Großhirnrinde und Rückenmark: Anatomie, Funktion und klinische Bedeutung

Das Nervensystem ist ein komplexes Netzwerk, das die Grundlage für unsere Wahrnehmung, unser Denken und Handeln bildet. Es besteht aus Nervenzellen (Neuronen), Gliazellen und einem dichten Netz von Blutgefäßen, die die Versorgung mit Sauerstoff und Nährstoffen gewährleisten. Das Nervensystem lässt sich in das zentrale Nervensystem (ZNS), bestehend aus Gehirn und Rückenmark, und das periphere Nervensystem unterteilen. Dieser Artikel konzentriert sich auf die Anatomie der Großhirnrinde und des Rückenmarks, ihre Funktionen und ihre klinische Bedeutung.

Die Bausteine des Nervensystems: Neuronen und Gliazellen

Neuronen sind die fundamentalen Einheiten des Nervensystems. Sie bestehen aus einem Zellkörper und Zellfortsätzen, den Axonen und Dendriten. Axone leiten Signale an andere Neuronen oder Zielzellen weiter, während Dendriten Signale von anderen Neuronen empfangen. Die Länge dieser Fortsätze variiert erheblich, von wenigen Mikrometern bis zu über einem Meter. Neben den Neuronen spielen Gliazellen eine wichtige Rolle bei der Unterstützung und dem Schutz der Nervenzellen.

Organisation des Zentralnervensystems

Das Zentralnervensystem (ZNS) umfasst das Gehirn und das Rückenmark. Das Gehirn ist in fünf Hauptabschnitte unterteilt:

  • Großhirn (Cerebrum)
  • Zwischenhirn (Diencephalon)
  • Mittelhirn (Mesencephalon)
  • Kleinhirn (Cerebellum)
  • Nachhirn (Medulla oblongata)

Das Gehirn ist von drei schützenden Hautschichten (Hirnhäuten) umgeben. Die äußere Hülle, die harte Hirnhaut (Dura mater), ist fest mit den Schädelknochen verbunden. Zwischen der inneren und mittleren Haut befindet sich Gehirnflüssigkeit (Liquor cerebrospinalis), die als Stoßdämpfer wirkt und das Gehirn vor Erschütterungen schützt. Im Inneren des Gehirns befinden sich vier Hohlräume (Hirnkammern), die ebenfalls mit Gehirnflüssigkeit gefüllt sind.

Das Großhirn (Cerebrum): Sitz höherer Funktionen

Das Großhirn ist der größte Teil des Gehirns und macht etwa 80 % der Hirnmasse aus. Es besteht aus zwei Hälften, den Hemisphären, die durch einen dicken Nervenstrang, den Balken (Corpus callosum), miteinander verbunden sind. Die Großhirnrinde (Cortex cerebri) bildet die äußere Schicht des Großhirns und ist etwa zwei bis fünf Millimeter dick. Aufgrund der hohen Dichte an Zellkörpern der Neuronen erscheint sie als graue Substanz. Unterhalb der Großhirnrinde befindet sich die weiße Substanz, die hauptsächlich aus Nervenzellfortsätzen (Axonen) besteht.

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Äußere Gliederung des Großhirns

Jede Großhirnhemisphäre ist in vier Lappen unterteilt:

  • Stirnlappen (Lobus frontalis): Verantwortlich für höhere kognitive Funktionen wie Planung, Entscheidungsfindung, willkürliche Bewegungen und Persönlichkeit.
  • Scheitellappen (Lobus parietalis): Zuständig für die Verarbeitung sensorischer Informationen wie Berührung, Schmerz, Temperatur und räumliche Wahrnehmung.
  • Schläfenlappen (Lobus temporalis): Beteiligt an Hören, Gedächtnis, Sprache und emotionaler Verarbeitung.
  • Hinterhauptslappen (Lobus occipitalis): Verantwortlich für die Verarbeitung visueller Informationen.

Die Oberfläche der Großhirnhemisphären ist stark gefaltet und weist zahlreiche Windungen (Gyri) und Furchen (Sulci) auf. Diese Faltung vergrößert die Oberfläche der Großhirnrinde erheblich und ermöglicht eine größere Anzahl von Neuronen.

