Immunglobulin-Therapie bei Polyneuropathien: Ein umfassender Überblick

Polyneuropathien sind weit verbreitete Erkrankungen, die durch Schädigungen mehrerer Nerven im Körper gekennzeichnet sind. Diese Schädigungen äußern sich klinisch in Form von Kribbelmissempfindungen, Schmerzen, Taubheitsgefühlen und Muskelschwäche. Zu den häufigsten Ursachen zählen Diabetes mellitus, Alkoholmissbrauch, Fehlernährung sowie Nebenwirkungen von Medikamenten. Neben diesen Ursachen gibt es auch immunvermittelte Polyneuropathien, wobei die Chronisch Inflammatorische Demyelinisierende Polyneuropathie (CIDP) die häufigste Form darstellt.

Chronisch Inflammatorische Demyelinisierende Polyneuropathie (CIDP)

Die CIDP ist durch einen subakuten bis chronischen Verlauf gekennzeichnet. Eine aktuelle Studie in Lancet Neurology untersuchte von 2012 bis 2016 in 69 Zentren in Nordamerika, Europa, Israel, Australien und Japan 172 Patienten. Die zentrale Frage war, ob bei Patienten, die bereits eine Standardbehandlung mit hochdosiertem, intravenös appliziertem Immunglobulin G (IVIG) erhielten, die Krankheitskontrolle aufrechterhalten werden kann, wenn sie auf subkutan appliziertes Immunglobulin (SCIG) umsteigen.

Studiendesign und Ergebnisse

Patienten, deren Krankheitsaktivität durch hochdosiertes intravenöses Immunglobulin (1 g/kg alle drei Wochen) stabilisiert war, wurden randomisiert drei Behandlungsarmen zugeteilt: Placebo, eine niedrige oder eine hohe Dosis des subkutan applizierten Immunglobulins. Die Wirkung auf die Erkrankung wurde nach sechs Monaten anhand neurologischer Untersuchungen und Messungen der Nervenleitgeschwindigkeit bewertet. Die Ergebnisse zeigten, dass die subkutane Anwendung beider Immunglobulin-Dosen den zuvor durch die hochdosierte intravenöse Gabe erreichten Effekt stabilisieren konnte.

Diese internationale, randomisierte, doppelblinde, placebokontrollierte Phase-III-Studie wurde unter Beteiligung der Klinik für Neurologie des Universitätsklinikums Düsseldorf durchgeführt. Die Klinik ist eines von zwei europäischen „Centers of Excellence“ der GBS-CIDP Foundation International, einer internationalen Patientenhilfe- und -forschungsorganisation für immunvermittelte Neuropathien.

Subkutane Immunglobuline (SCIG) als Option

Bei Patienten, die mit IVIG behandelt werden, kann nach Stabilisierung der Erkrankung die Therapie auf subkutane Immunglobuline (SCIG) umgestellt werden.

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Paraproteinämische Neuropathien

Eine Paraproteinämie, das Auftreten von Paraproteinen im Blut, kann ebenfalls zu Polyneuropathien führen. Paraproteine sind Immunglobuline oder Immunglobulinfragmente, die von entarteten monoklonalen B-Zellen produziert werden und meist keine spezifische Antikörperfunktion besitzen. Die Prävalenz einer Paraproteinämie steigt mit dem Alter, wobei bis zu 10 % aller über 80-Jährigen betroffen sind.

Verschiedene Formen von Polyneuropathien können im Rahmen einer Paraproteinämie auftreten. Die Kombination aus Serumelektrophorese, Immunfixationselektrophorese und der Bestimmung der freien Leichtketten detektiert eine Paraproteinämie mit hoher Sensitivität. Patienten mit einem relevanten Paraprotein sollten hämatoonkologisch vorgestellt werden.

MAG-Neuropathie

Die häufigste gut definierte paraproteinämische Neuropathie ist die MAG-Neuropathie, die in Zusammenhang mit IgM-MGUS auftritt. Es handelt sich um eine demyelinisierende Neuropathie, bei der es zur Ablagerung von IgM-Antikörpern kommt, die gegen das Myelin-assoziierte Glykoprotein gerichtet sind. Die MAG-Neuropathie zeigt meist einen charakteristischen Phänotyp mit distal betonter sensomotorischer Beteiligung der Hände und Füße, was sich in Tremor und Ataxie äußert. Ein hochtitriger MAG-Antikörper ist wegweisend für die Diagnosestellung.

Gemäß Leitlinienempfehlung der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN) kann die MAG-Neuropathie analog zur CIDP behandelt werden, was den Einsatz von intravenösen Immunglobulinen (IVIg), Kortikosteroiden oder Plasmapherese einschließt. Allerdings sprechen IgM-assoziierte Neuropathien im Vergleich zur CIDP meist schlechter auf diese Therapien an. Eine kleine randomisierte kontrollierte Studie sowie unkontrollierte Studien belegen eine moderate Wirksamkeit für den Anti-CD20-Antikörper Rituximab bei MAG-Neuropathie. IVIg und Plasmapherese stellen Therapien der ersten Wahl für die MAG-Neuropathie dar; mit einer zumindest moderaten klinischen Verbesserung ist bei etwa 50 % der Behandelten zu rechnen. Immunglobuline können alternativ auch subkutan verabreicht werden.

