Eine Demenzerkrankung betrifft nicht nur die Erkrankten selbst, sondern auch ihre Familien und Freunde. Angehörige begleiten und pflegen die Betroffenen oft über viele Jahre hinweg und sammeln dabei vielfältige Erfahrungen. Dieser Artikel beleuchtet anhand von Erfahrungsberichten, wie sich das Leben mit Alzheimer anfühlt - sowohl für die Erkrankten als auch für ihre Angehörigen.
Die Diagnose und ihre Folgen
Die Diagnose Demenz stellt für Betroffene und ihre Familien oft einen Wendepunkt dar. Eine Tochter berichtet, wie überfordert sie war, als sie die Diagnose ihrer Mutter erhielt: "Als der Arzt mir die Diagnose mitteilte, war ich regelrecht überfordert. Ich wusste nicht, was mich in den kommenden Jahren erwarten würde und dass sich mein Leben um 180 Grad verändern würde." Plötzlich stehen Angehörige vor großen Herausforderungen, sowohl organisatorischer als auch emotionaler Natur.
Rechtliche und organisatorische Herausforderungen
Da Demenzkranke oft nicht mehr in der Lage sind, ihre Angelegenheiten selbst zu regeln, ist die Einrichtung einer gesetzlichen Betreuung erforderlich. "Da meine Mutter an Demenz litt, benötigte sie einen gesetzlichen Betreuer. Diese Aufgabe wurde mir übertragen, da mein Vater zu alt für diese arbeitsintensive Herausforderung war", erzählt eine Betroffene. Die Übernahme dieser Verantwortung bedeutet eine enorme Belastung und viel Arbeit, was oft einem Vollzeitjob gleichkommt.
Wissensaufbau und Unterstützungsnetzwerk
Um den Betroffenen bestmöglich zu helfen, ist es wichtig, sich intensiv mit dem Thema Demenz auseinanderzusetzen. Angehörige berichten von verschiedenen Möglichkeiten, sich Wissen anzueignen und Unterstützung zu finden:
- Besuch von Schulungen der LVR-Klinik Köln
- Teilnahme an Selbsthilfegruppen, um sich mit anderen Angehörigen auszutauschen
- Besuch von Vorträgen bei Beratungsstellen und Inanspruchnahme von Hilfe bei der Betreuungs-, Informations-Service-Stelle für ehrenamtliche rechtliche Betreuer*innen und Bevollmächtigte (BISS) Dortmund
- Nutzung von Informationsmaterial der Deutschen Alzheimer Gesellschaft
- Lesen von Fachliteratur, um die Veränderungen im Krankheitsverlauf besser zu verstehen
Der Aufbau eines Unterstützungsnetzwerks ist essentiell, um Entlastung zu erfahren und die Herausforderungen besser bewältigen zu können.
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Persönliche Entwicklung
Die Betreuung eines Demenzkranken führt oft zu einer Veränderung der Rollen innerhalb der Familie. "Die Rollen haben sich verändert: Meine Mutter wurde zu meinem Kind und ich wurde ihre Beschützerin", beschreibt eine Tochter. Es ist wichtig zu lernen, Hilfe anzunehmen und ein Unterstützungsnetzwerk aufzubauen, um die eigene Belastung zu reduzieren. Trotz der Herausforderungen können auch schöne Momente erlebt werden, die in Erinnerung bleiben.
Der Alltag mit Demenz
Der Alltag mit Demenz ist geprägt von Veränderungen und Herausforderungen. Die Krankheit beeinflusst die Kommunikation, die Selbstständigkeit und das Verhalten der Betroffenen.
Veränderungen in der Kommunikation
Eine Betroffene schildert, wie sich die Kommunikation mit ihrem Mann im Laufe der Zeit verändert hat: "Mit der Krankheit veränderte sich auch seine Art der Kommunikation und des Umgangs. War mein Mann früher ein Intellektueller, der im wissenschaftlichen Diskurs durch Originalität und fundiertes Wissen auffiel, wurde er mit der Krankheit immer „normaler“ und zugänglicher." Die Gespräche drehen sich zunehmend um einfachere Themen wie Urlaube, Freizeitaktivitäten und Erinnerungen an die Vergangenheit.
