Migräne ist eine neurologische Erkrankung, die durch starke, meist einseitige Kopfschmerzen gekennzeichnet ist. Frauen sind dreimal häufiger betroffen als Männer. Begleiterscheinungen wie Lichtscheu, Geräuschempfindlichkeit, Übelkeit und Erbrechen können auftreten. Ein besonderes Augenmerk gilt der Migräne mit Aura, insbesondere der seltenen Form der hemiplegischen Migräne (HM), und deren Zusammenhang mit dem Schlaganfallrisiko.
Was ist Migräne mit Aura?
Etwa 15 Prozent der Migränepatienten erleben Auren. Die Aura wird durch eine sich ausbreitende Erregungswelle im Gehirn ausgelöst, die die Funktion der Nervenzellen stört. Diese Störung kann sich auf verschiedene Bereiche des Gehirns auswirken und unterschiedliche Symptome verursachen.
Symptome der Aura
Die Aura manifestiert sich durch verschiedene neurologische Symptome, die das Sehvermögen, die sensorische Wahrnehmung oder die Sprache beeinträchtigen können. Zu den häufigsten Symptomen gehören:
- Visuelle Störungen: Gesichtsfeldausfälle (Skotome), Flimmern, Lichtblitze oder einseitiger Sehverlust. Fortifikationen, die sich im Verlust des räumlichen Sehens äußern.
- Sensibilitätsstörungen: Verlust der Berührungsempfindung oder Kribbelempfindungen in Armen, Beinen und Gesicht.
- Gleichgewichtsstörungen
- Sprachstörungen: Aphasische Auren, die sich in Schwierigkeiten beim Sprechen oder Verstehen von Sprache äußern.
- Andere neurologische Ausfälle
Das dynamische Auftreten der Symptome, das langsame Einsetzen und Abklingen sind Unterscheidungskriterien zu anderen neurologischen Erkrankungen, insbesondere zum Schlaganfall. Die Aura tritt in der Regel vor den Kopfschmerzen auf und dauert zwischen 15 und 60 Minuten.
Hemiplegische Migräne (HM)
Die hemiplegische Migräne ist eine seltene Form der Migräne mit Aura, die durch eine einseitige Lähmung (Hemiplegie) gekennzeichnet ist. Die Prävalenz beträgt etwa 0,01 %. Es gibt zwei Hauptformen:
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- Familäre hemiplegische Migräne (FHM): Diese Form ist genetisch bedingt und tritt familiär gehäuft auf. Es wurden drei Typen identifiziert: FHM-1, FHM-2 und FHM-3, die auf Mutationen in verschiedenen Genen beruhen, die Ionenkanäle oder Pumpen im Gehirn betreffen. Bei der familiären HM kann eine Epilepsie gehäuft und meist als Erstsymptom auftreten, was ein EEG rechtfertigen würde. In 50% entwickeln Patienten mit FHM auch eine chronische Ataxie.
- Sporadische hemiplegische Migräne: Diese Form tritt ohne familiäre Vorbelastung auf.
Symptome der hemiplegischen Migräne
Neben den typischen Aurasymptomen kommt es bei der HM zu einer vorübergehenden, vollständig reversiblen motorischen Schwäche einer Körperseite. Diese Lähmung kann abwechselnd oder selten gleichzeitig beidseitig auftreten und dauert üblicherweise weniger als 72 Stunden an. Teilweise sind zusätzliche Symptome wie bei Migräne mit Hirnstammaura, Liquorpleozytose, Verwirrtheit, sowie eine Triggerung durch leichte Schädel-Hirn-Traumen möglich. Sehr selten können durch Bagatelltraumata, Katheterinterventionen oder Kontrastmittelgaben temporäre Hirnödeme getriggert werden.
Migräne und Schlaganfallrisiko
Migränepatienten mit Aura haben ein leicht erhöhtes Schlaganfallrisiko, insbesondere wenn weitere Risikofaktoren wie Rauchen, Übergewicht und die Einnahme der Pille vorliegen. Eine Metaanalyse aus dem Jahr 2018 mit mehr als einer Million Teilnehmern zeigte ein 1,42-fach erhöhtes Risiko für ischämische oder hämorrhagische Schlaganfälle bei Migränepatienten, insbesondere bei Migräne mit Aura (1,56-fach).
