Neurovaskuläre Kompressionssyndrome (NVC) sind klinisch durch Funktionsstörungen einzelner Hirnnerven gekennzeichnet. Das häufigste Kompressionssyndrom betrifft den N. trigeminus und führt zur Trigeminusneuralgie, gefolgt vom Hemispasmus facialis, der durch eine vaskuläre Kompression des N. facialis verursacht wird. Weniger bekannte Nervenkompressionssyndrome können zu Störungen des N. glossopharyngeus, des N. intermedius oder des N. vestibulocochlearis führen. Sehr selten sind der N. oculomotorius oder N. abducens betroffen.
Pathophysiologie neurovaskulärer Kompressionssyndrome
Den Kompressionssyndromen liegt die gleiche pathophysiologische Ursache zugrunde. Im Bereich der Nervenaustritts-/Eintrittszone am Hirnstamm („root entry“/„root exit zone“ [REZ]) kommt es zu einem Kontakt zwischen dem Hirnnerven und einem arteriellen oder, seltener, einem venösen Blutgefäß. An dieser „natürlichen Schwachstelle“, an der zentrales Myelin in peripheres Myelin übergeht, ist der Nerv besonders anfällig für mechanische Irritationen, die dann die Symptomatik hervorrufen.
Diagnostik bei Verdacht auf ein Nervenkompressionssyndrom
Bei Verdacht auf ein Nervenkompressionssyndrom sollte immer eine Bildgebung mit der Magnetresonanztomografie (MRT) durchgeführt werden. Neben hochauflösenden 3D-T2-gewichteten Sequenzen, wie zum Beispiel der CISS-Sequenz („constructive interference in steady-state“) sollte auch eine 3D-TOF(„time of flight“)-Angiografie durchgeführt werden, um sicher zwischen arterieller und venöser Kompression unterscheiden zu können. Außerdem dient die MRT auch dazu, andere Prozesse auszuschließen, die ursächlich für die Symptomatik sein könnten, wie zum Beispiel Tumore oder Aneurysmen. Die unteren Hirnnerven können durch MRT nach ihrem Austritt aus dem Hirn einzeln dargestellt werden. Dabei können krankhafte Prozesse wie Tumoren, Entzündungen, Engstellen, anatomische Variationen und Durchtrennungen der Nerven diagnostiziert werden.
(Vagus-)Glossopharyngeusneuralgie: Ein seltener Gesichtsschmerz
Die (Vagus-)Glossopharyngeusneuralgie ist selten und stellt etwa 0,2-1,3 % aller „Gesichtsschmerz-Syndrome“ dar. Ihre Inzidenz wird mit etwa 0,7/100 000 angegeben. Kommt es im Bereich der REZ des N. glossopharyngeus zu einem neurovaskulären Konflikt, kann dies plötzlich auftretende, lanzinierende Schmerzen im Bereich der von den auriculären beziehungsweise pharyngealen Ästen des IX. (Glossoparyngeus) und X. (Vagus) Hirnnerven sensibel versorgten Areale hervorrufen.
Symptome der Glossopharyngeusneuralgie
Die Glossopharyngeusneuralgie besteht aus wiederkehrenden Anfällen starker Schmerzen im hinteren Teil des Rachens, im Bereich der Mandeln, im hinteren Teil der Zunge, in einem Teil des Ohrs und/oder im Bereich unter dem hinteren Kiefer. Der Schmerz ist typischerweise im hinteren Bereich der Zunge, den Tonsillen, dem Pharynx, Larynx sowie dem Mittelohr und dem Kieferwinkel lokalisiert. Die Symptomatik kann durch Trigger (zum Beispiel Schlucken, Kauen) ausgelöst werden. Die Schmerzen können in Nase, Auge, Kinn oder Schulter ausstrahlen. Sie werden als einschießend, brennend, elektrisierend, scharf oder brennend beschrieben. Sie treten meist einseitig auf, in 12 % der Fälle beidseitig und können mehrmals am Tag über Wochen oder Monate hinweg auftreten.