Verlust der Selbstständigkeit
Mit fortschreitender Krankheit fällt es den Betroffenen immer schwerer, alltägliche Aufgaben selbstständig zu erledigen. "Für meinen Mann wurde es mit der Zeit immer schwieriger, sich zu versorgen: selbst einzukaufen, das Frühstück vorzubereiten, den Tisch zu decken, alles fiel ihm von Monat zu Monat schwerer", berichtet eine Ehefrau. Anfangs helfen erklärende Gebrauchsanweisungen, doch später ist tatkräftige Unterstützung bei der Körperpflege und anderen Verrichtungen notwendig.
Verhaltensänderungen
Demenzerkrankungen können auch zu Verhaltensänderungen führen. Betroffene können reizbarer, unruhiger oder ängstlicher werden. "Noch bevor die eigentlichen geistigen Einschränkungen offenkundig werden, fallen bei Demenzerkrankten oft Veränderungen im Verhalten auf. Zum Beispiel zieht sich ein geselliger Mensch zunehmend zurück, da er den Gesprächen in einer Gruppe nicht mehr folgen kann", heißt es in einem Bericht. Es ist wichtig, diese Veränderungen zu verstehen und angemessen darauf zu reagieren.
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"Nach Hause wollen"
Ein häufiges Phänomen bei Demenzerkrankten ist der Wunsch, "nach Hause" zu wollen. Eine Angehörige berichtet, dass ihre Mutter mit Alzheimer ständig nach Hause will, obwohl sie bereits in ihrem Zuhause lebt. Dieses Verhalten kann verschiedene Ursachen haben. "Zuhause ist dort, wo man sich geborgen fühlt und wo man sich auskennt. Das ist bei Demenzkranken leider nirgendswo mehr… Sie kennen sich einfach nicht aus", erklärt eine Betroffene. Es kann auch sein, dass die Betroffenen sich nach der Geborgenheit und Sicherheit ihrer Kindheit sehnen.
Umgang mit der Krankheit
Der Umgang mit Demenz erfordert viel Geduld, Einfühlungsvermögen und Kreativität. Es gibt verschiedene Strategien, die Angehörigen helfen können, den Alltag besser zu bewältigen.
Validation
Die Validation ist eine Methode, die darauf abzielt, die Gefühle und Bedürfnisse der Betroffenen anzuerkennen und zu bestätigen. Anstatt die Betroffenen zu korrigieren oder zu widerlegen, sollten Angehörige versuchen, sich in ihre Welt hineinzuversetzen und ihre Perspektive zu verstehen. "Sie könnten versuchen, die Antriebe Ihrer Schwiegermutter durch Fragen wie „Wer wartet auf dich?“, „Wie war es zu Hause?“ usw herauszufinden - wenn Sie die Antriebe verstehen, können Sie besser auf Ihre Schwiegermutter eingehen, indem Sie ihre Gefühle spiegeln", rät eine Expertin.
Biografiearbeit
Die Biografiearbeit ist eine weitere Möglichkeit, den Kontakt zu Demenzkranken aufrechtzuerhalten und ihre Identität zu wahren. Indem Angehörige sich mit der Lebensgeschichte der Betroffenen auseinandersetzen, können sie Erinnerungen wecken und Gespräche anregen. "Wir haben sehr viel miteinander geredet und ganz besonders gern unsere gemeinsamen Erinnerungen an früher geteilt. Diese Abende waren wunderschön, anregend und innig", erzählt eine Ehefrau.
Entlastungsangebote
Es ist wichtig, dass Angehörige sich nicht überlasten und Entlastungsangebote in Anspruch nehmen. Es gibt verschiedene Möglichkeiten, Unterstützung zu erhalten, wie z.B. Tagespflege, Kurzzeitpflege oder ehrenamtliche Helfer. "Je mehr Unterstützung man erhält, desto mehr Entlastung erfährt man selbst", betont eine Betroffene.
