Erhöhter Muskeltonus: Neurologische Ursachen und Behandlungsansätze

Ein erhöhter Muskeltonus, auch Muskelhypertonie genannt, ist ein Zustand, bei dem die Muskeln dauerhaft angespannt oder verhärtet sind. Dies kann verschiedene Ursachen haben, wobei neurologische Erkrankungen eine wichtige Rolle spielen. Die Diagnose und Behandlung von Muskelhypertonie erfordert ein umfassendes Verständnis der zugrunde liegenden Ursachen und der verfügbaren Therapieoptionen.

Spastik: Eine Form des erhöhten Muskeltonus

Spastik, auch bekannt als Spasmus oder Spastizität, ist eine spezielle Form des erhöhten Muskeltonus. Der Begriff "Spastik" stammt vom griechischen Wort "spasmós" ab, was Krampf bedeutet. Medizinisch gesehen handelt es sich um eine krankhafte Erhöhung der Muskelspannung, die auf eine Schädigung des zentralen Nervensystems (ZNS) zurückzuführen ist. Das ZNS besteht aus Gehirn und Rückenmark.

Ursachen der Spastik

Die Ursache einer Spastik ist immer eine Schädigung des zentralen Nervensystems (ZNS). Dies kann durch verschiedene Ereignisse oder Erkrankungen verursacht werden, darunter:

  • Schlaganfall bzw. Hirninfarkt: In Deutschland erleiden jährlich etwa 250.000 Menschen einen Schlaganfall. Bei mehr als einem Viertel dieser Patienten entwickelt sich nach einer Zeitspanne von ca. 3-6 Monaten eine Spastik.
  • Schädel-Hirn-Trauma: Plötzliche Traumata können ebenfalls zu einer Spastik führen.
  • Chronische neurologische Störungen: Diese können früher oder später zu spastischen Lähmungen führen.
  • Hirntumor: Auch ein Hirntumor kann eine Spastik verursachen.

Es ist wichtig, dass der behandelnde Arzt die genaue Ursache für die Spastik diagnostiziert, um eine gezielte Therapie einleiten zu können.

Symptome der Spastik

Die Symptome einer Spastik können unterschiedlich stark ausgeprägt sein und sich bei verschiedenen Betroffenen unterschiedlich äußern. Zu den häufigsten Symptomen gehören:

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  • Erhöhter Muskeltonus: Dies führt zu einer Muskelsteifigkeit, die die Beweglichkeit einschränken kann.
  • Bewegungseinschränkungen: Die überaktive Muskulatur kann zu dauerhaften Fehlstellungen von Bewegungsabschnitten führen, was als spastische Lähmung bezeichnet wird.
  • Schmerzhafte und entstellende Körperhaltungen: Die Muskelsteifigkeit kann zu schmerzhaften und entstellenden Körperhaltungen führen.
  • Halbseitige schlaffe Lähmung: Insbesondere bei einer Spastik nach Schlaganfall kann es neben der spastischen Lähmung häufig zu einer halbseitigen schlaffen Lähmung kommen, die den Arm und das Bein einer Körperhälfte betrifft.

Die Symptome einer Spastik hängen damit zusammen, wo und wie stark das zentrale Nervensystem (Gehirn und Rückenmark) geschädigt ist. Dementsprechend können die damit verbundenen funktionellen Beeinträchtigungen von nur leichten Einschränkungen der Bewegungsfreiheit bis zu einer vollständigen körperlichen Behinderung reichen.

Klassifikation der Spastik nach Ausmaß

Spastische Lähmungen können einzelne Muskeln oder ganze Körperbereiche betreffen. Dabei unterscheidet man bei dem Ausmaß der Spastik zwischen zwei Kategorien:

  • Fokale Spastik: Ist die Spastik lokal begrenzt, spricht man von einer fokalen Spastik.
  • Generalisierte Spastik: Sind beide Beine und Arme von der Spastik betroffen, spricht man von einer Tetraspastik. Je nach Ausprägung können auch die Hals- und Rumpfmuskulatur betroffen sein.

Diagnose der Spastik

Zur Diagnose einer Spastik untersucht der Arzt den Patienten zunächst körperlich. Zusätzlich wird er wahrscheinlich einige neurologische Tests durchführen und bildgebende Verfahren (z. B. CT, MRT) anwenden. Der Muskeltonus wird gemessen, und die Schmerzintensität wird erfasst. Die Informationen helfen dem Arzt bei der Diagnosestellung und Planung der anschließenden Therapiemaßnahmen, um die Spastik zu lösen. Ferner kann anhand von Bewertungsskalen, wie z.B. der Ashworth-Skala, das Ansprechen auf die Behandlung beurteilt und nachverfolgt werden.