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Vereinzelt kann es aufgrund der Vagus-Beteiligung zusätzlich zu Bradycardien, Asystolien, Krämpfen oder synkopalen Episoden kommen. Ähnlich der Trigeminusneuralgie kann es Phasen der Remission sowie ein erneutes Auftreten der Symptome geben. Patientinnen berichten oft über einen dumpfen Dauerschmerz zwischen diesen Schmerzattacken. Die Schmerzen können zu nächtlichem Erwachen führen. Während eines Schmerzanfalls kann es zu niedrigem Blutdruck, niedriger Herzfrequenz, Ohnmacht oder einem epileptischen Anfall kommen. Die Schmerzanfälle können spontan auftreten oder z. B. durch Schlucken, Sprechen, Kauen, Husten oder Gähnen ausgelöst werden. Auch ein bestimmter Geschmack, Berührungen der Rachenschleimhaut oder des äußeren Gehörgangs können Schmerzen auslösen. Da das Schlucken und Kauen häufig Schmerzen verursacht, verlieren viele Patientinnen an Gewicht. Die Erkrankung kann die Lebensqualität stark beeinträchtigen und zu Depressionen führen. Die Glossopharyngeusneuralgie ähnelt der Trigeminusneuralgie, einem weiteren Schmerzzustand eines Gesichtsnervs.
Ursachen und Häufigkeit
Man geht davon aus, dass die Erkrankung meist auf eine Nervenkompression (Nerveneinengung) zurückzuführen ist, die durch Gefäße entsteht, die in unmittelbarer Nähe verlaufen. Die räumliche Nähe und Pulsationen (Ausdehnung und Zusammenziehen) des Gefäßes führen zur Schädigung der schützenden Nervenhülle und lösen die typischen Schmerzen aus. Auf 100.000 Einw. treten jährlich etwa 0,7 neue Fälle auf. Männer und Frauen sind etwa gleich häufig betroffen. Eine Glossopharyngeusneuralgie ist deutlich seltener als die Trigeminusneuralgie (4-5 Fälle auf 100.000 Einw.). Die Erkrankung tritt in der Regel erstmals im Erwachsenenalter auf. Etwa die Hälfte der Patient*innen entwickeln Symptome vor dem 50. Lebensjahr.
Diagnostik der Glossopharyngeusneuralgie
Die Glossopharyngeusneuralgie wird von der Trigeminusneuralgie (die ähnliche Schmerzen verursacht) anhand der Lokalisation der Schmerzen oder der Ergebnisse eines bestimmten Tests unterschieden. Bei diesem Test berührt der Arzt den hinteren Teil des Rachens mit einem Wattebausch. Bei Schmerzen appliziert der Arzt ein Lokalanästhetikum in den hinteren Teil des Rachens. Wenn das Anästhetikum die Schmerzen beseitigt, ist eine Glossopharyngeusneuralgie wahrscheinlich.
Eine Magnetresonanztomographie (MRT) wird durchgeführt, um nach Tumoren zu suchen. Eine Computertomographie (CT) kann durchgeführt werden, um festzustellen, ob der Processus styloideus abnormal lang ist (Eagle Syndrom). Zur Unterstützung der Diagnose und zum Ausschluss anderer möglicher Schmerzursachen kann ein Lokalanästhetikum in den hinteren Teil des Rachens eingebracht werden. Nervenblockaden können den Ärzten ebenfalls helfen, die Diagnose zu bestätigen. Mit ihnen kann der betroffene Nerv identifiziert werden, da sie zur Unterbrechung einer bestimmten Nervenbahn eingesetzt werden, die Schmerzsignale weiterleitet oder verstärkt.
Es handelt sich bei der Erkrankung um eine klinische Diagnose. Sie kann erhärtet werden, wenn eine lokale Anästhesie der Rachenregion während des Anfalles eine sofortige Schmerzlinderung bewirkt. Differenzialdiagnostisch kann vor allem die Abgrenzung zur Trigeminusneuralgie schwierig sein, da die betroffenen Areale eng benachbart sind und der Schmerzcharakter ähnlich ist.
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Therapie der Glossopharyngeusneuralgie
Die Therapie der Glossopharyngeusneuralgie zielt darauf ab, die Schmerzen zu lindern und die Lebensqualität der Betroffenen zu verbessern. Es stehen verschiedene Therapieoptionen zur Verfügung, die je nach Schweregrad der Erkrankung und individuellen Bedürfnissen des Patienten eingesetzt werden können.
