Das menschliche Gehör ist ein komplexes und faszinierendes System, das uns ermöglicht, Schallwellen wahrzunehmen und in verständliche Informationen umzuwandeln. Dieser Prozess, der als Hören bekannt ist, ist essenziell für Sprache, Kommunikation und Orientierung. Er beginnt mit der Aufnahme von Schallwellen durch das Ohr und endet mit der Interpretation dieser Signale im Gehirn.
Der Hörvorgang: Ein Zusammenspiel von Ohr und Gehirn
Der Hörvorgang ist ein komplexer, aber faszinierender Prozess, der es uns ermöglicht, akustische Schallwellen wahrzunehmen und in verständliche Informationen umzuwandeln. Wir durchlaufen mehrere Schritte - von der Schallaufnahme bis zur Hörverarbeitung im Gehirn. Ein tieferes Verständnis dieser Schritte hilft auch, die Ursachen und Arten von Hörverlust besser zu verstehen. Das Hören ist ein Zusammenspiel aus der Aufnahme und Verarbeitung akustischer Signale sowie dem Verstehen des Gehörten. Die Ohren nehmen akustische Signale aus der Umwelt auf und wandeln diese in eine Form um, die das Gehirn verarbeiten kann. Im Hörzentrum des Gehirns angekommen, wecken die Kommunikationssignale in logischen Verknüpfungen unterschiedliche Erinnerungen und Erfahrungen, die sich seit Kindesalter bzw. bereits im Mutterleib angesammelt haben. Das Gehörte mit Erinnerungen zu verbinden, beschreibt den Prozess des Verstehens.
Die Schallaufnahme
Der Hörvorgang beginnt mit der Schallaufnahme. Schallwellen, die durch Geräusche, Musik oder Sprache erzeugt werden, gelangen durch das Außenohr (Ohrmuschel) in den Gehörgang und treffen dort auf das Trommelfell. Das Außenohr fängt die Schallwellen auf und leitet sie in den Gehörgang; die Schallwellen bringen das Trommelfell zum Schwingen. Das Trommelfell schwingt in den Frequenzen des akustischen Reizes. Die Ohrmuschel selbst besitzt eine wichtige Funktion, denn sie nimmt den Schall jedes Tons oder Geräusches auf und leitet ihn direkt durch den äußeren Gehörgang bis zum Trommelfell weiter. Beide Ohrmuscheln sind wichtig - denn das räumliche Hören und die Unterscheidung, ob ein Geräusch von vorn oder hinten kommt, ist tatsächlich nur mit beiden Ohren möglich.
Das Mittelohr: Verstärkung der Schallwellen
Im Mittelohr übertragen die drei Gehörknöchelchen - Hammer, Amboss und Steigbügel - die Schwingungen des Trommelfells und verstärken sie. Diese Verstärkung erleichtert es, auch leise Geräusche, wie das Rauschen von Blättern, wahrzunehmen und in das Innenohr weiterzuleiten. Direkt hinter dem dünnen Trommelfell sitzen die drei Gehörknöchelchen. Sie sind die kleinsten Knochen im menschlichen Körper, gehören aber zu den Wichtigsten. Hammer, Amboss und Steigbügel befinden sich auf gerade einmal einem Quadratzentimeter Platz im Gehör. Gemeinsam bilden sie das Mittelohr, in dem - stimuliert durch die Bewegungen des Trommelfells - der Schall um das Zwanzigfache verstärkt an das Innenohr weitergeleitet wird.
Das ovale Fenster
Am Übergang zwischen Mittelohr und Innenohr liegt das ovale Fenster, eine hauchdünne Membran. Es empfängt die von den Gehörknöchelchen verstärkten Schallwellen und leitet diese in die Hörschnecke (Cochlea) weiter, um die Flüssigkeitsbewegung im Innenohr anzuregen.