Neuromuskuläre Erkrankungen als Ursache für erhöhten Muskeltonus

Neuromuskuläre Erkrankungen beeinträchtigen das Zusammenspiel zwischen dem Nervensystem und den Muskeln. Dabei können verschiedene Bereiche des neuromuskulären Systems betroffen sein, einschließlich der Nerven, die Muskeln steuern, Muskelfasern selbst oder neuromuskuläre Verbindungen zwischen Nerven und Muskeln. Neuromuskuläre Erkrankungen können zu Schwäche, Bewegungsproblemen und einem erhöhten Muskeltonus führen.

Mögliche Ursachen neuromuskulärer Erkrankungen

Neuromuskuläre Erkrankungen können durch eine Vielzahl von Ursachen ausgelöst werden. Häufig spielen genetische Veränderungen oder Mutationen eine Rolle, die die Funktion von Nerven und Muskeln dauerhaft beeinträchtigen. Andere Formen sind autoimmun bedingt, das heißt, das Immunsystem richtet sich fälschlicherweise gegen körpereigene Strukturen. Auch Infektionen oder entzündliche Prozesse können Auslöser einer neuromuskulären Erkrankung sein. Darüber hinaus kommen Umwelteinflüsse oder Schädigungen des Nervensystems infrage.

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Formen neuromuskulärer Erkrankungen

Muskelerkrankungen können abhängig vom Ort der Erkrankung allgemein in drei Gruppen unterteilt werden:

  • Myopathien (Erkrankungen des Muskels selbst): Zu dieser Gruppe gehören beispielweise sogenannte Muskeldystrophien und myotone Muskelerkrankungen, bei welchen bestimmte Proteine nicht richtig synthetisiert werden und in der Folge Muskelaufbau und -funktion gestört sind. Auch Stoffwechselstörungen in den Zellen (metabolische und endokrine Myopathien) und Autoimmunerkrankungen (entzündliche Myopathien) können zu einer Beeinträchtigung der Muskelfunktion führen.
  • Muskelerkrankungen am Übergang vom Nerv zum Muskel: Bei diesen Muskelerkrankungen ist die Signalübertragung zwischen Nerv und Muskel aufgrund einer Autoimmunerkrankung gestört (Myasthenia gravis, Lambert-Eaton-Syndrom). Infolge der Autoimmunerkrankung werden vom Körper sogenannte Auto-Antikörper gebildet, die an unterschiedlichen Stellen der Erregungsüberleitung störend eingreifen.
  • Erkrankungen der Nervenfaser: Bei dieser Gruppe ist ein Untergang der den Muskel aktivierenden Nervenfasern zu beobachten. Dieser kann genetisch (spinale Muskelatrophien) oder infektiös (Poliomyelitis) bedingt sein. Auch sogenannte Polyneuropathien, bei welchen gleichzeitig mehrere periphere Nerven geschädigt sind, können die Nervenfasern der Muskeln betreffen.

Symptome neuromuskulärer Erkrankungen

Aufgrund der sehr verschiedenen Ursachen und Formen sieht das Krankheitsbild bei Neuromuskulären Erkrankungen sehr unterschiedlich aus. Muskelschwäche ist allerdings das typische Leitsymptom aller Varianten und ist anhand einer schnellen Ermüdbarkeit der Muskeln erkennbar. Sie kann sich je nach individueller Erkrankung isoliert zeigen oder auch in Kombination mit anderen Beschwerden wie Muskelschmerzen oder Muskelschwund (Muskelatrophie) auftreten. Zudem zeigen Muskelerkrankungen Symptome in für die jeweils vorliegende Krankheitsvariante sehr charakteristischen Körperregionen.

Je nach Erkrankungsform treten verschiedene Symptome auf, die von Muskelschwäche, Muskelschwund und Schmerzen bis hin zu Beeinträchtigungen von Herz und Atmung reichen können.

  • Muskelschwäche: Abnahme von Kraft, Ausdauer und Muskelmasse sowie Veränderungen der Muskulatur können zu Einschränkungen der Gehfähigkeit und anderer wichtiger Funktionen führen.
  • Herz- und Atemprobleme: Je nach Art der neuromuskulären Erkrankung muss auch auf eine mögliche Beteiligung der Herz- und/oder Atemmuskulatur geachtet werden.
  • Schmerzen und Krämpfe: Durch die neuromuskuläre Erkrankung selbst oder durch ihre Folgen, wie Skoliosen oder Gelenk­deformitäten, kann es zu Schmerzen und Krämpfen kommen.

