Gleichgewichtsstörung nach Schlaganfall: Übungen und Therapieansätze

Eine Gleichgewichtsstörung nach einem Schlaganfall kann die Lebensqualität erheblich beeinträchtigen. Viele Betroffene leiden unter Gangunsicherheit, Schwindel und dem Gefühl, die Kontrolle über ihren Körper verloren zu haben. Glücklicherweise gibt es verschiedene Übungen und Therapieansätze, die helfen können, das Gleichgewicht wiederzuerlangen und die Selbstständigkeit im Alltag zu verbessern.

Was sind Gleichgewichtsstörungen?

Die meisten Menschen kennen das Gefühl einer vorübergehenden Gleichgewichtsstörung: Der Boden scheint zu schwanken, und Begleiterscheinungen wie Schwindel, Übelkeit oder Sehstörungen können auftreten. Treten solche Störungen jedoch vermehrt auf, können sie sehr belastend sein und zu Stürzen und Verletzungen führen.

Das Gleichgewichtsorgan im Innenohr spielt eine zentrale Rolle für unseren Gleichgewichtssinn. Es besteht aus den Bogengängen und den Vorhofsäckchen, die mit Flüssigkeit gefüllt sind und feine Härchen enthalten. Diese Härchen nehmen Drehbewegungen und Änderungen der Bewegungsgeschwindigkeit wahr. Ohrkristalle (Otolithen) bewegen sich abhängig von der Körperposition und drücken auf die Härchen, wodurch dem Gehirn Informationen über die Lage im Raum übermittelt werden.

Neben dem Gleichgewichtsorgan verarbeitet das Gehirn auch Reize von den Nervenzellen der Füße, den Augen und den Ohren, um das Gleichgewicht zu erhalten. Bei einer Gleichgewichtsstörung ist die Raumorientierung gestört, und Betroffene können ihre Bewegungen und Körperspannung kurzzeitig nicht mehr kontrollieren.

Ursachen von Gleichgewichtsstörungen

Gleichgewichtsstörungen können vielfältige Ursachen haben. Erkrankungen des Gleichgewichtsorgans im Ohr sind eine häufige Ursache. Dazu gehören Entzündungen im Innenohr, der Nervenzellen oder der Bogengänge. Auch ein gutartiger Lagerungsschwindel, bei dem sich Kristalle im Innenohr lösen und Fehlreize an das Gehirn senden, kann Gleichgewichtsstörungen verursachen.

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Weitere organische Ursachen können eine mangelnde Versorgung des Gehirns mit Glukose oder Blut (z. B. bei Unterzuckerung, niedrigem Blutdruck oder einem Schlaganfall), Hirnhaut- oder Gehirnentzündungen, Nervenstörungen (z. B. Multiple Sklerose) oder eine Überhitzung des Gehirns (Hitzschlag) sein. Auch alltägliche Krankheiten wie Erkältungen oder Grippe können Gleichgewichtsprobleme verursachen.

Psychische Ursachen wie Angst, Stress oder Wut können ebenfalls Gleichgewichtsstörungen auslösen, insbesondere den phobischen Schwankschwindel, bei dem Betroffene das Gefühl haben, der Boden schwanke beim Gehen. Medikamente wie Blutdrucksenker, Antiepileptika und Psychopharmaka sowie Alkohol können ebenfalls Gleichgewichtsstörungen und Schwindel begünstigen. Im Alter treten Gleichgewichtsstörungen häufiger auf, da die Übertragung von Nervenreizen im Innenohr schlechter wird und die Durchblutung des Innenohrs abnimmt.

Gleichgewichtsstörungen nach Schlaganfall

Ein Schlaganfall kann erhebliche Auswirkungen auf das Gleichgewicht haben. Groß- und Kleinhirninfarkte können zu deutlichen Gleichgewichtsstörungen mit Gangunsicherheit und Beeinträchtigungen im Alltag führen. Schwindel mit Gleichgewichtsstörung und Gangunsicherheit ist ein häufiges Symptom bei neurologischen Patienten nach einem Schlaganfall.