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Das Innenohr: Umwandlung in elektrische Signale
Im Innenohr beginnt die Umwandlung der Schallwellen in elektrische Signale, die das Gehirn interpretieren kann. Das Innenohr enthält die Hörschnecke (Cochlea), das Corti-Organ und die Haarsinneszellen. Das Innenohr besteht aus der Cochlea, eine erbsengroße Schnecke und dem Gleichgewichtsorgan in den Bogengängen. Der Eingang vom Innenohr befindet sich beim Übergang vom letzten Gehörknöchelchen dem Steigbügel zur Membran des „ovalen Fensters“. Hier trifft die mechanische Schwingung des Steigbügels auf die Flüssigkeit im Innenohr. Das Innenohr ist mit einer Flüssigkeit gefüllt, welche durch die Gehörknöchelchen in Schwingung versetzt wird. Feine Haarsinneszellen die im Innenohr angesiedelt sind, nehmen die Schallwellen auf und geben die Signale als Nervenimpulse weiter über den Hörnerv zu unserem Hörzentrum im Gehirn. Dort findet das eigentliche Hören statt, denn das Gehirn entschlüsselt das angekommene Signal und interpretiert es. Bei einer Innenohrschwerhörigkeit werden zwar Signale empfangen, aber verfälscht wahrgenommen.
Die Hörschnecke (Cochlea)
Die Hörschnecke ist eine mit Flüssigkeit gefüllte, spiralige Struktur, die die Schwingungen aus dem Mittelohr aufnimmt. Diese Schwingungen erzeugen in der Flüssigkeit wellenartige Bewegungen (Wanderwelle), die in einer bestimmte Weise auf die Haarsinneszellen wirken. Über die Gehörknöchelchenkette erreichen die Schallschwingungen die Hörschnecke - Cochlea (lat.). Diese Schwingungen versetzen die Flüssigkeit in der Cochlea in Bewegung.
Die Tonotopie der Cochlea
Die Tonotopie der Cochlea beschreibt die frequenzspezifische Anordnung der Haarzellen:
- Hohe Frequenzen (hohe Töne) stimulieren die Haarsinneszellen am Anfang der Hörschnecke (nahe beim ovalen Fenster).
- Tiefe Frequenzen (tiefe Töne) erreichen die Haarsinneszellen am Ende der Hörschnecke, also im Bereich der Schneckenspitze.
Das Innenohr codiert die Tonhöhe, indem unterschiedliche Frequenzen die Sinneszellen an unterschiedlichen Orten anregen. Dieses Ortsprinzip (Tonotopie) findet sich auch anderswo in der Hörbahn.
Das Corti-Organ
Das Corti-Organ liegt in der Hörschnecke, wo sich auch die Haarsinneszellen befinden. Diese Zellen wandeln die mechanischen Schwingungen der Flüssigkeit im Innenohr in elektrische Impulse um, die über den Hörnerv an das Gehirn weitergeleitet werden. Entscheidend dafür ist die Basilarmembran, die die Schwingungen aufnimmt und an das Corti-Organ weiterleitet, wo Haarzellen die mechanische Information aufnehmen und in ein neurologisches Signal übersetzen, das die Hörbahn hinaufrast. Die gut drei Zentimeter lange Basilarmembran in der Innenohrschnecke ist an einem Ende schmal und steif, am anderen breit und weich. Hohe Töne lösen nahe dem schmalen, steifen Ende resonante Schwingungen aus und stimulieren die dort befindlichen Haarzellen. Tiefe Töne dagegen führen am anderen Ende zur größten Auslenkung, sodass ganz andere Nervenzellen Impulse empfangen. Und bei einem Frequenzgemisch werden die Zellen an mehreren Stellen gleichzeitig aktiv. Im Prinzip kann man sich die Basilarmembran einer entrollten Hörschnecke wie die Tastatur eines Klaviers vorstellen, auf der die verschiedenen Töne nebeneinander angeordnet sind. Diese systematische Organisation von charakteristischen Frequenzen nennt man Tonotopie. Sie ist im Hörsystem weit verbreitet. So finden sich tonotope Karten nicht nur in der Basilarmembran, sondern auch in allen auditorischen Relaiskernen, die die Schallinformation filtern und weiterleiten, im Corpus geniculatum mediale (CGM) des Thalamus, das in den auditorischen Cortex projiziert, sowie im auditorischen Cortex selbst. Für das Verarbeiten von Tönen einer bestimmten Frequenz sind also jeweils spezialisierte Nervenzellen zuständig.
