtsmuskulatur durch gezieltes Training zu stärken und die Rehabilitation nach einem Schlaganfall oder anderen Ursachen der Fazialisparese zu unterstützen. Dieser Artikel bietet einen umfassenden Überblick über Ursachen, Diagnose und vor allem Übungen zur Gesichtsmuskeltraining.
Was ist eine Fazialisparese?
Eine Fazialisparese (ICD-Code: G51.0, P11.3, S04.5) beschreibt die meist einseitige Lähmung von bestimmten, vor allem mimischen Muskeln im Gesicht, die durch den Gesichtsnerv (N. fazialis) innerviert werden. Der N. fazialis ist der siebte (VII) der zwölf (XII) Hirnnerven und ist paarig angeordnet, d.h. es gibt einen linken und rechten Gesichtsnerv.
Der N. fazialis innerviert sowohl die mimische Muskulatur (Muskeln der Stirn, des Auges, der Nase und des Mundes sowie einen Hautmuskel des Halses - das Platysma), als auch Anteile der suprahyoidalen Muskulatur. Zudem ist er für die Geschmackswahrnehmung (sensorisch) der vorderen 2/3 der Zunge und die Steuerung fast aller Kopfdrüsen (viszeromotorisch) verantwortlich.
Formen der fazialen Lähmung
Durch den komplexen Aufbau unseres Gehirns und der Nerven können Schädigungen an den unterschiedlichsten Stellen zum Erscheinungsbild einer fazialen Parese, also zur Lähmung der Gesichtsmuskulatur, führen. Man unterscheidet je nach Ort der Schädigung eine zentrale (supranukleäre) faziale Parese und eine periphere (nukleäre oder infranukleäre) Fazialisparese.
- Zentrale (supranukleäre) Parese: Ist die Verbindung zwischen Hirnrinde (Cortex) und den motorischen Kerngebieten im Hirnstamm (genauer: Brücke/Pons) betroffen, spricht man von einer zentralen oder supranukleären Parese.
- Periphere (nukleäre oder infranukleäre) Fazialisparese: Am häufigsten ist der Nerv in seinem Verlauf unterhalb der Hirnnervenkerne bis zum Endorgan (infranukleär) beschädigt. Bei der peripheren Fazialisparese ist der Nerv selbst auf seinem Weg vom Gehirn zum Gesicht geschädigt.
Ursachen der Fazialisparese
Je nach Ort der Schädigung (peripher oder zentral) gibt es unterschiedliche Ursachen, die für die Lähmung verantwortlich sein können. Am häufigsten ist die Ursache für die Entstehung jedoch unklar. Ist das der Fall, spricht man von einer idiopathischen Fazialisparese (oder auch Bell´s Palsy).
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Weitere mögliche Ursachen sind:
- Infektionen: Borreliose, Herpes zoster (Zoster oticus), Mittelohrentzündung.
- Trauma: Schädelbruch, Operationen im Kopfbereich.
- Tumoren: Akustikusneurinom, Tumoren an der Ohrspeicheldrüse.
- Neurologische Erkrankungen: Multiple Sklerose, Schlaganfall.
Symptome der Fazialisparese
Eine Schädigung des Nervus facialis führt zu sichtbaren Lähmungserscheinungen im Gesicht. Typische Symptome sind:
- Einseitige Gesichtslähmung (hängender Mundwinkel, fehlender Lidschluss).
- Probleme beim Essen, Trinken, Sprechen oder Lächeln.
- Vermehrter Speichelfluss oder Tränenfluss.
- Geschmacksstörungen (vordere Zunge).
- Geräuschempfindlichkeit (Hyperakusis) auf der betroffenen Seite.
Diagnose der Fazialisparese
Die Diagnose der Fazialisparese wird meist von einem Neurologen gestellt. In manchen Fällen kann es aber auch notwendig sein, einen HNO Arzt heranzuziehen.
Der Arzt beginnt mit einer körperlichen Untersuchung, die Hinweise auf die Form und Ursache der Fazialisparese geben soll. Folgende Bewegungsaufgaben können dem Betroffenen zur Diagnosestellung gegeben werden (Hacke 2016):
- Stirn runzeln
- Augen öffnen/schließen
- Nase rümpfen
- Mund/Lippen: Kussmund machen, lächeln, pfeifen, Wangen (auch einseitig) aufblasen
Kann das Auge nicht vollständig geschlossen werden, ist das Bell Phänomen zu beobachten. Schwere Paresen erkennt man bereits vor der Beweglichkeitsprüfung.
