Die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) hat ihren Rücktritt bekannt gegeben. Die 63-Jährige nannte als Grund für ihre Entscheidung den Mangel an Kraft zur Ausübung ihres Amtes. Dreyer leidet seit fast 30 Jahren an Multipler Sklerose (MS), einer chronischen Erkrankung, die sich bei ihr insbesondere auf die Mobilität auswirkt. Ihr offener Umgang mit der Krankheit während ihrer Amtszeit hat viel zur Aufklärung über MS beigetragen.
Der Rücktritt und seine Gründe
Malu Dreyer führte Rheinland-Pfalz elf Jahre lang mit Leidenschaft und Energie. In einem Interview erklärte sie: "Ich gehe immer ans Limit mit meiner Kraft, und es ist ein Segen, dass ich mit der chronischen Erkrankung das Amt ausfüllen konnte." Sie berichtete von Arbeitswochen mit 80, manchmal sogar 90 oder 100 Stunden, und kaum freien Wochenenden. Die zunehmende Verdichtung der Krisen, insbesondere in den vergangenen Jahren, habe ihre Arbeitszeit zusätzlich erhöht. Nach dem Europawahlkampf habe sie gemerkt, dass selbst ausschlafen nicht mehr ausreiche, um sich zu erholen.
Dreyer sprach mit ihren Therapeuten und kam zu dem Schluss, dass das ständige Überschreiten ihrer Grenzen angesichts ihrer Grunderkrankung ein Risiko darstellen könnte. "Das hat mir sehr zu denken gegeben", sagte sie. Sie plant nun, "einfach mal nichts zu machen."
Zu den herausforderndsten Aufgaben ihrer Amtszeit gehörte die Flutkatastrophe im Ahrtal. "Das Ahrtal bedeutet eine absolute Zäsur. Ich bin die Nächte und Tage immer wieder durchgegangen. Bis heute berührt mich das im Innersten", so Dreyer.
Malu Dreyer: Eine Politikerin mit Profil
"Sympathisch" ist ein Attribut, das Malu Dreyer selbst politische Gegner zuschrieben. In ihren elf Jahren als Ministerpräsidentin agierte sie stets auf Augenhöhe mit den Menschen im Land, Amtskollegen und Landespolitikern. Sie gilt als freundlich und zugewandt, aber auch als hart in der Sache, wenn es nötig ist. In der Corona-Krise blieb sie lösungsorientiert und vermittelnd, anstatt sich mit Vorschlägen zu Lockerungen oder Verschärfungen zu überbieten.
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Dreyers politischer Aufstieg war steil. Überraschend kam sie 2013 nach dem Rücktritt von Kurt Beck (SPD) in das Amt der Ministerpräsidentin. Zuvor war sie bundespolitisch weitgehend unbekannt. Sie gewann die Landtagswahlen 2016 und 2021 mit der SPD. Die von ihr initiierte Ampelregierung aus SPD, Grünen und FDP in Rheinland-Pfalz gilt als Vorbild der ersten Ampel auf Bundesebene.
Auch wenn ihre Zustimmungswerte nach der Ahrflut litten, galt Dreyer in elf Jahren im Amt als durchgehend beliebt. Politikwissenschaftlerin Julia Reuschenbach analysierte, dass die positiven Umfragewerte zeigten, "dass man sich gut und sicher und verlässlich regiert fühlt von Malu Dreyer". Das "Soziale" im Namen ihrer Partei war für Dreyer in fast 30 Jahren in der SPD und in elf Jahren an der Landesspitze eine oberste Leitlinie.
Dass die jüngsten politischen Entwicklungen, vor allem das Erstarken der AfD, Dreyer nicht kalt lassen, zeigten ihre Worte nach der Kommunal- und Europawahl. Der Wahltag sei angesichts des schwachen Europawahl-Ergebnisses der SPD und des besseren für die AfD ein "schlimmer" und für sie "bedrückend" gewesen.
Im Zuge ihres Rücktritts gab die 63-Jährige an, dass ihr die Energie fürs Weitermachen fehle. "Ich gehe mit schwerem Herzen, weil ich mir eingestehen muss, dass meine Kraft nicht mehr ausreicht, um dem Anspruch und auch dem Anspruch, den Bürger und Bürgerinnen an mich stellen können, gerecht zu werden."