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Die Haarsinneszellen
Die Haarsinneszellen spielen eine Schlüsselrolle bei der Schallverarbeitung. Infolge der Bewegung der Flüssigkeit „biegen“ sich die Haarzellen. Sie lösen elektrische Signale aus, die vom Hörnerv weitergeleitet werden. Je nach Frequenz und Intensität der Schallwellen werden unterschiedliche Gruppen dieser Zellen stimuliert, was eine feine Differenzierung von Tönen und Lautstärken ermöglicht. Diese Zellen sind sehr empfindlich, aber auch anfällig für Schäden durch laute Geräusche.
Hörverarbeitung im Gehirn
Nach der Umwandlung der Schallwellen in elektrische Signale werden diese über die Hörnerven von den Haarsinneszellen zur Hörrinde im Gehirn transportiert, wo die eigentliche Hörverarbeitung erfolgt. Über den Hörnerv gelangt das elektrische Signal zum Hörzentrum des Gehirns. Erst durch die Weiterleitung der Nervenimpulse über den Hörnerv an das Gehirn, können Geräusche dekodiert, also erkannt werden. Im Gehirn findet dann das eigentliche Hören statt: Das angekommene Signal wird ausgewertet und damit ""verstanden"". Es entsteht eine Hörwahrnehmung. Eine Stufe komplexer und viel weniger erforscht ist dann das, was mit den Impulsen in unserem Gehirn weiter vor sich geht. Hier müssen nämlich etliche Stationen durchlaufen werden ehe die Nervenimpulse bis in die Hirnrinde vordringen. Auf dem Weg dorthin wird alles was wir hören verstärkt oder vermindert, es wird bewertet, als negativ, positiv oder neutral und manches kann sogar völlig weggefiltert werden. Nur die Signale, die tatsächlich bis zur Hirnrinde gelangen werden von uns wahrgenommen.
Die Hörbahn
Als Hörbahn werden die Nervenfasern bezeichnet, die die akustische Information vom Innenohr zum primären auditorischen Cortex leiten. Beim Menschen besteht die Hörbahn aus fünf Schaltstellen: Spiralganglion, den Hörkernen im Hirnstamm, dem Colliculus inferior, dem Corpus geniculatum mediale des Thalamus und dem primären auditorischen Cortex.
Der primäre auditorische Cortex
Die erste Verarbeitungsstation in der Großhirnrinde für auditive Informationen. Die primäre Hörrinde liegt in den Heschl-Querwindungen und erhält Eingänge vom Corpus geniculatum mediale des Thalamus (größter Teil des Zwischenhirns). Sie ist tonotop organisiert - ihre Neurone sind kontinuierlich nach Frequenzen geordnet.
Das Corpus geniculatum mediale
Das Corpus geniculatum mediale (medialer Kniehöcker) ist ein Kerngebiet des Thalamus (größter Teil des Zwischenhirns). Als zentrale Umschaltstelle der Hörbahn leitet es die Impulse des Colliculus inferior auf die Hörstrahlung. Gemeinsam mit dem Corpus geniculatum laterale bildet es den Metathalamus.
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Der Thalamus
Der Thalamus ist die größte Struktur des Zwischenhirns und ist oberhalb des Hypothalamus gelegen. Der Thalamus gilt als „Tor zum Bewusstsein“, da seine Kerne Durchgangstation für sämtliche Information an den Cortex (Großhirnrinde) sind. Gleichzeitig erhalten sie auch viele kortikale Eingänge. Die Kerne des Thalamus werden zu Gruppen zusammengefasst.
Der Cortex
Der Cortex cerebri, kurz Cortex genannt, bezeichnet die äußerste Schicht des Großhirns. Sie ist 2,5 mm bis 5 mm dick und reich an Nervenzellen. Die Großhirnrinde ist stark gefaltet, vergleichbar einem Taschentuch in einem Becher. So entstehen zahlreiche Windungen (Gyri), Spalten (Fissurae) und Furchen (Sulci). Ausgefaltet beträgt die Oberfläche des Cortex ca 1.800 cm2.