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Gesichtsmuskeltraining: Der Schlüssel zur Rehabilitation
Regelmäßiges Training ist der Schlüssel zur Wiederherstellung der Gesichtsfunktionen bei einer Fazialisparese. Die Rückbildung der Lähmung erfordert viel Zeit und Geduld, wobei Ausdauer und häufiges Üben den Heilungsprozess unterstützen. Experten empfehlen, die Übungen in kurzen, aber häufigen Einheiten über den Tag zu verteilen, anstatt eine lange, erschöpfende Trainingseinheit zu absolvieren. Idealerweise führt man die Übungen fünfmal täglich mit jeweils drei Wiederholungen durch.
Allgemeine Hinweise zum Gesichtsmuskeltraining
- Der Spiegel als Trainingspartner: Der Spiegel ist ein wichtiger Begleiter bei allen Fazialisparese Übungen. Führen Sie sämtliche Übungen unter Spiegelkontrolle durch, um die Bewegungen selbst zu kontrollieren und die Symmetrie zu verbessern. Achten Sie dabei darauf, dass sich wirklich nur die beabsichtigte Muskulatur bewegt. Sollte es zu ungewollten Mitbewegungen kommen, machen Sie eine kurze Pause. Dieses visuelle Feedback hilft Ihnen, ein Bewusstsein für subtile Bewegungen zu entwickeln und Ihre Fortschritte zu verfolgen.
- Konzentration und Achtsamkeit: Konzentrieren Sie sich auf die Bewegung und versuchen Sie, die Muskeln bewusst anzusteuern.
- Regelmäßigkeit: Führen Sie die Übungen regelmäßig durch, um optimale Ergebnisse zu erzielen.
- Geduld: Haben Sie Geduld und erwarten Sie keine sofortigen Ergebnisse. Die Verbesserung der Gesichtsmuskelfunktion braucht Zeit.
Übungen für die Gesichtsmuskulatur
Dieses Gymnastikprogramm sollte 3x täglich oder öfter, am besten vor dem Spiegel, durchgeführt werden.
Mund:
- Mund spitzen mit geschlossenen Lippen.
- Mund spitzen mit geöffneten Lippen.
- Mund vorstoßen (Lippen nach vorn wölben, dabei das Kinn hochziehen).
- Backen ansaugen (Hasenmäulchen), wenn möglich Ober- und Unterlippe bewegen.
- Mund breit ziehen (in die Mundwinkel ziehen).
- Mund breit ziehen mit geschlossenen Augen.
- Oberlippe über die Unterlippe ziehen.
- Unterlippe über die Oberlippe ziehen.
- Kinn hochziehen, Oberlippe runterziehen (Mund etwas offen lassen).
- Backen aufblasen, Augen gleichzeitig schließen, Luft hin- und herschieben.
- Pfeifen, wenn möglich Finger auf einer oder auf beiden Seiten zu Hilfe nehmen.
- Ein großes „O“ formen, darauf achten, dass der Mund weit offen ist, dann Lippen zusammenziehen und zum kleinen „o“ machen.
Nase:
- Nase hochziehen (rümpfen, krausziehen).
- Nase hochziehen, dabei die Augen schließen.
- Nase schnell rauf- und runterziehen.
- Nasenlöcher größer machen, Nasenflügel bewegen.
Augen:
- Augen schließen und öffnen.
- Augen schließen, krankes Auge evtl. mit Finger zuhelfen.
- Augen zusammenkneifen.
- Mit den Augen nach oben, unten, links und rechts schauen.
- Augenbrauen hochziehen.
- Augenbrauen zusammenziehen, als würde man böse schauen.
Stirn:
- Stirn runzeln, sodass sich gleichmäßige Falten bilden. Halten Sie diese Position für 5-10 Sekunden.
Wangen:
- Wangen aufblasen und die Luft hin- und herschieben.
- Wangen einziehen, als würde man einen „Fischmund“ machen.
Zunge:
- Zunge in verschiedene Richtungen herausstrecken - zum Kinn, zur Nase und zu beiden Seiten.
Ergänzende Maßnahmen zur Unterstützung der Therapie
Neben gezielten Übungen existieren wirksame ergänzende Maßnahmen, die die Fazialisparese Therapie unterstützen können.
- Massagen: Sanfte Massagen spielen eine wichtige Rolle bei der Behandlung einer Gesichtslähmung. Massieren Sie Ihr Gesicht vor dem Üben, zwischendurch und besonders bei auftretenden Schmerzen. Diese Technik verbessert die Durchblutung, löst Verspannungen und bereitet die Muskulatur optimal auf die eigentlichen Übungen vor. Mit kreisenden Bewegungen und leichtem Druck können Sie die betroffenen Areale stimulieren.
