Die COVID-19-Pandemie hat nicht nur die Atemwege, sondern auch das Nervensystem vieler Menschen in Mitleidenschaft gezogen. Neurologische Symptome im Zusammenhang mit einer SARS-CoV-2-Infektion oder einer COVID-19-Impfung sind ein komplexes und viel diskutiertes Thema. Dieser Artikel beleuchtet die verschiedenen neurologischen Symptome, die im Zusammenhang mit COVID-19 und COVID-19-Impfungen auftreten können, sowie die möglichen Ursachen und Mechanismen, die diesen zugrunde liegen. Es werden sowohl die akuten als auch die langfristigen Auswirkungen auf das Gehirn und das Nervensystem untersucht, wobei ein besonderer Fokus auf den neuesten Forschungsergebnissen liegt.
Neurologische Symptome bei COVID-19-Erkrankung
SARS-CoV-2 dringt nicht bevorzugt in Nervenzellen ein wie beispielsweise das Herpesvirus. Die neurologischen Symptome, die bei COVID-19-Patienten auftreten, sind vielfältig. Zu den häufigsten gehören:
- Riechstörungen: Diese treten oft bei milden Verläufen auf und können bei über 70 Prozent der Betroffenen vorkommen.
- Kopfschmerzen und Muskelschmerzen: Diese sind ebenfalls häufige Symptome.
- Bewusstseinsstörungen und Delir: Diese werden häufig bei schweren Krankheitsverläufen beobachtet und können ein Indikator für eine schlechtere Prognose sein.
- Schlaganfälle: Diese können in jeder Phase der Erkrankung auftreten und sich durch halbseitige Lähmungen, Sensibilitäts- und Sehstörungen äußern. Schlaganfälle können sogar der Grund für die Krankenhauseinweisung sein.
- Entzündungen des Gehirns und Rückenmarks: Diese sind seltener und scheinen eher durch eine Reaktion des Immunsystems als durch das Virus selbst bedingt zu sein.
Prof. Dr. Andreas Steinbrecher, Chefarzt der Klinik für Neurologie am Helios Klinikum Erfurt, betont, dass die Beurteilung der Erkrankungen durch die schwierige Falldefinition erschwert wird. Es ist oft unklar, ob die beobachtete neurologische Erkrankung tatsächlich durch die COVID-19-Erkrankung verursacht wurde oder zufällig gleichzeitig aufgetreten ist.
Mögliche Wege des Virus ins Gehirn
Es gibt verschiedene Theorien, wie SARS-CoV-2 das Nervensystem erreichen kann. Eine Vermutung ist, dass das Virus von den Schleimhäuten der oberen Atemwege den Riechnerven befällt und von dort aus ins Gehirn gelangt. Eine andere Möglichkeit ist, dass infizierte Blutzellen das Virus wie ein trojanisches Pferd ins Nervensystem tragen.
Eine Studie aus Oxford liefert Hinweise auf Unregelmäßigkeiten im Gehirn durch eine COVID-19-Erkrankung. Hirnscans zeigten Veränderungen, die vor allem die limbischen Hirnregionen betreffen, was mit den häufig beobachteten Riechstörungen zusammenhängen könnte.
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Langzeitfolgen von COVID-19: Long COVID
Viele neurologische Symptome klingen nach der akuten Phase der Erkrankung wieder ab. Allerdings berichten einige Betroffene über anhaltende Riechstörungen, Muskelschmerzen oder Schwächeklagen. Laut einer Metaanalyse kommt es bei etwa fünf Prozent der Erkrankten zu anhaltenden Geruchsstörungen. Folgen eines Schlaganfalls oder entzündliche Komplikationen können hingegen lebenslang spürbar bleiben.
Forschende von Helmholtz Munich und der Ludwig-Maximilians-Universität München haben herausgefunden, dass das sogenannte Spike-Protein des Corona-Virus SARS-CoV-2 nach einer Infektion im Gehirn verbleiben kann. Sie konnten bisher nicht feststellbare Ablagerungen des Spike-Proteins in Gewebeproben von Menschen und Mäusen nachweisen, sogar noch Jahre nach der Infektion. Diese Ansammlungen könnten zu chronischen Entzündungen des zentralen Nervensystems und damit zu anhaltenden Symptomen im Rahmen von Long COVID beitragen.
