Integrative Validation nach Richard: Ein umfassender Leitfaden für den Umgang mit Demenz

Die Betreuung und Begleitung von Menschen mit Demenz stellt eine der anspruchsvollsten Aufgaben in Kranken- und Pflegeeinrichtungen dar. Gerade in den Anfängen der Erkrankung ist ein hohes Maß an Sensibilität erforderlich, um den Wünschen der Betroffenen nach Autonomie und Selbstständigkeit gerecht zu werden und Konfrontationen mit Defiziten zu vermeiden. Im weiteren Verlauf der Erkrankung leben Menschen mit Demenz oft in ihrer eigenen Innenwelt und erleben Bruchstücke wichtiger Lebensereignisse erneut. Die Integrative Validation nach Richard® (IVA) bietet hier einen ressourcenorientierten Ansatz, der darauf abzielt, diesen Menschen zu begegnen, indem ihre Gefühle, Antriebe und Lebensthemen wahrgenommen, angesprochen und für gültig erklärt werden.

Was ist Integrative Validation nach Richard®?

Die Integrative Validation nach Richard® ist eine wertschätzende Haltung und Kommunikationsform im Umgang mit Menschen mit Demenz. Sie wurde von Nicole Richard entwickelt und stellt eine Weiterentwicklung der Validation nach Naomi Feil dar.

Definition & Ziel

Die Integrative Validation nach Richard® zielt darauf ab, den pflegenden und betreuenden Personen einen Zugang zur Erlebenswelt der Menschen mit Demenz zu ermöglichen. So wird es möglich, wertschätzend auf die immer wieder veränderten Reaktionen der Betroffenen einzugehen.

Methode

Die Methodik der IVA ermöglicht es Menschen mit Demenz, Vertrauen aufzubauen. Gefühle der Sicherheit und Zugehörigkeit werden gestärkt, das Selbstwertgefühl gesteigert und somit Angst und Unruhe der Betroffenen vermindert. Die Integrative Validation orientiert sich an den noch vorhandenen Ressourcen (Gefühle und Antriebe) der Menschen mit Demenz. Die pflegenden und betreuenden Personen nehmen die vom Menschen mit Demenz gezeigten Gefühle (z. B. Trauer, Freude, Ärger etc.) und Antriebe (z. B. Pflichtbewusstsein, Ordnungssinn, Fleiß etc.) wahr und sprechen diese an. Die Gefühle und Antriebe, die ein Leben lang bestehen, werden so validiert.

Die Grundlagen der Integrativen Validation

Die Integrative Validation basiert auf einigen grundlegenden Prinzipien:

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  • Empathie: Sich in die Gefühlswelt des Menschen mit Demenz hineinversetzen.
  • Akzeptanz: Die Realität des Menschen mit Demenz anerkennen, auch wenn sie von der eigenen abweicht.
  • Wertschätzung: Dem Menschen mit Demenz mit Respekt und Würde begegnen.
  • Echtheit (Authentizität): Als BetreuerIn authentisch und ehrlich sein.
  • Ressourcenorientierung: Die noch vorhandenen Fähigkeiten und Ressourcen des Menschen mit Demenz erkennen und fördern.

Die praktische Anwendung der Integrativen Validation

Die Integrative Validation lässt sich in drei Schritten im Pflegealltag anwenden:

Schritt 1: Gefühle des Demenzkranken analysieren

Als Pflege- oder Betreuungskraft fragen Sie sich: Was sind die Gefühle des demenziell Erkrankten? Welche Gefühle bewirken seine Handlungen und Handlungsimpulse? Beispiele: Der Erkrankte ist aufgeregt, hilflos, fühlt sich einsam, traurig, sorgenvoll, ist pflichtbewusst.

Schritt 2: Gefühle des Demenzkranken ausformulieren

Die wahrgenommenen Gefühle und Antriebe werden von Ihnen mit kleinen Sätzen, die dem Sprachgebrauch des Erkrankten angepasst sind, formuliert, angenommen, akzeptiert, wertgeschätzt und zugelassen. Beispiel: Sie sind gerade ganz aufgeregt; Sie fühlen sich hilflos; das macht Sie traurig; Sie fühlen sich sehr einsam; Sie sorgen sich; Sie wollen schließlich Ihre Pflicht erfüllen.

Schritt 3: Gefühle als allgemein akzeptiert bestätigen - die eigentliche Validation

Wichtig ist nun, dass Sie dem Demenzkranken zeigen, dass sein Innenleben „in Ordnung“ ist, dass das, was er sagt, tut und fühlt, völlig normal und akzeptiert ist. Da bei alten Menschen Sprichwörter, Volksweisheiten, Redewendungen, Lieder, etc. tief im Gedächtnis eingegraben sind, ist es am einfachsten, ihre Erinnerung daran wachzurufen: Hier findet der demente Patient die Bestätigung, Bekräftigung seiner Gefühle und Gedanken.