Diagnose neuromuskulärer Erkrankungen

Die Diagnose Neuromuskulärer Erkrankungen ist aufgrund der sehr unterschiedlichen Ursachen und Krankheitsbilder eine Herausforderung und erfolgt auf der Grundlage verschiedener Untersuchungen:

  • Basisuntersuchung (Anamnese): Im Rahmen eines Patientengesprächs erhebt der Neurologe die Krankheitsgeschichte des Patienten. Er wird nach dem Manifestationsalter (Wann zeigten sich die ersten Beschwerden?) sowie der Lokalisation und den Verlauf der Muskelschwäche fragen. Auch weitere Begleitbeschwerden und die familiäre Vorgeschichte werden hier abgefragt.
  • Neurologische Untersuchung: Bei dieser bewertet der Facharzt den neurologischen Status der zentralen und peripheren Nervenbahnen systematisch von Kopf abwärts.
  • Labordiagnostik: Liegt ein Verdacht auf eine Neuromuskuläre Erkrankung vor, werden verschiedene Muskelparameter labordiagnostisch bestimmt. Ein wichtiger Parameter für Neuromuskuläre Erkrankungen ist insbesondere die Konzentration des Muskelenzyms Creatinkinase (CR-Wert).
  • Elektrophysiologie: Zur weiteren Prüfung der Funktion von Muskulatur und Nervensystem sowie zur Abklärung der jeweils vorliegenden Muskelerkrankung kann der Spezialist zusätzlich elektrophysiologische Untersuchungen wie eine Elektromyographie (EMG) und Neurographie (ENG) durchführen.
  • Bildgebende Verfahren: Bildgebende Verfahren wie MRT und Ultraschall erlauben Rückschlüsse auf Veränderungen an der Muskulatur.
  • Muskelbiopsie: Bei einer Reihe von Muskelerkrankungen muss der Experte zur genauen Diagnosestellung eine Muskelbiospie durchführen. Hierzu entnimmt er Muskelgewebe, das anschließend aufgearbeitet und untersucht wird.
  • Molekulargenetische Untersuchungen: Bei genetisch bedingten Muskelerkrankungen ist die Feststellung der zugrundeliegenden Genmutation Goldstandard.

Behandlung neuromuskulärer Erkrankungen

Je nach Ursache und Schweregrad kann die Behandlung neuro­muskulärer Erkrankungen variieren und muss individuell angepasst werden. Die Betreuung erfolgt in der Regel durch Spezialisten wie Neurologen, neuro­muskuläre Mediziner und Physio­therapeuten. Zu den wichtigsten Ansätzen gehören:

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  • Symptomatische Behandlungen zur Linderung der Symptome
  • Medikamente (meist bei entzündlichen neuromuskulären Erkrankungen)
  • Physiotherapeutische Maßnahmen zur Erhaltung von Beweglichkeit und Kraft
  • Hilfsmittel wie Rollstühle oder Krücken zur Unterstützung der Mobilität
  • Chirurgische Eingriffe (falls notwendig)

Weitere Ursachen für erhöhten Muskeltonus

Neben Spastik und neuromuskulären Erkrankungen gibt es weitere Ursachen für einen erhöhten Muskeltonus:

  • Stress: Stress kann zu einer Erhöhung des Muskeltonus führen, was zu Muskelkrämpfen, Schmerzen und Steifheit führen kann.
  • Verspannungen: Verspannungen und ein chronisch erhöhter Muskeltonus in bestimmten Bereichen sind häufig auf Atem- oder Gleichgewichtsprobleme zurückzuführen.

Behandlungsmöglichkeiten für erhöhten Muskeltonus

Die Behandlung des erhöhten Muskeltonus hängt von der zugrunde liegenden Ursache ab. Zu den allgemeinen Behandlungsmöglichkeiten gehören:

  • Physiotherapie: Physiotherapie kann helfen, die Muskeln zu entspannen und die Beweglichkeit zu verbessern.
  • Massagen und Wärmebehandlungen: Massagen und Wärmebehandlungen können ebenfalls helfen, die Muskeln zu entspannen.
  • Entspannungstechniken: Um den Muskeltonus zu senken, kann man Techniken zur Entspannung und Stressabbau nutzen. Dazu gehören progressive Muskelentspannung (PMR), autogenes Training, Akupressur, Atemübungen, Yoga und Meditation.
  • Medikamente: In einigen Fällen können Medikamente wie Muskelrelaxantien eingesetzt werden, um den Muskeltonus zu reduzieren.
  • Chirurgische Eingriffe: In seltenen Fällen kann ein chirurgischer Eingriff erforderlich sein, um den Muskeltonus zu reduzieren.