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Selbstfürsorge
Neben der Betreuung der Erkrankten ist es wichtig, auf die eigene Gesundheit und das eigene Wohlbefinden zu achten. Angehörige sollten sich Zeit für Hobbys, soziale Kontakte und Entspannung nehmen. "Für mich ist es auch wichtig, auf mich selber zu achten. Ich bin ja auch noch da. Ich bin zwar jetzt 61 Jahre und kein Teenager mehr. Aber ich habe auch noch ein Leben", sagt eine Betroffene.
Leben mit Demenz - die Perspektive der Betroffenen
Auch wenn Demenz mit vielen Einschränkungen verbunden ist, ist es wichtig, die Betroffenen nicht auf ihre Krankheit zu reduzieren. Menschen mit Demenz haben weiterhin Bedürfnisse, Wünsche und Fähigkeiten.
Selbstbestimmung
Menschen mit Demenz möchten weiterhin selbstbestimmt leben und ihre eigenen Entscheidungen treffen. "Ich fordere Sie auf umzudenken, uns Demenzerkrankte ernst zu nehmen, uns sprechen zu lassen, nicht aus der Gesellschaft auszugrenzen und wie Aussätzige zu behandeln", forderte Martina Peters, eine Alzheimer-Patientin, auf einem Demenz-Kongress. Es ist wichtig, die Betroffenen in Entscheidungen einzubeziehen und ihre Wünsche zu respektieren.
Teilhabe
Menschen mit Demenz möchten weiterhin am gesellschaftlichen Leben teilnehmen und soziale Kontakte pflegen. "Was ich brauche - ebenso wie alle Menschen mit Demenz - sind «Sparringspartner», Gesprächspartner, die mir offen zuhören und mich nicht in eine Schublade stecken", sagt ein Betroffener. Es ist wichtig, Möglichkeiten zur Teilhabe zu schaffen und die Betroffenen nicht zu isolieren.
Stärken und Ressourcen
Auch mit Demenz haben Menschen noch Stärken und Ressourcen, die sie nutzen können. Astrid Heller, eine Architektin mit Alzheimer, arbeitet beispielsweise weiterhin in ihrem Beruf und setzt sich für die Rechte von Demenzkranken ein. "Ich möchte nicht auf meine Krankheit reduziert werden. Natürlich brauche ich bei manchen Dingen Unterstützung. Das bedeutet aber nicht, dass ich nicht mehr arbeiten kann", betont sie.
Innovative Therapieansätze
Neben den klassischen Behandlungsmethoden gibt es auch innovative Therapieansätze, die den Verlauf einer Demenzerkrankung positiv beeinflussen können.
Transkranielle Pulsstimulation (TPS)
Die Transkranielle Pulsstimulation (TPS) ist ein relativ neues Verfahren, bei dem gezielt Neuronen im Gehirn aktiviert werden. Ein Erfahrungsbericht zeigt, dass sich durch die TPS die kognitiven Fähigkeiten und die Stimmung eines Patienten verbessern konnten. "Bereits nach wenigen Anwendungen stellen sich Verbesserungen ein: Er kann wieder Texte lesen, mit Zahlen umgehen, seine Stimmung stabilisiert sich", heißt es in dem Bericht.
Multimodale Therapie
Eine Kombination aus verschiedenen Therapieansätzen kann ebenfalls positive Effekte erzielen. Ein Neurologe in Hannover kombiniert beispielsweise die TPS mit der repetitiven transkraniellen Magnetstimulation (rTMS) und Neurofeedback. "Die einzelnen Verfahren greifen ineinander: Während die TPS bis zu acht Zentimeter tief in das Gehirn vordringt und dort gezielt Neuronen aktiviert, wirkt die rTMS vor allem auf die äußeren Hirnareale", erklärt er.