Die Hypnose ist ein anerkanntes medizinisches Heilverfahren mit einer langen Tradition. Ihr Einsatz in der somatischen Medizin wurde bereits in den 1950er Jahren von medizinischen Fachgesellschaften befürwortet. Aktuelle Studien untersuchen die Wirksamkeit und Sicherheit der Hypnose in verschiedenen Bereichen, insbesondere auch in der Rehabilitation nach einem Schlaganfall.
Grundlagen der Hypnose
Hypnose bezeichnet sowohl einen veränderten Bewusstseinszustand, die hypnotische Trance, als auch das Verfahren, um diesen Zustand zu induzieren. In der Trance können physiologische, kognitive und affektive Prozesse sowie das Verhalten beeinflusst werden. Die Induktion kann durch einen Therapeuten (Fremdhypnose) oder durch die Person selbst (Selbsthypnose) erfolgen.
Die hypnotische Trance ist durch folgende Merkmale gekennzeichnet:
- Hoher Grad an Wirklichkeitserleben
- Gefühl der Unwillkürlichkeit
- Veränderte Zeitwahrnehmung
- Selektive Amnesie
- Altersregression
- Starke Fokussierung nach innen
- Erhöhte Suggestibilität
Mittels Elektroenzephalographie (EEG) und bildgebenden Verfahren kann die hypnotische Trance von anderen Bewusstseinszuständen unterschieden werden.
Anwendungsgebiete der Hypnose
Je nach Zielsetzung lassen sich verschiedene Anwendungsgebiete unterscheiden:
Lesen Sie auch: Gehirnaktivität unter Hypnose: Eine wissenschaftliche Analyse
- Medizinische Hypnose: Linderung körperlicher Beschwerden, Reduktion psychischer Belastung bei medizinischen Behandlungen, Verbesserung gestörter physiologischer/biochemischer Parameter, Förderung physiologischer/biochemischer Heilungsvorgänge.
- Hypnotische Kommunikation: Anwendung von Suggestionen im Wachzustand, unter Narkose oder als Teil einer effektiven Arzt-Patienten-Kommunikation.
- Hypnotherapie: Psychotherapie in Trance zur Verbesserung der Problembewältigung, Förderung von Verhaltensänderungen, Umstrukturierung kognitiv-affektiver Muster und emotional belastender Ereignisse.
- Experimentelle Hypnose: Grundlagenforschung zu körperlichen Empfindungen, Emotionen und Bewusstseinszuständen.
- Bühnenhypnose: Demonstration hypnotischer Phänomene zur Unterhaltung.
Hypnose in der Neurorehabilitation nach Schlaganfall
Die Neurohypnose stellt eine innovative Kombination aus Neuropsychologie und Hypnotherapie dar, um die Neuroplastizität des Gehirns anzuregen. Diese Methode nutzt das Unterbewusstsein, um die angeborene Fähigkeit des Gehirns zur Bildung neuer Verknüpfungen zu aktivieren und das Wiedererlangen verlorener Funktionen zu unterstützen.
Wissenschaftliche Erkenntnisse:
Studien, wie beispielsweise von der Harvard-Universität, zeigen, dass Patientinnen und Patienten nach dem Einsatz von Hypnotherapie über eine bessere motorische Funktion in den betroffenen Gliedmaßen berichteten. Zusätzlich wurden eine positivere Zukunftsperspektive und mehr Motivation festgestellt. Diese Effekte sind besonders wichtig, da neurologische Erkrankungen oft mit Ängsten und depressiven Stimmungen einhergehen, bei denen Hypnose ebenfalls eine hilfreiche Unterstützung bieten kann.
Forschungen zeigen, dass Hypnose direkt auf die neuronalen Netzwerke des Gehirns wirkt. Eine Studie der Universität Zürich konnte mit bildgebenden Verfahren nachweisen, dass Hypnose die Aktivität bestimmter Hirnareale verändert und die Vernetzung zwischen ihnen erhöht. Diese verstärkte Kommunikation zwischen den Hirnregionen spielt eine entscheidende Rolle bei der Rehabilitation von Funktionen.
Anwendungsbereiche in der Neurorehabilitation:
- Motorische Funktionen: Durch die Wiederholung von Bewegungsabläufen im hypnotischen Zustand kann aktiv dem "erlernten Nicht-Gebrauch" entgegengewirkt werden.
- Sprachliche Einschränkungen: Hypnose kann unterstützend bei der Behandlung von sprachlichen Einschränkungen eingesetzt werden.
- Geistige Leistungsfähigkeit: Auch Verluste in der geistigen Leistungsfähigkeit können unterstützend behandelt werden.
- Emotionale Belastungen: Hypnose kann helfen, Ängste zu reduzieren, das Gedächtnis und die Konzentration zu verbessern und die Verarbeitung von emotionalen Belastungen zu unterstützen.
Ablauf einer medizinischen Hypnose
Eine medizinische Hypnosebehandlung dauert in der Regel zwischen 20 und 50 Minuten und umfasst folgende Phasen:
- Überprüfung der Indikation und Aufklärung: Korrektur unangemessener Ängste und Erwartungen, Zielklärung.
- Induktion: Einleitung der hypnotischen Trance.
- Vertiefung: Vertiefung des Trancezustandes.
- Therapeutische Suggestionen: Anwendung spezifischer Suggestionen zur Erreichung der Therapieziele.
- Rückorientierung: Rückführung in den Wachzustand.
- Posthypnotische Suggestionen: Verstärkung der Wirkung der Suggestionen nach der Hypnose.