Muskelkrämpfe

Muskelkrämpfe sind ein häufiges Symptom, das mit einem erhöhten Muskeltonus einhergehen kann. Sie haben keine einheitliche Ursache. Den gewöhnlichen nächtlichen Wadenkrämpfen liegt meist keine spezifische Erkrankung zu Grunde. Meist handelt es sich hierbei um neurogene Muskelkrämpfe, bedingt durch eine nervale Übererregbarkeit motorischer Nerven.

Ursachen von Muskelkrämpfen

Muskelkrämpfe können durch verschiedene Faktoren begünstigt oder ausgelöst werden, darunter:

  • Starkes Schwitzen und unzureichende Flüssigkeitsaufnahme nach körperlicher Anstrengung
  • Muskuläre Überlastung
  • Störungen des Mineralhaushaltes, z.B. durch Einnahme von entwässernden Medikamenten (Diuretika), Durchfälle, schwere Nierenfunktionsstörung (Urämie) oder Hämodialyse
  • Hormonelle Störungen der Schilddrüse oder der Nebenniere sowie Unterzuckerungen
  • Schwangerschaft
  • Einnahme bestimmter Medikamente
  • Neurologische Erkrankungen der motorischen Nerven, Polyneuropathien, eine Spinalstenose, Nervenwurzelschädigungen, z.B. durch Bandscheibenvorfälle
  • Selten: neurologische Autoimmunerkrankungen (z.B. Neuromyotonie) oder familiär gehäuft auftretende und genetisch bedingte Erkrankungen

Diagnose von Muskelkrämpfen

In den allermeisten Fällen sind Muskelkrämpfe harmlos und bedürfen keiner weiteren Diagnostik. Eine Untersuchung der Leber- und Nierenwerte, der Elektrolyte sowie der Schilddrüsenwerte kann durch den Hausarzt erfolgen, um evtl. internistische Ursachen aufzudecken. Sollte es jedoch zu einer deutlichen Zunahme der Häufigkeit von Muskelkrämpfen führen oder Muskelkrämpfe in ungewöhnlichen Körperregionen außerhalb der Waden und Füße, z.B. auch am Rumpf oder den oberen Extremitäten auftreten oder Muskelkrämpfe durch körperliche Aktion selbst ausgelöst werden und nicht nur in Ruhe auftreten, ist eine weitere Diagnostik durch den Neurologen erforderlich. Dies gilt insbesondere, wenn Muskelkrämpfe zusammen mit Faszikulationen oder Muskelschwäche auftreten, um zugrundeliegende neuromuskuläre Erkrankungen abzugrenzen und zu differenzieren.

Behandlung von Muskelkrämpfen

Beim akuten schmerzhaften Muskelkrampf hilft sofortige Dehnung. Falls regelmäßig Medikamente eingenommen werden, sollte überprüft werden, ob diese Muskelkrämpfe als mögliche Nebenwirkung haben, und mit dem Arzt besprochen werden, ob diese pausiert werden können. Es sollte ggf. der Alkohol- und Koffeinkonsum reduziert werden. Zur nicht medikamentösen Prophylaxe kann bei Muskelkrämpfen die regelmäßige Dehnung der betroffenen Muskeln, z.B. abends vor dem Zubettgehen hilfreich sein und die Neigung zu Muskelkrämpfen reduzieren. Neuere Untersuchungen konnten zeigen, dass eine spezielle repetitive Elektrostimulation der zu Muskelkrämpfen neigenden Muskeln zu einer Verminderung von Muskelkrämpfen führen kann. Die Einnahme von Magnesium kann hilfreich sein, limitierender Faktor sind dann häufig Nebenwirkungen des Magen-Darm-Traktes (Durchfall). Die Anwendung von Chinin Sulfat, das in Deutschland seit 2015 wieder rezeptpflichtig ist wird kontrovers diskutiert. Einerseits ist es bei therapieresistenten Muskelkrämpfen eindeutig wirksam, welches auch in Studien belegt werden konnte. Andererseits bestehen Sicherheitsbedenken, da es insbesondere bei Patienten mit Herzrhythmusstörungen, zu teilweise allergisch bedingten Blutbildveränderungen sowie Nieren- und Leberschäden kommen kann. Weitere Medikamente zur Therapie von Muskelkrämpfen, z.B. durch so genannte Natrium- und Kalziumkanal blockierende Substanzen (Antiepileptika, Medikamente zur Behandlung neuropathischer Schmerzen), können hilfreich sein, bedürfen aber der regelmäßigen Einnahme und Begleitung durch einen Arzt.

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