Innere Gliederung des Großhirns

Die Großhirnrinde besteht aus zwei Haupttypen von Cortex: dem Isocortex (Neocortex) und dem Allocortex. Der Isocortex ist der entwicklungsgeschichtlich jüngste Teil und macht etwa 90 % der Großhirnrinde aus. Er besteht aus sechs Schichten und ist für die meisten höheren kognitiven Funktionen verantwortlich. Der Allocortex ist entwicklungsgeschichtlich älter und hat einen drei- bis fünfschichtigen Aufbau. Er umfasst den Hippocampus und die Riechrinde und ist an Gedächtnis und emotionalen Reaktionen beteiligt.

Funktionelle Organisation der Großhirnrinde

Die Großhirnrinde ist in verschiedene funktionelle Areale unterteilt, die jeweils für spezifische Aufgaben zuständig sind. Diese Areale können grob in sensorische, motorische und Assoziationsareale unterteilt werden.

  • Sensorische Areale: Empfangen und verarbeiten Informationen von den Sinnesorganen. Dazu gehören die primäre Sehrinde im Hinterhauptslappen, die primäre Hörrinde im Schläfenlappen und die primäre somatosensorische Rinde im Scheitellappen.
  • Motorische Areale: Steuern willkürliche Bewegungen. Die primäre motorische Rinde im Stirnlappen ist für die Initiierung von Bewegungen zuständig, während der prämotorische Kortex und der supplementärmotorische Kortex an der Planung und Koordination von Bewegungen beteiligt sind.
  • Assoziationsareale: Integrieren Informationen aus verschiedenen sensorischen und motorischen Arealen und sind an höheren kognitiven Funktionen wie Denken, Sprache und Gedächtnis beteiligt.

Die Brodmann-Areale

Eine wichtige Einteilung der Großhirnrinde basiert auf den zytoarchitektonischen Untersuchungen von Korbinian Brodmann. Er identifizierte 43 verschiedene Rindenfelder beim Menschen, die als Brodmann-Areale bekannt sind. Diese Areale unterscheiden sich in ihrer Zellstruktur und Funktion. Beispielsweise sind die Brodmann-Areale 44 und 45 als Broca-Areal bekannt und spielen eine wichtige Rolle bei der Sprachproduktion. Das Wernicke-Areal (vor allem im Temporallappen und zum Teil auch im Parietallappen) ist entscheidend für das Verstehen von Sprache.

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Klinische Bedeutung von Schädigungen der Großhirnrinde

Schädigungen der Großhirnrinde können vielfältige neurologische Ausfälle verursachen, abhängig von der Lokalisation und dem Ausmaß der Schädigung.

  • Schädigungen des Stirnlappens: Können zu Persönlichkeitsveränderungen, Beeinträchtigungen der Entscheidungsfindung, Aufmerksamkeitsdefiziten und motorischen Störungen führen. Eine Schädigung des Broca-Areals kann eine motorische Aphasie (Broca-Aphasie) verursachen, bei der die Fähigkeit, Sprache zu produzieren, beeinträchtigt ist.
  • Schädigungen des Scheitellappens: Können zu sensorischen Verlusten, räumlicher Desorientierung, Schwierigkeiten beim Lesen und Schreiben und Apraxie führen.
  • Schädigungen des Schläfenlappens: Können zu Hörverlust, Gedächtnisstörungen, Sprachverständnisproblemen (Wernicke-Aphasie) und emotionalen Veränderungen führen.
  • Schädigungen des Hinterhauptslappens: Können zu Sehstörungen bis hin zur Rindenblindheit führen.

Das Rückenmark (Medulla spinalis): Verbindung zwischen Gehirn und Körper

Das Rückenmark ist ein etwa 40 Zentimeter langer, röhrenförmiger Strang aus Nervengewebe, der sich vom Gehirn bis zum zweiten oder dritten Lendenwirbel erstreckt. Es ist Teil des ZNS und dient als Hauptleitungsweg für die Kommunikation zwischen Gehirn und Körper. Das Rückenmark ist von den gleichen drei Hirnhäuten (Meningen) umgeben wie das Gehirn.

Anatomie des Rückenmarks

Im Querschnitt ist das Rückenmark in einen H-förmigen Bereich grauer Substanz und einen umgebenden Bereich weißer Substanz unterteilt.