Die Aufgaben des Gehirns bei der Hörverarbeitung
Im Gehirn werden die Signale analysiert und in verschiedene Informationen aufgeschlüsselt. Dies umfasst die räumliche Orientierung, das Filtern von Nebengeräuschen, das Fokussieren auf bestimmte Klangquellen (wie eine Stimme in einem vollen Raum) und das Erkennen von Klängen und Wörtern. Diese Fähigkeiten ermöglichen es jedem Normalhörenden, sich in komplexen akustischen Umgebungen zurechtzufinden und wichtige Informationen aus dem Schall herauszufiltern. An den verschiedenen Stationen der Verarbeitung auditorischer Signale im Gehirn sind Neuronen mit höchst unterschiedlicher Spezialisierung beteiligt. Dabei sind viele Zusammenhänge noch nicht erforscht. Klar ist, dass die beteiligten Neuronen ganz verschiedenartige Spezialisierungen aufweisen: Manche feuern, solange ein Ton bestimmter Frequenz erklingt, andere nur, wenn er anfängt und/oder aufhört. Manche Neuronen vergleichen die Signale beider Ohren, andere reagieren selektiv bei bestimmten Intensitäten, wieder andere durchkämmen alles Gehörte auf spezifische Lautmuster. Das ermöglicht letztlich feinste Unterscheidungen: Wir können Ereignisse an der Art des Knalls, Personen am Geräusch ihrer Schritte, Stimmungen am Klang der Stimme identifizieren. Gleichzeitig werden die unterschiedlichsten Gedanken, Emotionen und Verhaltensweisen ausgelöst: Spricht unser Gegenüber im freundlichen oder aggressiven Ton? Ist die Musik traurig oder macht sie Lust zu tanzen? Blenden wir Umgebungskrach als bedeutungslos aus oder versetzt uns das Knacken eines Zweigleins - etwa nachts im Wald - schon in Angst und Schrecken? Diese weitere Verarbeitung kann sich auf fast jeden Aspekt unserer mentalen Verfassung auswirken.
Richtungshören
Das Richtungshören ermöglicht es, die Lokalisation einer Schallquelle im Raum zu bestimmen. Dabei vergleicht das Gehirn die Signale beider Ohren. Zudem verändert die Ohrmuschel das Schallsignal abhängig von der Richtung, was Informationen über die Höhenlage der Schallquelle liefert. Über den Lemniscus lateralis gelangen die Informationen in den Colliculus inferior im Mittelhirn und schließlich zum Corpus geniculatum mediale des Thalamus.
Die Mechanismen der räumlichen Lokalisation
Was die Wellenform alleine jedoch nicht verrät, ist die Richtung, aus der ein Geräusch kommt. Um auch diese - oftmals entscheidende - Information herauszuhören, kombiniert das auditorische System gleich drei Mechanismen. Am offensichtlichsten ist wohl der Intensitätsunterschied. Der Kopf wirft - vor allem bei Schallwellen mit hoher Frequenz - eine Art akustischen Schatten: Befindet sich die Schallquelle rechts, hören wir das Geräusch auf der linken Seite etwas leiser als auf der rechten. Die Richtungsortung per Intensitätsdifferenz versagt allerdings bei tiefen Tönen: Dann ist die Wellenlänge groß, und der Schall kann praktisch ungehindert um den Kopf herumlaufen. In diesem Fall wird der Laufzeitunterschied besonders wichtig: Aufgrund der Schallgeschwindigkeit in Luft trifft eine von seitlich rechts kommende Schallwelle am rechten Ohr um etwa 0,0006 Sekunden früher ein als am linken. Auch diesen kleinen Zeitverzug nutzen die Neuronen, die Signale von beiden Ohren empfangen, zur Lokalisation der Geräuschquelle. Bereits im Hirnstamm gibt es Bereiche, die den Input von beiden Ohren verarbeiten - ebenso in den höheren auditorischen Arealen. So werden auch kleine Intensitätsunterschiede wahrgenommen und in Richtungsinformation übersetzt. Eine weitere wichtige Information gewinnen wir aus der absoluten Intensität eines Geräusches, denn es nimmt mit zunehmendem Abstand schnell ab. Weder Intensitäts- noch Laufzeitunterschiede erklären allerdings, warum wir auch unterscheiden können, ob Geräusche von schräg rechts vorn oder schräg rechts hinten kommen - oder gar von oben oder unten. Hier greift der dritte Mechanismus: Die Form des Kopfes und vor allem der Ohrmuscheln sorgt für ein komplexes Muster von Schallschatten und Schallschatten-Reflexionen, das sich je nach Frequenz und Richtung des ankommenden Schalls unterscheidet. Beispielsweise dämpft die Ohrmuschel bei von hinten kommenden Geräuschen hohe Frequenzen stärker als tiefe. Ein Knall hinter uns klingt deshalb etwas dumpfer, als wenn vor uns etwas explodiert. Und kommt der Knall von oben, ist der Frequenzgang wieder etwas anders. Diese feinen Variationen weiß das Gehirn so zu interpretieren, dass es die Richtung erkennt.