Neuro-COVID: Ein Angriff aufs Gehirn
Viele COVID-19-Patienten entwickeln neurologische Beschwerden, die unter dem Begriff "Neuro-COVID" zusammengefasst werden. Diese umfassen anhaltende Erschöpfung, Schmerzen, Konzentrationsstörungen, Gedächtnisprobleme und Schlafstörungen. In extremen Fällen kann es sogar zu demenzähnlichen Symptomen oder Psychosen kommen.
Prof. Dr. Helge Topka, Chefarzt der Neurologie in der München Klinik Bogenhausen, betont, wie wichtig es ist, neurologische Komplikationen frühzeitig zu erkennen und gezielt zu behandeln. Er weist darauf hin, dass etwa 80% der Patient*innen, die mit einer Coronaviruserkrankung im Krankenhaus behandelt werden, neurologische Beschwerden haben. Menschen, die schon einmal einen Schlaganfall hatten, gehören zur Hochrisikogruppe für einen schweren Covid-19-Verlauf.
COVID-19 erhöht das Schlaganfallrisiko
Schwere neurologische Komplikationen wie Schlaganfälle und Hirnblutungen können ihre Ursache in der Blutgerinnung haben. Störungen der Gerinnung sind bei Covid-19-Pneumonie eher die Regel als die Ausnahme und bilden eine eigene Entität der Covid-19-Erkrankung. Es bilden sich Gerinnsel, die ischämische Schlaganfälle oder Embolien auslösen können.
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Während der Pandemie haben Menschen das Krankenhaus gemieden, was zu einer erhöhten Schlaganfallsterblichkeit führte. Aus Angst vor Ansteckung erreichten Betroffene zu spät oder gar nicht die Notaufnahmen.
Schädigung der Blutgefäße im Gehirn
Eine Studie im Fachmagazin Nature Neuroscience erklärt, wie das Coronavirus die kleinen Blutgefäße im Hirn schädigt. Das Virus kann über den ACE2-Rezeptor in die Endothelzellen eintreten und dort ein Zelltod-Programm auslösen. Dies führt zur Zerstörung der Endothelzellen und der Blut-Hirn-Schranke. Interessanterweise fanden die Forscher eine Möglichkeit, diesen Zelltod-Mechanismus zu blockieren, indem sie RIPK1 im Tierversuch blockierten.
Neurologische Symptome nach COVID-19-Impfung: Post-Vac
In seltenen Fällen können Long COVID oder ein Multisystemisches Entzündungssyndrom (MIS-C) auch nach einer COVID-19-Impfung auftreten. Fallberichte deuten jedoch auf ein deutlich geringeres Risiko als nach einer Infektion hin. Die Datengrundlage ist jedoch äußerst dünn.
Das Paul-Ehrlich-Institut (PEI) listet einige sehr seltene unerwünschte Reaktionen im Sicherheitsreport auf, wie etwa Myokarditis und Perikarditis, das Guillain-Barré-Syndrom sowie das Thrombose-mit-Thrombozytopenie-Syndrom. Meldungen zu Long COVID oder einem chronischen Fatigue-Syndrom (CFS) werden beobachtet, aber das PEI konnte bisher kein mit einem Impfstoff assoziiertes Risikosignal erkennen.
Internationale Studienlage zu Post-Vac
Ein Beitrag in Science berichtete kürzlich über 34 Post-Vac-Fälle, die das National Institute of Health (NIH) untersucht hatte. Eine wissenschaftliche Publikation dazu gibt es jedoch noch nicht.
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In Deutschland gibt es bisher zwei Anlaufstellen für Erwachsene mit Verdacht auf Post-Vac: Eine Spezialambulanz für Post-Vac-Fälle am Universitätsklinikum Marburg sowie die neurologische Post-COVID-19-Sprechstunde an der Klinik für Neurologie, Charité Universitätsmedizin Berlin.