  • Graue Substanz: Besteht hauptsächlich aus Zellkörpern von Neuronen und ist in Vorderhorn, Hinterhorn und Seitenhorn unterteilt. Das Vorderhorn enthält Motoneurone, die für die Steuerung der Muskeln verantwortlich sind. Das Hinterhorn empfängt sensorische Informationen aus dem Körper. Das Seitenhorn ist nur in den thorakalen und lumbalen Segmenten vorhanden und enthält Neurone des autonomen Nervensystems.
  • Weiße Substanz: Besteht hauptsächlich aus myelinisierten Axonen, die auf- und absteigende Nervenbahnen bilden. Diese Bahnen leiten sensorische Informationen zum Gehirn und motorische Befehle vom Gehirn zu den Muskeln.

Funktionelle Organisation des Rückenmarks

Das Rückenmark ist in verschiedene Segmente unterteilt, die jeweils für die Innervation spezifischer Körperregionen zuständig sind. Es gibt 8 zervikale (Hals), 12 thorakale (Brust), 5 lumbale (Lenden) und 5 sakrale (Kreuzbein) Segmente sowie ein Steißbeinsegment.

Die auf- und absteigenden Bahnen im Rückenmark sind in verschiedene Faszikel (Stränge) angeordnet. Zu den wichtigsten aufsteigenden Bahnen gehören:

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  • Hinterstrangbahnen (Fasciculus gracilis und Fasciculus cuneatus): Leiten Informationen über Berührung, Vibration und Propriozeption (Körperhaltung und Bewegung) zum Gehirn.
  • Spinothalamische Bahnen: Leiten Informationen über Schmerz, Temperatur und grobe Berührung zum Gehirn.
  • Spinozerebelläre Bahnen: Leiten Informationen über die Körperhaltung und Bewegung zum Kleinhirn.

Zu den wichtigsten absteigenden Bahnen gehören:

  • Pyramidenbahn (Tractus corticospinalis): Steuert willkürliche Bewegungen.
  • Extrapyramidale Bahnen: Beteiligt an der Steuerung von Muskeltonus, Haltung und unwillkürlichen Bewegungen.

Reflexe des Rückenmarks

Das Rückenmark ist auch für die Steuerung von Reflexen verantwortlich. Reflexe sind schnelle, unwillkürliche Reaktionen auf einen Reiz. Ein bekanntes Beispiel ist der Kniesehnenreflex, bei dem ein Schlag auf die Kniesehne eine Kontraktion des Quadrizepsmuskels und eine Streckung des Beins auslöst.

Klinische Bedeutung von Rückenmarksschädigungen

Schädigungen des Rückenmarks können zu einer Vielzahl von neurologischen Ausfällen führen, die von der Lokalisation und dem Ausmaß der Schädigung abhängen.

  • Querschnittlähmung (Paraplegie oder Tetraplegie): Eine vollständige Durchtrennung des Rückenmarks führt zu einem vollständigen Verlust der motorischen und sensorischen Funktion unterhalb des Verletzungsniveaus. Eine Paraplegie betrifft die unteren Extremitäten, während eine Tetraplegie alle vier Extremitäten betrifft.
  • Inkomplette Rückenmarksschädigungen: Können zu unterschiedlichen Mustern von motorischen und sensorischen Ausfällen führen, abhängig davon, welche Bahnen im Rückenmark betroffen sind. Beispiele hierfür sind das Brown-Séquard-Syndrom (halbseitige Rückenmarksschädigung) und das Vorderhorn-Syndrom.
  • Erkrankungen des Rückenmarks: Können ebenfalls zu neurologischen Ausfällen führen. Beispiele hierfür sind Multiple Sklerose, Amyotrophe Lateralsklerose (ALS) und Bandscheibenvorfälle.

Diagnostische Verfahren bei Rückenmarkserkrankungen

Zur Diagnose von Rückenmarkserkrankungen stehen verschiedene diagnostische Verfahren zur Verfügung, darunter:

  • Neurologische Untersuchung: Zur Beurteilung der motorischen und sensorischen Funktion, der Reflexe und der Koordination.
  • Magnetresonanztomographie (MRT): Zur Darstellung des Rückenmarks und der umgebenden Strukturen.
  • Computertomographie (CT): Kann in bestimmten Fällen zur Beurteilung von Knochenstrukturen eingesetzt werden.
  • Lumbalpunktion: Zur Entnahme von Gehirnflüssigkeit (Liquor) zur Analyse.
  • Elektrophysiologische Untersuchungen (NLG/ENG): Zur Beurteilung der Funktion der Nerven und Muskeln.

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