Langzeit-Kohortenstudien belegen aber nicht nur ein erhöhtes Schlaganfallrisiko, sondern auch einen Zusammenhang zwischen Migräne und dem Auftreten anderer kardiovaskulärer Ereignisse wie Myokardinfarkt (1,39-fach erhöht) und kardiovaskuläre Mortalität (1,37-fach erhöht). Eine neuere Auswertung der Women´s Health Study betrachtete das absolute Risiko bei 27 858 Frauen (1 435 mit Aura, 2 177 ohne Aura, 24 246 ohne Migräne) über 45 Jahre in einem Beobachtungszeitraum von im Mittel 22,6 Jahren. Die adjustierte Inzidenzrate für schwere kardiovaskuläre Ereignisse (Herzinfarkt, Schlaganfall, kardiovaskulär bedingter Tod) lag bei Migräne-Patientinnen mit Aura bei 3,36 pro 1 000 Personenjahre und damit deutlich über der von Frauen ohne Migräne (2,11). Bei Migräne-Patientinnen ohne Aura gab es keinen Unterschied im Vergleich zu Frauen ohne Migräne. Frauen mit Migräne und Aura hatten auch eine signifikant höhere Inzidenz für schwerwiegende kardiovaskuläre Ereignisse als Frauen mit anderen Risikofaktoren wie Adipositas (2,29) und niedrigen High-Density-Lipoprotein(HDL)-Werten (2,63). Damit war Migräne mit Aura einer der wichtigsten vaskulären Risikofaktoren nach Diabetes und Rauchen.
Ein ischämischer Infarkt bei Migränepatienten kann definiert sein als:
- Hirninfarkt aus anderen Gründen bei gleichzeitig bestehender Migräne
- Hirninfarkt aus anderen Gründen mit Symptomen, die einer Migräne mit Aura ähneln
- Hirninfarkt im Ablauf einer typischen Attacke einer Migräne mit Aura
Es ist wichtig zu betonen, dass es sich bei diesen Infarkten nicht um migränöse Infarkte handelt. Die genauen Mechanismen, die hinter dem erhöhten Risiko stecken, sind noch unklar.
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Strukturelle Veränderungen im Gehirn
Bildgebende Studien deuten darauf hin, dass Migräne, insbesondere Migräne mit Aura, mit strukturellen Veränderungen im Gehirn einhergehen kann. Eine niederländische populationsbasierte Studie (CAMERA) fand bei Frauen mit Migräne häufiger Läsionen der weißen Substanz (White Matter Lesions, WML) als bei gesunden Kontrollpersonen. Patienten mit Migräne wiesen im posterioren Stromgebiet eine höhere Prävalenz von subklinischen Infarkten auf als Kontrollpersonen, insbesondere bei Migränepatienten mit Aura. Auch eine französische cross-sektionale Studie kam anhand von MRT-Aufnahmen des Gehirns zu dem Ergebnis, dass Migräne mit Aura eng mit dem Auftreten von WML und subklinischen Hirninfarkten assoziiert ist. Eine Langzeitstudie wies zudem nach, dass Menschen, die in jungen Jahren unter Migräne mit Aura leiden, ein erhöhtes Risiko haben, im späteren Leben im MRT infarktähnliche Läsionen zu entwickeln.
Mausmodelle zur familiären hemiplegischen Migräne konnten zeigen, dass diese Tiere empfindlicher gegenüber Perfusionsdefiziten sind und größere ischämische Hirninfarkte entwickeln.
Mögliche Ursachen für das erhöhte Risiko
Die Pathomechanismen hinter dem erhöhten kardiovaskulären Risiko und der Entwicklung von WML bei Migräne-Patienten sind nicht abschließend geklärt. Mögliche Ursachen sind:
- Fokale Hypoperfusionen mit mikrovaskulären ischämischen Störungen
- Endotheliale Dysfunktion, die mit einem erhöhten kardiovaskulären Risiko einhergeht
Differentialdiagnose
Es ist wichtig, die Symptome einer Migräne mit Aura von anderen Erkrankungen abzugrenzen, insbesondere vom Schlaganfall. Typisch für einen Schlaganfall sind abrupt einsetzende Beschwerden wie Taubheit, Schwäche oder Lähmungserscheinungen sowie plötzliche Sprach- und/oder Gleichgewichtsstörungen. Im Gegensatz dazu entwickeln sich die Symptome einer Migräne-Aura allmählich und bilden sich in der Regel innerhalb einer Stunde vollständig zurück.
Weitere Differentialdiagnosen sind:
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- Spannungs- und Clusterkopfschmerz
- Migränöser Infarkt
- Zerebrale oder Subarachnoidalblutung
- Sinus-/Hirnvenenthrombose
- Karotis-/Vertebralisdissektion
- CADASIL-Syndrom
- Glaukom
- Postiktale Todd-Lähmung
- Reversibles zerebrales Vasokonstriktionssyndrom
- Meningitis
- Enzephalitis
- Tumor
- ZNS-Intoxikationen
Bei neurologischen oder psychopathologischen Auffälligkeiten, atypischen Symptomen oder Verläufen sowie Therapieresistenz ist eine zerebrale Bildgebung indiziert.