- Nachgespräch: Besprechung der Erfahrungen und Planung der weiteren Vorgehensweise.
- Integration im Alltag: Eigenständiges Üben, Verhaltensübungen, gegebenenfalls Erlernen von Selbsthypnose.
Evidenz der Wirksamkeit und Sicherheit
Eine systematische Übersicht von Metaanalysen untersuchte die Wirksamkeit und Sicherheit von Hypnose in der somatischen Medizin. Die Analyse von fünf Metaanalysen ergab folgende Ergebnisse:
Lesen Sie auch: Die neurologischen Grundlagen der Hypnose
- Hypnose war einer Standardbehandlung oder Aufmerksamkeitskontrolle in der Reduktion von emotionaler Belastung und Schmerz bei interventionellen Eingriffen und Operationen überlegen.
- Eine Bauchhypnose war den in den Kontrollgruppen angewendeten Therapieformen bezüglich der Symptomreduktion überlegen.
- Hypnose war nicht wirksamer als eine Standardbehandlung bei Wehen- und Geburtsschmerzen.
- Die Auswertung der Daten zur Sicherheit ergab keine Hinweise auf eine höhere Rate von Nebenwirkungen im Vergleich zu Kontrollen.
Es ist wichtig zu beachten, dass die Effekte der Hypnose bei medizinischen Interventionen von der methodischen Qualität der Originalarbeiten abhängig sind.
Einsatzmöglichkeiten im klinischen Alltag
Hypnose kann in verschiedenen Bereichen des klinischen Alltags eingesetzt werden:
- Anästhesie und operative Medizin: Ergänzend zu modernen Anästhesieverfahren zur Verringerung von Angst, Stress und Schmerz.
- Begleitung bei Wachkraniotomien: Ermöglicht neurologische Testungen während der Operation ohne Sedierung und zusätzliche Analgetika.
- Zahnmedizin: Durchführung zahnärztlicher Eingriffe ohne oder mit reduzierter Lokalanästhesie.
- Geburtshilfe: Schmerzlinderung und Reduktion von Angst während der Geburt.
- Gastroenterologie: Behandlung von Reizdarmsyndrom und anderen funktionellen Magen-Darm-Beschwerden.
- Onkologie: Reduktion von chemotherapieinduzierter Übelkeit und Erbrechen.
- Schmerztherapie: Behandlung von chronischen Schmerzen, wie Fibromyalgie und temporomandibulärer Störung.
- Rettungsmedizin: Positive Beeinflussungsmöglichkeiten in der akuten Krise, Stabilisierung des Kreislaufs, Einfluss auf Blutungen.
Sprach-Entrainment als Ergänzung zur Hypnose
Neue Forschungen haben gezeigt, dass die Sprach-Entrainment-Technik, bei der das Sprechen anderer Menschen nachgeahmt wird, deutliche Verbesserungen der Sprachfähigkeit von Patienten mit Broca-Aphasie erzielen kann. Diese Erkenntnisse könnten in Kombination mit Hypnose neue Behandlungskonzepte ermöglichen.
Mögliche Kombinationsansätze:
- Klassisches Sprachtraining mit Hypnose und Sprach-Entrainment werden parallel und unabhängig voneinander durchgeführt.
- Das Sprach-Entrainment wird mit Hypnose kombiniert, indem vor dem Training eine Hypnose eingeleitet wird.
- Die Hypnose wird mit Sprach-Entrainment unterstützt, indem zuerst ein normales hypnotisches Sprachtraining durchgeführt wird und direkt anschließend das Sprach-Entrainment absolviert wird.
- Das Sprach-Entrainment wird rein virtuell durchgeführt, indem der Patient das Entrainment-Setting imaginiert und von entsprechenden Suggestionen unterstützt wird.
Weitere Therapieansätze in der Schlaganfall-Rehabilitation
Neben der Hypnose gibt es eine Vielzahl weiterer Therapieansätze in der Schlaganfall-Rehabilitation:
- Arm-Robot-Therapie: Unterstützung der Ansteuerung des Armes und der Hand bei schweren Lähmungen.
- Aufgabenorientiertes Training (AOT): Verbesserung einzelner Bewegungsabläufe mit Alltagsbezug.
- Bobath-Konzept: Verbesserung der funktionellen Fähigkeiten und Regulierung des Muskeltonus.
- Constraint-Induced Movement Therapy (CIMT): Förderung des verstärkten Einsatzes des betroffenen Armes im Alltag.
- Elektrostimulation: Unterstützung beim Wiedererlernen von Bewegungsabläufen und Vorbeugung von Spastik.
- Laufbandtraining: Verbesserung der Gehgeschwindigkeit und Ausdauer.
Formale Voraussetzungen und Qualifikation
In Deutschland darf Hypnose grundsätzlich von jeder Person angeboten werden, sofern sie nicht zu heilkundlichen Zwecken eingesetzt wird. Für die Behandlung von Erkrankungen ist eine Heilerlaubnis erforderlich (ärztliche und psychologische Psychotherapeuten, Kinder- und Jugendpsychotherapeuten, Heilpraktiker). Eine medizinische Hypnose kann von Ärzten aller Fachgebiete mit Patientenbezug im Rahmen der psychosomatischen Grundversorgung erbracht werden. Für die Abrechnung der Entspannungshypnose ist eine Qualifikation in psychosomatischer Grundversorgung und ein Hypnose-Kurs erforderlich.
Lesen Sie auch: Umfassende Betrachtung: Hypnose bei Nervenschmerzen
tags: #Hypnose #nach #Schlaganfall #Studien