Depressionen sind eine weit verbreitete psychische Erkrankung, deren Ursachen vielfältig und noch nicht vollständig verstanden sind. Ein wichtiger Faktor, der bei der Entstehung und dem Verlauf von Depressionen eine Rolle spielt, ist die Hypothalamus-Hypophysen-Nebennierenrinden-Achse (HHN-Achse), auch bekannt als Stresshormonsystem.
Die Hypothalamus-Hypophysen-Nebennierenrinden-Achse (HHN-Achse)
Die HHN-Achse ist ein komplexes Hormonsystem, das eine zentrale Rolle bei der Stressreaktion des Körpers spielt. Sie wird durch Zellen des Hypothalamus gesteuert, die Kortikotropin-Releasing-Hormone (CRH) produzieren. CRH stimuliert in der Hypophyse die Sekretion des adrenokortikotropen Hormons (ACTH), welches wiederum die Bildung von Glukokortikoiden, wie beispielsweise Kortisol, in der Nebennierenrinde anregt.
Glukokortikoide sind wichtig für den Glukosestoffwechsel und wirken im Hypothalamus hemmend auf die Bildung von CRH, was einen negativen Feedback-Mechanismus darstellt. Die HHN-Achse wird bei psychischem und körperlichem Stress aktiviert, aber auch bei psychischen Erkrankungen wie Depressionen oder Anorexie, bei entzündlichen Erkrankungen durch proinflammatorische Zytokine oder bei einem Absinken des Glukosespiegels im Blut.
Stresshormone: Adrenalin, Noradrenalin und Cortisol
Zu den wichtigsten Stresshormonen zählen Adrenalin, Noradrenalin und Cortisol. Noradrenalin und Adrenalin gehören zum sympatho-adrenomedullären System, das bei Stressoren sofort aktiviert wird. Beide Hormone werden innerhalb weniger Minuten aus dem Nebennierenmark in den Blutkreislauf freigesetzt und im gesamten Körper verteilt. Cortisol hingegen wird von der Hypothalamus-Hypophysen-Nebennierenrinden-Achse (HHN-Achse) gesteuert, wodurch die Ausschüttung etwas langsamer erfolgt. Auch dieses Stresshormon gelangt über den Blutkreislauf zu allen Organen.
Eine zentrale Rolle bei der Koordination der Stresshormone übernimmt die Amygdala, eine mandelförmige Struktur im Gehirn. Die Amygdala nimmt Informationen über die Sinnesorgane auf und bewertet diese. Bei der Einstufung einer Situation als ungewöhnlich aktiviert die Amygdala ihre Nervenzellen und leitet bei Überschreitung einer bestimmten Nervenaktivitätsschwelle die Ausschüttung von Stresshormonen und somit die Stressreaktion ein. Die Amygdala schüttet die Stresshormone aber nicht selbst aus, sondern informiert die Nebenniere mithilfe des sympathischen Nervensystems und des Hypothalamus über die drohende Gefahr, woraufhin die Nebenniere die Stresshormone freisetzt.
Lesen Sie auch: Hypothalamus Reset: Mythen vs. Fakten
Stress und Depressionen: Ein Teufelskreis
Chronischer Stress und Überlastung können zu dauerhaft erhöhten Cortisolspiegeln führen, was eine Dysregulation der physiologischen Stressantwort und schließlich eine Depression zur Folge haben kann. Was in der Steinzeit vor dem Angriff des Säbelzahntigers rettete, kann heutzutage der Auslöser von Depressionen sein.
Bei akutem Stress werden physiologische Anpassungen durch die Aktivierung der HHN-Achse und die Ausschüttung von Cortisol ausgelöst. Normalerweise bewirkt der erhöhte Cortisolspiegel über eine negative Rückkoppelung eine schnelle Rückregulation der HHN-Achse. Bleibt der Cortisolspiegel jedoch durch chronischen Stress erhöht, kann dies zu Störungen verschiedener Systeme wie Stoffwechsel, Herz-Kreislaufsystem oder Immunabwehr führen. Ein Beispiel hierfür sind Patienten mit Cushing-Syndrom, die neben Übergewicht, Hypertonie und Überzuckerung auch häufig an Depressionen leiden.