Medikamentöse Therapie
Dieselbe Medikamente, die auch zur Behandlung der Trigeminusneuralgie eingesetzt werden - Antiepileptika (Carbamazepin, Oxcarbazepin, Gabapentin oder Phenytoin), Baclofen und trizyklische Antidepressiva - können auch bei den Nervenschmerzen der Glossopharyngeus Neuralgie zur Behandlung eingestzt werden .Die medikamentöse Behandlung mit dem Antiepileptikum Carbamazepin ist die erste Wahl. Andere Medikament gegen Epilepsie (wie Pregabalin) oder Medikamente, die bei Depressionen verordnet werden, können in Betracht gezogen werden, vor allem bei einer mangelhaften Wirkung von Carbamazepin. Diese Medikamente modulieren die Nervenaktivität und blockieren Schmerzsignale. Ob die medikamentöse Schmerztherapie hilft und die Intensität der Schmerzen nachlässt, zeigt sich meist erst nach zwei bis vier Wochen.
Wenn diese Medikamente als Therapieverfahren unwirksam sind, kann die Anwendung eines Lokalanästhetikums (z. B. Lidocain) im hinteren Teil des Rachens vorübergehend Linderung verschaffen (und auch die Diagnose bestätigen). In unserer Schmerzpraxis führen wir bei der Glossopharyngeusneuralgie auch eine Ganglionäre Opiat Analgesie (GLOA) am Ganglion cervicale superius auf der gleichen Seite mit gutem Erfolg durch.
Operative Therapie
Für eine dauerhafte Linderung kann jedoch eine Operation erforderlich sein. Alternative zu konservativer Behandlung bei unzureichender oder nachlassender Wirksamkeit sowie intolerablen Nebenwirkungen sind operative Verfahren.
Mikrovaskuläre Dekompression (MVD)
Der Nervus glossopharyngeus wird dabei von der Arterie, die ihn zusammendrückt, getrennt, indem ein kleiner Schwamm dazwischen gelegt wird (sogenannte vaskuläre Dekompression). Der Druck des Gefäßes auf den Nerv kann reduziert werden, indem in einer mikrochirurgischen Operation Nerv und Gefäß voneinander getrennt werden und ggf. ein Teflonkissen dazwischen gelegt wird. Die Erfolgsraten liegen bei 90 % und die Komplikationsraten sind sehr gering. Als Behandlungsmethode kommt bei nachgewiesenem typischem Gefäß-Nerven-Kontakt die sog. mikrovaskuläre Dekompression nach Jannetta in Betracht, bei der über eine suboccipito-laterale Trepanation ein Teflonpolster zwischen Gefäß und Nerv eingelegt wird. Diese Operationen werden standardmäßig unter elektrophysiologischem Monitoring durchgeführt.
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Radiochirurgische Behandlung
Bei der anderen Behandlungsmethode wird der Nerv mit einem Gamma-Knife, das ähnlich wie ein Brennglas arbeitet, durch Hitze verödet. Die Erfolgsquote liegt etwa 80 % nach der Operation, nach 5 Jahren etwa 50 %. Komplikationen können eine Minderung des Geschmackssinns, Gefühlsstörungen im betreffenden Bereich, eine Minderung des Würgereflexes und Schluckbeschwerden sein. Weitere Behandlungsmethoden bestehen insbesondere bei der Trigeminusneuralgie in der Thermokoagulation des Ganglion Gasseri des N. trigeminus und zunehmend auch in der stereotaktischen Radiochirurgie des N. trigeminus.
Weitere Therapieansätze
In der Schmerztherapie werden häufig Medikamente mit Physiotherapie oder Psychotherapie kombiniert. Weitere Ansätze für die Therapie sind Nervenblockaden, Infiltrationen, transkutane elektrische Nervenstimulation (TENS) und Entspannungstechniken. Hausmittel können Nervenschmerzen nicht beseitigen, aber tun bisweilen gut. Dazu zählen kühle Kompressen, warme Auflagen oder Bäder.
Differenzialdiagnose und interdisziplinäre Behandlung
Die diagnostische Einordnung von Neuralgien der Hirnnerven und Gesichtsschmerzen kann schwierig sein. Im Vergleich zur Trigeminusneuralgie ist die Glossopharyngeusneuralgie sehr selten und wenig bekannt. Die idiopathische Glossopharyngeusneuralgie kann gemeinsam mit neurovaskulären Kompressionssyndromen der Nn. vagus und trigeminus auftreten. Da es viele mögliche Ursachen gibt, ist eine sorgfältige Diagnostik (ärztliche Befragung und Untersuchung) die Voraussetzung einer erfolgreichen Therapie. Dabei können unterschiedliche ärztliche Fachgebiete beteiligt sein, wie Neurologie, Zahnheilkunde, Augenheilkunde und Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde.
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