Dr. med. Christiana Franke von der Klinik für Neurologie der Berliner Charité gibt zu Bedenken, dass man noch nicht ausschließen könne, dass sich hinter den Beschwerden nicht eine andere, nur im zeitlichen Zusammenhang neu aufgetretene Erkrankung verberge.
Ursachenforschung zu Post-Vac
Über die Ursachen des Post-Vac-Syndroms kann derzeit nur spekuliert werden. Möglicherweise sei eine Reaktivierung einer Epstein-Barr-Virus-(EBV-)Infektion in der Entstehung von Long COVID und Post-Vac beteiligt. Eine Rolle bei der Entstehung des Syndroms könnten auch Autoantikörper spielen.
Prof. Dr. med Mardin forscht an der Universität Erlangen zur Therapie von Long COVID und sieht auch Menschen ohne stattgehabte Infektion mit ähnlichen Autoantikörpern.
Risikobewertung von Post-Vac
Wie häufig Long COVID nach einer Impfung tatsächlich vorkommt, lässt sich aktuell noch nicht sagen. Prof. Schieffer schätzt die Wahrscheinlichkeit von Post-Vac auf etwa 0,02 % nach einer Impfung. Das Risiko für ein neurologisches Post-Vac-Syndrom schätzt Prüß noch niedriger ein. Nach einer Infektion würde Long COVID demnach deutlich häufiger auftreten als nach einer Impfung.
Prof. Dr. med. Harald Matthes von der Charité fordert, mehr Spezialambulanzen für COVID-19-Langzeitfolgen auch für Patienten mit Impfkomplikationen zu öffnen.
PIMS nach Impfung
Es zeichnet sich ab, dass PIMS auch aufgrund einer Impfung auftreten kann, allerdings seltener als nach einer SARS-CoV-2-Infektion. In Deutschland seien es aktuell 23 PIMS-Fälle, die trotz oder wegen einer Impfung der DGPI gemeldet worden seien (Stand 2. Mai 2022).
Dr. med. Jakob Armann vom Universitätsklinikum Dresden weist darauf hin, dass das PIMS-Risiko sehr stark von der Variante abhängt. Das höchste Risiko trugen jene, die sich mit dem Wildtyp oder der Alpha-Variante infiziert haben.
Keine direkte SARS-CoV-2-Infektion des Gehirns als Ursache neurologischer Symptome?
Eine Studie der Charité - Universitätsmedizin Berlin liefert Belege dafür, dass neurologische Symptome nicht Folge einer direkten SARS-CoV-2-Infektion des Gehirns sind, sondern eher eine Folge der Entzündung im Rest des Körpers.
Das Forschungsteam analysierte verschiedene Bereiche des Gehirns von Menschen, die aufgrund einer schweren Corona-Infektion verstorben waren. Sie konnten zwar das Erbgut des Coronavirus im Gehirn nachweisen, aber keine SARS-CoV-2-infizierten Nervenzellen finden. Stattdessen beobachteten sie, dass bei den COVID-19-Betroffenen die molekularen Vorgänge in manchen Zellen des Gehirns auffällig verändert waren.
Prof. Christian Conrad vom Berlin Institute of Health in der Charité (BIH) erklärt, dass einige Nervenzellen offenbar auf die Entzündung im Rest des Körpers reagieren. Diese molekulare Reaktion könnte die neurologischen Beschwerden von COVID-19-Betroffenen gut erklären.
Die Nervenzellen reagieren dabei nur vorübergehend auf die Entzündung. Eine Chronifizierung der Entzündung bei manchen Menschen könnte jedoch für die oft beobachteten neurologischen Symptome bei Long COVID verantwortlich sein.
Zerebrovaskuläre Ereignisse nach Impfung gegen SARS-CoV-2
Eine Studie der Klinik für Neurologie an der Uniklinik RWTH Aachen beschreibt das Auftreten von zerebrovaskulären Ereignissen, insbesondere Sinus- und Hirnvenenthrombosen im Gehirn, nach Impfung gegen SARS-CoV-2.