CANOMAD

Eine weitere, seltenere Neuropathie, die mit IgM-MGUS assoziiert ist, ist CANOMAD (chronische ataktische Neuropathie mit Ophthalmoplegie, M-Protein, Agglutination und Disialosyl-Antikörpern). Die charakteristischen klinischen Zeichen sind eine Ophthalmoplegie und Ataxie. Die Ansprechrate von Patienten mit CANOMAD auf IVIg und Rituximab liegt bei jeweils >50 %.

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Kryoglobulinämie

Kryoglobuline können der IgG- oder IgM-Klasse angehören. Etwa 50 % der Patienten mit Kryoglobulinämie weisen im Verlauf eine Neuropathie auf. Kryoglobulinämien sind häufig mit Vaskulitiden assoziiert, die durch kältepräzipitierende Serumimmunglobuline ausgelöst werden. Die Therapie erfolgt durch Behandlung der Grunderkrankung; zudem ist häufig Immunsuppression erforderlich.

DADS-Neuropathie

Das Akronym DADS steht für distale erworbene, demyelinisierende, symmetrische Neuropathie. Dieses Syndrom ist ebenfalls durch den Nachweis von IgM-Paraprotein charakterisiert; jedoch fehlt bei dieser Neuropathievariante zumeist der Nachweis spezifischer Antikörper. Das klinische Bild ähnelt dem einer CIDP.

POEMS-Syndrom

Das POEMS-Syndrom ist im Gegensatz zur IgM-assoziierten MAG-Neuropathie mit einer monoklonalen IgA- oder IgG-Expression vergesellschaftet. Neben den diagnostischen Hauptkriterien finden sich als Nebenkriterien häufig Organomegalie, Papillenödem, periphere Ödeme, Endokrinopathie, Thrombozytämie und hyperpigmentierte Hautveränderungen. Zur Behandlung von Patienten mit POEMS-Syndrom erfolgt eine onkologische Plasmozytomtherapie.

AL-Amyloidneuropathie

Die AL-Amyloidose (Leichtketten-Amyloidose) ist eine systemische Komplikation monoklonaler Gammopathien. Die AL-Amyloidneuropathie kann sich initial als Small-Fiber-Neuropathie äußern. Im Verlauf manifestiert sich nicht selten eine schmerzhafte Neuropathie; eine vegetative Beteiligung kommt bei der AL-Amyloidneuropathie ebenfalls häufig vor. Diagnostik und Therapie müssen mit onkologischer Beteiligung erfolgen.

Diagnostisches Vorgehen bei Verdacht auf paraproteinämische Neuropathie

Bei Polyneuropathie sollte eine Suche nach Paraprotein erfolgen. Mittels Serumelektrophorese, Immunfixationselektrophorese und der Bestimmung der freien Leichtketten können monoklonale Gammopathien detektiert und typisiert werden. Bei Nachweis von freien Leichtketten sollte an die AL-Amyloidose gedacht werden. Bei Nachweis von IgM-Paraprotein sollten MAG-Antikörper (MAG-Neuropathie) sowie Gangliosid-Antikörper (CANOMAD) getestet werden; bei fehlendem Nachweis spezifischer Antikörper kann eine DADS-Neuropathie vorliegen. Bei Vorliegen von Nicht-IgM-Paraprotein sollte das POEMS-Syndrom in Betracht gezogen werden.

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Therapieeskalation bei refraktären paraproteinämischen Neuropathien

Für die Therapieeskalation bei refraktären paraproteinämischen Neuropathien stehen nur wenige evidenzbasierte Optionen zur Verfügung. Bei schwer betroffenen und ansonsten therapierefraktären Patienten kann nach Ausschluss von Differenzialdiagnosen ein Therapieversuch mit Cyclophosphamid als intravenöse Pulstherapie erfolgen. Für die autologe Stammzelltransplantation liegen Wirksamkeitsdaten für refraktäre Verläufe bei CIDP vor.

Weitere Therapieansätze bei CIDP

Neben Immunglobulinen und Kortikosteroiden gibt es weitere Therapieansätze für CIDP:

Kortikosteroide

Kortikosteroide wirken stark entzündungshemmend und unterdrücken die überschießende Reaktion des Immunsystems. Sie werden oft in der akuten Phase in hohen Dosierungen verabreicht, um eine möglichst rasche Reduktion der Symptome zu erzielen. Bei längerfristiger Einnahme ist das Osteoporose-Risiko deutlich erhöht, daher muss vor Therapiebeginn eine Osteoporose-Prophylaxe gestartet werden.

Plasmapherese

Bei der Plasmapherese wird das Blut abgeleitet und aufgereinigt. Dabei werden die Autoantikörper gegen die Myelinscheiden größtenteils herausgefiltert. Danach wird die Blutaufbereitung wieder zurückgeführt zusammen mit Blutplasma von menschlichen Spendern. Allerdings ist die Wirkung der Plasmapherese nur von kurzer Dauer und muss regelmäßig wiederholt werden.

Intravenöse Immunglobuline (IVIG)

Intravenöse Immunglobuline (IVIG) sind neben Steroiden und Plasmaaustausch zur Erstlinientherapie bei CIDP zugelassen. Sie können sowohl in der Akut- als auch der Erhaltungstherapie eingesetzt werden. In der Akutphase wird eine höhere Dosis als Infusion über 2-4 Tage verabreicht, in der Erhaltung kann die Dosis erniedrigt werden und eine Infusion ist dann nur noch etwa alle 3 Wochen notwendig.

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