Ob Schwindel nach einem Schlaganfall auftritt, hängt davon ab, in welcher Hirnregion der Schlaganfall aufgetreten ist. Insbesondere Schlaganfälle im Bereich des Kleinhirns und des Hirnstamms führen häufig zu Schwindel. Viele Menschen klagen auch noch Jahre nach einem Schlaganfall über Schwindelzustände, die sich bei körperlicher Aktivität oder starker Konzentration verstärken.

Diagnose von Gleichgewichtsstörungen

Um die Ursache von Gleichgewichtsstörungen zu finden, führt der Arzt zunächst ein Anamnesegespräch, um die Symptome, Begleitbeschwerden, bestehenden Erkrankungen und eingenommenen Medikamente zu erfragen. Bei Verdacht auf eine Störung des Gleichgewichtsorgans können verschiedene Übungen durchgeführt werden, um dieses zu testen, wie z. B. der Romberg-Versuch, bei dem die betroffene Person mit geschlossenen Augen und vorgestreckten Armen steht. Schwankende Bewegungen des Körpers deuten auf ein Problem mit dem Gleichgewichtsorgan hin.

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Ein Nystagmus-Test, bei dem das Auftreten von Augenzittern beobachtet wird, kann ebenfalls Hinweise auf Erkrankungen des Gleichgewichtsorgans oder der Nerven im Gehirn geben.

Therapie von Gleichgewichtsstörungen

Die Behandlung von Gleichgewichtsstörungen zielt darauf ab, die Ursache zu behandeln und die Symptome zu lindern. Medikamente können zur Therapie der verursachenden Krankheit eingesetzt werden, und bei starken Schwindel- und Gleichgewichtsbeschwerden können Antivertiginosa (z. B. Histamin-Antagonisten oder Calciumkanalblocker) helfen, die Schwindelgefühle zu bekämpfen. Diese wirken jedoch nur gegen die Symptome und nicht gegen die Ursache.

Neben der medikamentösen Behandlung kann Physiotherapie helfen, Gleichgewichtsstörungen entgegenzuwirken. Ist die Behandlung der Ursache nicht möglich oder reicht die Therapie allein nicht aus, können folgende Tipps helfen, die Symptome zu lindern:

  • Körperliche Überanstrengung vermeiden
  • Psychisch belastende Situationen reduzieren und Entspannungstechniken anwenden
  • Ausreichend trinken, Alkohol meiden und für genügend Schlaf sorgen
  • Bei medikamentenbedingten Gleichgewichtsstörungen mit dem Arzt über alternative Arzneimittel oder eine Anpassung der Dosierung sprechen
  • Bei einer plötzlichen Schwindelattacke etwas trinken und sich hinsetzen oder hinlegen, um Stürze zu vermeiden

Gleichgewichtsübungen nach Schlaganfall

Verschiedene Übungen können dazu beitragen, die Funktion des Gleichgewichtsorgans zu stärken und Gleichgewichtsstörungen entgegenzuwirken. Es ist wichtig, die Übungen nur durchzuführen, wenn man sich körperlich fit fühlt, und im Zweifelsfall eine Pause zu machen.

Hier sind einige Beispiele für Gleichgewichtsübungen:

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  • Blickrichtung ändern: Im Sitzen die Zeigefinger ausstrecken und eine Hand auf Brusthöhe, die andere über den Kopf heben. Abwechselnd zwischen den Fingern hin- und herschauen, ohne den Kopf zu bewegen. Variation: Hände rechts und links auf Augenhöhe halten und zwischen diesen hin- und herschauen.
  • Gegenstand aufheben: Im Sitzen einen Gegenstand vor sich auf den Boden legen. Aus dem Sitzen nach vorne beugen, den Gegenstand aufheben und den ausgestreckten Arm mit dem Gegenstand über den Kopf heben. Mit dem anderen Arm wiederholen.
  • Zehen- und Fersenstand: Im Stehen abwechselnd von den Fersen auf die Zehenspitzen wechseln, um das Gleichgewicht zu trainieren. Bei Unsicherheit an einem Stuhl oder einer Sofalehne festhalten.
  • Kniebeugen mit Abstützen: Seitlich an einer Stützmöglichkeit (z. B. Tischkante oder Stuhllehne) stehen. Füße hüftbreit auseinander, Fersen bleiben am Boden. In die Knie gehen, als wollte man sich hinsetzen, aber nur so weit, wie es angenehm ist. Wieder aufrichten. Schwierigkeitsgrad erhöhen, indem man auf die Stützmöglichkeit verzichtet.
  • Zehengang mit Abstützen: Seitlich und hüftbreit an einen Stuhl oder Tisch stellen, an dem man sich festhalten kann. Auf die Zehenspitzen stellen und langsam drei Schritte nach vorne gehen. Am Stuhl oder Tisch festhalten. Schwierigkeitsgrad erhöhen, indem man auf das Abstützen verzichtet und bis zu zehn Schritte nach vorne macht.
  • Einbeinstand mit Abstützen: Seitlich an einer sicheren Abstützmöglichkeit stehen und festhalten. Aufrecht stehen, Blick nach vorne. Ein Bein leicht anheben, indem man das Knie nach hinten abwinkelt. Das Knie des Standbeins bleibt leicht gebeugt. Diese Position zehn Sekunden halten und mit dem anderen Bein wiederholen. Schwierigere Variante ohne Abstützen, Arme locker am Körper hängen lassen. Noch schwieriger: Übung mit geschlossenen Augen durchführen.
  • "Achten gehen": Eine liegende Acht auf dem Fußboden vorstellen und der Linie im üblichen Tempo folgen. Alternativ in einer Achter-Schleife um zwei Stühle herumgehen (Abstützmöglichkeit). Auf eine aufrechte Haltung achten. Die Übung zweimal wiederholen.
  • Treppe steigen: Am Geländer festhalten, aber sich nicht mit den Armen hochziehen. Immer mit dem stärkeren Bein beginnen und den Fuß komplett auf die Stufe setzen. Blick nach unten richten, um die Fußposition zu kontrollieren. Das schwächere Bein folgt dann auf dieselbe Stufe. Stufe für Stufe fortfahren. Beim Hinuntergehen mit dem schwächeren Bein beginnen und den Fuß wieder komplett auf die Stufe setzen, dann folgt das stärkere Bein.

Idealerweise sollten die Übungen täglich dreimal für 15 Minuten im Wechsel ausgeführt werden.

Vestibuläre Rehabilitation

Zunehmend rückt die vestibuläre Rehabilitationstherapie (VR) in den Fokus der Behandlung von Gleichgewichtsstörungen nach Schlaganfall. Dieser Therapieansatz stammt ursprünglich aus der Behandlung von Gleichgewichtsstörungen des Vestibularorgans. Eine aktuelle Übersichtsarbeit hat gezeigt, dass VR bei zentral bedingten Gleichgewichtsstörungen, insbesondere in der subakuten Phase nach Schlaganfall, spürbare Verbesserungen erzielen kann.

Konkret zeigten sich folgende Effekte:

  • Verbesserte Stand- und Gangsicherheit
  • Reduzierter Schwindel
  • Besseres Gleichgewichtsgefühl im Alltag

Besonders wirksam sind Programme mit mindestens vier Wochen Dauer und einer Kombination aus Augen-Kopf-Koordination und Drehbewegungen. Um die Wirksamkeit zu gewährleisten, sollte die VR individuell angepasst werden, gezielt zentrale Kompensationsmechanismen ansprechen und durch viele Wiederholungen erfolgen. Insbesondere in der Frühphase nach Schlaganfall (1-6 Monate) scheint die Wirkung am größten zu sein.

Bei der vestibulären Rehabilitation wird das Gleichgewicht durch ständige Bewegungsreize geschult und quasi neu kalibriert. Das geschieht zunächst nur mittels Augenbewegungen, dann mit Kopfbewegungen und danach mit Balance-Übungen. Ein wichtiger Baustein ist ein Desensibilisierungs-Training, bei dem sich Betroffene gezielt mit Schwindel auslösenden Bedingungen und Bewegungen konfrontieren.

Weitere Übungen gegen Schwindel

Neben den genannten Übungen gibt es weitere Übungen, die im Sitzen, Liegen, Stehen und Gehen durchgeführt werden können, um das Gleichgewicht zu trainieren und Schwindel zu reduzieren. Diese Übungen umfassen Augenbewegungen, Kopfbewegungen, Rumpfdrehungen, Ball werfen und verschiedene Gangübungen.

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