Die Studie zeigt, dass es nach Impfung mit dem SARS-CoV-2-AstraZeneca-Impfstoff zu signifikant mehr zerebralen Sinus- und Hirnvenenthrombosen (CVT) kam als nach Impfung mit den mRNA-Impfstoffen. Die Rate der aufgetretenen CVT-Ereignisse war nach einer Erstimpfung mit Vakzinierung mit ChAdOx1 um mehr als neunmal höher als nach Impfung mit den mRNA-Impfstoffen.
Bei Frauen unter 60 Jahren, die eine Impfung mit dem AstraZeneca-Vakzin erhalten hatten, betrug die Ereignisrate für CVT innerhalb eines Monats nach der Erstimpfung 24,2/100.000 Personenjahre, bei gleichaltrigen Männern 8,9/100.000. Auch ältere Frauen haben ein erhöhtes Risiko, Hirnvenenthrombosen nach Gabe des AstraZeneca-Vakzins zu erleiden.
Nach der Impfung mit dem AstraZeneca-Vakzin ChAdOx1 kann es in sehr seltenen Fällen zu einer Vakzine-induzierten immunogenen thrombotischen Thrombozytopenie (VITT) kommen.
Prof. Dr. med. Peter Berlit, Generalsekretär der DGN, vermutet, dass die Antikörper gegen PF4 nicht mit dem Spike-Protein von SARS-CoV-2 kreuzreagieren, sondern die Impfkomplikation mit dem adenoviralen Vektor in Zusammenhang steht.
Prof. Dr. med. Christian Gerloff, Präsident der DGN, betont, dass global gesehen der Nutzen der in Deutschland zugelassenen Impfstoffe die sehr geringen Risiken um ein Vielfaches überwiegt. Er hält es jedoch für wichtig, dass alle Personen, vor allem Frauen, vor der Impfung über dieses Risiko aufgeklärt werden müssen.
Anhaltende Aktivierung des angeborenen Immunsystems im Gehirn von COVID-19-Genesenen
Freiburger Forscher*innen haben im Gehirn von COVID-19-Genesenen Anzeichen einer anhaltenden Aktivierung des angeborenen Immunsystems gefunden. Sie untersuchten die Gehirne von Personen, die an COVID-19 erkrankt, vollständig genesen und zu einem späteren Zeitpunkt an einer anderen Ursache verstorben waren.
Im Vergleich zu Personen ohne vorherige SARS-CoV-2-Infektion fanden die Forscher*innen in den Gehirnen von Genesenen zahlreiche sogenannte Mikrogliaknötchen. Diese charakteristischen Immun-Zellansammlungen weisen auf eine chronische Immunaktivierung hin.
Dr. Marius Schwabenland, Erstautor der Studie, erklärt, dass die Mikrogliaknötchen eine zentrale Rolle bei den neurologischen Veränderungen spielen könnten, die bei einigen Genesenen beobachtet werden.
Studienleiter Prinz betont, dass die Studie ein wichtiger Schritt ist, um zu verstehen, wie COVID-19 das Gehirn langfristig beeinflusst. Dies könnte helfen, gezielte Therapien zu entwickeln, die diese Immunreaktionen modulieren und die Lebensqualität der Betroffenen verbessern.
Persistenz des Spike-Proteins im Gehirn
Forschende von Helmholtz Munich und der LMU haben einen Mechanismus identifiziert, der möglicherweise die neurologischen Symptome von Long COVID erklärt. Die Studie zeigt, dass das SARS-CoV-2-Spike-Protein in den Hirnhäuten und im Knochenmark des Schädels bis zu vier Jahre nach der Infektion verbleibt.
Das Team stellte zudem fest, dass mRNA-COVID-19-Impfstoffe die Anreicherung des Spike-Proteins im Gehirn deutlich reduzieren.
Dr. Zhouyi Rong, Erstautor der Publikation, erklärt, dass das persistierende Spike-Protein an den Grenzen des Gehirns zu den langfristigen neurologischen Effekten von COVID-19 und Long COVID beitragen könnte.
Prof. Ali Ertürk betont, dass mRNA-Impfstoffe das Risiko langfristiger neurologischer Folgen erheblich senken können und somit einen entscheidenden Schutz bieten.
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