Die Entwicklung des Hörsystems
Das menschliche Hörsystem beginnt sich bereits früh in der Schwangerschaft zu entwickeln. Ab etwa der 24. Schwangerschaftswoche ist das Innenohr so weit ausgereift, dass akustische Reize aus der Umgebung im Mutterleib wahrgenommen werden können. Diese frühzeitige Reizung des auditorischen Systems gilt als wichtiger Stimulus für die Reifung des Gehirns. Nach der Geburt setzt sich die Entwicklung des Hörvermögens fort. Die zentrale Hörverarbeitung reift in den ersten Lebensmonaten und wird durch akustische Reize weiter stimuliert. Die ersten Lebensjahre gelten als kritische Phase für den Spracherwerb. Da viele Hörstörungen bei Neugeborenen zunächst unauffällig bleiben, ist die frühzeitige Diagnose entscheidend, um mögliche Defizite auszugleichen.
Störungen des Hörens
Störungen des Hörens können an verschiedenen Stellen des auditiven Systems auftreten. Sie beeinträchtigen nicht nur die akustische Wahrnehmung, sondern oft auch Sprachverständnis, soziale Interaktion und kognitive Entwicklung.
Schallleitungsschwerhörigkeit
Bei der Schallleitungsschwerhörigkeit ist die mechanische Übertragung des Schalls gestört, meist im äußeren oder mittleren Ohr. Die betroffenen Personen nehmen Geräusche gedämpft wahr, das Sprachverstehen ist insbesondere bei leisem Sprechen erschwert.
Schallempfindungsschwerhörigkeit
Diese Form betrifft das Innenohr oder den Hörnerv. Häufig liegt eine Schädigung der Haarzellen in der Cochlea vor, die nicht reversibel ist. Das Hören ist meist dauerhaft eingeschränkt, insbesondere das Verstehen von Sprache in geräuschvoller Umgebung. Bei einer beginnenden Schwerhörigkeit lässt meist zunächst das Vermögen des Ohres nach, auf bestimmte Frequenzen mit einer geringen Lautstärke noch zu reagieren. Die Empfindlichkeit der zuständigen Haarzellen nimmt fortschreitend ab. Besteht diese Schwerhörigkeit über längere Zeit, werden die für diese Frequenzen und Lautstärken zuständigen Nervenzellen der Hörbahn und Hörrinde im Gehirn nicht mehr durch Impulse gereizt und gefordert. Nervenzellen, die weniger oder gar nicht mehr gebraucht werden, schalten zunehmend ihre Verbindungen zu benachbarten Zellen ab, es kommt zu degenerativen Abbauprozessen, der sog. Hörbahndegeneration. Dieser Verlust zu hören, macht sich vor allem in anspruchsvollen Hörsituationen (Hören mit Hintergrundgeräuschen, Hören in hallenden Räumen, Hören im Lärm) besonders stark bemerkbar. Das Gehirn ist dann nicht mehr in der Lage, die nützlichen Geräusche von den unerwünschten zu unterscheiden, weil wichtige Unterscheidungsmerkmale, z.B. feine, hohe Obertöne nicht mehr wahrgenommen werden können. Dies erklärt auch, warum Betroffene oft einem Einzelgespräch noch gut folgen können, aber in größeren Gesellschaften oder bei starker Hintergrundkulisse, wie z.B. bei einem Restaurant-Besuch, in der Kirche oder auf der Straße, Probleme haben, sich an einer Konversation zu beteiligen bzw. Spätestens wenn Sie derartige Einschränkungen bemerken, sollten Sie einen HNO-Arzt aufsuchen. Denn: Ein frühes Erkennen des nachlassenden Hörvermögens lässt Behandlungen zu, um auch weiterhin eine Chance auf gutes Hören zu ermöglichen.
Tinnitus
Tinnitus bezeichnet ein dauerhaft wahrgenommenes Ohrgeräusch ohne äußere Schallquelle. Betroffene empfinden die Geräusche als Pfeifen, Rauschen oder Brummen. Die Beschwerden können mit Konzentrationsproblemen, Schlafstörungen und emotionaler Belastung einhergehen.