Unterschiede zur Validation nach Naomi Feil

Obwohl beide Ansätze auf Empathie und Akzeptanz basieren, gibt es einige wesentliche Unterschiede zwischen der Integrativen Validation nach Richard und der Validation nach Naomi Feil:

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  • Ursachen der Demenz: Naomi Feil sieht in der Demenz ein psychisches Problem, bei dem Demenzkranke inneren Konflikten ausgesetzt sind. Nicole Richard geht hingegen von organischen Ursachen aus.
  • Umgang mit Lebenskrisen: Feil befasst sich speziell mit desorientierten Hochbetagten mit Diagnose Alzheimer und glaubt, dass die letzte Lebensaufgabe des Menschen darin besteht, die Vergangenheit aufzuarbeiten, um in Frieden sterben zu können. Richard glaubt nicht, dass Demenzkranke noch in der Lage sind, Lebenskrisen zu bewältigen.
  • Methoden: Während die Validation nach Feil gerne mit Fragen arbeitet, um dem Patienten zu helfen, seine ungelösten Lebensaufgaben zu bewältigen, verzichtet Richard vollständig auf das Stellen von Fragen.
  • Zielsetzung: Richard sieht - im Gegensatz zu Naomi Feil - die Aufgabe der Validation nicht darin, Demenzkranke bei der Bewältigung unerledigter Lebensaufgaben zu helfen, sondern ihnen ihr aktuelles Schicksal zu erleichtern, welches oft mit hirnorganischen Veränderungen zusammenhängt. Richard versucht, die dem Demenzkranken verbleibenden Ressourcen zu nutzen, um ihn in seiner „inneren Erlebniswelt“ zu erreichen.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Feil sich auf die psychologischen Aspekte konzentriert und versucht, ungelöste Konflikte zu bearbeiten, während Richard den Fokus auf die hirnorganischen Veränderungen legt und versucht, die verbleibenden Ressourcen zu aktivieren.

Vorteile der Integrativen Validation

Die Integrative Validation bietet zahlreiche Vorteile für Menschen mit Demenz und ihre Betreuer:

  • Verbesserung des Wohlbefindens: Durch die Validierung ihrer Gefühle und Bedürfnisse fühlen sich Menschen mit Demenz verstanden und akzeptiert, was zu einem gesteigerten Wohlbefinden führt.
  • Reduktion von Stress und Anspannung: Die IVA hilft, Stress und Anspannung bei Menschen mit Demenz zu reduzieren, da sie sich sicherer und geborgener fühlen.
  • Förderung der Kommunikation: Die IVA fördert die Kommunikation zwischen Menschen mit Demenz und ihren Betreuern, da sie einen gemeinsamen Bezugspunkt finden können.
  • Stärkung des Selbstwertgefühls: Durch die Anerkennung ihrer Gefühle und Fähigkeiten wird das Selbstwertgefühl von Menschen mit Demenz gestärkt.
  • Prävention von Konfliktsituationen: Die IVA eignet sich sehr gut, um präventiv Konfliktsituationen im Alltag zu vermeiden. Zum anderen ist sie ein bewährtes Instrument, um auf herausfordernde Situationen konkret reagieren zu können.
  • Förderung des sozialen Wohlbefindens: Die IVA fördert das soziale Wohlbefinden und somit die Lebensqualität von Menschen mit Demenz.

Kritik und Grenzen der Integrativen Validation

Obwohl die Integrative Validation viele Vorteile bietet, gibt es auch einige Kritikpunkte und Grenzen:

  • Hoher Zeitaufwand: Die Anwendung der IVA erfordert Zeit und Geduld, da es wichtig ist, sich auf die individuellen Bedürfnisse und Gefühle des Menschen mit Demenz einzulassen.
  • Emotionale Belastung: Die Arbeit mit Menschen mit Demenz kann emotional belastend sein, insbesondere wenn sie schwierige Verhaltensweisen zeigen.
  • Nicht für alle geeignet: Die IVA ist nicht für alle Menschen mit Demenz geeignet. In manchen Fällen kann es schwierig sein, einen Zugang zu ihrer Gefühlswelt zu finden.
  • Mangelnde wissenschaftliche Evidenz: Obwohl die IVA in der Praxis häufig angewendet wird, gibt es nur wenige wissenschaftliche Studien, die ihre Wirksamkeit belegen.

Fort- und Weiterbildung in Integrativer Validation

Um die Integrative Validation erfolgreich anwenden zu können, ist eine entsprechende Fort- und Weiterbildung empfehlenswert. Es gibt verschiedene Kursangebote, die sich an Pflegekräfte, Betreuungskräfte, Angehörige und andere Interessierte richten.

Grundkurs IVA nach Richard®

Der Grundkurs IVA nach Richard® vermittelt die Grundlagen der IVA und befähigt die Teilnehmer, die Methode in der Praxis anzuwenden. Der Kurs ist als Inhouse- und offener Kurs buchbar und richtet sich an Mitarbeitende in Pflege und Betreuung, Verwaltung, Hauswirtschaft, ehrenamtlich Tätige, Fahrdienste etc. Die Arbeitsmethode ist praxisorientiert und beinhaltet Gruppenarbeiten, praktische Übungen und Diskussionen.

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Aufbaukurs IVA nach Richard®

Nach Abschluss des IVA - Grundkurses (profunde Kenntnisse in Demenz-Theorie werden vorausgesetzt bzw. ein Kurs in Demenz - Theorie wird empfohlen) kann am IVA - Aufbaukurs teilgenommen werden.

Integration der Validation in den Pflegealltag

Validation kann in den Pflegealltag durch regelmäßige Schulungen, die Förderung einfühlsamer Kommunikation und den Aufbau einer unterstützenden Umgebung integriert werden.

Validation als Haltung im Pflegealltag: Die Methode basiert auf Empathie, Akzeptanz und Authentizität. Der Rückzug in die Vergangenheit muss akzeptiert werden.

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