Die gestörte Stressantwort bei Depressionen
Viele Depressionspatienten weisen während einer akuten Episode eine HPA-Hyperaktivität mit Hypercortisolismus auf. Interessanterweise normalisiert sich die gestörte Stressantwort unter einer antidepressiven Behandlung bei den meisten Patienten wieder, und die Remissionsrate ist in diesen Fällen höher.
Die Regulationsfähigkeit der HHN-Achse kann mit dem Dexamethason (DEX)/Corticotropin Releasing Hormone (CRH)-Test gemessen werden. Dexamethason wirkt dabei dämpfend, CRH stimulierend auf die HHN-Achse. Bei normaler Funktion der HHN-Achse kommt es trotz CRH-Gabe zu einer Unterdrückung der Cortisolsekretion. Bei einer Fehlregulation hingegen kommt es unter CRH-Gabe zu einer deutlichen Cortisolstimulation. Insbesondere bei rezidivierenden Depressionen wird häufig eine gestörte Regulation festgestellt. Eine Normalisierung der Regulation scheint dem Therapieerfolg vorauszugehen.
Antidepressiva und die Stressachse
Ein wesentliches Therapieziel ist die Normalisierung der bei chronischem Stress überaktiven HHN-Achse. Dies kann durch die Reduktion der Stresshormone Adrenocorticotropin (ACTH) und Cortisol erreicht werden. In Tiermodellen konnte eine solche Reduzierung sowohl für Fluoxetin als auch für Johanniskrautextrakt gezeigt werden.
Lesen Sie auch: Was Sie über den Hypothalamus wissen sollten
Ein weiterer wichtiger Angriffspunkt ist das FKBP5-Gen, dessen Expression die Empfindlichkeit des Glukokortikoidrezeptors für Kortisol reduziert. Eine hohe Expression dieses Gens führt schlussendlich zu einer überschießenden Stressantwort und chronisch erhöhten Cortisolwerten. Daten bestätigen, dass Antidepressiva die Stressantwort auch über diesen Weg normalisieren können, indem sie eine Korrelation zwischen klinischem Therapieerfolg und reduzierter FKBP5-Expression unter antidepressiver Therapie zeigen. Auch Inhaltsstoffe von Johanniskraut scheinen die FKBP5-Expression zu reduzieren.
Langfristige Strategien zur Normalisierung der Stressachse
Neben der Akutbehandlung mit Antidepressiva sind langfristig psychotherapeutische und körperorientierte Entspannungsverfahren wichtige Wege, die Stressachse über eine Reduktion des Sympathikus bzw. Aktivierung des Parasympathikus zu normalisieren. Hierzu zählen beispielsweise progressive Muskelrelaxation, autogenes Training, Yoga, Qi-Gong, Tai-Chi, Biofeedback und Neurofeedback. Auch achtsamkeitsbasierte Psychotherapien können sich positiv auf die Stressachse auswirken.
Genetische Faktoren und das FKBP5-Gen
Neben aktuellen und biografischen Umweltfaktoren beeinflussen auch genetische Faktoren die Stresshormonregulation. Der Glucocorticoidrezeptor und seine Hilfsmoleküle (Chaperone) stehen im Mittelpunkt der genetischen Stressforschung. Insbesondere Varianten im FKBP5-Gen sind für die Stresshormonregulation von Bedeutung. FKBP5 exprimiert das Protein FKBP51, ein Immunophilin, das als Hemmer der GR-Bindungsfähigkeit für Cortisol wirkt und die GR-Translokation behindert. Variationen im FKBP5-Gen beeinflussen die Expression von FKBP51 und somit die Regulationsfähigkeit der HHN-Achse.