- Kinesiologisches Taping: Kinesiologisches Taping bietet eine wertvolle Ergänzung zur herkömmlichen Fazialisparese Therapie. Das elastische Baumwollband mit spezieller Acrylbeschichtung kann auf die betroffenen Gesichtspartien aufgeklebt werden und wirkt unterstützend auf die Muskulatur. Bei der Fazialisparese fördert das Tape den Lippenschluss und kann die Symmetrie des Gesichts verbessern. Sprechen Sie Ihren Physiotherapeuten an - er kann Ihnen ein passendes Tape, auf Wunsch auch hautfarbend, anlegen.
- Temperaturreize:
- Kälteanwendung: Stimulieren Sie die zu beübende Gesichtspartie kurz mit Eis, bevor Sie mit den Übungen beginnen. Ein „Eis am Stiel“ oder ein Eiswürfel, mit dem über die betroffene Region gestrichen wird, aktiviert die Hautrezeptoren und erhöht die Wirksamkeit der nachfolgenden Übungen.
- Wärmeanwendung: Wärme lockert die Muskulatur auf und ermöglicht ein tieferes Erreichen der Muskelschichten bei der anschließenden Massage.
- Elektrotherapie: Die Elektrotherapie setzt niederfrequente Reiz- und Impulsströme (0,1-1000 Hz) ein, um die geschwächte oder teilgelähmte Muskulatur zu stimulieren. Dabei werden über Elektroden elektrische Impulse an die betroffenen Gesichtsmuskeln geleitet. Allerdings sind die wissenschaftlichen Nachweise zur Wirksamkeit begrenzt - einige Studien zeigen positive Effekte wie eine Beschleunigung der Remission, während andere keine eindeutigen Vorteile belegen.
Medikamentöse Therapie
Die Therapie erfolgt individuell, abhängig von der Ursache. Bei der häufigen idiopathischen Fazialisparese werden Glukokortikoide verabreicht. Bei geklärter Ursache wird die Grunderkrankung behandelt.
Weitere Medikamente, die eingesetzt werden können, sind:
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- Kortikosteroide (z. B. Prednisolon) zur Entzündungshemmung bei Bell’scher Parese.
- Virostatika bei Herpes-Infektion.
- Antibiotika bei bakterieller Ursache (z. B. Borreliose).
Augenschutz
Bei unvollständigem Lidschluss ist ein Augenschutz wichtig, um die Austrocknung der Hornhaut zu verhindern. Hier können Augentropfen, Salben oder ein Uhrglasverband helfen.
Die Bedeutung der mentalen Gesundheit und des Austauschs mit anderen Betroffenen
Die psychischen und psychosozialen Folgen einer Fazialisparese können oft belastender sein als die motorischen Einschränkungen selbst. Deshalb ist der Austausch mit anderen Betroffenen unschätzbar wertvoll. In diesen Gruppen können Sie verschiedene Krankheits- und Genesungswege kennenlernen, Erfahrungen teilen sowie wertvolle Tipps und Informationen austauschen.
Prognose und Verlauf
Die zumeist spontan aufgetretene idiopathische Fazialisparese hat eine relativ gute Prognose. In 71 % der Fälle bildet sich die Lähmung in der Regel innerhalb von Tagen oder Wochen, seltener nach Monaten von selbst zurück. 29 % der Betroffenen bleiben motorische Defizite und bei 16 % kommt es zur Entwicklung von Synkinesien, das sind z.B. Mitbewegungen des Auges bei Mundschluss (Peitersen 2002). vor allem wenn die Betroffenen „jung“ sind (< 60 Jahren) und der Nerv nur teilweise geschädigt ist (Neurapraxie).
Ist der Nerv stark geschädigt oder sogar komplett durchtrennt (Axonotmesis), wie es z.B. bei schweren Felsenbeinbrüchen der Fall sein kann, ist eine komplette Heilung (Remission) der Symptomatik eher unwahrscheinlich. Ausheilung kann es im weiteren Verlauf zu starken Asymmetrien oder Synkinesien im Gesicht kommen, die die Betroffenen zumeist sehr belasten.
Bell’sche Lähmung heilt in etwa 80-90 % der Fälle innerhalb von Wochen bis Monaten vollständig aus. Andere Ursachen erfordern gezielte Therapie; die Prognose hängt stark von der Grunderkrankung ab.
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