Multiple Sklerose: Die Krankheit der tausend Gesichter
Malu Dreyer geht offen mit ihrer MS-Erkrankung um. Die Diagnose erhielt sie bereits vor fast 30 Jahren. Multiple Sklerose, auch MS genannt, ist eine Autoimmunerkrankung des Rückenmarks und des Gehirns. Sie beginnt meist im frühen Erwachsenenalter. MS ist auch als "Krankheit der tausend Gesichter" bekannt, da sie sich bei jedem Patienten anders äußert.
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Der Bundesverband der "Deutschen Multiple Sklerose Gesellschaft e.V." (DMSG) betont, dass Multiple Sklerose nicht ansteckend, nicht zwangsläufig tödlich, nicht verantwortlich für Muskelschwund und keine psychische Erkrankung ist. "Auch die häufig verbreiteten Vorurteile, dass MS in jedem Fall zu einem Leben im Rollstuhl führt, sind so nicht richtig", heißt es auf der Webseite des Vereins.
Weltweit sind etwa 2,8 Millionen Menschen an MS erkrankt, davon leben mehr als 280.000 in Deutschland. Frauen sind dabei doppelt so häufig betroffen wie Männer.
Symptome von MS
Multiple Sklerose tritt zu Beginn oft mit motorischen Störungen auf. Zu den häufigsten Symptomen gehören:
- Lähmungen
- Sehstörungen
- Gefühlsstörungen der Haut (Kribbeln, Schmerzen und Taubheit)
- "Verwaschenes" Sprechen
- Unsicherheit beim Gehen und beim Greifen
Im weiteren Verlauf kommen meist weitere Beschwerden hinzu oder die bereits bestehenden Einschränkungen werden schwerwiegender. Weitere Symptome sind:
- Spastische Lähmungserscheinungen
- Blasenentleerungs-Störung
- Abnormale Erschöpfbarkeit (Fatigue)
- Kognitive Störungen
- Aufmerksamkeits- und Konzentrationsstörungen
- Depressive Verstimmungen
Verlauf von MS
Der Verlauf der Krankheit kann von Patient zu Patient sehr unterschiedlich sein. Insbesondere zu Beginn verläuft die Krankheit oft in Schüben. Dabei treten bei 90 Prozent der Betroffenen Symptome nicht dauerhaft auf und haben auch nicht immer die gleiche Intensität.
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Nach zehn bis 20 Jahren gehen die meisten Patienten in die sekundär-chronisch progrediente Verlaufsform über. Dabei nehmen die Beschwerden zu und der Zustand verschlechtert sich langsam ohne klare Schübe.
Ursachen von MS
Warum Menschen an MS erkranken, ist immer noch weitgehend unklar. Laut DMSG ist von einer multifaktoriellen Entstehung auszugehen. Dabei spielt insbesondere das Immunsystem eine entscheidende Rolle. "Bei der MS scheint ein Teilbereich dieses Abwehrmechanismus falsch programmiert zu sein, das heißt, er richtet sich gegen den eigenen gesunden Körper", erklärt die DMSG. So komme es zu Fehlsteuerungen, die an den Nervenzellen und -fasern Schädigungen und Störungen auslösen können.
Weiterhin wird erforscht, inwieweit die Genetik eine Rolle spielt. Vererbt wird wahrscheinlich aber eher eine Veranlagung, die die Wahrscheinlichkeit zur Erkrankung erhöht, nicht die Krankheit selbst.
Behandlung von MS
MS gilt als unheilbar. Der Verlauf der Krankheit und die Ausprägung der Symptome können aber durch unterschiedliche Behandlungsmöglichkeiten beeinflusst werden. In der Schubtherapie werden die aktuellen Schübe behandelt. Dabei wird meist hochdosiertes Cortison eingesetzt, um die Entzündungen im Körper zu lindern. Um Schüben vorzubeugen, werden je nach Verlaufsform außerdem immunmodulatorische Medikamente eingesetzt. Aber auch Behandlungen mit Injektionen, Infusionen oder Antikörpertherapien werden inzwischen durchgeführt.
Auch für das Stadium der sekundär-progredienten Verlaufsform sind inzwischen mehrere Therapien und Wirkstoffe auf dem Markt zugelassen.