Träger des seltenen Allels des FKBP5-Polymorphismus rs1360780 weisen erhöhte FKBP51-Konzentrationen im Blut auf, was die Regulationsfähigkeit der HHN-Achse beeinträchtigt und zu einer verstärkten Cortisolreaktion unter psychosozialem Stress führt.
FKBP5-Genomik und Depression
Aufgrund der funktionalen Bedeutung des FKBP5-Gens für die Stresshormonregulation liegt ein Zusammenhang zwischen genetischen FKBP5-Variationen und dem Depressionsrisiko nahe. Depression ist jedoch eine multifaktorielle Erkrankung, bei der genetische Faktoren und Umweltfaktoren zusammenwirken.
Lesen Sie auch: Thalamus und Hypothalamus im Vergleich
Träger des FKBP5-Genotyps, für den eine erhöhte FKBP51-Aktivität nachgewiesen wurde (rs1360780 TT), weisen ein deutlich erhöhtes Depressionsrisiko auf, wenn sie traumatisierenden Ereignissen ausgesetzt waren. Vergleichbare Ergebnisse wurden für weitere Varianten des FKBP5-Gens gezeigt.
Die beschriebenen genetischen Variationen im FKBP5-Gen beeinflussen nicht nur das Depressionsrisiko, sondern auch den antidepressiven Behandlungserfolg bei Patienten. Eine Reduktion der FKBP51-Expression unter antidepressiver Behandlung scheint die Normalisierung einer gestörten HHN-Achsenregulation zu begünstigen und dadurch den Therapieverlauf zu verbessern.
Perspektiven für die antidepressive Behandlung
Um die Effektivität der Depressionsbehandlung zu verbessern, ist es wichtig, die individuelle Depressionspathologie zu berücksichtigen und neue Antidepressiva mit spezifischem Wirkmechanismus sowie Biomarker zu entwickeln, die die Patienten mit der passenden Pathologie identifizieren können. Die Ergebnisse zur Stresshormonregulation können hierzu einen wichtigen Beitrag leisten.
Der Dex/CRH-Test stellt einen sensitiven Biomarker zur Identifizierung von Patienten mit einer Regulationsstörung der HHN-Achse dar. Für diese Patienten könnte eine spezifische Intervention mit dem Ziel der Hemmung der FKBP51-Aktivität zu einem deutlich schnelleren antidepressiven Therapieerfolg führen.
Vergrößerter Hypothalamus bei Depressionen
Eine aktuelle Studie hat gezeigt, dass bei Menschen mit Depressionen der Hypothalamus vergrößert sein kann. Bei Personen mit einer affektiven Störung ist der linke Hypothalamus um durchschnittlich fünf Prozent größer als bei Gesunden. Dabei zeigte sich in einer der depressiven Patientengruppen, dass diese Hirnregion umso größer war, je schwerer die Krankheit war. Frühere Studien haben gezeigt, dass der Hypothalamus bei Betroffenen aktiver ist.
Die Rolle der Mikrobiota-Darm-Hirn-Achse
Die Mikrobiota-Darm-Hirn(MDH)-Achse spielt ebenfalls eine Rolle bei Depressionen. Eine gestörte Zusammensetzung der Darmmikrobiota kann die Wahrscheinlichkeit erhöhen, eine Depression zu entwickeln. Die HHN-Achse ist ein Schlüsselelement der MDH-Achse und steht ebenfalls mit der Pathophysiologie der Depression im Zusammenhang.
Chronische Schmerzen und Depressionen
Chronische Schmerzen gehen oft mit Depressionen einher. Studien haben gezeigt, dass ein hoher Prozentsatz von Schmerzpatienten unter Depressionen oder Angstzuständen leidet.
tags: #hypothalamus #hypophysen #nebennierenrinden #achse #depression #zusammenhang