Behandlung
Akutbehandlung
Die Akutbehandlung einer Migräne mit Aura zielt darauf ab, die Schmerzen und Begleitsymptome zu lindern. Folgende Medikamente können eingesetzt werden:
- Peripher wirksame Analgetika und NSAID’s: Bei leichten bis mittelschweren Attacken. Die Wirksamkeit kann durch die Gabe von Prokinetika und Antiemetika verbessert werden.
- Triptane: Mittel der ersten Wahl bei akuten Migräneattacken. Sie sollten jedoch erst nach Abklingen der Aura eingenommen werden. Bei der hemiplegischen Migräne und Migräne mit Hirnstammaura/vom Basilaristyp galten Triptane und DHE aufgrund eines möglichen, erhöhten Risikos ischämischer Komplikationen als kontraindiziert, in einzelnen retrospektiven Fallauswertungen würde dies jedoch widerlegt werden.
- Dihydroergotamin (DHE): Bei Triptan-Nonrespondern.
- Valproinsäure: Off-Label-Einsatz in der Notfallsituation.
Prophylaxe
Eine Migräneprophylaxe ist indiziert, wenn die Migräneattacken häufig auftreten und die Lebensqualität beeinträchtigen. Ziel ist es, die Häufigkeit, Dauer und Intensität der Attacken zu reduzieren und die Einnahme von Akutmedikamenten zu minimieren.
Folgende Medikamente werden zur Prophylaxe eingesetzt:
- β-Rezeptoren-Blocker: Metoprolol oder Propanolol. Propanolol kann weitere Episoden reduzieren.
- Kalziumantagonisten: Flunarizin
- Antikonvulsiva: Topiramat, Valproinsäure (stark eingeschränkt und off label)
- Petasitesrhizom/Pestwurz: In Deutschland nicht als Arzneimittel zugelassen.
- Magnesium, Coenzym Q10 und Vitamin B2 (Riboflavin): Können die migräneprophylaktische Wirkung in Studien gezeigt werden.
Nicht-medikamentöse Maßnahmen
Neben der medikamentösen Therapie spielen auch nicht-medikamentöse Maßnahmen eine wichtige Rolle bei der Behandlung und Vorbeugung von Migräneattacken:
- Stressmanagement: Entspannungstechniken wie progressive Muskelentspannung, Biofeedback, Autogenes Training, Qi-Gong und Meditation können helfen, Stress abzubauen.
- Regelmäßige Bewegung
- Vermeidung von Triggerfaktoren: Beobachten Sie sich selbst und vermeiden Sie die Auslösefaktoren für Ihre Schmerzattacken.
- Führen eines Kopfschmerztagebuchs: Um die Häufigkeit, Dauer und Intensität der Attacken zu dokumentieren und mögliche Auslöser zu identifizieren.
- Gesunder Lebensstil: Ausreichend Schlaf, regelmäßige Mahlzeiten und eine ausgewogene Ernährung.
Spezielle Aspekte bei hemiplegischer Migräne
- Genetische Beratung: Bei familiärer HM kann eine genetische Beratung sinnvoll sein, um das Risiko für weitere Familienmitglieder abzuschätzen.
- Vorsicht bei Triptanen: Aufgrund des potenziell erhöhten Risikos für ischämische Komplikationen sollten Triptane bei HM nur mit Vorsicht eingesetzt werden.
- Prophylaktische Behandlung: Eine prophylaktische Behandlung mit Propanolol kann weitere Episoden reduzieren.
Wichtige Hinweise für Patienten
- Aufklärung: Insbesondere Frauen mit Migräne mit Aura sollten auf das relativ erhöhte Schlaganfallrisiko hingewiesen werden, ohne sie jedoch zu verunsichern.
- Risikofaktoren vermeiden: Weitere Risikofaktoren wie die Einnahme von hormonellen Kontrazeptiva oder Rauchen sollten möglichst vermieden werden.
- Ärztliche Beratung: Bei neuen oder ungewöhnlichen Symptomen sollte umgehend ein Arzt aufgesucht werden.
- FAST-Test: Im Verdachtsfall eines Schlaganfalls sollte der FAST-Test durchgeführt werden, um schnell die wichtigsten Anzeichen zu überprüfen.
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