Auditive Verarbeitungs- und Wahrnehmungsstörung (AVWS)
Bei dieser zentralen Hörstörung liegt die Ursache nicht im Ohr (peripher), sondern in der Verarbeitung von Höreindrücken im Gehirn. AVWS tritt oft im Kindesalter auf und beeinflusst den Spracherwerb sowie die schulische Leistungsfähigkeit.
Taubheit
Bei vollständiger Taubheit liegt eine hochgradige Funktionsstörung oder Zerstörung der Haarzellen vor. In diesen Fällen kann ein Cochlea-Implantat helfen. Es überträgt akustische Signale über ein Mikrofon direkt an den Hörnerv. Diese Technik ermöglicht es auch taub geborenen Kindern, ein Sprachverständnis aufzubauen.
Diagnostik von Hörstörungen
Eine zuverlässige Hördiagnostik ist entscheidend, um Hörstörungen frühzeitig zu erkennen, gezielt zu behandeln und Folgeprobleme wie verzögerte Sprachentwicklung oder soziale Isolation zu vermeiden. In Deutschland ist das Neugeborenen-Hörscreening seit 2009 fester Bestandteil der Vorsorgeuntersuchungen. Es erfolgt in den ersten Lebenstagen, häufig noch in der Geburtsklinik.
Untersuchungsmethoden
- Otoakustische Emissionen (OAE): Hierbei werden Schallsignale ins Ohr gesendet und die Antwort der äußeren Haarzellen gemessen.
- Auditorisch evozierte Potenziale (BERA): Diese Methode misst die elektrische Antwort des Hörnervs und der Hörbahn im Gehirn auf akustische Reize.
- Tonschwellenaudiometrie: Die Testperson gibt an, wann sie Töne verschiedener Frequenzen wahrnimmt.
- Sprachaudiometrie: Hier wird geprüft, wie gut gesprochene Worte oder Sätze verstanden werden.
- Impedanzmessung (Tympanometrie): Diese Methode misst den Druck im Mittelohr und die Beweglichkeit des Trommelfells.
- Rinne- und Weber-Test: In der körperlichen Untersuchung kann man mittels den zwei Tests erste Hinweise auf eine Schallempfindungs- oder Schallleitungsstörung erhalten. Der Rinne-Test vergleicht dafür die Luftleitung mit der Knochenleitung. Die untersuchende Person hält für den Test zunächst eine vibrierende Stimmgabel an den Mastoid. Wenn der Patient den Ton nicht mehr hört, hält man die Stimmgabel vor das Ohr. Normalerweise nimmt man den Ton daraufhin wieder wahr. Für den Weber-Test setzt man die schwingende Stimmgabel auf die Schädelmitte. Bei keiner Schädigung nimmt der Patient den Ton mittig wahr.
Die Plastizität des Gehirns beim Hören
Die menschliche Wahrnehmung zeichnet sich durch hohe Flexibilität aus. Das erlaubt uns, gleichartige Ereignisse in verschiedensten Kontexten oder Situationen gleichartig zu erleben. Tagtäglich befinden wir uns in wechselnden akustischen Situationen. So sitzen wir beispielsweise im Café und hören den Erzählungen eines Freundes zu oder wir stehen vor einer Konzertbühne und nehmen die Gespräche der Menschen neben uns wahr. Unsere Fähigkeit zu hören stellt sich also flexibel auf verschiedenste Situationen ein und ermöglicht es uns, an vielen Kontexten teilzunehmen. Worauf basiert diese Flexibilität beim Hören? Sind wir aktiv daran beteiligt? Oder ist es vielleicht ein automatischer Prozess, den die Biologie für uns bereitstellt? Fragen dieser Art führen schnell zu jenem Organ, das für einen Großteil unseres Menschseins Mitverantwortung trägt: dem Gehirn. Prozesse innerhalb des Gehirns können mithilfe der Elektroenzephalografie (EEG) oder der Magnetenzephalografie (MEG) gemessen werden. Beide Messverfahren nutzen die elektrische Aktivität von Nervenzellen (Neuronen). Das EEG-Verfahren misst direkt die elektrische Aktivität der Neuronen. Mit der MEG-Messung wird das Magnetfeld gemessen, das durch die elektrische Aktivität der Neuronen im Gehirn erzeugt wird. Die so gemessene neurale Aktivität lässt sich grob in zeitlich begrenzte (transiente) und sich rhythmisch wiederholende (oszillatorische) Aktivität einteilen. Das in elektrische Nervensignale umgewandelte akustische Signal wird in unterschiedlichen Arealen des Gehirns verarbeitet. Die dabei am frühsten aktiven Areale werden klassisch als sensorische, das heißt als empfangende Areale bezeichnet; man spricht auch von auditiv-sensorischen Arealen. Diese Sichtweise, welche die Nervenzellen in bezeichneten Arealen als vorrangig rezipierend und statisch auf bestimmte Sinnesreize reagierend beschreibt, gilt inzwischen als überholt. Bekannt ist, dass Neuronen bevorzugt auf bestimmte Stimulation, wie zum Beispiel einen bestimmten Bereich von Tonlautstärken oder Tonfrequenzen, reagieren. Dieses Phänomen wird „neurale Sensitivität“ genannt. In jüngeren Studien ist beobachtet worden, dass sich die neurale Sensitivität in Abhängigkeit des präsentierten Stimulationskontextes für kurze Zeit verändert. In einem relativ einfachen Experiment wurde Probanden akustische Stimuli präsentiert, während sie sich auf einen Film konzentrierten und die akustischen Stimuli ignorierten. In einem Versuchsdurchlauf wurden den Teilnehmern während des Filmschauens Töne verschiedener Frequenzen einer schmalen Frequenzspanne eingespielt. In einem zweiten Durchlauf wurden ihnen dann Töne über eine wesentlich breitere Frequenzspanne präsentiert. Die stärkste Variation im transienten EEG-Signal konnte um etwa 100 Millisekunden nach dem Beginn eines Tons beobachtet werden. Die Quelle dieser Gehirnantwort ist in der Hörrinde, dem auditiven Kortex, lokalisiert. Die neuralen Antworten auf die Töne waren dabei stärker (das heißt negativer) für Tonfrequenzen am Rand der akustischen Stimulation. Darüber hinaus konnten Veränderungen in der neuralen Sensitivität beobachtet werden, was sich an der flacheren U-Form für akustische Stimulation mit breiter Frequenzspanne, verglichen mit der schmalen Frequenzspanne, ablesen lässt. Die Ergebnisse belegen, dass sich die neurale Sensitivität von Nervenzellen automatisch an die Stimulation anpasst. In einem Umfeld mit akustisch umgrenztem Frequenzbereich reagieren Nervenzellen also ausnehmend sensitiv auf einen schmalen Bereich. In einem Umfeld mit akustisch weitem Frequenzbereich dagegen reagieren Nervenzellen besonders sensitiv auf einen breiten Bereich. Die neurale Aktivität in der Hörrinde verändert sich nicht nur abhängig von der Frequenzspanne, sondern passt sich auch an rhythmische Strukturen der akustischen Umwelt an. Solche begegnen uns etwa in Sprache oder Musik. Die im EEG/MEG gemessenen neuralen Oszillationen synchronisierten sich mit dem Rhythmus des akustischen Signals („neurales Entrainment“). Die neurale Aktivität oszillierte also mit dem gleichen Rhythmus wie das akustische Signal. In einem sogenannten Amplitudenspektrum, das die Aktivierungsstärke neuraler Oszillationen in verschiedenen Frequenzbändern abbildet, zeigt sich dies als eine deutliche Zunahme neuraler Aktivität in jener Frequenz, die dem Rhythmus des akustischen Signals entspricht. Die Synchronisation neuraler Oszillationen mit akustischen Rhythmen beeinflusst auch die menschliche Wahrnehmung. Beispielsweise stehen Veränderungen in der Synchronisationsstärke in der Hörrinde im Zusammenhang mit der Wahrnehmung der Geschwindigkeit von akustischen Sequenzen und Rhythmen. Aus diesen beispielhaften Studien lässt sich schließen, dass gleichartige, unveränderte Umweltreize die neurale Aktivität nicht notwendigerweise prototypisch und in immer gleicher Art und Weise beeinflussen. Vermutlich ist es genau diese dynamische Ultra-Kurzzeit-Plastizität des Gehirns, die es uns ermöglicht, flexibel auf verschiedene Situationen gleichwertig zu reagieren.
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